B. Bernard: Ernst Hardt 1876–1947

Cover
Titel
"Den Menschen immer mehr zum Menschen machen". Ernst Hardt 1876–1947


Autor(en)
Bernard, Birgit
Reihe
Bibliothek des Journalismus 3
Erschienen
Anzahl Seiten
553 S.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Edgar Lersch, Tübingen

Ernst Hardt, am 9. Mai 1876 geboren im westpreußischen Graudenz, aufgewachsen im ostpreußischen Königsberg, war in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ein bekannter Schriftsteller, der in der Literatur- und Kulturszene auch durch seine journalistischen Arbeiten und Übersetzungen gut vernetzt war. Bis circa 1904/05 schrieb er Prosa, meist Novellen und Kurzromane, danach bis zum Kriegsbeginn 1914 beim Publikum teilweise sehr erfolgreiche, von der Kritik meist verrissene Theaterstücke. Nach dem Krieg war er Intendant des Nationaltheaters in Weimar (1918–1924) und kurzzeitig der Städtischen Bühnen in Köln – auf beiden Posten nicht unumstritten. Anfang 1926 wurde die für den nördlichen Teil der Rheinprovinz und Westfalen zuständige Rundfunk-Programmgesellschaft vom provisorischen Standort Münster nach Köln verlegt. Konrad Adenauer, damals Oberbürgermeister in Köln, gab den Anstoß dazu, dass Hardt erster Intendant der WERAG (Westdeutsche Rundfunk AG) wurde. Im April 1933 vertrieben die Nationalsozialisten ihn aus dem Amt. Bis Kriegsende mit Gelegenheitsarbeiten beschäftigt, verhinderten nach 1945 sein fortgeschrittenes Alter sowie eine schwere Erkrankung, dass er noch einmal eine entscheidende Rolle im Nachkriegsrundfunk spielte. Er starb am 3. Januar 1947 in Ichenhausen nahe Ulm in Bayerisch-Schwaben, wo er, in Berlin ausgebombt, die letzten Lebensjahre verbracht hatte.

Die Autorin Birgit Bernard ist mit mehreren rundfunkhistorischen Arbeiten – im Wesentlichen über den WDR und seine Vorgängerinstitutionen – ausgewiesen. Offenkundig ist ihre Beschäftigung mit Ernst Hardts Leben von der intimen Kenntnis von dessen Rundfunkarbeit motiviert. Aber wozu nach Susanne Schüsslers Biografie nochmals eine 550-seitige Arbeit über den weitgehend vergessenen und nur noch literaturhistorisch interessanten Autor, den partiell gescheiterten Theaterintendanten?1 Auch zu Hardts Tätigkeit als fraglos innovativer und wirkmächtiger Rundfunkpionier gibt es neben den einschlägigen Kapiteln bei Schüssler mehrere, wenn auch etwas ältere Veröffentlichungen.2 Bernard gibt abgesehen von einem äußerst knappen Hinweis in ihrem Nachwort („Dank“) ihren Lesern und Leserinnen im Wissenschaftskontext (um ein populäres Sachbuch kann es sich aus mehrerlei Gründen kaum handeln) keinerlei Auskunft darüber, warum sie eine weitere Biografie Hardts in Angriff genommen hat bzw. in welchem Verhältnis ihr Lebensbericht zu den vorausgegangenen Veröffentlichungen steht. Ausführungen zu der Frage, welche Fragestellungen sie innerhalb des durchaus legitimierungsbedürftigen Genres zu verfolgen beabsichtigt werden dem Leser ebenso vorenthalten wie Hinweise zum methodischen Vorgehen.

Dieses Manko bleibt – um an dieser Stelle bereits einen Gesamteindruck zu formulieren – für Anlage und Durchführung des Buches nicht folgenlos. Die positiv zu bewertende, gut lesbare erzählerische Präsentation schließt) ausführliche Erläuterungen und Erklärungen zum zeitgenössischen Literatur-, Theater- und vor allem dem Rundfunkbetrieb und seinen Kontexten ein. Das sind meist Informationen, die dem halbwegs sachkundigen Leser in der Breite nicht nahegebracht werden müssten. Ähnlich zeichnet sich die Darstellung – von keinen Leitfragen gebändigt – durch ausufernde Erläuterungen zu und Schilderungen von zahlreichen Randfiguren, Problemfällen und Skandalen im jeweiligen beruflichen Umfeld Hardts aus. Sie verselbständigen sich häufig, da sie in dieser Ausführlichkeit zur Deutung von Hardts Leben ab einem gewissen Punkt kaum etwas beitragen (vgl. etwa S. 81ff., 389ff., 436ff., 472ff.). Sind Quellen vorhanden, wird über das notwendige Maß hinaus allzu ausführlich Atmosphärisches, etwa der lange Zeit exquisite Lebensstil des Protagonisten beschrieben: neben der Anordnung der Räume in den jeweiligen Wohnungen die Machart der Tapeten (etwa in Weimar, S. 113f.). Selbst über die Lage der Toiletten im Kölner Funkhaus werden wir unterrichtet (S. 225). Bei allem Respekt vor akribischer Quellenrecherche (Bernard nutzt ausgiebig den umfänglichen Briefnachlass Hardts im Deutschen Literaturarchiv in Marbach) bläht die extensive Ausbreitung des Materials das Werk unnötig auf, sie trägt vielfach nicht dazu bei, ihre zentrale Deutungshypothese zu untermauern.

Gemäß dieser habe sich Hardt nach stürmischen Jugendjahren in eroticis mit der Entscheidung für seine erste Frau Polyxena einem „systemkonformen Produktionszwang“ unterworfen, der ökonomisch bedingt gewesen sei und eine „evasive Funktion“ erfüllt habe (S. 537f.). Aus diesem Grund habe er sich in seiner schriftstellerischen Produktion ästhetisch und damit beim Publikum erfolgreich an den beliebten neoromantischen Strömungen orientiert, im Übrigen seine biografischen Dilemmata in dieser Zeit auffallend häufig sowohl in den Prosaarbeiten wie den Dramen in der Bearbeitung erotischer „Dreieck“-Plots zugewandt (so auch Schüssler). Es ist die Vorstellung der Inhalte von Hardts Werken im Wesentlichen unter diesem Blickwinkel, die Bernards Analyse aus dieser Schaffensphase neben knappen literarischen Wertungen bestimmt. Dass mit dem Untergang der Wilhelminischen Epoche diese Zwänge für Hardt nicht länger virulent waren, ist eine plausible, aber letztlich unbelegte Vermutung. Ebenso ist nur bedingt nachvollziehbar, warum Hardt nun gerade in der (Theater-)Regie und dann ganz und gar in der Rundfunkarbeit seine Erfüllung gefunden habe. Denn offen bleibt, ob es an den jeweiligen Umständen vor Ort lag, dass Hardt als Theaterleiter in Weimar nur mäßig erfolgreich war und auch in Köln nach kurzer Zeit aus dem Amt gedrängt wurde. Immerhin stellt Bernard – einen heutigen Theaterwissenschaftler zitierend – fest, dass er dort nicht „an die wirkungsvolle Intensität seines Vorgängers heranreichte“ (S. 196).

Bleibt die Rundfunktätigkeit Hardts, deren sieben Jahre Dauer (1926–1933) gut ein Drittel des Buches ausmachen: Hardt war nicht der einzige Theaterintendant, der in den 1920er-Jahren erfolgreich zum neuen Medium Rundfunk wechselte, handelte es sich nach dem Verständnis der Zeit um eine weitgehend gleichgerichtete Aufgabe. Bernard lobt die Leistungen ihres Protagnisten für den im Aufbau befindlichen Rundfunk in den höchsten Tönen, sowohl was Menschenführung angeht (wobei der Widerspruch zur ebenfalls festgestellten Unnahbarkeit nicht aufgelöst wird), als auch was die Initialisierung bzw. Mitwirkung an wichtigen Weichenstellungen wie dem Aufbau des Orchesters oder die Berufung seines Dirigenten betrifft. Daneben werden seine innovativen Vorstellungen zu Sprache und Sprechweise im neuen, lediglich Akustisches vermittelnden Medium hervorgehoben, darunter sein Beitrag zur Entwicklung des Hörspiels – der ‚Hörbühne‘ – sowie zur zeitlichen Anordnung des Angebots, das heißt der Programmstruktur. Dabei wäre sein Rang in der föderalen Rundfunklandschaft der Weimarer Republik erst im Vergleich mit anderen Programmleitern festzumachen. Offensichtlich ist jedenfalls, dass sich seine programmatischen Vorstellungen vom Rundfunk als Instrument der (Volks-)Aufklärung und Überwindung von sozialen Barrieren etwa von denen der Leiter der Frankfurter Sendegesellschaft nicht wesentlich unterschieden.

Fazit: Die Verfasserin hat ein dickes Buch mit vielen Detailinformationen geschrieben; der Ertrag, insbesondere für die Rundfunkgeschichtsforschung, ist eher gering. Schade!

Anmerkungen:
1 Susanne Schüssler, Ernst Hardt: Eine monographische Studie, Frankfurt am Main 1994.
2 Vgl. die einschlägigen Kapitel in Wolf Bierbach, Rundfunk zwischen Kommerz und Politik. Der Westdeutsche Rundfunk in der Weimarer Zeit, 2 Bde., Frankfurt am Main 1986; Karl Karst, Ernst Hardt (1876–1947), in: Geschichte im Westen. Halbjahres-Zeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte 1 (1992), S. 99–116; Renate Mohl, Der Aufbruch. Der Westdeutsche Rundfunk in der Weimarer Republik, in: Petra Witting-Nöthen (Hrsg.), Am Puls der Zeit. 50 Jahre WDR, Bd. 1 Die Vorläufer 1924–1955, Köln 2006, S. 27–85.

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