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Titel
Family Men. Fatherhood and Masculinity in Britain, c. 1914–1960


Autor(en)
King, Laura
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 233 S.
Preis
£ 60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christopher Neumaier, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Laura Kings Studie „Family Men“ untersucht die Veränderungen von Vaterschaft und Männlichkeit in Großbritannien von 1914 bis 1960. Sie argumentiert, dass sich Väter in dieser Zeit zu einem integralen Bestandteil des Familienlebens entwickelten. Dies sei jedoch in der historischen Forschung bisher nicht hinreichend berücksichtigt worden, da der Schwerpunkt sozial- und kulturgeschichtlicher Arbeiten auf den Rollen der Mütter gelegen habe. Indem King die Väter und deren Bedeutung für das Familienleben in den Mittelpunkt rückt, gibt sie der Geschlechtergeschichte bzw. der Geschichte der Familie eine neue Wendung. Sicherlich sind Männlichkeitsvorstellungen in den letzten Jahren von der historischen Forschung verstärkt in den Blick genommen worden1. Doch wie sich die Vorstellungen zu Vaterschaft und die Rollen der Väter im Familienalltag in diachroner Perspektive veränderten und wie sie wiederum mit zeitgenössisch verhandelten Konzepten von Männlichkeit korrespondierten, ist in dieser Dimension bisher nicht eingehend untersucht worden.

Kings durchweg gelungene Studie leistet dies auf mehreren Ebenen. Sie startet mit einer Ausgangsbeobachtung: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sei der moderne Vatertypus als Gegenpol zum viktorianischen Vater entstanden. Während letzterer ein patriarchalisch-autoritäres Rollenmodell symbolisierte, stand ersterer für ein gleichberechtigt-freundschaftliches Zusammenleben und war in das Familienleben integriert, schon allein weil er sich an der Kindererziehung beteiligte. Methodisch verortet sich King in der Sozial- und Kulturgeschichte. Sie versteht daher Vaterschaft sowohl als kulturelle Institution wie auch als soziale Rolle, die das Leben der Männer bis auf wenige Ausnahmen prägte. King weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es sich bei beiden Modellen um Idealtypen handelte, die in den Debatten und im Alltag unterschiedlich ausgedeutet wurden. King fragt daher, welche Rollen Väter jenseits des male breadwinner ausfüllen mussten. Wie sich Väter an der Kindererziehung beteiligten und so eine emotionale Beziehung zu ihren Kindern aufbauten, stellt einen weiteren Fragenkomplex dar. Die Arbeit untersucht ebenfalls, inwiefern Vaterschaft als ein Bestandteil zeitgenössisch diskutierter Männlichkeitsvorstellungen diskutiert wurde. Sie berücksichtigt dabei weiter das Wechselverhältnis von Vaterschaftskonzepten und den zentralen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen, fragt also, wie die Weltkriege und wirtschaftliche Krisen die Vorstellungen von Männlichkeit beeinflussten. Mit diesem Fragenkatalog kann King eindrücklich aufzeigen, wie vielschichtig – bisweilen auch widersprüchlich – die Vaterrollen im Alltag ausgestaltet waren und wie sich Väter allmählich zu Familienmenschen entwickelten.

Kings Studie setzt mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs ein, da sich in dessen Verlauf die Geschlechterrollen veränderten und sich zudem eine britische Nationalkultur herausbildete. Den Endpunkt markiert das Jahr 1960, da zu diesem Zeitpunkt ein neuer sozialer Wandel einsetzte, die Familie zusehends infrage gestellt wurde und „a more consumerist and permissive society“ (S. 7f.) entstand. Während damit harte Zäsuren Kings Untersuchungszeitraum eingrenzen, wählt sie für die Binnendifferenzierung weiche Zäsuren mit ungefähr benannten Übergangsphasen. Als zentrale Kontinuitätslinie identifiziert King die Pflichten der Männer als Ernährer und Versorger: Sie blieben über den gesamten Untersuchungszeitraum (und darüber hinaus) konstant. Die Vater-Kind-Beziehung hingegen wandelte sich deutlich. In der Zwischenkriegszeit gewann sie erstmals an Bedeutung, aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg verortet King den Vater „at the heart of the family“ (S. 15). Jetzt war der Vater endgültig ein „family man“. Damit war ein Ablösungsprozess abgeschlossen, der Kings Studie ihren Titel gibt. Mit diesem Prozess gingen noch zwei weitreichende Veränderungen einher: Erstens verbreiteten sich innerhalb der Familie verstärkt gleichberechtigt demokratische Rollenmodelle, denen aber in der sozialen Praxis weiterhin Grenzen gesetzt waren. Zweitens galt die Kernfamilie bis in die frühen 1960er-Jahre als wichtige Einheit, welche die emotionalen, sozialen und physischen Bedürfnisse der Familienmitglieder befriedigte. Insofern kommt der Nachkriegszeit eine Scharnierfunktion zu, da sie zwischen Vaterschaftsvorstellungen aus der ersten und der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermittelt. Wie diese Vorstellung in den 1960er-Jahren wieder verschwand und in der Gesellschaft neben der Kernfamilie andere Lebensmodelle diskutiert wurden, liegt dann allerdings außerhalb des Untersuchungszeitraums. In diesem Zusammenhang müsste noch ein weiterer Aspekt diskutiert werden: Waren die Veränderungen wirklich so weitreichend oder handelt es sich hierbei um eine zeitgenössische Überzeichnung des sozialen Wandels?

Die Veränderungen spürt King in fünf Kapiteln auf. Die ersten beiden Abschnitte stecken dabei gewissermaßen den Rahmen ab. Sie untersuchen die Rollen des Vaters als Ernährer und Erzieher. „Breadwinning“ stellte zwar über den gesamten Zeitraum das Kernstück von Vaterschaft dar, doch reichten die gesellschaftlichen Erwartungen an einen „guten“ Vater weiter. Er sollte auch mit den Kindern spielen, sie zudem disziplinieren und anleiten sowie die Mütter unterstützen. Darüber hinaus wurde die Messlatte für Vaterschaft in der Zwischenkriegszeit immer höher gelegt und zum Beispiel erwartet, dass die Väter ihren Kindern Taschengeld aushändigten. Das Rollenprofil des Ernährers erfuhr somit sukzessive eine Ausweitung über die finanzielle Versorgung der Familie hinaus. Allerdings gelang es in den 1920er- und 1930er-Jahren aufgrund der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit zahlreichen Vätern nicht, diesen Anforderungen gerecht zu werden.

Die folgenden drei Kapitel befassen sich mit den emotionalen Beziehungen der Väter zu ihren Kindern, Fragen der Autorität und der Identität von Vaterschaft. King interessiert sich vor allem für positive wie negative Emotionen in der Vater-Kind-Beziehung, also Freude und Liebe auf der einen, Frust und Enttäuschung auf der anderen Seite. Gerade die Debatten in der Populärkultur betonten ab Mitte der 1930er-Jahre die Bedeutung einer engen emotionalen Beziehung der Väter zu ihren Kindern. Auch die individuellen Einstellungen der Väter orientierten sich verstärkt an diesem Ideal, wenngleich die Väter es lediglich vereinzelt im Familienalltag umsetzten. Die zunehmende psychologische Bedeutung von Kindererziehung und Vaterschaft stellt dessen ungeachtet ein Signum der 1940er- und 1950er-Jahre dar.

Die Rolle des Vaters als Autoritätsperson und seine Aufgaben in der Familie analysiert King ebenfalls aus zwei Blickwinkeln: der medialen Debatte um dieses Rollenideal und dessen Umsetzung im Familienalltag. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zum Ende der 1950er-Jahre galten die Väter als die Autoritätsperson in den Familien. Doch innerhalb dieses Rahmens wandelte sich das männliche Rollenverständnis. Denn als die Väter verstärkt am Familienleben partizipierten, wirkte sich dies auf die Familienbeziehungen aus. Es zeigten sich zwischen den Ehepartner verstärkt Tendenzen von Gleichberechtigung. Zum Beispiel bekamen die Frauen mehr Einfluss darauf, wie das Familieneinkommen zu verwenden war. Auch bei der Kindererziehung sprachen sich die Ehepartner miteinander ab. Damit setzte sich ein Verständnis durch, wonach beide Ehepartner zwar unterschiedlich, die jeweiligen Rollen jedoch gleich wichtig für das Funktionieren der Familie waren („equality in difference“, S. 193). Egalitär waren damit die Aufgaben freilich nicht verteilt. Es ließe sich auch weiter fragen, ob sich innerhalb der Familien lediglich in bestimmten Konstellationen Emanzipationstendenzen zeigten und inwiefern dies die Masse der Gesellschaft betraf.

Im letzten Kapitel untersucht King die Geschlechteridentitäten. Sie argumentiert, dass Vaterschaft und Männlichkeit aufeinander bezogen seien. Infolgedessen ließen Vaterschaft und die Rolle des Vaters als Familienmensch ein neues Verständnis von Männlichkeit entstehen. Gleichzeitig bedeutete aber eine stärkere emotionale Rolle als Vater auch eine Gefährdung tradierter Männlichkeitsvorstellungen. Während die Geburt eines Kindes als Signum von Männlichkeit galt, verwischten bei der Kindererziehung zusehends die traditionell männlich und weiblich konnotierten Geschlechterrollen. King weist darauf hin, dass mit den sich verändernden Vorstellungen von Vaterschaft noch andere Veränderungen einhergingen. So zeigten sich in den Debatten um Vaterschaft deutliche Homogenisierungstendenzen, welche die Bedeutung der sozialen Differenzierungskriterien von Klasse und Religion abschliffen, aber nicht komplett beseitigten. Zu klären bleibt in diesem Zusammenhang aber, welche Rolle dabei das Alter der Väter (und Mütter) spielte und ob innerhalb der jeweiligen sozialen Klassen Binnendifferenzierungen existierten.

Insgesamt hat King eine beachtliche Studie vorgelegt, welche die Kontinuitäten und Zäsuren in den Konzepten von Vaterschaft und Männlichkeit in Großbritannien aufzeigt. Indem sie dabei sowohl die Debatten in Politik, Medien und Wissenschaft als auch das Familienleben untersucht, kann sie das Wechselspiel zwischen normativen kulturellen Vorgaben zu Rollenmustern („cultural values“, S. 15) und sozialen Praktiken herausarbeiten. Die Veränderungen in Großbritannien müssten nun mit denen in anderen west- oder osteuropäischen Ländern verglichen werden. Die Basis hierfür hat Laura Kings „Family Men“ gelegt.

Anmerkung:
1 Vgl. u.a. Thomas Kühne (Hrsg.), Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeiten im Wandel der Moderne, Frankfurt am Main 1996; Jürgen Martschukat, Die Ordnung des Sozialen. Väter und Familien in der amerikanischen Geschichte seit 1770, Frankfurt am Main 2013; Jürgen Martschukat / Olaf Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten, Frankfurt am Main 2008.

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