Cover
Titel
Die Bundeswehr 1950/55–1989.


Autor(en)
Rink, Martin
Reihe
Beiträge zur Militärgeschichte – Militärgeschichte kompakt 6
Erschienen
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 19,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Janine Funke, Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam

„Die Bundeswehr 1950/55–1989“ von Martin Rink ist der sechste Band in der vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) herausgegebenen Reihe „Militärgeschichte kompakt“. Die Publikation folgt der Zielstellung, aktuelle Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung prägnant für „Studierende, die interessierte Öffentlichkeit und die Streitkräfte“ (S. 7) aufzuarbeiten. Sie verzichtet zugunsten von zahlreichen Abbildungen, Tabellen und Grafiken auf einen umfassenden Anmerkungsapparat. Martin Rink, selbst wissenschaftlicher Mitarbeiter am ZMSBw, leistet mit dieser Darstellung einen wichtigen Beitrag zur breiteren Auseinandersetzung mit der Bundeswehr, deren Geschichte in der deutschen Wissenschaftslandschaft erst in der jüngeren Zeit „salonfähig“ (S. 14) wurde.

Rinks Hauptkapitel haben die Themenschwerpunkte „Organisationsbereiche und Teilstreitkräfte“, „Personal, Tradition und Innere Führung“, „Rüstung und Ausstattung“ und „Einsatzkonzeption und Kriegsbild“. Dem vorgeschaltet sind ein einleitendes Kapitel zur Verortung der Publikation in der westdeutschen Militärgeschichte und eine epochale Übersicht bis 1989. In der Einleitung zeigt Rink auf, wie die Grundlagenforschung zur Bundeswehrgeschichte vor dem Hintergrund des 50-jährigen Gründungsjubiläums der Bundeswehr im Jahre 2005 neuen Aufwind erhielt. Das damalige Militärgeschichtliche Forschungsamt (MFGA) veröffentlichte Überblickspublikationen, Teilstudien und Sammelbände, welche die Geschichte verschiedener Organisationsbereiche der Bundeswehr, aber auch sicherheitspolitische Fragen sowie die strategische Ausrichtung innerhalb des westlichen Bündnisses und das Zusammenspiel von Militär und Gesellschaft thematisieren.1

Ein Großteil der Publikationen bezieht sich allerdings vornehmlich auf die ersten beiden Bundeswehrjahrzehnte, weshalb, so Rink, „ein vollständige[r] Abriss der ersten vier Jahrzehnte“ noch aussteht (S. 24). Da zahlreiche Aktenbestände bis 1970 im Bundesarchiv-Militärarchiv nur partiell erschlossen sind und die späteren Archivbestände zum Großteil im Zwischenarchiv lagern, ist ein vollständiger Einblick in die Akten noch immer erschwert. (S. 19) Zudem erhalten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nicht dem ZMSBw angehören, nur einen eingeschränkten Aktenzugang. Dies erschwert eine differenzierte wissenschaftliche Aufarbeitung. Die weitere Erschließung der vorhandenen Akten in den kommenden Jahren wird der Bundeswehrforschung, vor allem mit Blick auf die Jahre nach 1970, neue Impulse geben.2

Rink legt in seiner Darstellung einen Schwerpunkt darauf, das Konzept der Inneren Führung zu problematisieren. Auch gesellschafts- und sozialgeschichtlich orientierte Fragestellungen nehmen für ihn hohen Stellenwert ein. Für ihn ist es zentral, gängige Zuschreibungen der „alten Bundeswehr“ (zum Beispiel als „starr“) zu überwinden, um hervorzuheben, dass diese Armee vielmehr durch „dynamische Prozesse“ und „mehrdimensionale Konfliktfelder“ geprägt war (S. 9). Dabei gelingt es Rink, die großen Entwicklungslinien seit der Gründung der Bundeswehr herauszuarbeiten und die Bundeswehrgeschichte in größere gesellschaftliche Zusammenhänge einzuordnen, wie beispielsweise die Arbeitsmarktentwicklung.

Sein zweites Kapitel „Organisationsbereiche und Teilstreitkräfte“ lässt Rink mit der Himmeroder Tagung im Oktober 1950 beginnen, welche die Grundlage der zukünftigen Strukturierung der Streitkräfte bildete. Von der Himmeroder Denkschrift ausgehend schlüsselt er die Entwicklung und Struktur der Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine auf, wobei er stets die Einbindung in die NATO-Strukturen im Blick behält. Besonders beim Heer ergaben sich Spannungsfelder zwischen den Entwürfen der Heeresgliederung, die vonseiten der Bundeswehrführung erarbeitet worden waren, und den Vorstellungen der NATO-Staaten. Dieser Spagat verschärfte die Schwierigkeit, eine streitkräfte-übergreifende einheitliche Strategie zu etablieren. Die von Beginn an erschwerten internen Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse führten, nach Rink, zu einer Schwächung der „gemeinsamen militärischen Koordinationseben“ (S. 49). Weiterhin widmet sich Rink in diesem Kapitel der Darstellung bisher in der historischen Forschung unterrepräsentierten Strukturelementen wie dem Sanitätsdienst und der Bundeswehrverwaltung.

„Personalstruktur, Tradition und Innere Führung“ bildet das zentrale Kapitel der Publikation. Rink zeigt, dass zwischen einer personellen und geistigen Neuausrichtung und der Traditionsbewahrung eine starke Ambivalenz bestand, welcher die Bundeswehr in ihrer Aufbauphase ebenso wie in den folgenden Jahrzehnten ausgesetzt war. In einzelnen Unterkapiteln arbeitet der Autor die Konfliktfelder heraus, die sich durch das neue Soldatenbild im „Dreiklang vom freien Menschen, guten Staatsbürger und vollwertigen Soldaten“ (S. 88) ergaben, und stellt diese in einen Zusammenhang mit den gegebenen Bündnisbedingungen und der stärkeren Auseinandersetzung mit der Wehrmachtsvergangenheit. Diskussionen über die Wehrpflicht, Nachwuchswerbung, Soldatenrechte und Brauchelemente finden genauso ihren Platz wie Fragen nach dem Verhältnis von Soldatenberuf und Familie oder die Frau in Uniform. Eine besondere Rolle spielt hierbei die militärische Führungsebene. Diese befand sich in einem Spannungsfeld zwischen einem neuen militärischen Habitus, der die Ablehnung alter Verhaltensmuster implizierte, und einem stillen Fortbestehen eben dieser Verhaltensmuster. Das neue Leitbild der Inneren Führung sollte eine Distanzierung von der Vergangenheit gewährleisten, welche, wie Rink zeigt, nicht immer gelang.

In dem Kapitel „Rüstung und Ausstattung“ betrachtet Rink die Bundeswehr im Bündnisgeflecht gleichermaßen wie deren politische und wirtschaftliche Rolle bei der Neuformierung rüstungstechnischer Organisationsprozesse nach 1945. Dabei geht Rink von der These aus, dass gerade der technische Fortschritt den Kalten Krieg „in Gang gehalten“ hätte (S. 147) und beschreibt beispielsweise auch die Bedeutung elektronischer Führungssysteme. In Ausschnitten werden die Beschaffungsmaßnahmen der einzelnen Teilstreitkräfte in ihrer historischen Genese skizziert. Für eine tiefergehende Einbettung rüstungspolitischer Maßnahmen in einen politischen und wirtschaftlichen Gesamtkontext wird auf weiterführende Literatur verwiesen.3

In dem Kapitel „Einsatzkonzeption und Kriegsbild“ schließlich macht Rink die militärische Rolle der Bundesrepublik und deren starke Eingebundenheit in die Einsatzszenarien der NATO deutlich. Der Zwiespalt bundesrepublikanischer Verteidigungsplaner zwischen einer unerwünschten und gesellschaftspolitisch stark kritisierten Militarisierung und der Sicherstellung der Verteidigungsfähigkeit und notwendigen Integration in die NATO arbeitet er gekonnt heraus.

Rink stellt den aktuellen Forschungsstand zur Bundeswehrgeschichte in eingängiger Weise fachkundig und differenziert dar. Die Stärke der Ausführungen liegt im Detail. Die überblicksartigen Kapitel werden mit zahlreichen an die Hauptkapitel angelehnten Exkursen bestückt, wobei die oft noch ganz und gar nicht ausgeforschte Themenvielfalt deutlich wird. Rink gelingt es in den einzelnen Kapiteln die Schwierigkeiten plastisch zu machen, mit denen der Aufbau einer neuen Streitkraft im Spannungsfeld ihrer eigenen Geschichte und unter den gegebenen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen des Kalten Krieges konfrontiert war. Gleichzeitig ist die Detailgenauigkeit der Darstellung an einigen Stellen überzogen, etwa dann, wenn sich der Autor in chronologischen, faktenzentrierten Auflistungen verliert. Im Kapitel „Rüstung und Ausstattung“ wäre statt einer teilweise detaillierten Auflistung des beschafften Materials (S. 160–166) eine noch stärkere Einbettung von Fragen der technischen Ausstattung in bündnispolitische und innerwirtschaftliche Zusammenhänge wünschenswert gewesen. Rink bemängelt zudem einen zu kurz gegriffenen „Antagonismus“ (S. 9) von „alter“ und „neuer“ Bundeswehr, greift diesen aber trotzdem selbst immer wieder auf. Eine Betrachtung der Bundeswehr über den Einschnitt von 1989 hinaus könnte hilfreich sein, um die großen Entwicklungslinien frei diesem Antagonismus aufzuzeigen.

„Die Bundeswehr 1950/55–1989“ ist ein notwendiger und begrüßenswerter Beitrag, der den Einstieg in die neueste deutsche Militärgeschichte erleichtert. Rink setzt spannende Schwerpunkte und regt gleichzeitig Forschungsfelder an, die in den kommenden Jahren noch Teil intensiver wissenschaftlicher Auseinandersetzung sein werden.

Anmerkungen:
1 Zum Beispiel Klaus-Jürgen Bremm / Hans-Hubertus Mack / Martin Rink (Hrsg.), Entschieden für Frieden. 50 Jahre Bundeswehr. 1955 bis 2005, Freiburg im Breisgau 2005; Frank Nägler (Hrsg.), Die Bundeswehr 1955 bis 2005. Rückblenden, Einsichten, Perspektiven, München 2007.
2 Vielversprechend erscheint etwa das vom ZMSBw im Hinblick auf eine Militärgeschichte beider deutscher Staaten ins Leben gerufene Forschungsprojekt „Deutsche Militärgeschichte 1970–1989“.
3 Z.B.: Dieter Kollmer, Militärisch-Industrieller Komplex? Rüstung in Europa und Nordamerika nach dem Zweiten Weltkrieg, Freiburg im Breisgau 2015.

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