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Titel
Die Vandalen. Aufstieg und Fall eines Barbarenreichs


Autor(en)
Steinacher, Roland
Erschienen
Stuttgart 2016: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
542 S.
Preis
€ 32,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Krautschick, Berlin

Als Schüler von Herwig Wolfram und Walter Pohl und Angehöriger der Wiener Schule befasst sich der Autor seit über anderthalb Jahrzehnten mit den Vandalen.1 Das bereits für 2010 angekündigte Buch zur Geschichte der Vandalen umfasst die Ergebnisse einer Reihe in den letzten Jahren erschienener Aufsätze. Steinacher gliedert sein Thema in sieben Kapitel und zeitliche Abschnitte, denen er häufig Zitate von Konrad Mannert2 oder Felix Papencordt3 voranstellt: die Vorgeschichte an der Peripherie des Römischen Reiches, den Weg der Vandalen von der Donau nach Afrika (395–429 bzw. 435), die dortige Herrschaft Geiserichs bis zu seinem sacco di Roma (435–455), die Zeit militärischer Auseinandersetzung mit West- und Ostrom (455–477) und der Nachfolger Geiserichs (477–533), die Eroberung des Vandalenreichs durch Belisar und die anhaltenden Kämpfe nach Ende dieses Reiches (533–551). Dabei setzt er Zäsuren um 395, mit Geiserichs Übergang nach Afrika 429 bzw. dem ersten Vertrag mit Ravenna 435, mit Geiserichs sacco di Roma 455, dessen Tod 477 und Belisars Rückeroberungsfeldzug 533. Den Vandalismus und vor allem die Gleichsetzung Vandalen-Wenden-Slawen4 thematisiert Steinacher im letzten Kapitel.

Wider Erwarten geht es nicht um die Ethnogenese der Vandalen. Denn dieses „Buch versteht vandalische Geschichte als einen Teil der römischen Geschichte. Die Vandalen waren ‚Römische Barbaren‘ – Soldaten, die sich im spätantiken Mittelmeerraum einen privilegierten Platz in der Gesellschaft zu sichern wussten“ (S. 17). So lesen sich vor allem die ersten beiden Kapitel wie eine Kurzfassung der spätrömischen Geschichte mit Seitenblicken auf die Vandalen; dabei liegt die Betonung zu Recht auf der Regionalisierung des Reiches, von Machtinteressen und -verhältnissen, zu der auch die eindringenden Germanen beitrugen. Steinacher erkennt, im Wissen, „dass zwischen dem 3. und 4. Jahrhundert verschiedene kleinere Gruppen den Vandalennamen trugen“ (S. 27), bereits in den wenigen Quellenstellen, die sie bis zum Jahr 395 erwähnen, mehr oder weniger deutliche Hinweise auf Übernahmen in den römischen Militärdienst: „Sie waren und blieben Soldaten“ (S. 63). So verwendet er zunehmend als Synonym für Vandalen den Ausdruck „vandalische Militärs“.

Folglich ist bei den Machtkämpfen im Reich nach dem Rheinübergang mit einer Anwerbung über die Pyrenäen und einem Vertragsverhältnis in Spanien zu rechnen. Die entscheidende Wende nach dem Anschluss der geschlagenen Silingen und Alanen an die Hasdingen brachte 422 eine Schlacht, in der die Vandalen die Bibel vor sich hertrugen und gotische Hilfstruppen der Römer zu ihnen überliefen: „Die einschneidende Bedeutung dieses militärischen Ereignisses ist bisher zu wenig betont worden,“ hebt Steinacher hervor (S. 81). Ein Jahr nach dem Regierungsantritt Geiserichs als Nachfolger seines Halbbruders setzte er 429 mit ihnen nach Afrika über. Die folgenden zwei Kapitel behandeln seine dortige Reichsgründung. Steinacher stellt die Verträge von 435 und 442 nach der Einnahme Karthagos 439, die als Hauptstadt diente, in eine Reihe mit Föderatenverträgen, die die Aufnahme hauptsächlich germanischer Militärverbände unter eigener Führung regelten, und lehnt die Interpretation als unabhängige vandalische Staatsgründung ab. „Aus barbarischen werden römische Könige“ (S. 103) – unter dieser Kapitelüberschrift behandelt er die wesentlichen Aspekte der auf Geiserich zurückzuführenden Organisation des Vandalenreichs: den homöischen Arianismus als quasi „Staatsreligion“, den königlichen Besitz und Hof, Verwaltung, Recht, Steuern, Wirtschaft, Münzwesen und Geiserichs einzigartige Nachfolgeordnung sowie das Forschungsproblem der sortes Vandalorum. Er kennzeichnet sie als tatsächlichen Besitz entsprechend der sozialen Schichtung abzufindender Vandalen und Gegenmodell zu den von Walter Goffart und Jean Durliat entwickelten Thesen zur Föderatenansiedlung. Die Regierungszeit Geiserichs nach der Plünderung Roms mit den Piratenfahrten über das Mittelmeer zeigt für ihn den Versuch, die vandalische Machtsphäre zu sichern und auszubauen, um Einfluss auf Machtverteilung und -strukturen innerhalb des Römischen Reiches zu nehmen. Mit dem „ewigen“ Frieden von – wahrscheinlicher – 476 gelang es ihm kurz vor seinem Ableben, die momentane Schwäche des östlichen Kaisertums nutzend, die Anerkennung des Vandalenreichs zwar nicht als souveräner Staat, so doch de facto zu erreichen.

Es folgt in einem eigenen Kapitel die „Galerie“ der weiteren Vandalenkönige. Einleuchtend sind die Analogieschlüsse, die Steinacher aus Parallelen zwischen auseinanderliegenden Ereignissen zieht: aus den Adelsaufständen von 442 nach dem Friedensschluss mit Ostrom, von 480 nach Hunerichs Regierungsantritt und von 530 mit Gelimers Putsch einerseits, aus der Beseitigung zweier gotischer Ehefrauen von Hasdingen andererseits, Hunerichs Gattin um 442 und Thrasamunds Witwe um 523 – Ereignisse, die Folgen bzw. Zeichen einer Annäherung an oströmische Kaiser darstellen und miteinander zusammenhängen mögen. Hierher gehören auch die Versuche, die Vorrangstellung des homöischen ‚Arianismus‘ durchzusetzen bzw. aufzuweichen. Weiterhin diskutiert Steinacher hier die – der Formulierung Wolframs von der „hunnischen“ entlehnte – „maurische“ Alternative zum Vandalenreich. Für Belisars überraschend schnellen Sieg über die Vandalen mit relativ geringen Streitkräften, der erzielt wurde, weil Gelimer unvorbereitet und seine besten Truppen auf den Mittelmeerinseln gebunden waren, sowie für die letzten Widerstandsbemühungen der in Afrika verbliebenen Vandalen und der Mauren dient der „Vandalenkrieg“ des bestens informierten Prokop als Leitfaden; darauf folgt ein Streifzug durch die Geschichte des Gebiets der wiedererrichteten afrikanischen Praefektur bis ins arabische Mittelalter.

Generell enthält dieses lesbare Buch bemerkenswert wenige Satzfehler.5 Kleinere Ungenauigkeiten 6 lassen sich übersehen. Beigegeben ist eine umfangreiche Bibliographie (S. 466–520). Über 100 Zwischenüberschriften – manchmal nicht einmal für eine, häufig kaum zwei Seiten Wortlaut – gliedern den Text. Eindeutig ist Steinachers Zurückhaltung gegenüber archäologischen Zeugnissen: „schwierig ist es, aus den Ergebnissen der Archäologie sichere Aussagen zu gewinnen“ (S. 22). Merkwürdig mutet allerdings an, dass diese Äußerungen aus der Einleitung und dem ersten Kapitel im Anhang zu „Vorgeschichte(n) und Archäologie“ (S. 353–362) größtenteils wortgleich wiederholt werden. Abwägende Zweifel an der Aussagekraft der Schriftquellen, die häufig in deutscher Übersetzung zitiert werden, durchziehen das Buch, etwa in der Äußerung, die häufig versuchte Rekonstruktion von Itineraren der Vandalen in Gallien und Afrika sei zum Scheitern verurteilt. An einer Stelle lässt Steinacher indes aus Unsicherheit Gewissheit werden: mit der wiederaufgegriffenen Interpretation von Prosper Tiro 1294f. (ad a. 427) in ergebnisorientierter Übersetzung als Beleg für die Anwerbung von Vandalen aus Spanien durch den comes Africae Bonifatius (S. 89 mit S. 383, Anm. 231) im Zusammenhang mit deren Überquerung der Straße von Gibraltar und der späteren Behauptung, dieser habe die Vandalen nach Afrika gerufen. Mit dieser Interpretation wird Steinacher wahrscheinlich entschiedenen Widerspruch ernten.7

Eines kann man festhalten: Wolframs Erwartung (Vorwort, S. 13f.), dass sich in diesem Buch zeige, wie weit die Forschung nach dem wesentlichen Werk zu den Vandalen von Christian Courtois aus dem Jahr 1955 gekommen sei, hat sich erfüllt, breitet es doch Material und Forschungstendenzen auf neuestem Stand umfassend aus. Ob sich auch Wolframs Wunsch erfüllt, dass Steinachers Buch das Standardwerk zu den Vandalen wird, hat sich noch zu erweisen.

Anmerkungen:
1 Vgl. die Staatsprüfungsarbeit: Der Laterculus Regum VVandalorum et Alanorum. Eine afrikanische Ergänzung der Chronik Prosper Tiros aus dem 6. Jahrhundert, Wien 2001; diese und andere Veröffentlichungen Steinachers online unter: <http://homepage.univie.ac.at/r.steinacher/research.html> (Stand: 04.06.2016).
2 Geschichte der Vandalen, Leipzig 1785.
3 Geschichte der vandalischen Herrschaft in Afrika, Berlin 1837.
4 Vgl. die Dissertation: Studien zur vandalischen Geschichte. Die Gleichsetzung der Ethnonyme Wenden, Slawen und Vandalen vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert, Wien 2002.
5 Ins Auge sticht nur S. 324: „überwältig“(t).
6 Erwähnt seien: Verwechslung Cassiodors mit seinem gleichnamigen Vater (S. 140; vgl. S. 398, Anm. 154 u. S. 527); „Licina“ statt richtig Licinia Eudoxia (S. 188, 200ff. u. 413f., Anm. 378; vgl. S. 535); Aspar und Rikimer als Aëtius’ Vorgänger (S. 193); Irrtum, dass „verschiedene Gotenkönige den Siegesnamen Vandalarius führten“ (S. 365, Anm. zu S. 26), war es doch nur ein Amaler, aber kein König.
7 Aktuell ist hier auf die neueste, zeitgleich zu Steinachers Buch mit Übersetzung und Kommentar erschienene Neuedition von Prospers Chronik zu verweisen: Maria Becker / Jan-Markus Kötter (Hrsg.), Prosper Tiro, Chronik. Laterculus regum Vandalorum et Alanorum (= Kleine und fragmentarische Historiker der Spätantike G 5/6), Paderborn 2016, S. 101 u. 243f.

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