A. Postert: Von der Kritik der Parteien

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Titel
Von der Kritik der Parteien zur außerparlamentarischen Opposition. Die jungkonservative Klub-Bewegung in der Weimarer Republik und ihre Auflösung im Nationalsozialismus


Autor(en)
Postert, André
Reihe
Historische Grundlagen der Moderne 10
Erschienen
Frankfurt am Main 2014: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
536 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernhard Dietz, Johannes Gutenberg Universität Mainz

Die „Konservative Revolution“ der Weimarer Republik war ein ausgesprochen produktives Forschungsfeld der Geschichtsschreibung der alten Bundesrepublik wie auch der DDR. Während sich ostdeutsche Historiker für die theoretischen Wegbereiter des Faschismus interessierten, lag im Westen das große Interesse am rechtskonservativen antidemokratischen Ideenspektrum vor allem in der zentralen Bedeutung Weimars als Deutungshintergrund für die politische Kultur der Bundesrepublik begründet. In den Auseinandersetzungen um die „Konservative Revolution“ ging es um die Verantwortlichkeit konservativen Denkens für den Aufstieg der Nationalsozialisten, aber immer auch um die Problematik rechtskonservativer Geistestraditionen und um die ideellen Grenzen des Konservatismus in der Bundesrepublik. Nach einer Forschungskontroverse um die Sinnhaftigkeit und Kohärenz der ideengeschichtlichen Kategorie „Konservative Revolution“ zu Beginn der 1990er-Jahre, war es dann im wiedervereinigten Deutschland – von prominenten Einzelautoren wie Carl Schmitt und Ernst Jünger einmal abgesehen – etwas ruhiger um Weimars Rechtsintellektuelle geworden.

Unter dem Stichwort der politischen Kulturgeschichte rückten dann vor etwa 10 Jahren Krisendiskurse, politische Rituale und Organisationsformen sowie Netzwerke und Kommunikationsräume ins Zentrum der historischen Analyse der „Konservativen Revolution“. In diesem Zusammenhang ist auch André Posterts Dissertation zur jungkonservativen Klub-Bewegung zu sehen, die sich von älteren rein ideengeschichtlichen Arbeiten absetzen möchte: Sie versteht sich als Beitrag sowohl zur klassischen Politikgeschichte der außerparlamentarischen Kräfte als auch – unter Einbezug von Diskursen, Ritualen und Modellen politischer Vergemeinschaftung – zur politischen Kulturgeschichte der Weimarer Republik.

Der Aufbau der 500 Seiten langen Monographie ist etwas ungewöhnlich. André Postert verzichtet auf eine ausführliche Einleitung mit einer Einbettung des Themas in den Forschungsstand und theoretisch-methodischen Reflektionen und gliedert die Arbeit in vier Blöcke mit jeweils eigener Fragestellung und theoretischem Ansatz. Der erste Block „Wahrnehmung politischer Gegenwart und Kritik der Parteien“ hat einen ideen- und diskursgeschichtlichen Zugang und widmet sich den antirationalen und antiliberalen „Deutungsstrukturen“ der zentralen Akteure der jungkonservativen Bewegung wie Moeller van den Bruck, Heinrich von Gleichen, Wilhelm Stapel, Max Hildebert Boehm oder Edgar Julius Jung. Der zweite Block „Modelle und Konzepte des Jungkonservatismus“ bildet den empirischen als auch argumentativen Kern der Arbeit und besteht aus einer eingehenden Analyse des breiten informellen Netzwerks aus jungkonservativen Klubs und Gesellschaften, die im Laufe der 1920er-Jahre als Gegenentwurf zu den politischen Parteien gegründet wurden. Im dritten Großkapitel „Die Bewegung in Fundamentalopposition“ geht es sowohl um die internen Flügelkämpfe des Jungkonservatismus als auch um seine Entwicklung in der Spätphase der Weimarer Republik, das sowohl von einer weiteren politischen Radikalisierung als auch von einem ideellen Einfluss auf die Präsidialkabinette geprägt war. Im abschließenden vierten Block „Die Auflösung im Nationalsozialismus“ untersucht Postert das Verhältnis der Jungkonservativen zum Nationalsozialismus nicht unter dem Gesichtspunkt ideologischer Überschneidungen und Abgrenzungen, sondern – ganz im Sinne seines Fokus – als Widerstreit politischer Organisationsmodelle aus dem die Partei, in Form der NSDAP, siegreich über die jungkonservativen Klubs hervorging.

Die Stärke der Arbeit liegt in der ausführlichen Darstellung der Genese und Ausbreitung der dezentral und netzwerkartig organisierten Klub-Bewegung zwischen 1918 und 1933. Nicht nur die Aktivitäten bekannterer Assoziationen wie des Juniklubs, des Deutschen Herrenklubs oder der Fichte-Gesellschaft werden vorgestellt, sondern auch die vielen Kollegs, Schulungszentren, Untergruppen und Kleinstgrüppchen wie etwa die vielen elitären „Herrengesellschaften“, die als Ableger des Herrenclubs nicht weniger radikal (z.T. sogar radikaler) den Sturz des republikanischen Parteiensystems in ganz Deutschland propagierten. Für die Analyse dieses antidemokratischen Netzwerkes griff Postert nicht nur auf die Nachlässe der bekannten (und einiger weniger bekannten) Autoren, sondern auch auf eine Vielzahl weiterer einschlägiger Archivalien vor allem aus dem Bundesarchiv zurück.

Der Fokus auf politische Ordnungssysteme verweist auch auf Posterts zentrales Ergebnis: Er sieht die Klubs der Jungkonservativen typologisch in der Tradition von Aufklärung und bürgerlichem Liberalismus. Demnach habe die Legitimationskrise der Weimarer Republik zu einer Hochkonjunktur alter, ursprünglich liberaler Formen der politischen Vergemeinschaftung wie Salons, Logen und Klubs der Aufklärung geführt: „Die jungkonservative Bewegung nutzte zwischen 1918–33 also Formen der Vergemeinschaftungen, die nicht nur dem Namen, sondern auch den Riten und dem Selbstverständnis nach – wie beispielsweise der Ballotage, dem traditionellen Auswahlverfahren für neue Mitglieder – an diese älteren bürgerlichen Formen der Vergemeinschaftungen anknüpften.“ (S. 105f.) Dies ist eine durchaus interessante Erkenntnis, denn in der Tat waren die Anfänge der bürgerlich-liberalen Öffentlichkeit gegen Ende des 17. Jahrhunderts mit Zugangsbarrieren und Ausschlussmechanismen verbunden. Hier enden dann aber auch schon die strukturellen Ähnlichkeiten, denn während sich die Diskutanten der aufklärerischen Salons und Tischgesellschaften als Garanten der Rationalität verstanden, kämpften die Jungkonservativen gegen den „Kerker der Ratio“ (S. 32). Ihre Fundamentalopposition bezog sich ja genau auf jenes normative Projekt der Aufklärer, das sich durch sein Versprechen von Gleichheit und Partizipation längst von den elitären Tischgesellschaften gelöst hatte und im 20. Jahrhundert in Form der „Masse“ bei den Rechtsintellektuellen Ekel und Hass erregte.

Entsprechend stellt sich die Frage wie „liberal“ die Klubs der Jungkonservativen wirklich waren. Ist eine durch informelle Kooptation geschaffene Assoziation in ihrem Wesen „liberal“, weil die Vergemeinschaftungsrituale auf die Aufklärungszeit zurückgehen oder war eine solche Gemeinschaft im 20. Jahrhundert nicht doch eher genau das, was sie im Sinne ihrer Mitglieder auch sein sollte: radikal konservativ, elitär und undemokratisch? Der Ansatz der politischen Kulturgeschichte und die Untersuchung von Riten und Formen der Geselligkeit birgt somit tendenziell die Gefahr einer Überbetonung der vermeintlich liberalen Elemente des jungkonservativen Antiliberalismus. Und man muss der jungkonservativen Argumentation vom „mechanischen“ und „starren“ Charakter des Parlamentarismus schon weit folgen um schlusszufolgern, dass die Jungkonservativen „unbewusst“ zu einem „liberalen Gegenmodell“ gegriffen haben durch welches „das Ideal der Freiheit mit steigernder Überzeugungskraft gegen das parlamentarische Parteiensystem ins Feld geführt wurde“ (S. 126). Glücklicherweise verabsolutiert Postert diesen Ansatz nicht. Gerade seine Kombination von Ideen-, Diskurs und Kulturgeschichte verdeutlicht die elementaren Widersprüche zwischen „revolutionären“ und „konservativen“ Elementen des Jungkonservatismus. Trotz oder gerade wegen dieser Widersprüche leisteten die Jungkonservativen – eben nicht nur durch einige bekannte antidemokratische Schriften und Zeitschriften, sondern durch ein breites Netzwerk der politischen Bildung – einen entscheidenden Beitrag zur intellektuellen Delegitimierung der Weimarer Republik.

Damit sind also die älteren ideengeschichtlichen Untersuchungen nicht widerlegt, sondern eher ergänzt worden. Dennoch bleiben Jungkonservatismus und die „Konservative Revolution“ insgesamt auch weiterhin ein attraktives Forschungsfeld. Sehr vielversprechend scheint eine Historisierung der Geschichtsschreibung zur „Konservativen Revolution“ wie sie in ersten Ansätzen von Riccardo Bavaj zur Entstehungsgeschichte von Kurt Sontheimers „Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik“ im Umfeld des Instituts für Zeitgeschichte vorgenommen wurde.1 Vor allem sollte eine europäisch-vergleichende und transnationale Geschichte der „Konservativen Revolution“ nicht apologetischen Vertretern der Neuen Rechten überlassen werden.2 Beides war jedoch nicht Aufgabe von Posterts Buch. Alles in allem ist dieses eine gut und flüssig geschriebene, auf sehr breitem Quellenkorpus basierende Arbeit, die viel analytische Ordnung in die Organisationen und Netzwerke des Jungkonservatismus bringt.

Anmerkungen:
1 Riccardo Bavaj, Hybris und Gleichgewicht. Weimars „antidemokratisches Denken“ und Kurt Sontheimers freiheitlich-demokratische Mission, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 3 (2006), H. 2, URL: <http://www.zeithistorische-forschungen.de/2-2006/id=4407>, Druckausgabe: S. 315–321.
2 Karlheinz Weißmann (Hrsg.), Die konservative Revolution in Europa, Schnellroda 2013.

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