P. Staudenmaier: Between Occultism and Nazism

Cover
Titel
Between Occultism and Nazism. Anthroposophy and the Politics of Race in the Fascist Era


Autor(en)
Staudenmaier, Peter
Erschienen
Anzahl Seiten
430 S.
Preis
€ 149,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Seelig, Philipps-Universität Marburg

In Deutschland sind Rudolf Steiner und die Anthroposophie vielen Menschen ein Begriff, nicht zuletzt wegen Waldorfschulen, Demeter oder Weleda. Doch nur den wenigsten dürfte die Geschichte dieser Bewegung bekannt sein. In welchem Verhältnis Anthroposophie und Nationalsozialismus bzw. Faschismus zueinander standen, untersucht Peter Staudenmaier in seiner aufschlussreichen Studie über anthroposophische Rassenkonzepte. Sein Buch stellt eine willkommene Ergänzung zu Helmut Zanders voluminöser Abhandlung über die anthroposophische Bewegung dar. 1 Im Mittelpunkt von Staudenmaiers Studie steht die Frage nach Konvergenzen und Divergenzen anthroposophischer und faschistischer Rassenlehren. Dabei wirft er nicht nur einen Blick auf Deutschland, wie der Titel suggeriert, sondern auch auf Italien. Der größte Teil seines Buchs widmet sich jedoch den deutschen Verhältnissen.

Luzide arbeitet Staudenmaier den spirituellen bzw. spiritualistischen Rassismus („spiritual racism“) der anthroposophischen Bewegung heraus, wie er bereits von ihrem Gründungsvater, Rudolf Steiner (1861–1925), vertreten wurde. Er zeigt, dass dieser spirituelle oder esoterische Rassismus nur im Kontext der deutsch-österreichischen Kulturkritik der Jahrhundertwende zu verstehen ist. Rudolfs Steiners intellektueller Werdegang und damit auch zentrale Positionen der Anthroposophie, so Staudenmaiers These, waren stark von rassistisch-nationalistischen Ansichten des Fin de Siècle geprägt. Die anthroposophische Rassenlehre stellte eine esoterische Form der „Deutschtumsmetaphysik“2 dar, wie sie sich vor allem in den „Ideen von 1914“ niederschlug. So waren auch Anthroposophen von der welthistorischen Sendung der Deutschen überzeugt und predigten eine unerlässliche Erneuerung bzw. Wiedergeburt des deutschen Volks. In diesen Zusammenhang ist auch Staudenmaiers These zu verorten, dass esoterische Weltanschauungen wie die Anthroposophie keine absonderlichen Randphänomene der Moderne seien, sondern ebenso wie der Nationalsozialismus integrale Bestandteile ihrer zeitgenössischen Kultur. Damit reiht sich Staudenmaier in aktuelle Diskussionen über den Stellenwert von Okkultismus und Esoterik in der Moderne ein.3

Anschaulich zeichnet Staudenmaier zahlreiche Parallelen zwischen anthroposophischem und rechtsradikalem Gedankengut nach, ohne dabei Ambivalenzen und Unterschiede zu übergehen. Obwohl sich für die Anthroposophie insgesamt kein deutliches politisches Profil zeichnen lässt, macht Staudenmaier in der anthroposophischen Rassenlehre deutliche Tendenzen zu rechtsradikalen und völkischen Überzeugungen aus. Zwar könne nicht gesagt werden, dass die Anthroposophie vor 1945 generell rechtsextrem gewesen sei, doch habe es allein in ihrer antidemokratischen und autoritären Grundhaltung zahlreiche Überschneidungen mit der radikalen Rechten gegeben. Die verwirrende Verknüpfung unterschiedlicher politischer Standpunkte bringt Staudenmaier treffend mit dem Ausdruck „ambivalent left-right crossover“ (S. 324) auf den Punkt. Dabei handelt es sich aber nur im Rückblick um ein konfuses Gemisch, denn in der damaligen Zeit waren Gemengelagen „zwischen ,lechts und rinks’“4 nicht ungewöhnlich. Bereits lange vor der Postmoderne existierte ein Zeitalter der Unübersichtlichkeit, das sich der Eindeutigkeit heutiger Kategorisierungen entzieht. Trotz allem attestiert Staudenmaier der Anthroposophie vor und nach 1918 eine deutlich rechte bis rechtsradikale Prägung.

Zur rechtsradikalen Neigung der Anthroposophie zählt Staudenmaier ein ambivalentes Verhältnis zum Nationalsozialismus. Vor und nach 1933 war diese Beziehung von einer „dialectic of affinity and distance” (S. 215) geprägt, die beiderseits zu zwiespältigen Haltungen führen konnte. Maßgebliche Verständigungsmöglichkeiten macht Staudenmaier in der anthroposophischen Deutschtumsmetaphysik mit ihrem Glauben an die deutsche Sendung sowie den damit verbundenen antisemitischen Rassenkonzepten aus. Die Anthroposophie hing einem spiritualistischen Rassenbegriff an, in dem Physisches und Geistiges miteinander kombiniert wurden, das Geistige aber eindeutig überwog. Einerseits rückte damit die anthroposophische Rassenlehre in die Nähe des Nationalsozialismus, andererseits unterschied sie sich dadurch zugleich von dessen materialistischem Rassenbiologismus. Weiterhin bestand eine große Affinität zwischen der anthroposophischen und nationalsozialistischen Sehnsucht nach einer geistigen Revolution und einer geistigen Wiedergeburt des deutschen Volks. In solchen Ideologemen erkennt Staudenmaier „kommunikative Brücken“, wie sich mit Stephan Malinowski sagen ließe5, die gleichzeitig zu Annäherung und Konflikten führten.

Wegen derartiger Gemeinsamkeiten erfuhr manches anthroposophische Projekt Unterstützung von Nationalsozialisten, etwa alternative Heilmethoden, der Versuch einer „biologisch-dynamischen“ Landwirtschaft im Geiste der Lebensreform oder gewisse Ansätze der Reformpädagogik in Waldorfschulen. Zu Konflikten führte vor allem die spiritualistische Rassentheorie: Anthroposophen kritisierten die nationalsozialistischen Rassenvorstellungen als zu materialistisch, während zahlreiche Nationalsozialisten strikt auf einer biologistischen Deutung beharrten und jegliche spiritualistische Auslegung verwarfen.

Obwohl sich die Anthroposophie trotz einiger Konflikte wie dem Verbot der Anthroposophischen Gesellschaft 1935 lange mit dem nationalsozialistischen Regime arrangieren konnte, gewannen ihre Kritiker letztlich Überhand. Nachdem Rudolf Heß 1941 nach England geflogen war, nutzten Gestapo und SD die Gunst der Stunde, um gegen ihre seit langem verhassten Feinde, Okkultismus und Esoterik, vorzugehen. Da Heß angeblich von anthroposophischen Lehren verführt worden sei, richtete sich die Kampagne maßgeblich gegen die Anthroposophie: zahlreiche Institutionen wurden verboten, Schriftgut beschlagnahmt und manche Anhänger/innen verhaftet. Damit war die anthroposophische Bewegung im Nationalsozialismus nahezu zerschlagen.

Überzeugend führt Staudenmaier aus, dass dieser Konflikt eine solche Zuspitzung erfuhr, gerade weil eine ideelle Nähe zwischen anthroposophischem und nationalsozialistischem Gedankengut bestand, nicht etwa Distanz. Im Nationalsozialismus wurde die Anthroposophie als eine Konkurrentin empfunden, die es zu beseitigen galt – ähnlich wie bei der „Nacht der langen Messer“ 1934. Dennoch, so Staudenmaiers Fazit, sei es der Anthroposophie bis 1941 erstaunlich gut gelungen, sich an das „Dritte Reich“ anzupassen. Auch dafür macht er Affinitäten zwischen beiden Weltanschauungen verantwortlich.

In einem etwas unvermittelten Sprung behandelt Staudenmaier in zwei abschließenden Kapiteln die ambivalente Beziehung zwischen Anthroposophie und Faschismus in Italien. Seine Befunde unterstützen die These von der geistigen Verwandtschaft, zumindest was ihre Rassenlehren betrifft. Staudenmaier attestiert der italienischen Anthroposophie eine größere Radikalität als der deutschen, da in Italien spiritualistische Rassismen wesentlich weiter verbreitet gewesen waren und auch seitens des Regimes Anklang fanden. Anthroposophen wie Ettore Martinoli hätten sogar tatkräftig an der Verbreitung spiritualistischer Rassenkonzept mitgewirkt. Damit habe die anthroposophische Rassenlehre letztlich mitgeholfen, den Boden für die faschistische Rassengesetzgebung zu bereiten.

Staudenmaier ist eine anregende Studie gelungen, die voll und ganz zu überzeugen vermag. Mancher Aspekt hätte noch vertieft werden könne, etwa einzelne Affinitäten zwischen Anthroposophie und der radikalen Rechten wie die anthroposophische Haltung des Unpolitischen, das Selbstverständnis der Anthroposophie als „dritter Weg“ (S. 75) oder ihre Bemühungen um einen deutschen Glauben, der von jüdischen Einflüssen gereinigt sei (hier denkt man unweigerlich an Paul de Lagarde). Außerdem wäre es lohnenswert gewesen, das anthroposophische Verständnis von geistiger Wiedergeburt genauer zu betrachten. Obwohl Staudenmaier die Anthroposophie mit Roger Griffin als Teil des „sozialen Modernismus“ (S. 6) bezeichnet, greift er dessen Konzept der „Palingenese“ nicht auf.6 Griffin versteht die Sehnsucht nach nationaler Wiedergeburt (Palingenese) als zentrales Bindeglied der faschistischen bzw. ultranationalistischen Ideologie. In diesem Sinne wäre zu untersuchen, was Wiedergeburt im esoterischen Gedankengebäude der Anthroposophie konkret bedeutete und ob dadurch weiterer Aufschluss über den palingenetischen Zeitgeist des frühen 20. Jahrhunderts gewonnen werden kann. So attestiert auch Helmut Zander der Steiner’schen Anthroposophie, „uralte und immer neue Weisheit in einer unserer Gegenwart angemessenen Methode“ präsentieren zu wollen7. Das lässt sich an Griffins These anschließen, die palingenetische Geisteshaltung strebe eine Entwicklung „zurück in die Zukunft“ an.8

Doch diese Anmerkungen können die Verdienste des Buchs nicht schmälern. Es stellt eine Mahnung dar, stärker zwischen biologistischen, kulturalistischen und spiritualistischen Rassenkonzeptionen zu differenzieren, als es bisweilen in der Forschung der Fall ist. Außerdem widersprechen die Befunde jüngeren Bemühungen vor allem im angloamerikanischen Raum, esoterische und okkultistische Strömungen seit 1900 einseitig zu progressiven und emanzipatorischen Alternativen zur hegemonialen Moderne zu verklären. Bisweilen hatten ihre diversen Spielarten durchaus ‚nicht-progressive‘ Züge.9 Dennoch können sie, so stellt auch Staudenmaier fest, nicht prinzipiell als amodern, vormodern oder gar antimodern abgetan werden. Einmal mehr steckt Gott bzw. der Teufel im Detail. Alles in allem legt Staudenmaier ein gelungenes Buch vor, das bei weitem nicht nur für Religionswissenschaftler/innen von Interesse ist, sondern auch für Historiker/innen, die sich mit Aspekten wie Kulturkritik, Lebensreform, radikaler Rechter oder Rassismus beschäftigen.

Anmerkungen:
1 Helmut Zander, Anthroposophie in Deutschland. Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis 1884–1945, 2 Bde., Göttingen 2007.
2 Hermann Lübbe, Politische Philosophie in Deutschland. Studien zu ihrer Geschichte, Basel/Stuttgart 1963, S. 187.
3 Z.B. Corinna Treitel, A Science for the Soul. Occultism and the Genesis of the German Modern, Baltimore/London 2004; Alex Owen, The Place of Enchantment. British Occultism and the Culture of the Modern, Chicago/London 2004.
4 Mit Blick auf die Zeit um 1900: Thomas Nipperdey, Wie das Bürgertum die Moderne fand, Berlin 1988, S. 66.
5 Stephan Malinowski, Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, 3. Auflage, Berlin 2003 (1. Aufl. 2003), S. 476.
6 Roger Griffin, Modernism and Fascism. The Sense of a Beginning under Mussolini and Hitler, Basingstoke 2007.
7 Zander, Anthroposophie, Bd. 1, S. 950.
8 Griffin, Modernism, S. 132.
9 Vgl. u.a. Christine Ferguson, Determined Spirits. Eugenics, Heredity and Racial Regeneration in Anglo-American Spiritualist Writings, 1848–1930, Edinburgh 2012.

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