W. Dahlheim: Die Welt zur Zeit Jesu

Cover
Titel
Die Welt zur Zeit Jesu.


Autor(en)
Dahlheim, Werner
Erschienen
München 2013: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
492 S.
Preis
€ 26,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Timo Klär, Institut für Geschichte, Technische Universität Dresden

Als der Wanderprediger Jesus von Nazareth durch Pontius Pilatus, Präfekt der römischen Provinz Judäa unter Tiberius, zum Tod am Kreuz verurteilt wurde, konnte niemand ahnen, dass alsbald die Jünger des Toten dessen Lehre in die Welt tragen würden. Der Althistoriker Werner Dahlheim konzentriert sich in seinem Buch „Die Welt zur Zeit Jesu“ allerdings nicht auf die Entwicklung des Christentums von seinen Anfängen bis zum Niedergang des Imperium Romanum, vielmehr eröffnet der Autor ein Panorama der damals bekannten Welt, um daran die politischen, gesellschaftlichen, geistigen und materiellen Verhältnisse aufzuzeigen, unter denen sich der Aufstieg des Christentums vollziehen konnte.1 Darstellungen über das historische Umfeld Jesu sind nicht neu, treten allerdings hinter Abhandlungen zur Persönlichkeit Jesu deutlich zurück.2

Das Buch liest sich wie eine Geschichte des Römischen Reiches von den Anfängen bis in die Spätantike. Auf einer breiten Quellenbasis werden vom Autor die Mechanismen dieser Herrschaft ebenso wie die Lebenswelt der Bewohner facettenreich präsentiert. Auch die Völker außerhalb des Römischen Reiches werden angesprochen und deren Verhältnis zu den Römern analysiert. Die Person Jesus von Nazareth steht für Dahlheim allerdings nicht im Vordergrund, denn mit Aussagen über den historischen Jesus hält sich der Autor weitestgehend zurück.

Die Darstellung beginnt mit einem Überblick über Zeit und Raum des Imperium Romanum und seiner Bewohner (S. 17–33), geht dann über in eine Darstellung des Horizontes der römischen Herrschaft, der mit einem Blick auf Judäa im 1. Jahrhundert n.Chr. abgeschlossen wird (S. 35–52). Einem kurzen Überblick zu Geburt und Leben Jesu (S. 53–81) folgen Bemerkungen zum imperialen Anspruch des neuen Glaubens und der Person und Missionstätigkeit des Paulus (S. 83–103). Anschließend wird die Abkehr der Christen vom Judentum thematisiert (S. 105–128), sodann wird das Imperium Romanum näher betrachtet; dabei werden auch die Mechanismen imperialer Herrschaft (S. 129–175) angesprochen: „Weltherrschaft […] über kulturell so unterschiedliche Völker konnte nur dauern, wenn die im Krieg Bezwungenen früher oder später lernten, ihre Zukunft als römische zu verstehen. Denn militärtechnisch hatten die Sieger den Besiegten nichts voraus. […] Die Macht Roms gründete vor allem auf seiner politischen Überlegenheit, d. h. auf seiner Fähigkeit, Bündnisse zu schließen und Herrschaft so zu organisieren, dass Widerstand sinnlos, Zustimmung aber lohnend war“ (S. 150). So ist es nur folgerichtig, dass sich Dahlheim auch kurz mit den Völkern jenseits des Imperium Romanum auseinandersetzt und das Verhältnis zwischen Römern und Barbaren bzw. dem Partherreich und Arabien (S. 177–214) betrachtet wird.

Darauf folgt ein Kapitel über das Kaisertum im römischen Reich (S. 215–253). Dahlheim sieht in dieser Schöpfung des Augustus die Voraussetzung, dass sich das Christentum dreihundert Jahre später zur Staatsreligion entwickeln konnte. In den nachfolgenden vier Kapiteln werden jeweils einzelne Aspekte des antiken Lebens genauer betrachtet: die Sitten und Gebräuche (S. 255–282), Magie und Aberglauben (S. 283–314), die Götterwelt (S. 315–339) sowie der Umgang mit dem Tod (S. 341–352). Dem Autor gelingt es hier jeweils in überzeugender Weise, die Entwicklungslinien und -tendenzen von der alten Religion hin zum Christentum aufzuzeigen und somit ein lebendiges Bild der zunehmenden „Christianisierung“ der antiken Lebensumstände zu zeichnen. Die Kapitel XIII–XVI schließlich thematisieren die Suche nach dem rechten christlichen Glauben und die ablehnende Haltung der Heiden gegenüber den Christen (S. 353–375), den Siegeszug des Christentums (S. 377–398), die Entstehung der christlichen Überlieferung (S. 399–419) sowie die Kontakte und Konflikte mit der heidnischen Geschichtsschreibung (S. 421–434). Die Zeittafel im Anhang des Werkes vermittelt darüber hinaus wichtige Daten zur Jüdischen Geschichte, der Geschichte des Römischen Imperiums und seiner Nachbarn sowie der Geschichte des Christentums.

Der von Dahlheim hier präsentierte Ansatz, das Umfeld und das Leben Jesu aufzuarbeiten, ist vielversprechend, auch wenn die Person Jesus nur eine untergeordnete Rolle spielt. Eine Präsentation der Lebensumstände der Bevölkerung zur Zeit Jesu ist ein sehr großes Projekt, was dem Autor auch in überzeugender Weise gelungen ist. Trotzdem sind einige Aspekte durch diese Konzeption etwas zu allgemein gehalten, etwa die Lebensformen oder die Behandlung des jenseitigen Lebens. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass jedes der behandelten Kapitel auch allein für sich einer monographischen Abhandlung wert gewesen wäre. Dem Autor glückt es allerdings, jeden Aspekt des damaligen Lebens vorzuführen, sogar eine Gegenüberstellung der christlichen und heidnischen Literatur fehlt nicht.

Dahlheim gelingt es, das schwierige Unterfangen einer Abhandlung über das historische Umfeld Jesu insgesamt eindrucksvoll zu präsentieren. Der Leser findet die eingangs vom Autor aufgeworfenen Fragen, etwa die nach dem Charakter des christlichen Dogmas oder der Überzeugungskraft der christlichen Lehre, allesamt beantwortet. Durch den im Vorwort propagierten schlichten und doch prägnanten Stil kann ein breiteres Lesepublikum erreicht werden. Zu Recht kann das Buch als „Großer Wurf“ bezeichnet werden. Dies hat im Jahre 2015 die Golo Mann-Gesellschaft mit der Verleihung des Golo- Mann-Preises für Geschichtsschreibung an Werner Dahlheim für sein Werk „Die Welt zur Zeit Jesu“ bestätigt.

Anmerkungen:
1 Zum historischen Umfeld Jesu vgl. Johann Maier, Zwischen den Testamenten. Geschichte und Religion in der Zeit des zweiten Tempels, Würzburg 1990; John E. Stambaugh / David L. Balch, Grundrisse zum Neuen Testament, Bd. 9: Das soziale Umfeld des Neuen Testaments, Göttingen 1992; Craig A. Evans, Jesus and His Contemporaries. Comparative Studies, Leiden 2001.
2 Darstellungen über die Person Jesus von Nazareth bieten etwa Jürgen Becker, Jesus von Nazareth, Berlin 1996; John Dominic Crossan, Jesus, München 1996; Jürgen Roloff, Jesus, München 2000; Joachim Gnilka, Jesus von Nazareth. Botschaft und Geschichte, 2. Aufl., Freiburg im Breisgau 2007 (1. Aufl. 1990). Zum Jesus Prozess vgl. Joseph Blinzler, Der Prozess Jesu, 4. Aufl., Regensburg 1969 (1. Aufl. Stuttgart 1951); Paul Winter, On the Trial of Jesus, revidierte Auflage, Berlin 1974 (1. Aufl. Berlin 1961); Otto Betz, Probleme des Prozesses Jesu, in: Aufstieg und Niedergang der römischen Welt II 25.1 (1982), S. 566–647.

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