J. Schultz: Qualifying Times. Points of Change in U.S. Women's Sport

Cover
Titel
Qualifying Times. Points of Change in U.S. Women's Sport


Autor(en)
Schultz, Jaime
Reihe
Sport and Society
Erschienen
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
$ 28.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Melanie Woitas, Historisches Seminar, Universität Erfurt

Nicht erst seit Hillary Clinton sind Frauenfrisuren ein Thema, welches die Gemüter erhitzt. Dennoch wurde ihnen bisher wenig Beachtung in der Geschichtswissenschaft und im Kontext des Frauensports geschenkt. Jaime Schultz’ Monografie füllt dieses Desiderat, indem sie in ihrer Einleitung aufzeigt, zu welchen (Miss-)Interpretationen einfache Frisuren wie ein Pferdeschwanz bei Sportlerinnen führen können. Keine andere Frisur, die häufig aus praktischen Gründen gewählt wurde, war mit ähnlich starker kultureller Signifikanz aufgeladen und mit Vorstellungen von Weiblichkeit verbunden. Vor allem in der Sportberichterstattung und in öffentlichen Debatten wurden Athletinnen über ihre Frisuren definiert, was dazu führte, dass nicht die Leistung, sondern das Aussehen von Frauenteams und einzelnen Sportlerinnen im Fokus stand. Laut Schultz zeigt dieses Beispiel, dass Haarstyling eine persönliche Praxis ist, die Vorstellungen beispielsweise von Widerstand und Handlungsmacht ausdrückt. Hinzu kommt, dass Fragen von Sexualität, Alter, Rasse, Nationalität und Kultur daran festgemacht und verhandelt werden. Der Pferdeschwanz wird so zu einem wichtigen Element der Produktion von Weiblichkeit im Kontext des amerikanischen Frauensports.

In den Kapiteln ihres Buches beschäftigt sich Schultz mit weiteren, scheinbar banalen Praktiken und Artefakten, die jedoch eine enorme Wirkmächtigkeit im US-Frauensport entwickelten. Um Aufschluss darüber zu geben, wie verschiede weibliche Subjektpositionen in bestimmten historischen Momenten gefördert und produziert wurden, hat sich Schultz sieben Wendepunkte ausgesucht, die ihrer Ansicht nach für die Geschichte des Frauensports im 20. Jahrhundert bedeutsam waren: Tennisbekleidung, Tampons, (professionelle) Wettkämpfe, Geschlechtstests, Schönheitsideale, Sport-BHs und Cheerleading.

In Kapitel 1 setzt sie sich mit der enormen Veränderung von Tennisbekleidung für Frauen vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart auseinander. Das Damentennis wandelte sich in diesem Zeitraum von einer Freizeitbeschäftigung der weißen Oberschicht zu einem professionellen Wettkampfsport. Um die Bewegungsfreiheit zu verbessern, passten Spielerinnen, Trainer/innen und Sportartikelhersteller die Kleidung an. So wurden beispielsweise aus langen Röcken knielange Shorts. Mit jedem Zentimeter weniger Stoff wurde ein Zentimeter mehr Körper gezeigt, was in der amerikanischen Gesellschaft seit Ende der 1920er-Jahre zu Diskussionen darüber führte, welche Kleidung für Sportlerinnen in der Öffentlichkeit angemessen sei. Afroamerikanische Frauen, die sich parallel für Tennis zu begeistern anfingen und seit der Mitte des 20. Jahrhunderts in nationalen und internationalen Wettkämpfen gegen weiße Konkurrentinnen antreten konnten, hatten weniger mit einer sexualisierten Sichtweise auf ihren Körper zu kämpfen. Wie Schultz zeigt, betonten afroamerikanische Zeitungen und Magazine eher die Vorteile sportiver Kleidung statt über die nun exponierten Körperpartien zu berichten.

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit Tampons, die im Jahr 1936 in den USA auf dem Markt kamen. Der Verkauf massenproduzierten Tampons veränderte das Leben der Amerikanerinnen grundlegend und vor allem Athletinnen profitierten von dieser Neuerung. Dabei ging es nicht nur darum, uneingeschränkter Sport treiben zu können. Die öffentliche Diskussion über Tampons führte auch dazu, dass die Menstruation der Frau ein Stück weit enttabuisiert wurde. Schultz zufolge gewannen Sportlerinnen durch die Nutzung von Tampons an Selbstsicherheit, weil sich der öffentliche Fokus nicht mehr darauf richtete, ob menstruierende Frauen überhaupt Hochleistungssport betreiben sollten, sondern explizit auf ihre Leistungen.

In Kapitel 3 werden die National Institutes on Girls’ Sports vorgestellt, in denen Trainer ausgebildet wurden, die Mädchen und Frauen wettkampffähig machen sollten. Diese Institute waren für die Entwicklung des Frauensports in den USA wichtig, da sie das Talent vieler Mädchen und junger Frauen förderten und zum Teil zu professionellen Sportlerinnen ausbildeten. Die amerikanische Gesellschaft der 1960er-Jahre war von einem Aufbruch gekennzeichnet. Während in den 1950er-Jahren Männer mehr physischen Aktivitäten nachgehen sollten, wurden nun auch Frauen zur körperlichen Ertüchtigung ermutigt. Als Vorbild galt dabei Jackie Kennedy, die, laut Schultz, „most athletic wife of a president in memory“ (S. 86).

Die Institute professionalisierten den Frauensport, in dem sie strikte Regularien und Vorgaben erließen. Im vierten Kapitel geht Jaime Schultz dem Geschlechtstest als einer dieser Regularien nach. Die in den 1960er-Jahren etablierten und bis heute gängigen Tests verifizierten, ob Sportlerinnen tatsächlich Frauen waren und definierten die Leistungen, die Athletinnen erfüllen mussten. Geschlechtlich konnotierte Erwartungen wurden so zu geschlechtlichen Imperativen, die die Ernsthaftigkeit des Frauensports untermauerten. Jedoch spiegelten sie die Ängste vieler, dass gängige Vorstellungen von Weiblichkeit wie zarte und schwache Frauenkörper in Frage gestellt werden sollten. Nun durfte den Frauen ihre (körperliche) Kraft auch angesehen werden. Vor allem Männer entwickelten Ängste, da Frauen in zunehmenden Maße deren einstmals exklusives Territorium – den Sport – eroberten. Wie Jamie Schultz zeigt, haben diese Debatten eine lange Geschichte. Bereits für den Beginn des 20. Jahrhunderts lassen sich Zusammenhänge zwischen der Teilnahme von Frauen bei den Olympischen Spielen ab 1900 und der postulierten „crisis of masculinity“ (S. 105) in den USA aufzeigen. Männer sahen ihre Dominanz zunehmend bedroht unter anderem durch Kampagnen zum Frauenwahlrecht und dem verbesserten Zugang zum Arbeitsmarkt für Frauen.

In den 1970er- und 1980er-Jahren kam es zu einem Umschwung in der öffentlichen Wahrnehmung des Frauensports, der im Jahr 1978 mit dem ersten Foto einer Athletin auf dem Cover des Time Magazine deutlich wurde. Bis dahin wurde in Magazinen und Zeitungen wenig über Sportlerinnen berichtet. Die verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit führte zu Debatten über weibliche (athletische) Körper und vorherrschende Körper- und Schönheitsideale wurden zunehmend auf den Prüfstand gestellt. Grundlegend dafür war, laut Schultz, ein Bundesgesetz aus dem Jahr 1972, welches die Teilnahme an föderalen Erziehungs- und Sportprogrammen für jede/n gewährleistete, ungeachtet der Geschlechtszugehörigkeit. In Kapitel 5 zeichnet Schultz den Weg des Gesetzes nach und fragt nach dessen Wirkmacht und Grenzen.

Im sechsten Kapitel untersucht Jaime Schultz die Geschichte des Sport-BHs, der in den 1970er-Jahren zu einem unersetzlichen Kleidungsstück für Leistungssportlerinnen wurde. Beworben wurde er allerdings nicht mit Leistungssteigerungen beim Sport, sondern mit den Auswirkungen des BHs auf das Aussehen von Frauen. Es wurde betont, dass diese BHs eine „natürliche Form“ ermöglichten (S. 166). Die von der Frauenbewegung angestoßene politische Debatte darüber, dass Frauen keinen Körper- und Schönheitsidealen entsprechen müssen, wurde laut Schultz durch die Werbung für Sport-BHs entpolitisiert. Zudem wurde das Tragen von Sport-BHs von vielen Feministinnen als Disziplinierung des weiblichen Körpers aufgefasst.

Das letzte Kapitel befasst sich mit einem Sport, der als zutiefst amerikanisch gilt: dem Cheerleading. Während im ausgehenden 19. Jahrhundert noch Männer andere Männerteams anfeuerten, waren Mitte der 1970er-Jahre 95 Prozent der Cheerleader weiblich. Dabei ging es nicht nur um das Aussehen. Die teilweise sehr aufwendigen Choreographien verlangten ein hohes Maß an Athletik, Kraft und Ausdauer. Jaime Schultz analysiert den Wandel von High-School-Mädchen in kurzen Röcken hin zu professionellen Cheerleadern in funktionalen Shorts und zeigt, dass Cheerleader bis heute darum kämpfen müssen, um von der amerikanischen Öffentlichkeit als Leistungssportlerinnen wahrgenommen zu werden.

So umfangreich die Monografie von Jaime Schultz auch ist, sie stößt an Grenzen. Schultz schickt gleich in ihrer Einleitung voraus, dass ihr durchaus bewusst sei, dass Frauen bzw. Sportlerinnen keine homogene Gruppe sind und die vorgestellten Wendepunkte nicht für alle Sportlerinnen als solche charakterisiert werden können. Ihre Analyse bietet aber Ansatzpunkte für weitere Auseinandersetzungen und markiert Leerstellen, die zukünftig erforscht und ausgefüllt werden sollten.

Was Jaime Schultz’ Studie leistet, ist Sportlerinnen als bisher weitgehend marginalisierte Gruppe in der US-Sportgeschichte in den Fokus zu rücken. Ihr Buch mit vielen Beispielen teils bekannter, teils unbekannter Sportlerinnen gibt nicht nur Aufschluss darüber, was es bedeutete eine Sportlerin in der amerikanischen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts zu sein. Die Leserinnen und Leser erhalten darüber hinaus einen Eindruck davon, wie bestimmte Wendepunkte im Bereich des Sportes das Leben der Amerikanerinnen fernab von Turnhallen und Tennisplätzen beeinflussten und Prozesse anstießen, die die amerikanische Gesellschaft auch noch im 21. Jahrhundert prägen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension