W. Tietz: Hirten, Bauern, Götter

Cover
Titel
Hirten, Bauern, Götter. Eine Geschichte der römischen Landwirtschaft


Autor(en)
Tietz, Werner
Erschienen
München 2015: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
370 S., 28 Abb., 2 Karten
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Josephine Blei, Institut für Alte Geschichte, Universität Passau

Im Gegensatz zu zahlreichen Detailstudien sind allgemeine und umfassende Überblickswerke zur Landwirtschaft in der römischen Antike noch immer rar gesät, obwohl die Bedeutung der römischen Agrarwirtschaft für die Gesamtwirtschaft und für sozialpolitische Entwicklungen lange erkannt ist und spätestens seit dem 21. Jahrhundert auch nicht mehr in ihrer Leistungs- und Innovationsfähigkeit unterschätzt wird. Als einschlägiges Hand- bzw. Studienbuch muss immer noch die Römische Agrargeschichte von Dieter Flach herangezogen werden 1, die allerdings den Anspruch einer Gesamtgeschichte der Landwirtschaft des Römischen Reiches wegen ihres Schwerpunkts auf der Landwirtschaft im römischen Italien und Africa nur im Ansatz erfüllt. Eine tatsächliche und aktuelle Gesamtdarstellung, die nicht als Teil einer allgemeinen Wirtschaftsgeschichte auftaucht oder nur einzelne Aspekte der römischen Agrarökonomie berücksichtigt, ist also ein echtes Desiderat.

Seine Geschichte der römischen Landwirtschaft stellt Werner Tietz in einem detailreichen und quellennahen Überblick in chronologischer Ordnung in acht Kapiteln dar. Ausgehend von der Sesshaftwerdung im italischen Raum, über die Entwicklung des italischen Kleinbauerntums, die Ausprägung der Villen- und Latifundienwirtschaft seit den Punischen Kriegen und die staatlichen Wirtschaftsformen der Kaiserzeit führt Tietz den Bogen bis zur Transformation der Agrarwirtschaft in der Spätantike. Anders als die letzte deutschsprachige Monographie zur römischen Landwirtschaft von Ursula Heimberg 2, die sich ausschließlich mit dem Rheinland beschäftigt, konzentriert sich Tietz dabei im Wesentlichen auf Italien, räumt aber auch der Entwicklung in den gallisch-germanischen Provinzen sowie in Kleinasien kontrastierenden Platz ein. Weniger ein wirtschaftshistorischer, sondern eher ein kulturhistorischer Ansatz eröffnet dabei den Blick auf die alltägliche Situation der Akteure des römischen Agrarsektors, wie auch der Titel „Hirten, Bauern, Götter“ nahelegt. Bauern und ihre Familien, Gutsbesitzer und Pächter, Verwalter und Sklaven – und damit deren Alltag im sich stets wiederholenden Landwirtschaftsjahr – stehen im Mittelpunkt. Die im Titel eigens herausgestellten Hirten und Götter nehmen allerdings nicht den Raum ein, der impliziert wird. Die jeweiligen Kapitel (S. 134–145 u. 166–172) haben höchstens ergänzenden Charakter und behandeln das Thema keineswegs ausschöpfend.

Um die Lebenssituation seiner Akteure nachzuzeichnen, schöpft Tietz aus dem reichhaltigen und doch auch problematischen Quellenmaterial; alle Textstellen wurden eigens für das Buch neu übersetzt. Besonders die Agrarschriftsteller, in hohem Maße aber auch bukolische Dichtung und Prosa zieht Tietz als Gewähr für seine Ausführungen zum Alltagsleben auf dem Land heran. In der Einleitung spricht Tietz explizit die Bedeutung epigraphischer und archäologischer Zeugnisse und die Möglichkeiten archäometrischer Untersuchungen an; gerade letztere kommen aber manchmal zu kurz, vor allem bei den quantitativen Überlegungen, die Tietz immer wieder bietet. So widmet er den Weizenerträgen eines auf Subsistenz ausgerichteten Kleinbetriebs ausführliche und überzeugende Berechnungen (S. 154–157 u. 162–165); seine theoretischen Überlegungen werden jedoch nicht durch vorhandene empirische – etwa experimentalarchäologische – Ansätze und Studien bereichert.3 Einfache praktische Erfahrungswerte scheinen nicht immer berücksichtigt worden zu sein: So werden sich wohl die wenigsten Kleingartenbesitzer der Behauptung, der am Haus gelegene Garten könne ohne viel Zeitaufwand intensiv bewirtschaftet werden (S. 151), anschließen können. Tietz selbst widerspricht dieser Aussage an anderer Stelle (S. 247).

Bis auf recht häufige quantitative Exkurse – wie die Berechnung der oben genannten Weizenerträge, Überlegungen zur Größe der Weinbauflächen der Villa von Boscoreale (S. 222f.) oder die Kalkulation zur Investition in Sklaven oder Tagelöhner (S. 290f.) – hat die Darstellung hauptsächlich qualitativen Charakter. Mit detailgenauer Akribie zeichnet Tietz das Leben der römischen Bauern nach, widmet sich eingehend und mit Sachverstand der Flora und Fauna sowie der ländlichen, sozialen und ökonomischen Umwelt. Die Erzählperspektive berücksichtigt stark die Sicht der ländlichen Akteure und versetzt so den Leser in den Alltag, das Zusammenleben, die Erfordernisse und Bedürfnisse, die Freuden und Nöte der Protagonisten. Trotz dieser narrativen, manchmal etwas romantisierend wirkenden Nähe gelingt es Tietz, die Entwicklung der römischen Landwirtschaft vor dem Hintergrund der politischen und administrativen Strukturen der Republik und der frühen und mittleren Kaiserzeit nachzuvollziehen und die jeweiligen Wechselwirkungen herauszustellen. Hierbei führt der chronologische Aufbau und die Einzelbetrachtung verschiedener landwirtschaftlicher Erwerbszweige zu zahlreichen Wiederholungen auch einfachster Zusammenhänge; unerklärt erscheinen zwei ganz verschiedene Übersetzungen derselben Stelle des pseudovergilischen Moretum (S. 152 u. 174).

Abgerundet wird die Darstellung durch insgesamt 30 in den Text eingebundene Abbildungen und Karten sowie einen ausführlichen Anhang, der neben einem Verzeichnis ausgewählter Literatur eine Liste der im Text verwendeten antiken Maßeinheiten, ein Verzeichnis aller zitierten schriftlichen Quellen sowie ein im Wesentlichen deutschsprachige, aber auch einige lateinische Begriffe enthaltendes Register zu Flora und Fauna bietet. Die Hinweise zu weiterführender Literatur fallen recht selektiv aus. So ist es irritierend, dass im Punkt „Allgemeine Literatur“ das bereits erwähnte Handbuch von Dieter Flach fehlt, dafür aber eine ganze Reihe von Untersuchungen aufgelistet ist, die man eher als Spezialstudien bezeichnen würde.4

Bei der hier geäußerten Kritik bleibt freilich zu berücksichtigen, dass die Darstellung – ganz in der Tradition des Beck-Verlages – sich nicht an ein enges fachwissenschaftliches Publikum, sondern an eine breite Leserschaft richtet. Und so wird das Buch mit seiner gut lesbaren Narrative und seiner Detailverliebtheit unbedingt dem im Klappentext geäußerten Anspruch gerecht, die antike Welt verständlich zu machen; es bietet nicht nur einen allgemein nachvollziehbaren und umfassenden Überblick zur Geschichte der römischen Landwirtschaft, sondern auch ein kurzweiliges Lesevergnügen für den schon vorgebildeten Leser.

Anmerkungen:
1 Dieter Flach, Römische Agrargeschichte (Handbuch der Altertumswissenschaft 3,9), München 1990.
2 Ursula Heimberg, Villa rustica. Leben und Arbeiten auf römischen Landgütern, Darmstadt 2011.
3 Zwar nicht auf die italische Landwirtschaft bezogen, aber durchaus einen Vergleich wert: Felix Lang, Ernteerträge nördlich der Alpen in römischer Zeit. Überlegungen zur Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft und zu den Auswirkungen des Butser Ancient Farm Project, in: Archäologisches Korrespondenzblatt 39 (2009), S. 393–407.
4 Außerdem nicht genannt sind etwa Peter Herz / Gerhard Waldherr (Hrsg.), Landwirtschaft im Imperium Romanum (= Pharos 14), St. Katharinen 2001 oder Karl-Wilhelm Weeber, Alltag im Alten Rom. Das Landleben. Ein Lexikon, Düsseldorf 2000.

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