Cover
Titel
Schriften zur Pädagogik.


Autor(en)
Iselin, Isaak
Reihe
Isaak Iselin: Gesammelte Schriften 3
Erschienen
Basel 2014: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
XLIII, 550 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Philipp Gonon, Lehrstuhl für Berufsbildung, Universität Zürich

Selbst in den ausführlichen Darstellungen von Jonathan Israel zur Aufklärung in Europa und in anderen Weltgegenden fehlt der Name Isaak Iselin, obwohl er durchaus auch den deutschsprachigen Raum nicht außer Acht lässt. Ebenso ist Iselin selbst Schweizer Vertreterinnen und Vertretern der Historie, Philosophie und Pädagogik nicht durchwegs geläufig, sieht man einmal von Spezialisten wie Ulrich Im Hof ab, der ihm eine nach wie vor sehr lesenswerte Biographie widmete.1 Isaak Iselin (1728–1782) hat, wenn er denn heute zur Kenntnis genommen wird, vor allem als deutschsprachiger Geschichtsphilosoph und Verfasser der „Geschichte der Menschheit“ im Geiste der Spätaufklärung Aufmerksamkeit erregt.

Nach einem Studium in Basel und Göttingen doktorierte Iselin im Anschluss an einen Parisaufenthalt an der Basler Universität in Jurisprudenz zum Thema „Observationes historicae miscellaneae“. Die Versuche, an der heimischen Universität als Professor Fuß zu fassen, misslangen, stattdessen wurde Iselin Basler Ratschreiber. In dieser Eigenschaft korrespondierte er mit einer Vielzahl von prominenten Persönlichkeiten seiner Zeit. Außerdem war er Mitbegründer der Helvetischen Gesellschaft, die erstmals 1761 in Schinznach tagte und in welcher in der Folge Reformer der gesamten Schweiz über Konfessions- und Kantonsgrenzen hinweg patriotisch grundierte Freundschaften pflegten und aufklärerisch-pädagogische Projekte ausheckten. Iselin begründete zudem auch die „Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen“ 1777 in Basel. Er war in späteren Jahren Herausgeber einer Zeitschrift, nämlich der „Ephemeriden der Menschheit“, die pädagogische, ökonomische und politische Reformprojekte vorstellte und diskutierte.

Es ist so gesehen verdienstvoll, dass unter der Leitung eines kundigen Kuratoriums eine kritische Gesamtausgabe der Schriften Isaak Iselins in die Wege geleitet worden ist. Das Editionsprojekt besteht aus einem (vierten) Band zur Geschichte, den bereits erschienen Schriften zur Pädagogik (Band 3) und zur Politik (Band 1) sowie einem weiteren zur Ökonomie (Band 2). Wie im Vorwort festgehalten, geht es darum, die Hauptschriften in einer kommentierten Leseausgabe wieder zugänglich zu machen und damit auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Iselin auf eine verlässliche editorische Grundlage zu stellen.

Iselin setzte sich im Besonderen öffentlich für ein besseres Schulwesen ein. Neben Stellungnahmen zur von ihm als notwendig erachteten Umgestaltung des höheren Bildungswesens und der Universität, aber auch zur Mädchenbildung in seiner Heimatstadt Basel, hatte er vor allem die Philantropen bzw. Philantropinisten in der Schweiz bekannt gemacht und sich für eine Umsetzung ihrer pädagogischen Reformideen engagiert. Nach einer anfänglich enthusiastischen Unterstützung des bekannten Pädagogen Johann Heinrich Basedow mutierte seine Begeisterung jedoch zu einer etwas distanzierteren Haltung. Trotzdem war der Aufbau eines Philantropins in der Nähe Churs, nämlich in Haldenstein bzw. später in Marschlins, seiner Unterstützung gewiss, zumal Iselins aristokratischer Studienfreund Ulysses von Salis als Geldgeber und Förderer dieser Schule fungierte.

Der edierte Band kontextualisiert Iselins Stellungnahmen, Verlautbarungen und Überlegungen zur Erziehung und Schulreform, indem am Schluss Anmerkungen zur Entstehung der Texte, zur frühen Rezeption sowie ein Stellenkommentar auf die in der Regel doch eher kurzen Ausführungen Iselins folgen. In der vorliegenden Ausgabe sind im Wesentlichen dieselben Texte zugänglich gemacht worden, wie sie bereits Hugo Göring 1882 veröffentlicht hat.2 Diese, wie auch ein Reprint sind allerdings heute nicht mehr so leicht zugänglich. Während die ältere Edition eine systematische Gliederung aufweist, indem zunächst die programmatischen Texte „Über die Erziehung“ und „Über die Erziehungsanstalten“ und zur öffentlichen Erziehung im Vordergrund stehen und anschließend Iselins Briefwechsel folgen, ist der Aufbau der neuen Edition chronologisch geordnet und enthält am Schluss noch weitere Veröffentlichungen pädagogischen Inhalts, die in den „Ephemeriden der Menschheit“ erschienen sind, wie den 1782 publizierten „Entwurf einer erlauchten Akademie für Söhne der Fürsten“.

Es stellt sich die Frage, ob nicht auch Iselins Entwürfe zu Erziehungsfragen und nicht veröffentlichte Beiträge sowie die explizit nicht aufgenommenen pädagogischen Rezensionen in der „Allgemeinen Deutschen Bibliothek“ hätten in diese neue Edition Eingang finden sollen. Der Herausgeber rechtfertigt das Weglassen mit entsprechenden Umarbeitungen Iselins und Aufgreifen in späteren Veröffentlichungen, so in dem 1779 erschienen „Versuch eines Bürgers über die Verbesserung der öffentlichen Erziehung in einer republicanischen Handelsstadt“. Das Nichtaufnehmen der Buchbesprechungen wird mit der thematischen Einschränkung auf pädagogische Texte erklärt, wie auch mit dem damaligen Brauch, den Fokus stark auf Zusammenfassungen und „oft wenig Originalton“ (S. XVII) zu setzen.

Trotz dieser diskutablen Entscheidung kann dem Band doch ein erheblicher Mehrwert gegenüber dem editorischen Vorläufer bescheinigt werden. Denn hier werden nicht nur die Texte gesammelt zugänglich gemacht, sondern auch mit Bezug auf neuere Forschung ein historischer Debattenkontext eröffnet, der ebenso Reaktionen auf Iselins Veröffentlichungen einschließt.
Es ließe sich nun die Frage stellen, inwiefern diese oft auf Anlässen beruhenden Ad hoc-Beiträge Iselins substanziell einen pädagogischen Band begründen. Eine eigentliche Theorie wurde von ihm nie entwickelt, was nicht nur daran lag, dass Pädagogik damals noch keine universitäre Disziplin war. Gleiches galt ja auch für die zwei pädagogischen Klassiker und Zeitgenossen, mit welchen Iselin auf Tuchfühlung ging, Rousseau und Pestalozzi. Die Herausgeberschaft begründet diesen Entscheid mit der Wirkung seiner Stellungnahmen auf die zeitgenössische Debatte. Tatsächlich gewinnen Iselins pädagogische Konzepte und Ideen, wenn die edierten Texte in ihrer chronologischen Folge gesamthaft zur Kenntnis genommen werden. Hierbei wird auch seine Rolle als „Vermittler“ neuer Ideen, die mit den lokalen und helvetischen Umsetzungsbedingungen in Einklang gebracht werden sollten, deutlich – eine Funktion, wie sie in dieser Edition und ebenso in anderen Beiträgen über Iselin hervorgehoben wird.

Wenn auch Iselins Reformvorschläge zur Verbesserung der Basler Bildungsanstalten im Wesentlichen – auch nach seiner eigenen Einschätzung – scheiterten, bzw. nicht beachtet wurden, so lassen sich gerade in den Stellungnahmen und in der Auseinandersetzung mit dem Philantropinismus die blinden Flecken der Theorie und Probleme in der praktischen Umsetzung herausarbeiten. Beide Aspekte konnte Iselin in eigener Anschauung mitverfolgen, wie aus dem Austausch mit Ulysses von Salis bezüglich des Philantropins in Graubünden hervorgeht. Dieser Briefwechsel, wie auch derjenige mit Johann Caspar Lavater, der selbst ein ebenso eilfertiger Unterstützer des philantropischen Reformprojekts in der Schweiz war, sowie derjenige mit Johann Georg Schlosser (erschienen in den „Ephemeriden“ im Jahre 1776) wurden ebenfalls in die Edition aufgenommen. Gegenüber den von ihm unterstützten Philantropen beharrte Iselin dennoch auf klassisch-republikanischen Positionen: Weniger ging es ihm um individuelle Glückseligkeit und Erziehung als vielmehr um einen Unterricht, der sich in ein republikanisches Staatsgefüge einpasste. Mit dieser Haltung einher ging eine für den Unterricht präferierte „sokratische Methode“, die er in sein von der Platon-Lektüre inspiriertes Konzept der Standeserziehung einfügte. Auf diese Zusammenhänge weist Naas einleitend hin, indem er Iselin eine „pragmatische“ Haltung attestiert. Allerdings bleibt diese Hinführung hinsichtlich der Einordnung der Debatten doch eher auf einen lokalen Kontext beschränkt. Gerne hätte man noch mehr erfahren, inwiefern – wie es im Klappentext heißt – „wegweisende Gedanken zu Erziehung, Bildung, Schule oder Schulwesen“ sich gegenüber anderen Reformvorstellungen behaupteten. Dabei wäre eine systematischere Konfrontation nicht nur mit dem vielseitigen Philantropinismus sinnvoll gewesen, sondern auch mit Rousseau und Pestalozzi.3 Mit Ausnahme Basedows und Rochows tauchen weder die anderen Philanthropen noch Pestalozzi oder, von einigen wenigen Stellen in den Briefwechseln abgesehen, auch Rousseau kaum in den Iselin’schen Überlegungen auf. Dennoch lassen sich latente Auseinandersetzungen festmachen. Mit Rousseau debattierte Iselin in einer sehr knappen mündlichen Unterredung bei den Grimms zu Hause – gemäß seinem Pariser Tagebuch – über die Rolle der Gelehrten als Erzieher in der Republik. Im Gegensatz zu Iselin schätzte Rousseau deren Bedeutung für die Republik als gering, ja schädlich ein.4

Genau in dieser Profilierung ließe sich Iselins besondere pädagogische Position deutlicher herausarbeiten. Möglicherweise ist seine traditionelle tugendrepublikanische Haltung, die sich auch in Erziehungsfragen spiegelt, mit ein Grund dafür, dass er – im Gegensatz zum zeitweise in Marschlins lehrenden Carl Friedrich Bahrdt – in Jonathan Israels Darstellungen zur Aufklärungsepoche keinen Eingang fand. Doch ist eine solch umfassende Kontextualisierung in die aufklärerische Pädagogik und generell aufklärerische Bewegung viel verlangt für eine Einleitung. Eher bleibt dies ein Forschungsdesiderat, das auf Grundlage dieser Edition noch von anderen zu leisten wäre.

Anmerkungen:
1 Jonathan Israel, Revolution of the Mind – Radical Enlightenment and the Intellectual Origins of Modern Democracy, Oxford 2010; Ulrich Im Hof, Isaak Iselin und die Spätaufklärung, Bern 1967.
2 Hugo Göring (Hrsg.), Isaak Iselin – Pädagogische Schriften nebst seinem Pädagogischen Schriftwechsel mit Joh. Cas. Lavater und J. G. Schlosser, Langensalza 1882.
3 Zu Iselins Stellung zum Philantropinismus siehe Ernst Gnüchtel, Isaak Iselin und sein Verhältnis zum Philantropinismus, Dissertation, Leipzig 1907. Zum Verhältnis zu Pestalozzi vergleiche Daniel Tröhler, Pädagogische Volksaufklärung, Ernst und Propaganda: Rochow, Iselin und Pestalozzi, in: Hanno Schmitt / Rebekka Horlacher / Daniel Tröhler (Hrsg.), Pädagogische Volksaufklärung im 18. Jahrhundert im europäischen Kontext: Rochow und Pestalozzi im Vergleich, Bern 2007.
4 Historische und Antiquarische Gesellschaft zu Basel (Hrsg.), Isaak Iselins Pariser Tagebuch 1752, Basel 1919, S. 129.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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