S. Flew: Philanthropy and the Funding of the Church of England

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Titel
Philanthropy and the Funding of the Church of England. 1856–1914


Autor(en)
Flew, Sarah
Reihe
Perspectives in Economic and Social History 37
Erschienen
Anzahl Seiten
xvi, 251 S.
Preis
€ 140,66
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Czolkoß, Promotionsprogramm "Kulturen der Partizipation", Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg

Sarah Flew befasst sich in ihrer Dissertation mit einem auf den ersten Blick recht kleinteiligen Thema, nämlich den Finanzierungsmodellen und Fundraising-Strategien anglikanischer Home Missionary Organizations. Im Wesentlichen gelingt es ihr jedoch, dieses Thema in einem breiteren Kontext zu verorten und interessante neue Erkenntnisse beispielsweise über Säkularisierungsprozesse, über die Geschichte der Philanthropie und Zivilgesellschaft sowie über die Ausdehnung der Marktgesellschaft zu Tage zu fördern.

Flew fragt danach, über welche Einnahmequellen die Church of England verfügte, wen sie um finanzielle Unterstützung ersuchte, ob sie dabei erfolgreich war und welche Entwicklungstrends sich diesbezüglich im Untersuchungszeitraum ausmachen lassen (S. 4). Ihre Untersuchung fokussiert sie dabei auf das Bistum London. Dies begründet Flew damit, dass aufgrund des rasanten Bevölkerungswachstums und der starken sozialen Verwerfungen London Schauplatz der größten Missionierungsanstrengungen seitens der Church of England war. Zudem sei London das Zentrum philanthropischer Unternehmungen im Königreich gewesen, und nicht zuletzt hätten diese philanthropischen Unternehmungen die nationale Elite in Gänze mit einbezogen, da deren Angehörige in der Regel einen Wohnsitz in der britischen Hauptstadt hatten und hier die London Season verbrachten (S. 2f.).

Angelegt ist Flews Arbeit als „illustrative case study“ (S. 2). Es wird mithin der Versuch unternommen, die aufgeworfenen Forschungsfragen anhand der Untersuchung einiger ausgewählter Organisationen der Church of England (auf dem Feld der inneren Mission) zu untersuchen – hierbei wird in der Arbeit zwischen männlichen und weiblichen Organisationen unterschieden. Die Zuordnung basiert dabei im Wesentlichen auf der Geschlechtszugehörigkeit der Mitglieder der Leitungsebenen sowie der Mitarbeitenden allgemein.

Als Beispiele genannt werden können hier die 1861 gegründete London Diocesan Deaconess Institution und der 1880 gegründete East London Church Fund. Die London Diocesan Deaconess Institution bildete Frauen als Diakonissen aus. Zu ihren wichtigsten Arbeitsfeldern gehörte die Krankenpflege, sowohl auf einer anstaltseigenen Station als auch in auswärtigen säkularen Krankenhäusern. Zudem unterstützten sie die Geistlichen in der Gemeinde bei der Missionsarbeit, beispielsweise durch die Abhaltung von Bibellesestunden (S. 37f.). Der („männliche“) East London Church Fund akquirierte Gelder, um Missionare (auch Laien) zu beschäftigen, die beispielsweise unter der jüdischen und ausländischen Bevölkerung Londons missionierten und sich gegen den Alkoholkonsum einsetzten (S. 31f.).

Im Wesentlichen fußt die Arbeit auf einer quantitativen Auswertung der Jahresberichte besagter Institutionen, in denen unter anderem die Einnahmen und Ausgaben detailliert verzeichnet sind. Zentral für Flews Analysen sind die umfangreichen Aufschlüsselungen der eingegangenen jährlichen Subskriptionen, Spenden und Erbschaften. Ihre Untersuchungsergebnisse sind dabei in einem sehr sorgfältig erarbeiteten statistischen Anhang (S. 141–187) transparent nachvollziehbar. Mit Blick auf eine bessere Anschaulichkeit und Lesbarkeit wäre es vielleicht besser gewesen, die hier in großer Zahl abgebildeten Tabellen und statistischen Übersichten in den Text zu integrieren.

Der Beginn des Untersuchungszeitraumes ist markiert durch den Amtsantritt des Londoner Bischofs Archibald Campbell Tait im Jahr 1856. Während seiner Amtszeit (bis 1868) gelang es den von Flew untersuchten Institutionen und mithin auch der Church of England insgesamt, ein neues Finanzierungsmodell zu etablieren, das bis in das frühe 20. Jahrhundert bestimmend bleiben sollte (das Ende des Untersuchungszeitraumes bildet das Jahr 1914, in dem in der Church of England eine umfassende Reform der Finanzadministration durchgeführt wurde). Besagtem Finanzierungsmodell lag das Prinzip des sogenannten Voluntarism zugrunde. Demnach wurden die Einnahmen einer Institution nahezu ausschließlich durch jährliche Subskriptionen und einmalige kleinere oder größere Spenden sowie Erbschaften bestritten. Um derartige Zuweisungen akquirieren zu können, betrieben die jeweiligen Organisationen ein professionelles Marketing (Werbeanzeigen, jährliche Festveranstaltung mit prominenten Gästen etc.) und engagierten beispielsweise erfahrene Bänker als Schatzmeister, die eine zweckgemäße Verwendung der Gelder und eine saubere Buchhaltung garantieren sollten (S. 44).

Die Finanzierung der von Flew untersuchten Institutionen basierte also auf den Zuwendungen von Privatpersonen sowie – in geringerem Maße – von Unternehmen. Diese Form der Finanzierung war ebenfalls charakteristisch für säkulare sozial-karitative Einrichtungen und auch Krankenhäuser. Für die Church of England war diese Abhängigkeit von privaten Geldgebern (Flew spricht immer allgemein von der „laity“) ein recht neues Phänomen, denn erst in Folge der Emanzipation von Nonkonformisten und Katholiken (1828–29) war es – durch verschiedene Initiativen des Parlaments – zu einem großflächigen Abbau direkter und indirekter staatlicher finanzieller Unterstützung für die Church of England gekommen.

Interessante Ergebnisse liefert Flews Studie vor allem aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive: So kann sie zeigen, dass die männlich geprägten Gesellschaften viel größere Einnahmen generierten, weil sie auf die Infrastrukturen des Bistums zurückgreifen konnten, das ihnen systematisch Unterstützung gewährte. Die weiblichen Gesellschaften waren demgegenüber in erster Linie auf informelle Netzwerke (ihrer weiblichen Komitee-Mitglieder) und Werbung angewiesen (vgl. dazu das Kapitel „Mechanics of Fundraising“, S. 41–58). Darüber hinaus zeigt Flew, dass es im Verlauf des späteren 19. Jahrhunderts zu einer abnehmenden finanziellen Unterstützung der Home Missionary Organizations durch die Laien kam. Dahinter verbarg sich im Wesentlichen ein Rückgang der von Männern getätigten Spenden sowie – in extremer Ausprägung – der Unternehmensspenden. Gleichzeitig blieb die Spendenbereitschaft seitens der Frauen einigermaßen konstant.

Dieser Rückgang in der Spendenbereitschaft der Laien, der fast sämtliche von Flew untersuchten Organisationen um die Jahrhundertwende in finanzielle Bedrängnis brachte, ist zentral für die gesamte Argumentation der Arbeit. Nach den Ursachen dieser Entwicklung fragend, verweist Flew wiederholt auf die um die Jahrhundertmitte wirkmächtige Idee des Christian Stewardship. Dahinter steckte der Gedanke, dass Gott der unumschränkte Besitzer allen Eigentums auf der Welt sei und der Mensch lediglich als eine Art Verwalter anzusehen sei, der – so, wie Gott es wollen würde – seine Ressourcen zum Nutzen aller einzusetzen habe (ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten). Ab den 1870er-Jahren habe diese Idee jedoch an diskursiver Wirkmächtigkeit verloren und die Church of England habe sich zunehmend auf säkulare Fundraising-Methoden verlassen. Von zentraler Bedeutung sind hier unter anderem Konzerte und Theateraufführungen, deren Erlöse gespendet wurden, oder, gerade bei den weiblichen Organisationen, Wohltätigkeitsbasare.

Aus dieser Säkularisierung der Fundraising-Methoden resultierte Flew zufolge – und das ist dann doch eine recht steile These – eine Kommodifizierung der Religion: „Religion became just one more leisure product on the market.“ (S. 140) So gelangt Flew denn auch zu dem Schluss, dass die Zeit um 1900 als Markstein der Säkularisierung angesehen werden könne. Sie hebt sich somit doch recht pointiert von der maßgeblich von Callum G. Brown vertretenen Ansicht ab, der zufolge die Säkularisierung in Großbritannien im Kern ein Phänomen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts darstellt.1 Es bleibt hier jedoch etwas unklar, ob Flew sich hier „nur“ auf die Church of England und deren Laien – oder genauer, deren „mercantile male middle-class“ (S. 139) – bezieht, oder ob beziehungsweise inwiefern sie Säkularisierung hier als gesamtgesellschaftliches Phänomen betrachtet. Schließlich verweist sie an anderer Stelle selbst darauf, dass die interdenominationelle London City Mission von einer vergleichbaren finanziellen Krise verschont geblieben sei (S. 79f.). Ebenso seien nonkonformistische und evangelikale Missionsorganisationen mit ihren Finanzierungsmodellen erfolgreicher gewesen (S. 136). Es wäre folglich wünschenswert gewesen, wenn Flew sich expliziter darum bemüht hätte, zwischen allgemeinen Säkularisierungstrends und der spezifischen Entwicklung einzelner anglikanischer Organisationen zu unterscheiden. Eine etwas breitere Kontextualisierung hätte man sich auch mit Blick auf die Geschichte des Voluntarism gewünscht. Denn um 1900 gerieten beispielsweise auch säkulare Institutionen wie die Londoner Krankenhäuser in eine finanzielle Schieflage, da dieses Finanzierungsmodell nicht mehr ausreichend Einnahmen generierte.2

Anmerkungen:
1 Callum G. Brown, The Death of Christian Britain. Understanding Secularisation 1800–2000, 2. Aufl., London 2009.
2 Vgl. dazu Keir Waddington, Subscribing to a Democracy? Management and the Voluntary Ideology of the London Hospitals, 1850–1900, in: English Historical Review 118 (2003), S. 357–379