M. Birn: Anfänge des Frauenstudiums

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Titel
Die Anfänge des Frauenstudiums in Deutschland. Das Streben nach Gleichberechtigung von 1869–1918, dargestellt anhand politischer, statistischer und biographischer Zeugnisse


Autor(en)
Birn, Marco
Reihe
Heidelberger Schriften zur Universitätsgeschichte 3
Erschienen
Anzahl Seiten
433 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Neumann, Universitätsarchiv Jena

Marco Birns Arbeit zu den Anfängen des Frauenstudiums stößt in eine bereits 2002 konstatierte Forschungslücke, die im Fehlen von „komprimierten Gesamtdarstellungen“1 besteht: Birn bezieht sich räumlich auf Vorgänge in allen Universitäten des Deutschen Kaiserreiches und zeitlich auf die Jahre zwischen 1869 und 1918. Die in drei Teilen gegliederte Arbeit basiert auf der Frage, wer „die ersten Frauen an den deutschen Universitäten [waren] und wie [sie sich] [...] ihren Platz in der Wissenschaft [erkämpften].“ (S. 12)

Der erste Teil liefert einen Überblick über politische Prozesse in den einzelnen Staaten. Obwohl sich diese Prozesse zeitlich versetzt ereigneten und von Baden bis Mecklenburg-Schwerin ein räumliches Süd-Nord-Gefälle aufweisen, macht Birn drei gemeinsame Phasen aus: Zunächst erfolgte eine ausnahmsweise Zulassung in Form von Gasthörerinnen. Ihr prekärer Status basierte auf der ständigen Bedrohung vor willkürlicher Abweisung durch einzelne Dozenten. Nachdem immer mehr Frauen um gastweisen Besuch von Vorlesungen gebeten hatten, schloss sich in den 1870er- und 1880er-Jahren eine Phase des Ausschlusses an. Die Zunahme von Anfragen machte eine prinzipielle Entscheidung notwendig: Ausnahmen waren nun nicht mehr als solche charakterisierbar. In den 1890er-Jahren begann schließlich eine Phase der offiziellen Zulassung zunächst von Hörerinnen und ab 1900 von ordentlich immatrikulierten Studentinnen. Birn verweist auf fünf Einflussfaktoren dieses Wandels: Die Frauenbewegung erreichte eine Rezeption ihrer bildungspolitischen Ziele in der Öffentlichkeit. Sie fand dabei diverse Unterstützer in den Kultusministerien sowie aufseiten der Professoren. Unter diesen Professoren galten positive Erfahrungen mit Studentinnen an der Universität Zürich als Vorbild. Die Zulassung in Baden schuf schließlich einen Präzedenzfall, in dessen Folge kein Staat als kulturell rückschrittlich gelten wollte.

Diese Faktoren entsprechen Etappen beim Kampf um die Zulassung. Sie können jedoch nur ungenügend erklären, weshalb ein Umschwung von einer Phase völliger Ablehnung zur Zulassung geschah. Bei seiner Beschreibung der „Gründe für und gegen das Frauenstudium“ verweist Birn auf die 1897 von Arthur Kirchhoff herausgegebenen Gutachten von Professoren zur Frage der Zulassung von Frauen: Davon seien weniger als ein Drittel ablehnend. Andererseits gebe es auch unter den Befürwortern heterogene Ansichten, welche nur selten vollständige Gleichstellung beinhalteten. In Birns Darstellung unterbleibt ein Blick auf die Grauzone zwischen Gegnern und Befürwortern. Gerade dort zeigen sich jedoch die Kämpfe um Bedeutungsverschiebungen innerhalb des Diskurses. Stattdessen verweist er auf die patriarchale Prägung der akademischen Eliten, deren Denken den Geschlechtscharakteren ihrer Zeit entsprochen habe. Die Persistenz dieser „Mentalität“ kann jedoch kaum erklären, warum sich überhaupt etwas ändern konnte. Auf diese analytische Unschärfe des Patriarchatbegriffs wies Karin Hausen bereits 1986 hin.2 Vielversprechender ist daher Birns Feststellung einer Abdrängung von Frauen in geschlechtsspezifische Fachbereiche: Hierbei wird deutlich, wie sich alte Geschlechtervorstellungen angesichts sozialen Wandels transformierten und zugleich der neuen Situation angepasst reproduzierten. Zu kritisieren ist wiederum Birns Auffassung über den Rechtsstatus von Frauen an Universitäten: Er stellt die Frage, „ob zur Einführung des Frauenstudiums überhaupt gesetzliche Änderungen notwendig waren“(S. 9), da es über einzelne Regierungserlasse hinaus keine speziellen Ausschlussparagrafen gegeben habe. Diese Betrachtung differenziert kaum zwischen Recht und Rechtswirklichkeit: Die statutarischen Ordnungen der Universitäten bezogen sich selbst bei geschlechtsneutraler Wortwahl selbstverständlich auf Männer. Wie Patricia M. Mazón feststellt, deren einschlägige Arbeiten Birn nicht beachtet, legitimierte sich diese Praxis über implizite Vorstellungen über den männlichen Charakter des akademischen Bürgerrechts.3

Der zweite Teil gliedert sich in zwei Abschnitte: Zunächst bietet er eine Auswertung von „sozialen Daten der Studentinnen“ (S. 14). Der Autor liefert detailreiche Statistiken über Studienfächer, geografische Herkunft, Religionsverhältnisse, soziale Herkunft sowie Alter und Vorbildung von Studentinnen bis etwa 1918 (teilweise bis 1924/25). Diese beruhen vor allem auf der Auswertung von Matrikelbüchern einzelner Universitäten sowie statistischen Jahrbüchern. Nützlich ist dieses Datenkompendium vor allem als Nachschlagewerk für Universitäts- und Geschlechterforschende. Im zweiten Abschnitt setzt Birn diese Daten in Beziehung zu akademischen Karrierewegen. Die Fächerwahl stand unter dem Einfluss späterer Berufsmöglichkeiten. Damit erklärt sich, weshalb die Masse der ersten Studentinnen ein Studium für das höhere Lehramt begann. Auch zwischen Religionszugehörigkeit und Studienwahl gab es Zusammenhänge: So schlossen Jüdinnen vergleichsweise selten ein Lehramtsstudium ab, da öffentliche Schulen diese kaum einstellten. Im Bereich der Medizin musste zunächst die Approbationsfrage entschieden werden, bevor ein medizinisches Studium für Frauen sinnvoll erschien. Laut Birn vertrug sich die Wahl eines medizinischen Fachgebietes mit den Geschlechtervorstellungen der Zeit, welche Frauen mit karitativen und pflegerischen Tätigkeiten verbanden. Dennoch gab es vonseiten der Mediziner zum Teil harsche Ablehnung. Wie bereits Ilse Costas zeigte, war das soziale Prestige des Arztberufes dafür verantwortlich.4 Die Mediziner schienen ein Gespür dafür zu besitzen, dass mit der Zulassung von Medizinerinnen eine soziale Abwertung ihres Berufsstandes einherging. Die methodologischen Vorschläge Costas‘, die unter anderem von Pierre Bourdieus Theorie des sozialen Raumes inspiriert sind, werden von Birn nicht aufgegriffen. Gerade eine solche soziologische Perspektive hätte jedoch die Interpretation der sozialstrukturellen Daten bereichert.

Birn wählt als Überschrift seines zweiten Teiles die missverständliche Formulierung „von der Ausnahme zur Normalität“. Wie er selbst in seiner Zusammenfassung einräumt, darf „Normalität“ keineswegs mit Gleichstellung verwechselt werden. Die neue Normalität für Frauen bedeutete vielmehr eine bis in unsere Gegenwart andauernde Benachteiligung in akademischen Karrierewegen. Seine Ausführungen beleuchten das Thema jedoch aus Sicht der Erfolge für Studentinnen, die nun „erstmals so etwas wie gleichberechtigte Ausbildung und gleiche Berufschancen erfahren hatten.“(S. 12) Dabei kommen Benachteiligungseffekte zu kurz: So traf und trifft Frauen im universitären Feld der sogenannte „Drehtüreffekt“: Sie scheiden aufgrund subtiler Barrieren sowie Doppelbelastung in Haushalt und Beruf frühzeitig aus.5 Knapp erwähnt Birn den Faktor der Selbstbeschränkung, welcher Frauen a priori dazu veranlasst, keine hohen Karrierepositionen anzustreben. Modelle aus der Geschlechterforschung, etwa das der „gender status beliefs“6, hätten seine Arbeit um eine Erklärung für derlei niedrige Kompetenzerwartung von Frauen innerhalb männlicher Räume bereichern können.

Im dritten Teil liefert Birn eine Schilderung von Lebensverhältnissen der ersten Studentinnen. Er stützt sich auf autobiografische Quellen, deren große Anzahl überrascht. Sie liefern lebendige, jedoch nicht unverzerrte Selbstbilder aus der Anfangszeit des „Frauenstudiums“. Dabei bietet Birn durch die Untergliederung der einzelnen Abschnitte in Faktoren wie „Elternhaus“, „Versorgungslage“, „akademische Teilhabe“ etc. eine quer zu den Quellen stehende, verbindende Perspektive. Darüber hinaus kommt jedoch eine erklärende Interpretation der Sachverhalte zu kurz. Auch hier könnte die deskriptive Darstellung durch eine tiefere Analyse des Geschlechterverhältnisses an Erklärungskraft gewinnen.

Birn formuliert den Anspruch, „Geschlechter- und Bildungsgeschichte“ zu vereinen. Im Vergleich zu Mazóns Arbeiten bleibt seine Darstellung in geschlechtergeschichtlicher Hinsicht jedoch unterkomplex. Neuere methodologische Beiträge zur Geschlechterforschung hätten dem Werk größere interpretative Kraft verleihen können. Die Bezugnahme auf Hausens idealtypische „Geschlechtscharaktere“7 kann dieses Versäumnis kaum aufwiegen. Abgesehen davon liefert er einen klar zu erschließenden Überblick über die Situation von Hörerinnen und Studentinnen innerhalb der heterogenen Bildungslandschaft des Kaiserreiches. Zudem umfasst sein Zugriff zwei grundlegende Pole sozialer Interaktion: Auf Makroebene wird mithilfe quantitativer Daten ein Strukturbild der ersten Studentinnen gezeichnet. Die autobiografisch fundierte Mikroebene zielt auf qualitative Aussagen und damit auf Motive der Studienwahl, auf Probleme der Identitätsfindung sowie auf Alltagserfahrungen von Studentinnen innerhalb eines männlich dominierten Raumes.

Anmerkungen:
1 Gunilla-Friederike Budde, Geglückte Eroberung? Frauen an Universitäten des 20. Jahrhunderts. Ein Forschungsüberblick, in: Feministische Studien 20, 1 (2002), S. 98–113, hier S. 107.
2 Vgl. Karin Hausen, Patriarchat. Vom Nutzen und Nachteil eines Konzepts für Frauengeschichte und Frauenpolitik, in: Journal für Geschichte 5 (1986), S. 12–21 und 58.
3 Vgl. u.a. Patricia M. Mazón, Gender and the Modern Research University: the Admission of Women to German Higher Education, 1865–1914, Stanford 2003.
4 Vgl. u.a. Ilse Costas, Diskurse und gesellschaftliche Strukturen im Spannungsfeld von Geschlecht, Macht und Wissenschaft. Ein Erklärungsmodell für den Zugang von Frauen zu akademischen Karrieren im internationalen Vergleich, in: Immacolata Amodeo (Hrsg.): Frau Macht Wissenschaft. Wissenschaftlerinnen gestern und heute, Königstein 2003, S. 157–181.
5 Vgl. Jerry A. Jacobs, Revolving Doors: Sex Segregation and Women’s Careers, Stanford, CA 1989.
6 Vgl. Cecilia L. Ridgeway, Gender, Status, and Leadership, in: Journal of Social Issues 57 (2001), S. 637–655.
7 Karin Hausen, Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“ – Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Werner Conze (Hrsg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas, Stuttgart 1976, S. 363–393.