E. Schmidt-Eenboom u.a.: Die Partisanen der NATO

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Titel
Die Partisanen der NATO. Stay-Behind-Organisationen in Deutschland 1946–1991


Autor(en)
Schmidt-Eenboom, Erich; Stoll, Ulrich
Erschienen
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Lemke, Abteilung Einsatz, Forschungsprojekt Einsatzgeschichte, Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften, Potsdam (ZMSBw)

Geheimorganisationen und Geheimdienste bzw. deren Geschichte waren und sind fast immer von Verschwörungstheorien umweht. Weil vieles nicht geklärt ist, wohl auch nie geklärt werden kann, ergänzt vor allem in der Öffentlichkeit die Fantasie die fehlenden Beweise und führt nicht selten zu allerlei Vermutungen. Dies umso stärker, da häufig starkes mediales Interesse herrscht und sogar literarischer Erfolg mit dem Genre verbunden ist. Ein Kronzeuge ist hier sicher John le Carré, der mit seinen Romanen weltbekannt wurde, hier nicht zuletzt auch mit dem Werk „Der Spion, der aus der Kälte kam“, der unter anderem im geteilten Berlin spielt.

Daneben hat sich, vor allem in Großbritannien, seit den 1980er-Jahren professionelle Forschung zu den Geheimdiensten entwickelt, die unter anderem mit Namen wie F. H. Hinsley oder Christopher Andrew verbunden ist. Auch hierzulande gibt es neuerdings Projekte, etwa zur Erforschung des BND oder des MAD.

Ein methodisches Hauptproblem bildet der Quellenzugang. Es ist leider nicht gesichert, dass die Forscher, wie sonst üblich, etwa über Findbücher breiten Zugang zu archivalischen Quellen bekommen. Oft sind nur bruchstückhafte Überlieferungen zugänglich, dies unter anderem auch infolge selektiver Herausgabepraxis von Seiten der Archive. Der Fachhistoriker muss stets darauf achten, nicht zu stark in das Fahrwasser der zugänglichen Aktenstränge zu gelangen und Rahmenbedingungen zu bedenken, die eben nicht durch Quellen abgestützt sind. Es besteht immer die Gefahr, dass Etliches ungeklärt bleibt oder nur vorläufig mit Thesen bedacht werden kann. Gleichzeitig besteht ein gewisser Druck zum Publizieren, da möglicherweise Konkurrenz, auch aus der Presse, tätig ist.

Diese Grundproblematik ist leider auch bei dem hier zu besprechenden Werk zu beobachten. Das Buch beschreibt, nach einer eher kurzen Einleitung über die Prinzipien der verdeckten Kriegführung hinter den feindlichen Linien vor 1945, in chronologischer Reihung den Aufbau und den Fall einer ganzen Reihe von verdeckten Agentennetzen in der frühen Bundesrepublik für den Fall eines sowjetischen Einmarsches bzw. Vorrückens. Diese „Stay-Behind-Organisationen“, wie z.B. „Bund Deutscher Jugend (BDJ)“ oder „Kibitz“, sollten im Rücken der sowjetischen Front Spionage betreiben, Funkmeldungen absetzen und Sabotage betreiben. In den ersten zehn Jahren wurden diese Netze vor allem von den westlichen Geheimdiensten, vor allem der CIA, betrieben und auch finanziert. Die Amerikaner waren teils wenig zimperlich, wenn es um die Herkunft der Agenten ging, und so wurden häufig zwielichtige Gestalten mit problematischer NS-Vergangenheit, z.B. auch ehemalige SS-Angehörige, engagiert. Die Organisationen, die entstanden, hier vor allem der Bund Deutscher Jugend (BDJ), wiesen ein hohes Potenzial an demokratiefeindlicher Energie auf, was dann auch im Laufe der Zeit zu Justizskandalen führte. Zivile Verantwortungsträger der jungen Bundesrepublik, etwa der hessische Ministerpräsident Zinn, die Rechtsbrüche zu Tage förderten, konnten sich dabei oft gegen die Besatzungsmacht, liberal-konservative Politikerklientel und letztlich auch gegen die Regierung Adenauer nicht durchsetzen. Als die Bundesrepublik dann 1955 weitgehend souverän wurde, ging die Verantwortung auf deren Organe über, vor allem den BND, der dann bestehende Agentennetze auch übernahm. Dies änderte an der Grundproblematik indes nicht viel.

Die beiden Autoren weisen pointiert darauf hin, dass die Stay-Behind-Organisationen mit ihrer teils manifesten, brutalen Ablehnung der demokratischen Grundordnung ein innenpolitisches Risiko darstellten und vor allem auch als Werkzeuge für die Beseitigung der Demokratie hätten dienen können (Todeslisten, Wehrwolfromantik und Fememorde). Dies mag richtig sein und ist auch keineswegs zu unterschätzen, indes fragt sich der Leser, ob die Gefahr tatsächlich in dem Maße existierte. Die Geschichte dieser Organisationen war, wie plastisch und nachvollziehbar beschrieben wird, mehrheitlich eine von Pleiten, Pech und Pannen. Die meisten Anläufe scheiterten infolge fehlenden Personals, mangelnder Ausrüstung und teils dilettantischen Vorgehens früher oder später bzw. wurden aufgedeckt, dies teils auch in der DDR. Dass die Autoren ostdeutsche Akten verwendet haben, ist hier positiv zu vermerken. Es bleibt aber die Frage, wie bedeutsam diese Instrumente historisch wirklich waren.

Besonders interessant ist vor diesem Hintergrund, was Schmidt-Eenboom und Stoll dann über den BND zu berichten wissen. Dieser (die „Org[anisation Gehlen]“) entwickelte nach eher bescheidenen Anfängen im Laufe der Zeit ein vitales Eigenleben, was sich auch in einer immer größeren Ausdehnung äußerte. Dazu gehörten dann auch Bestrebungen, spezielle Kampftruppen (z.B. die „Lehr- und Ausbildungsgruppe für das Fernspähwesen der Bundeswehr“ – LAFBw) und sogar eigene Luftverbände zu bekommen bzw. de Facto zu leiten, um im Krieg quasimilitärische Kampf- und Sabotageeinsätze durchzuführen. Dies führte vor allem in der Zeit der sozialliberalen Koalition zu teils heftigen Konflikten mit der Regierung und auch der Luftwaffe, auf deren Kosten derlei Ausstattungen gegangen wären. Schließlich hatte sich der BND wieder auf seine „eigentlichen“ Aufgaben, das heißt vor allem die Nachrichtentenbeschaffung, zurückzubesinnen.

Eine der wichtigsten Ergebnisse, des Werkes ist dann auch die Erkenntnis, dass Geheimdienste (wie wohl alle Organisationen) eine Tendenz zur Aufblähung und Machterweiterung aufweisen, dies hier aber infolge der besonderen Geheimhaltungssituation mit erhöhtem Problempotenzial. Dies ist im angehenden 21. Jahrhundert nicht zu vernachlässigen, nicht zuletzt auch infolge der neuen Bedrohungen.

Die Ausführungen hierzu sind insgesamt also interessant und lesenswert, nur leider verlieren sich die Autoren dann wieder im skandalumwitterten Oktoberfestattentat von 1980, ohne wirklich substanziell Neues bieten zu können. Wie sie auch offen zugeben, liefert das Buch mit Blick auf dieses Attentat einen Zwischenstand. Dieser ist eigentlich nicht wirklich befriedigend. Die grundlegenden Zusammenhänge (unter anderem die Rolle der sogenannten „Wehrsportgruppe Hoffmann“) und auch die Geschichte der Protagonisten, wie z.B. des Försters Heinz Lembke, die seit dem Buch von Daniele Ganser1 an die Öffentlichkeit kamen (z.B. durch TV-Dokumentationen), werden nochmals erzählt und mit Berichten über abgebrochene Ermittlungen bzw. Nicht-Zugang zu Akten versehen. Immerhin ist es interessant zu erfahren, dass nicht nur die Rote Armee Fraktion sich in den Nahen Osten zum Knüpfen von Kontakten und zur Ausbildung begab. Dies tat auch die rechtsextreme Klientel im Dunstkreis der „Wehrsportgruppe“, nur in diesem Falle eher in die Lager der christlichen Falange, weniger der PLO bzw. der Fatah oder anderen Organisationen (auch hier besteht indes noch Klärungsbedarf). Den Hintergrund für das Buch bildet unter anderem wohl auch die Wiederaufnahme der Ermittlungen in Sachen Oktoberfestattentat am 11. Dezember 2014 durch Generalbundesanwalt Range.

Derlei Zusammenhänge sind heute fraglos von großem Belang. Niemand weiß, ob Gruppen vom Schlage der NSU oder die neu entstehenden Hassnetzwerke gegen die Flüchtlinge nicht ähnliches im Sinne haben. Wachsamkeit ist geboten. Demgegenüber ist vor Skandalisierung zu warnen (die Autoren halten sich hier trotz einiger wiederkehrender Anklagen und Kritik an den Ermittlungsbehörden doch zurück). Für den forschenden Fachhistoriker sind derlei teils schon ins Politische reichende Debatten ohnehin nur eingeschränkt von Interesse und dies nicht nur aus Gründen der nötigen professionellen Distanz.

Ein Fazit: Es muss sicher nicht jede Publikation vor neuen Entdeckungen sprühen und immerhin sind die ersten Kapitel zu den Stay-Behind-Organisation Neuland. Indes wünscht man sich doch noch mehr Einbettung in die Rahmenbedingungen der NATO-Planung (immerhin werden einige sehr interessante Quellen zum angenommenen Kriegsbild im Falle eines Angriffs aus dem Osten wiedergegeben) oder in das gesellschaftlich-politische Gesamtspektrum der frühen Bundesrepublik (z.B. Rechtsradikalismus). Die enthaltenen Angaben zu den westlichen Geheimdiensten und die damit verbundene Netzwerkbildung bieten hier durchaus eine gewisse Basis, die indes vor allem auch komparatistisch erweitert werden sollte.

Für Historiker, die sich mit Aufstandsbekämpfung bzw. Counterinsurgency beschäftigen, ist schließlich noch die Frage interessant, inwieweit die „NATO-Partisanen“, die ja für einen europäischen Großkriegsschauplatz rekrutiert wurden, mit Insurgenten in Kolonialkriegen vergleichbar sind. Vergleiche hier sind wohl nicht ganz unproblematisch, müssten erst diskutiert werden. (Dies gilt im Übrigen auch für den „Bandenkampf“ im Krieg gegen die Sowjetunion 1941 bis 1944, der keineswegs so einfach, wie dies manche Historiker tun, mit dem Kolonialkrieg der europäischen Imperien verglichen oder gar gleichgesetzt werden kann – genauso wenig, wie totalitäre Diktaturen vom Schlage der NS-Herrschaft bzw. der Sowjetunion zumindest bis 1945/53 mehr oder weniger unbesehen als „Imperien“ betrachtet werden können). Dies sind indes Fragen, die über die Reichweite des Werkes von Schmidt-Eenboom und Stoll hinausgehen. Diese dürften wohl weiterhin eher mit Themen wie Oktoberfestattentat und der Organisation Gladio, der NATO-Geheimtruppe für verdeckten Kampf und Stay-Behind-Einsätze mit teils großem Potenzial zur Bildung von Terrorzellen (vor allem Italien), und deren möglichst detailgenauer Aufarbeitung beschäftigt sein. Dabei werden sie aller Voraussicht nach aber bestenfalls Teilerfolge erzielen können.

Anmerkung:
1 Daniele Ganser, NATO’s Secret Armies, Operation Gladio and Terrorism in Western Europe, London 2005.

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