A. te Heesen u.a. (Hrsg): Wissenschaft im Museum

Titel
Wissenschaft im Museum – Ausstellung im Labor.


Herausgeber
te Heesen, Anke; Vöhringer, Margarete
Reihe
LiteraturForschung 20
Erschienen
Anzahl Seiten
249 S.
Preis
€ 26,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lisa Spanka, Universität Bremen

In den letzten zwanzig Jahren sind eine Vielzahl an Museumsanalysen und Sammelbänden zu Museumsforschungen erschienen, die auch als Reaktion auf den Gründungsboom von Museen und Ausstellungen seit den 1970er- und 1980er-Jahren verstanden werden können. Gefragt wird darin nach den Sammlungen, den Ausstellungsinhalten, nach der Wirkung auf das Publikum und den Besucher/innenperspektiven. Aber auch Überlegungen zu der Bedeutung von Museen und Ausstellungen für die Identitätsbildung von Gruppen und Individuen und nicht zuletzt zur Vermittlung von Wissen und dessen Richtigkeit stehen im Fokus der Studien. Der rasante Anstieg dieser diversen Arbeiten wurde mitunter analog zur Sprache vom Museumsboom bereits als „Boom der Museumsforschung“ 1 bezeichnet. Erstaunlicherweise fanden wissenschaftliche Sammlungen, Lehrsammlungen und deren Präsentationen in diesem breiten Feld bisher jedoch nur wenig Beachtung.

Der vorliegende Sammelband stößt in diese Lücke, indem er die Bedeutung von Präsentation und Ausstellen für den Forschungsprozess in den Blick nimmt und dazu Lehrsammlungen und Laborpräsentationen an Hochschulen und Universitäten untersucht. Die Autor/innen widmen sich in ihren Beiträgen somit nicht primär den Museen und Ausstellungen als Orten der Wissensvermittlung, sondern folgen der Frage, wie das Ziel von Präsentation und Ausstellung bereits den Forschungsprozess prägt und unter Umständen auf die wissenschaftliche Praxis einwirkt. Dieser Fragerichtung liegt laut den Herausgeberinnen die These zu Grunde, dass die räumlichen Präsentationsmodi in Laboren und Lehrsammlungen die Forschungsarbeiten nach ästhetischen und praktischen Gesichtspunkten organisieren (S. 14). Ziel des Bandes, so die Herausgeberinnen, ist es demzufolge den „Gestaltungsgrad der Forschung“ zu betrachten, anstatt „die Wissenschaftlichkeit von Museen“ zu befragen (S. 17).

In elf Artikeln, die chronologisch in der zeitlichen Abfolge der diskutierten Gegenstände angeordnet sind, beleuchten die Autor/innen das Spannungsverhältnis von Präsentation und Forschung. Die ersten vier Artikel befassen sich mit Wissenschaftsmuseen und wissenschaftlichen Präsentationen, die Ende des 19. Jahrhunderts sowie zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind und mit der Herausbildung bestimmter Disziplinen und Forschungsfelder einhergingen. Thomas Schnalke, Christian Vogel sowie Margarete Vöhringer widmen sich in ihren Artikeln Museen, die von Wissenschaftlern gegründet wurden beziehungsweise der Theorie eines Wissenschaftlers gewidmet sind. Anhand des Pathologischen Museums an der Charité Berlin, des Hamburger Röntgenhauses sowie des Darwin-Museums in Moskau zeigen sie auf, wie das Ziel, eine Sammlung zu zeigen, gleichzeitig der Etablierung und Deutung der jeweiligen Disziplin diente sowie deren Forschungsweise prägte. In ähnlicher Richtung diskutiert Martina Dlugaiczyk die Einrichtung und Ausstellung von Architekturlehrsammlungen an technischen Hochschulen zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Sie zeigt auf, wie die Präsentation repräsentativer Modelle mit der Etablierung der technischen Hochschulen als universitäre Bildungsorte einherging. Als Sammlungsleiter seien häufig Kunsthistoriker eingestellt worden, um den umfassenden Bildungsanspruch dieser neuen universitären Hochschulen zu verdeutlichen und diese von ‚einfachen’ Ausbildungsstätten abzugrenzen.

John Tresch widmet sich der Theorie des Positivismus’ Auguste Comtes, der Wissenschaft als Religion deutete. Tresch zeigt anhand der Pläne Comtes’ für einen Tempel der Humanität und deren Umsetzung in Rio de Janeiro auf, dass hier gerade die Visualisierung als wesentlicher Teil der Wissenschaft beziehungsweise „[…] Wissen als eine Art der Exposition, der Darstellung und Ausstellung […]“ (S. 133) begriffen wurde. Einen weiteren interessanten Denkanstoß auf theoretischer Ebene bietet der Aufsatz von Bruno Latour, dessen 2008 erstmals veröffentlichten Artikel die Herausgeberinnen für den Sammelband zum Nachdruck gewinnen konnten. Am Beispiel einer Ausstellung über die Pferdeevolution im Natural History Museum (New York) diskutiert Latour, dass Ausstellungen von Wissenschaft immer auch Wissen produzieren. Er fordert, Wissenschaftsgeschichte nicht als geradlinigen Prozess zu verstehen, sondern als vielschichtiges Mäandern, bei dem Wissen nie endgültig sicher sei. Gerade das Prozesshafte sollte in Präsentationen von Wissenschaft sichtbar gemacht werden, da nicht nur Forschungsobjekte eine Geschichte haben, sondern auch das Wissen über diese.

Die folgenden drei Artikel widmen sich Ausstellungsprojekten der jüngsten Vergangenheit und geben Einblicke in die forschende Ausstellungspraxis. Der Artikel von Susanne Bauer, Martha Fleming und Jan Eric Olsén veranschaulicht die kuratorische Arbeit für eine wissenschaftliche Ausstellung. Die Autor/innen stellen die von ihnen 2010 im Medizinischen Museum in Kopenhagen miteingerichtete Ausstellung zur Biomedizin vor, die Teil und Ergebnis eines Forschungsprojektes war. Dabei zeigen sie auf wie Forschung und kuratorische Arbeit mit einander zusammengewirkt haben. Auch Elke Bippus widmet sich in ihrem Artikel einer gegenwärtigen Installation. Sie fragt, ob das Konzept des Labors in Kunstausstellungen fruchtbar eingesetzt werden könne, um durch interaktive Installationen die sterile und oftmals kritisierte Atmosphäre von Kunstmuseen als kunsthistorische Expertenorte zu überwinden. Anke te Heesen widmet sich einer naturwissenschaftlichen Schausammlung. Sie fragt nach den gegenwärtigen Gestaltungs- sowie Inszenierungskonventionen, die in eine Installation von Nasspräparaten eingeflossen sind und das Augenmerk auf die Gesamtinstallation lenken anstatt auf die ausgestellten Einzelobjekte.

Zum Abschluss des Bandes diskutiert Ulrike Vedder in einer Lektüre von Texten und Filmen über Museen die Frage nach der Möglichkeit, Wissen über den Tod zu erlangen sowie nach dessen Ausstellbarkeit. Darüber hinaus diskutiert sie, ob Dinge in Museen und Sammlungen nicht generell als Tod verstanden werden müssten, da sie beim Übergang in eine Sammlung ihrem eigentlichen Gebrauch und Umfeld entzogen worden seien.

Ein kleiner Wermutstropfen bei der Zusammenstellung der Artikel ist die starke Konzentration auf naturwissenschaftliche Fächer und die Vielzahl von Artikeln zu Beginn des Bandes, die sich alle am Beispiel eines Wissenschaftsmuseums der Frage nach der Etablierung von Disziplinen durch Präsentationen widmen, dabei jedoch jeweils nur wenig unterschiedliche Perspektiven einbringen. Gerade bei dem Fokus auf naturwissenschaftliche Schausammlungen wäre stattdessen ein Artikel zur Auseinandersetzung mit der Herkunft von Sammlungsgegenständen und Präparaten in naturkundlichen aber auch ethnologischen Wissenschaftssammlungen eine wichtige Thematik gewesen, wie es zum Beispiel jüngst auf der Tagung „Nicht nur Raubkunst! Sensible Dinge in Museen und wissenschaftlichen Sammlungen“ diskutiert wurde, die vom 21. bis zum 22. Januar 2016 am Institut für Ethnologie und Afrikastudien in Mainz stattfand.2

Das Ziel des Bandes, das wechselseitige Verhältnis von Forschung und Präsentation aufzuzeigen, ist durch die vielfältigen Beispiele allerdings sehr gut gelungen. Die hier eingenommene Perspektive auf den Einfluss von Präsentationsmodi und -praxen auf die Wissenschaft stellt in der bereits sehr gesättigten Museumsforschung einen interessanten Blickwechsel dar, der sowohl zur aktuellen Museumswissenschaft als auch zur Wissenschaftsforschung einen weiterführenden Beitrag leistet. Diese neue Untersuchungsperspektive so gelungen einzuführen, ist auch der transdisziplinären Verortung der Herausgeberinnen und Autor/innen zu verdanken, die zum Großteil sowohl in der Wissenssoziologie und -geschichte ihr Standbein haben als auch kuratorisch tätig sind. Die Bemühung, Latours Artikel für den Nachdruck zu gewinnen hat sich gelohnt, trägt sein Beitrag doch dazu bei, Prozesse der Wissensproduktion noch einmal grundlegend theoretisch zu durchdenken. Der Band richtet sich aufgrund der durchaus voraussetzungsvollen Artikel an ein Fachpublikum aus der Museums- und Wissensforschung, bietet diesen allerdings vielfältige und weiterführende Anregungen, die Praxis der Wissensproduktionen auf ihre Geschichte und ihre Entstehungsbedingungen in Verbindung mit Visualisierungsprozessen zu befragen.

Anmerkungen:
1 Joachim Baur, Museumsanalyse: Zur Einführung, in: Ders. (Hrsg.), Museumsanalyse. Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes, Bielefeld 2010, S. 7.
2 Sarah Fründt, Tagungsbericht: Nicht nur Raubkunst! Sensible Dinge in Museen und wissenschaftlichen Sammlungen, 21.01.2016 – 22.01.2016 Mainz, in: H-Soz-Kult, 26.05.2016, <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6532> (03.08.2016).

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