B. Martin: Zwischen Verklärung und Verführung

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Titel
Zwischen Verklärung und Verführung. Die Frau in der französischen Plakatkunst des späten 19. Jahrhunderts


Autor(en)
Martin, Barbara
Reihe
Image 78
Anzahl Seiten
450 S.
Preis
€ 39,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Schnakenberg, Universität Duisburg-Essen

„Erste und grundlegende Aufgabe [des Plakats] ist, die Aufmerksamkeit zu fesseln, die dahineilende Menge, ob sie es will oder nicht, mit aller Raffinesse zu zwingen, vor denjenigen Losungen stehen zu bleiben, vor denen wir sie stehen bleiben lassen wollen.“1 Diese Feststellung des sowjetischen Plakatkünstlers Vladimir Majakovskiy (1893–1930) gilt grundsätzlich auch für die kommerziellen Anschläge des ausgehenden 19. Jahrhunderts, mit denen sich Barbara Martin beschäftigt hat. Während auf den Propagandaplakaten des 20. Jahrhunderts oft ein großer, starker Mann, häufig ein Arbeiter oder Soldat, dominierte, setzten (nicht nur) die frühen Werbeplakate vor allem auf die Darstellung von Weiblichkeit.

Mit ihrer zwischen Kunst-, Kommunikations-, Mentalitäts- und Geschlechtergeschichte angesiedelten Untersuchung des Frauen„bildes“ im französischen Plakat bewegt sich Martins Karlsruher Dissertation im interdisziplinären „no-man’s land“ – ein bekanntes Problem der Bild-, Plakat- und Karikaturforschung.2 Intention der Verfasserin, wissenschaftliche Volontärin an der Landesgalerie des Landesmuseums Hannover, ist es, Werbeplakate als fiktionale Bilder zu dekonstruieren, diese „pseudowissenschaftliche[n] Theorien über vermeintlich naturgegebene Charakteristika des weiblichen Wesens“ gegenüberzustellen und schließlich beides mit der „historischen Lebensrealität von Frauen Ende des 19. Jahrhunderts“ zu vergleichen (S. 17).

Die Geschichte zumal des frühen französischen Plakats kann als gut erforscht gelten. Trotz der großen Zahl der Publikationen zum Thema (insbesondere auch Ausstellungskataloge, vgl. das Literaturverzeichnis auf den S. 404–407), so Martin, haben sich „die feministische Kunstgeschichte wie auch die gender studies bisher [jedoch] nur am Rande mit der Darstellung der Frau in der Plakatkunst beschäftigt“ (S. 7). In diese Forschungslücke stößt nun die vorliegende Studie. Zentraler Quellenkorpus sind dabei annährend 300 Werbeplakate, die die Kunsthistorikerin Martin sehr überzeugend und sprachlich äußerst prägnant analysiert. Die von der Autorin vorgenommene Kategorisierung der Frauendarstellung in „Die Frau im häuslichen Umfeld“ (Kapitel 2), die schicke „Parisienne“ (Kapitel 3), das „entrückte Ideal der ,femme fragile‘“ (Kapitel 5) sowie in die verführerischen und anzüglichen „Tänzerinnen und andere Bühnenkünstlerinnen“ (Kapitel 4) vermag ebenfalls zu überzeugen. Nur unzureichend wird dagegen begründet, warum diesem ersten Teil des Buches im zweiten Teil ein gesondertes Kapitel zur „Frau im Kunst- und Ausstellungsplakat“ (Kapitel 7) folgt, warum die Auseinandersetzung mit dem „Plakat im Kontext der ‚sozialen Frage‘“ so knapp ausfällt und welchen Erkenntnisgewinn die zahllosen „Exkurse“ im Einzelnen bieten.

Martin untersuchte ausschließlich kommerzielle Werbeplakate; politische Plakate spielten erst seit Ausbruch des Ersten Weltkriegs eine größere Rolle.3 Die Frage nach der Darstellung von Weiblichkeit ist insofern relevant, als es sich bei der Frau um ein bei den Plakatkünstlern bzw. ihren Auftraggebern überaus beliebtes Motiv handelte: Ob als fürsorgliche Mutter und Ehefrau oder als modebewusste, auf Status und Prestige Wert legende Konsumentin schien sie ein nahezu perfekter Werbeträger. Männliche Gestalten finden sich in den Werbeplakaten der Zeit demgegenüber kaum. Frauen bzw. weibliche Allegorien, konstatiert Martin, dominieren in der Gattung Plakat noch stärker als in anderen Kunstformen (S. 395).

Die Art des von Plakaten beworbenen Produkts variiert von Vergnügungslokalen, Variétés und Kunstausstellungen über Parfüm, Zigaretten, Alkoholika, Bücher und Zeitungen bis zu Warenhäusern, Küchenöfen, Autos und Fahrrädern. Besonders positiv ist hervorzuheben, dass alle (sic!) in der Studie untersuchten Plakate in sehr guter Druckqualität abgebildet sind; die Beschreibung und Interpretation der Werke findet sich zudem äußerst leserfreundlich direkt neben der entsprechenden Abbildung.

Aus der Vielzahl der angerissenen Themen können hier nur einige wenige interessante Ergebnisse kurz vorgestellt werden. So konstatiert Martin – ähnlich wie dies bereits für die verwandte Gattung der (politischen) Karikatur getan wurde – auch für das Plakat im ausgehenden 19. Jahrhundert eine „Krise der Allegorie“: Allegorische Darstellungen trafen immer weniger den Geschmack des Publikums und wurden zunehmend durch realistische Darstellungen (von Frauengestalten) ersetzt (S. 209ff).4 Im Übrigen zeigen sich Verbindungen zwischen Plakat und Karikatur auch bei den Künstlern selbst. Mehrere der vorgestellten Maler betätigten sich auch auf dem Feld der kritischen Graphik. Der wohl bekannteste unter ihnen war der gebürtige Schweizer Théophile-Alexandre Steinlen, der mit „Lait pur de la Vingeanne“ von 1894 nicht nur Autor eines der bekanntesten frühen Werbeplakate überhaupt, sondern zugleich ein äußerst erfolgreicher sozialkritischer Karikaturist war. Steinlens Erstentwurf eines Plakates für einen Roman, der Mädchenhandel und Prostitution verurteilt, ist zudem eines von ganz wenigen Werbeplakaten, die von Zensur betroffen waren (S. 328ff).

Im Allgemeinen sah die französische Obrigkeit über vermeintliche Anstößig- oder Geschmacklosigkeiten scheinbar souverän hinweg. Im Gegenteil, die oft frivole Plakatwerbung mit koketten, aufreizenden Frauen als zentralem Stilelement – für das die vorliegende Studie zahlreiche Beispiele liefert – war, wie Martin andeutet, vermutlich von den politischen Eliten gar nicht so ungern gesehen: Verkörperten gerade solche Plakate doch das vermeintlich „typisch“ französische Lebensgefühl von Freiheit, Liebe und Lebenslust – womit man sich gut von anderen Völkern, etwa den humorlosen und arbeitswütigen Deutschen, abgrenzen und somit die eigene nationale Identität stärken konnte.

Martin geht im zweiten Teil ihrer Arbeit auf weitere interessante Aspekte ein. So beleuchtet sie unter anderem die langjährige Geschäftsbeziehung zwischen der Schauspielerin und Unternehmerin Sarah Bernhardt und dem Künstler Alfons Mucha, der zahlreiche Plakate für die von ihr geführten Theater anfertigte (S. 136ff) und wendet sich mit Jules Chéret einem (neben Mucha) weiteren stilprägenden Künstler intensiver zu (S. 339). Jedoch vermisst man in ihrem Buch eine ausführlichere, zusammenfassende Einordnung und Synthese ihrer ausgezeichneten Plakatanalysen – etwa in Form von Zwischenfazits. Auch eine noch klarer fokussierte Fragestellung hätte dem Buch sicherlich gut getan: Eine kaum zehnseitige Einleitung und eine lediglich achtseitige „Konklusion“ (S. 391ff) sind für eine Dissertation, welche die Forschung weiter voranbringen möchte bzw. sollte, äußerst knapp und stehen in keinem Verhältnis zum Umfang des analysierten Materials.

Hiervon abgesehen jedoch zeigt die Dissertation nicht nur eindrucksvoll anhand zahlloser prägnanter Beispiele, welche Frauen“bilder“ die französische Gesellschaft vor der Jahrhundertwende prägten, sie verdeutlicht zugleich, wie das Werbeplakat dazu beitrug, das gesellschaftliche Bild der Frau zu verändern.

Anmerkungen:
1 Zitiert nach Klaus Waschik / Nina Baburina, Werben
für die Utopie. Russische Plakatkunst des 20. Jahrhunderts,
Bietigheim-Bissingen 2003, S. 4.
2 Christoph Studt, „no-man’s land“. Die Karikatur
als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, in:
Historisch-Poltische Mitteilungen 15 (2008), S. 63–80.
3 Vgl. etwa James Aulich, War posters. Weapons of mass communication, London 2007.
4 Ulrich Schnakenberg, Columbia und Uncle Sam, Britannia und John Bull: Amerikanische und britische Nationalallegorien in ihrer gegenseitigen Karikatur, in: Ulrich Schnakenberg / Thomas Clark (Hrsg.), Aufklärung – Konstitutionalismus – Atlantische Welt, Kassel 2009, S. 133–158.

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