O. Janz u.a. (Hrsg.): Gender History in a Transnational Perspective

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Titel
Gender History in a Transnational Perspective. Networks, Biographies, Gender Orders


Herausgeber
Janz, Oliver; Schönpflug, Daniel
Erschienen
New York 2014: Berghahn Books
Anzahl Seiten
287 S.
Preis
$ 95.00 / £ 60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marion Röwekamp, ZI Lateinamerika-Institut, Freie Universität Berlin

Seit den 1990er-Jahren werden in der Frauen- und Geschlechtergeschichte zunehmend auch die internationalen Implikationen untersucht. Historischer Hintergrund ist, dass die nationalen Frauenbewegungen gegen Ende des 19. Jahrhunderts erkannten, dass sich viele der von ihnen erhobenen Forderungen nicht auf rein nationaler Ebene lösen ließen. Sie gründeten Netzwerke, die sich universell diesen Fragen widmen sollten, die wiederum wieder starke Rückwirkungen auf die nationalen Frauenbewegungen hatte. Eine große Bedeutung spielte der 1888 in Washington gegründete International Council of Women (ICW), der neben der International Woman Suffrage Alliance und der Women’s International League for Peace and Freedom nach bisherigem Forschungsstand wohl die größte Rolle für die transnationale Frauenbewegung spielte und daher in den hier vorliegenden Beiträgen regelmäßig auftaucht. Viele der nationalen Frauenverbände wie der Bund Deutscher Frauenvereine, aber auch die nationalen Frauenverbände von Portugal, Frankreich und Italien zum Beispiel, wurden auf Anregung und mit Hilfe des ICW gegründet und standen danach in regelmäßigem Austausch miteinander.

Eine der ersten Forscherinnen, die sich neben Leila Rupp und Karen Offen diesen Forschungsperspektiven und der Frauengeschichte jenseits nationaler Kontexte angenommen hat, ist Gisela Bock.1 So ist es nicht verwunderlich, dass dieser Sammelband das Ergebnis einer Konferenz zur Emeritierung von Gisela Bock ist und sich einem ihrer Forschungsaspekte widmet, nämlich der vergleichenden und transnationalen Frauengeschichte. Die Autorinnen stammen aus verschiedenen Ländern und haben sich überwiegend bereits einen Namen gemacht. Es ist nicht überraschend, dass man spürt, dass die Autorinnen ihre Thesen nicht das erste Mal vortragen. Das wäre möglicherweise anders gewesen, wenn das Verhältnis der Nachwuchswissenschaftlerinnen zu den etablierten Forscherinnen ausgeglichener gewesen wäre. Aber um es gleich vorauszuschicken – und wie es Gisela Bock würdig ist –, handelt es sich durchwegs um solide historische Arbeiten, die in der Kombination eine interessante Sammlung verschiedener und wertvoller Perspektiven auf die transnationale Genderforschung aufweisen.

Die beiden Herausgeber ordnen in der Einleitung den Sammelband in den Forschungstand ein, geben einen roten Faden durch die Beiträge und reflektieren die Frage, wie die Begriffe „trans- und international“ gegeneinander abzugrenzen sind und welchen weitergehender Nutzen die transnationale Perspektive für die Geschlechtergeschichte hat. Sie folgen der gängigen Definition, dass transnationale Perspektiven sich auf die Interaktion nicht staatlicher Akteure beschränken, halten transnationale Geschichte aber mehr für eine Weiterentwicklung der Methode des historischen Vergleichs kombiniert mit der Transferanalyse als für eine Frage der Wahl der Gegenstände. Karen Offen widmet sich als erste Autorin noch einmal vertieft der Frage, ob sich der Begriff „transnational“ überhaupt für die Frauengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts nutzen lässt, da er im Gegensatz zu den Begriffen „kosmopolitisch“ und „international“ nicht von den Akteurinnen gebraucht wurde, und gibt darauf eine vorsichtig bejahende Antwort.

Die Beiträge sind in drei Abschnitte eingeteilt, der erste widmet sich transnationalen Initiativen, Netzwerken und von Frauen gegründeten Institutionen, der zweite Teil untersucht transnationale Biographien sowie weiblichen Kosmopolitismus und der dritte Teil analysiert Geschlechterordnungen in Europa und den Kolonien.

Nicht immer lassen sich diese klaren Aufteilungen einhalten, oft sind die Akteurinnen aus dem zweiten Teil Akteurinnen von transnationalen weiblichen Netzwerken oder es stehen einzelne Biographien im Mittelpunkt wie in Karen Offens Beitrag im ersten Teil, der sich mit der Frage beschäftigt, ob sich das Leben der langjährigen Präsidentin des ICW, May Wright Segall, transnational nennen lässt (was sie in der Sache bejaht). Anne Cova vergleicht die französischen, italienischen und portugiesischen Zweigstellen des ICWs und stellt damit abgesehen von Frankreich Länder in den Mittelpunkt, die oft in den vermeintlich europäischen Vergleichen zu kurz kommen. Sie arbeitet die Bedeutung der internationalen Einflüsse für die Gründung, die nationale Arbeit und in der Zusammenarbeit der drei Verbände heraus. Julie Carlier beschreibt in ihrem Beitrag die bisher wenig bekannte in Europa gegründete International Women’s Union, die progressiver und radikaler war als der ICW. Die hier tätigen Frauen stammten sowohl aus der sozialistischen als auch aus der moderaten Frauenbewegung. Carlier stellt damit die gängigen Annahmen der Trennung von bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung auf internationaler Ebene in Frage. Susan Zimmermanns Beitrag beleuchtet die Vielfältigkeit der Haltungen in der internationalen sozialistischen Frauenbewegung zum Thema des Frauenwahlrechts. Sie zeigt, dass sich auch die Sozialistinnen in dieser Frage keineswegs so einig gewesen waren, wie sie das nach außen hin vertraten. Tatsächlich waren die Strukturen von Ungleichheit und Hierarchien geprägt, und nationale Ziele beeinflussten deutlich die internationalen. Pat Thanes Beitrag demonstriert überwiegend aus der Sicht der englischsprachigen Frauenbewegung, auf welchen Gebieten die Frauenbewegung nach der Erlangung des Wahlrechts für gleiche Frauenrechte kämpfte und wie sie dafür neu gegründete Organisationen wie die International Labour Organisation oder den Völkerbund instrumentalisierten.

Der zweite Teil des Buchs widmet sich dem Transnationalismus auf individueller Ebene. Jane Rendall und Françoise Thébaud haben die schottische Aktivistin Frances Wright und die Französin Marguerite Thibert für ihre Überlegungen gewählt, was transnationale Leben ausmachen. Während sie einerseits die über nationale Fragen hinausgehenden Aktivitäten ihrer „Heldinnen“ betonen, zeigen sie aber auch, wie sehr deren Transnationalismus am Ende doch durch westeuropäisch begrenzte Sichtweisen bestimmt waren. Gunilla Budde widmet sich in ihrem Beitrag Frauen, die anders als in den anderen Beiträgen nicht der Frauenbewegung zuzuordnen sind, nämlich international tätigen Opernsängerinnen. Anhand der deutschen und britischen Reaktionen auf deren Karrieren zeigt Budde, wie stark die Musikkultur in ihren Deutungen einerseits nationalisiert und andererseits sowohl in England als auch in Deutschland stark gegendert war.

Im dritten Teil werden Fragen der Sexualität, der Doppelmoral, und des Rechts in Geschlechterordnungen untersucht. Gerade mit dem letzten Aspekt, der Einbeziehung von rechtlichen Fragestellungen in die Frauengeschichte im Allgemeinen und der transnationalen Frauengeschichte im Besonderen und darüber hinaus noch unter Einbeziehung kolonialer Aspekte, weist der Band neue Forschungsperspektiven für einen dringend benötigten „Legal turn“ in der Geschichtswissenschaft auf. Ida Blom untersucht die Doppelmoral in der staatlichen Regulierung von Geschlechtskrankheiten bei Frauen und Männern im deutschen, englischen und skandinavischen Vergleich. Während die skandinavischen Länder oft als liberales Vorbild gelten, übernahmen sie überraschenderweise in diesem Fall das enge rechtliche Vorgehen Deutschlands. Die letzten beiden Beiträge von Birthe Kundrus und Ulrike Schaper befassen sich mit Geschlechterordnungen im kolonialen Kontext. Kundrus untersucht die rechtlichen und gesellschaftlichen Normen und Diskurse über „Mischehen“ und außerehelichem Geschlechtsverkehr zwischen Kolonialisierenden und Kolonisierten, vor allem in Indien, Australien und Südafrika. Sie betont zwar, dass gerade um 1900 die rechtliche und moralische Regulierung zunahm, dass deren Handhabung aber stark von regionalen Differenzen geprägt war. Schaper untersucht anhand der deutschen Kolonie Kamerun die Wahrnehmung und den Umgang der Kolonialisierenden mit ihnen fremden Ehepraktiken und zeigt, dass sie sich mit ihren eigenen (Ehe)Rechtsvorstellungen nur bedingt durchsetzen konnten, sondern die Gerichtspraxis einer Mischform aus indigenen und deutschen Gendervorstellungen unterlag.

Der Band ist ein wichtiger Beitrag zu den transnationalen Implikationen von Geschlechtergeschichte und zeigt die Vielfältigkeit der möglichen Betätigungsfelder auf, die deutlich machen, wie viel Arbeit auf diesem Gebiet noch erforderlich ist. Einige der Beiträge beruhen auf starken archivarischen Studien, andere mehr auf großen Überblicken. Alle Beiträge zeigen jedoch die Schwierigkeiten der klaren Einteilungen, aber auch die Möglichkeiten, die sich gerade daraus ergeben. Es lassen sich weder die rein transnationalen Netzwerke von den einzelnen Akteurinnen und deren Biographien trennen, noch die transnationale Perspektive von den nationalen oder die der Metropolen von den Kolonien. Außerdem gab es sowie trans- als auch internationaler Aktivismus innerhalb der einzelnen Organisationen. Es scheint mehr die Verflechtung und die Offenheit für alle möglichen Perspektiven für Transfers in alle Richtungen zu sein, die die transnationale Geschlechtergeschichte als Forschungsfeld so interessant macht. Der Sammelband zeigt, dass die bisherigen Definitionen von transnationaler Frauengeschichte zu eng waren, und viel mehr Perspektiven fruchtbar gemacht werden können als nur die Untersuchung von transnationalen Institutionen und deren Akteurinnen.

Anmerkung:
1 Leila Rupp, Worlds of Women: The Making of an International Women’s Movement, Princeton, NJ 1997; Karen Offen, European Feminisms 1700–1950: A Political History, Stanford, CA 2000; Gisela Bock, Frauen in der europäischen Geschichte: vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2000.

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