J. Dolle u.a. (Hrsg.): Niedersächsisches Klosterbuch

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Titel
Niedersächsisches Klosterbuch. Verzeichnis der Klöster, Stifte, Kommenden und Beginenhäuser in Niedersachsen und Bremen von den Anfängen bis 1810, Teil 1-4


Herausgeber
Dolle, Josef; Knochenhauer, Dennis
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für Historische Landesforschung der Universität Göttingen 56
Erschienen
Anzahl Seiten
2196 S.
Preis
€ 116,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Wibbing, Bielefeld

Zu den frühesten Einrichtungen, die eine gewisse Form von staatlicher und öffentlicher Verwaltung in einer Region darstellten, gehörten die Stifte und Klöster. Oftmals zeitlich weit vor den eigentlichen Landesherren strukturierten sie gesellschaftliches und bäuerliches Leben. Häufig ermöglichen erst ihre archivalischen und chronikalischen Überlieferungen Forschungen zur Orts- und Regionalgeschichte. Insofern ist das Erscheinen des vierbändigen „Niedersächsischen Klosterbuchs“ hoch begrüßenswert.

Erste Arbeiten für das groß angelegte Projekt fanden bereits 2007 statt. Das Institut für Historische Landesforschung der Universität Göttingen hatte die Initiative ergriffen. Die Aufgabe war herausfordernd, wenn man bedenkt, dass es bislang für die nach 1500 gegründeten Institutionen keinerlei Vorarbeiten gab. So gilt den insgesamt 138 Autorinnen und Autoren Respekt, dass sie in nur 4 Jahren 365 geistliche Einrichtungen in 215 Ortschaften erfassten und beschrieben, die innerhalb der Landesgrenzen der heutigen Bundesländer Niedersachsen und Bremen bestanden oder noch bestehen. Als Vorbild diente den Herausgebern das 1992/94 erschienene Westfälische Klosterbuch mit seiner stringenten und beispielgebenden Gliederung. Mittlerweile liegen auch die ersten Bände des Württembergischen Klosterbuches (ab 2003) und des Nordrheinischen Klosterbuches (ab 2009) vor.1 Ihr jeweiliger innerer Aufbau orientiert sich an einer ähnlichen Gliederungsstruktur, die es dem Leser ermöglicht, in der unermesslichen Zahl von Informationen den Überblick zu behalten. Besonders hilfreich zur Orientierung der Leser/innen sind die Übersichtslisten im ersten Band: chronologisch nach ihrer Gründungszeit bzw. ersten Erwähnung, nach den Hauptpatronen und schließlich nach der Ordenszugehörigkeit bzw. den geistlichen Instituten.

Wie schon in früher erschienenen Klosterbüchern sollten nicht nur Klöster und Stifte aufgenommen werden, sondern auch die andere Gemeinschaften, vor allem die Beginen- und Begardenhäuser als Einrichtungen der Laienfrömmigkeit. Die ersten drei Bände enthalten in alphabetischer Ordnung die Artikel zu den einzelnen Konventen von Abbingwehr bis Zeven, der vierte Band umfasst das Literatur- und Mitarbeiterverzeichnis sowie ein umfangreiches Namens- und Ortsregister.

Die Ausbreitung einzelner Orden, wie der Franziskaner, des Deutschen Ordens oder der Jesuiten, lässt sich auf der Grundlage des Klosterbuches gut nachvollziehen. Auffallend ist beispielsweise die sehr ungleiche Verteilung der Beginen: 22 Häuser in Braunschweig, 15 in Osnabrück, in Bremen und Lüneburg jedoch nur jeweils zwei (und im gesamten Rest des erfassten Gebietes lediglich 16 weitere). Warum das so ist, wird aus der Lektüre des Nachschlagewerkes zwar nicht deutlich, weil ein einleitender Text fehlt, der diese und vergleichbare Erkenntnisse in einen allgemeinen Kontext eingeordnet hätte. Allerdings zeigt sich, dass unter den insgesamt 22 hier Beginenhäuser genannten Einrichtungen auch acht nach der Reformation in Braunschweig gegründete Häuser behandelt werden, die der Versorgung alleinstehender, mittelloser Frauen dienten.

Allen Artikeln liegt ein Gliederungsschema mit 61 möglichst zu behandelnden Punkten in sechs Rubriken zugrunde: (1) Kurzinformationen, (2) Geschichte und Bedeutung (inkl. Wirtschaftsgeschichte), (3) gedruckte und ungedruckte Quellen, (4) Bau- und Kunstdenkmäler, (5) Listen der Institutsvorstände und (6) Literaturverzeichnis. Damit der Leser nicht die Orientierung verliert, ist in den drei Bänden mit den einzelnen Artikeln am Ende dieses Schema auf zwei Seiten zum Ausklappen eingeklebt. Als knapper „Steckbrief“ der Institutionen dient stets ein Abschnitt über die allgemeine und die Wirtschaftsgeschichte. Die bibliographischen Angaben der im Literaturverzeichnis abgekürzt zitierten Titel finden sich im vierten Band in der gut 200-seitigen Gesamtbibliographie. Das fast 400-seitige Register ist nicht ganz einfach zu verwenden. Der vierte Band enthält auch 16 moderne Stadtpläne, in denen die jeweils behandelten Institutionen eingetragen sind, und eine Karte Niedersachsens und Bremens, die sämtliche erfasste Einrichtungen verzeichnet.

Für die Belege innerhalb der Artikel scheinen keine Vorgaben existiert zu haben, denn die Autoren handhaben dies unterschiedlich. Leider finden sich in den allermeisten Fließtexten überhaupt keine Verweise auf Quellen oder Literatur, was die Nutzer dazu zwingt, jede einzelne Information in der abschließend angegebenen Literatur zu suchen. Dass aber die Möglichkeit zu Belegen bestand, zeigt beispielsweise der Artikel zum Domstift Verden, der zumindest in Teilen die Literatur, Quellen und Archivalien meist sogar mit Seitenzahlen nennt, oder die "Liste der Institutsvorstände" des Kollegiatstiftes St. Cyriacus in Braunschweig, wo immerhin verzeichnet ist, nach welcher Literatur die Pröpste und Dekane aufgeführt wurden.

Die Stärken des Klosterbuches liegen auf der Hand. Erstmals wird hier umfassend in räumlicher und zeitlicher Ausdehnung das geistlich-institutionelle Leben Niedersachsens und Bremens erschlossen. Im Gegensatz zu den bestehenden Reihen der „Germania Benedictina“ oder der „Germania Sacra“, mit denen es unvermeidliche Überschneidungen gibt, erlaubt das „Niedersächsische Klosterbuch“ einen sehr viel breiteren Zugriff auf die unterschiedlichen geistlichen Einrichtungen der Region. Nicht nur angesichts der Kürze der Bearbeitungszeit sind diese vier Bände eine in jeder Hinsicht erstaunliche Leistung. Sie vereinfachen zudem die regionalgeschichtliche Forschung für Mediävist/innen und Historiker/innen der Frühen Neuzeit und eröffnen für viele Einrichtungen erstmals die Möglichkeit, tiefer in ihre Geschichte und Wirkung einzudringen.

Besonders der epochenübergreifende Zugriff bis ins 19. Jahrhundert – bei noch bestehenden Einrichtungen bis in die Gegenwart – war bislang so noch nicht oder nur schwer möglich. Auch die Entscheidung, geplante, aber nie verwirklichte Einrichtungen ebenso wie sehr kurzlebige Institutionen einzubeziehen, macht den besonderen Wert des Werkes aus. Trotz allem, was sich heute grundsätzlich gegen ein gedrucktes Nachschlagewerk einwenden lässt, wird sich das „Niedersächsische Klosterbuch“ als ein unverzichtbares Hilfsmittel bewähren, die Forschung erleichtern und gewiss auch bereichern.

Weil sich der Zeitraum über die Reformationszeit hinweg bis zum Ende des 18. Jahrhunderts erstreckt, dürften die Bände gerade vor dem Hintergrund des in zwei Jahren stattfindenden 500. Reformationsjubiläums wertvolle Orientierungshilfe leisten. Neben Fachwissenschaftler/innen werden auch engagierte und interessierte Regional-, Lokal- und Ortshistoriker/innen ihren Gewinn aus der Publikation ziehen. Denn oftmals stellen die Institutionen und Klöster wichtige kulturelle Kristallisationspunkte in Dörfern und Ortschaften dar. Durch die Sicherung ihrer Archive und gelegentlich auch ihrer Bibliotheken erhellen sich beispielsweise in Abgabe-, Heberegistern oder Kirchenrechnungen oftmals sehr interessante Detailinformationen zur Alltagsgeschichte der jeweiligen Orte oder zu einzelnen Personen. Insofern wendet sich die Publikation auch an Genealog/innen.

Anmerkung:
1 Karl Hengst (Hrsg.), Westfälisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung, 3 Bde., Münster 1992ff.; Württembergisches Klosterbuch. Klöster, Stifte und Ordensgemeinschaften von den Anfängen bis in die Gegenwart, hrsg. von Wolfgang Zimmermann und Nicole Priesching im Auftr. des Geschichtsvereins der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Ostfildern 2003ff.; Manfred Groten (Hrsg.), Nordrheinisches Klosterbuch. Lexikon der Stifte und Klöster bis 1815, 2009ff.

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