B. Müller-Rettig: Panegyrici latini

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Titel
Panegyrici latini. Lobreden auf römische Kaiser. Bd. 1: Von Diokletian bis Konstantin. Bd. 2: Von Konstantin bis Theodosius. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert


Herausgeber
Müller-Rettig, Brigitte
Reihe
Edition Antike
Erschienen
Anzahl Seiten
XIII, 285 S., 306 S.
Preis
€ 79,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Mit den hier zu rezensierenden beiden Bänden liegt nunmehr erstmals eine deutsche Gesamtübersetzung des Corpus der Panegyrici Latini vor.1 Angefertigt ist diese von Brigitte Müller-Rettig, einer Gräzistin an der Universität Rostock, die bereits durch ihre Dissertation zum Panegyricus des Jahres 310 ihre Fähigkeiten im Umgang mit der panegyrischen Literatur bewiesen hat.2 Der bereits 2008 erschienene erste Band ist hier nur kurz zusammenzufassen. Er enthält in chronologischer Anordnung der Reden den (größtenteils) an Mynors orientierten Text und eine Übersetzung der ersten acht Reden (den bewusst ausgelassenen Panegyricus des Plinius nicht mitgezählt), die vor Maximian, Constantius I. Chlorus und Konstantin gehalten wurden (S. 2–215). Diesen folgen kurze Einführungen und knappe Anmerkungen zu den einzelnen Reden (S. 217–275) und Listen der Abweichungen in der Textgestalt der einzelnen Editionen untereinander (S. 277–285). Dem Text ist eine kurze allgemeine Einleitung (S. VII–XIII) vorangestellt. Dieser Band wurde in den Rezensionen positiv aufgenommen.3 Die Defizite des ersten Bandes sind, wie zu zeigen ist, vielmehr solche des zweiten Bandes, da vorgebrachte Korrekturen zum ersten Band in Forschungsbeiträgen der letzten Jahre im zweiten Band nicht berücksichtigt wurden (siehe unten).

Der zweite Band enthält Text und Übersetzung der Rede des Nazarius vor Konstantin aus dem Jahr 321 (Pan. Lat. 4/10, S. 8–61), der des Mamertinus vor Julian aus dem Jahr 362 (Pan. Lat. 3/11, S. 62–107) und der des Pacatus vor Theodosius I. aus dem Jahr 389 (Pan. Lat. 2/12, S. 108–185). Dem folgen die Anmerkungen zu Nazarius (S. 187–211), Mamertinus (S. 211–231) und Pacatus (S. 231–256), die Listen der abweichenden Lesarten der verschiedenen Editionen (S. 257–262) sowie die sich auf beide Bände beziehenden allgemeinen Anhänge: eine kurze Einführung zum Panegyricus in der Antike (S. 263–275), eine Zeittafel (S. 277–285), eine Konkordanz der Ausgaben (S. 286f.), eine Literaturliste (S. 289–294) und der Gesamtindex (S. 295–306).

Da für die Rede des Mamertinus vor Kaiser Julian die ältere deutsche Übersetzung Gutzwillers vorliegt 4 und sich so die Möglichkeit des Vergleichs eröffnet, sei hier dieser Panegyricus herausgegriffen und geprüft. Müller-Rettigs Text ist größtenteils ein (zuverlässiger) Abdruck desjenigen von Mynors. Die insgesamt sieben Stellen, an denen Müller-Rettig von Mynors abweicht (6,4; 12,1; 14,5; 20,4; 21,2; 23,6; 31,3), sind alle im textkritischen Anhang notiert. Bei diesen Abweichungen folgt Müller-Rettig anderen Herausgebern; eigene textkritische Vorschläge erfolgen nicht. Die Anmerkungen bieten einen kurzen Überblick über die Geschichte vom Regierungsantritt der Söhne Konstantins im Jahr 337 bis zum Anfang des Jahres 362, als Mamertinus seinen Panegyricus hielt, und kurze Erläuterungen zu einzelnen Stellen der Rede. Hierin werden vor allem Namen und Sachen erklärt und die wichtigsten Quellenbelege geboten, so dass die Zielsetzung einer Einführung für Nichtspezialisten deutlich ist. Nur in Einzelfällen erfolgen kurze textkritische Diskussionen (S. 224 zu 16,4; S. 226 zu 20,4; S. 228 zu 26,1). Größere Fehler oder Entstellungen enthalten diese Anmerkungen nicht.5 Für eine tieferes Verständnis des anspielungsreichen Textes wird man weiterhin auf die umfangreiche Kommentierung von Nixon und Rodgers zurückgreifen müssen.6

Der wichtigste Beitrag der Ausgabe besteht in der deutschen Übersetzung. Auch wenn von der Rede des Mamertinus im Gegensatz zu den meisten anderen Panegyrici bereits eine deutsche Übersetzung vorliegt, bedeutet die Übertragung Müller-Rettigs einen Fortschritt gegenüber der Gutzwillers. Bekanntermaßen ist jede Übersetzung bereits eine Interpretation. Bei Gutzwiller tritt das allerdings deutlicher als sonst hervor, da er nicht nur das widergibt, was der Text explizit sagt, sondern oft auch das festhält, was der Text implizit meint. Dieses Problem wird bei Müller-Rettig, deren Übersetzung auch allgemein erheblich näher am Text gehalten, aber dennoch gut lesbar ist, vermieden. Ein gutes Beispiel für die Probleme der Übersetzung Gutzwillers bieten die Stellen 3,1 und 5,2, worin Constantius als frater Julians bezeichnet wird, was Gutzwiller mit „Vetter“ übersetzt. Sachlich ist dies die richtige Angabe des Verwandtschaftsverhältnisses, es ist aber nicht das, was im Text steht. Müller-Rettig übersetzt richtig mit „Bruder“ und bleibt damit nicht nur näher am Text, sondern trifft gerade dadurch auch dessen eigentliche politische Aussage. Aber auch dort, wo solche Abweichungen eher störend als irreführend sind, wird man die Übersetzung Müller-Rettigs als Fortschritt begrüßen, so etwa bei den Namensformen (Illyricum statt Illyrien: 6,2; 9,4; Macedonia statt Mazedonien: 9,4; Thrakien statt Thrazien: 13,3; 14,1).

Auch wenn die Übersetzung Müller-Rettigs (M-R) meist näher am Text bleibt und diesen an einigen Stellen korrekter als Gutzwiller (G) widergibt, ist hier und da dennoch die Übertragung Gutzwillers vorzuziehen. Einige Beispiele mögen dies illustrieren: 10,2 tributum als „Beiträge“ (G) und „Tribut“ (M-R); 14,2 dicet aliquis als „Man wird sagen“ (G) und „Jemand wird sagen“ (M-R); 14,3 necessarium als „naturnotwendig“ (G) und „lebensnotwendig“ (M-R); 15,2 sacri pectoris als „mit seinem erlauchten Herzen“ (G) und „in seiner heiligen Brust“ (M-R); 16,2 ineptus esse als „Albernheiten tun“ (G, so auch M-R in 16,3) und „als Geck aufzutreten“ (M-R). Nicht selten ist beiden Übersetzungen Gleichwertigkeit zuzusprechen; sowohl im positiven als auch im negativen Sinne. So ließe sich etwa darüber diskutieren, ob in 8,3 mit den immunitates „Steuerfreiheit“ (G) oder „Steuerbefreiungen“ (M-R) gemeint sind oder ob in 9,4 die fora „Märkte“ (G) oder „Plätze“ (M-R) bezeichnen. 16,1 trifft den Sinn des honore dignum dagegen weder „ehrenwert“ (G) noch „der Ehre verdient“ (M-R) vollkommen, sondern aufgrund des Hintergrundes und der Doppeldeutigkeit von honor wäre eher „der Ehre eines Amtes würdig“ zu übersetzen.

Der Hauptkritikpunkt an der Edition Müller-Rettigs ist die stellenweise unzureichende Berücksichtigung der modernen Forschung. Einerseits finden sich in der Literaturliste nur indirekt mit der Thematik verbundene Werke wie die Konstantinbiographien von Brandt und Bleckmann, während andererseits aktuelle Spezialforschungen, insbesondere die Dissertation Wienands und einige Ausgaben der Panegyrici latini übergangen werden.7 Der Verzicht auf eine Auswertung der Arbeit Wienands ist umso schwerwiegender, da dieser wiederholt den ersten Band der Ausgabe heranzieht und mehrere Verbesserungsvorschläge und Korrekturen anbringt, die im zweiten Band als Addenda und Corrigenda anzuführen und gegebenenfalls zu diskutieren gewesen wären.

Als Ergebnis ist festzuhalten, dass das Hauptziel dieser Ausgabe, eine lesbare und zuverlässige deutsche Übersetzung der Panegyrici zu bieten, ohne Einschränkungen erreicht worden ist.8

Anmerkungen:
1 Gesamtübersetzungen sind bereits in französischer, englischer und italienischer Sprache vorhanden: Panégyriques latins, texte établi et traduit par Édouard Galletier, Paris 1949–1955 (drei Bände); In praise of later Roman emperors. The Panegyrici Latini, introduction, translation, and historical commentary with the Latin text of R. A. B. Mynors, by C(harles) E(dwin) V(andervord) Nixon and Barbara Saylor Rodgers, Berkeley 1994; Panegirici latini, a cura di Domenico Lassandro e Giuseppe Micunco, Turin 2000.
2 Brigitte Müller-Rettig, Der Panegyricus des Jahres 310 auf Konstantin den Großen. Übersetzung und historisch-philologischer Kommentar, Stuttgart 1990 (Diss. Saarbrücken 1989); Das Heiligtum des Apollo Grannus zu Grand (Dept. Vosges), in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 41 (1993), S. 41–66.
3 Jeanne-Marie Demarolle, in: Antiquité classique 79 (2010), S. 465f.; Iwan Durrer, in: Bulletin des Schweizerischen Altphilologenverbandes 74 (2009), S. 32, <http://www.philologia.ch/Bulletin/docs/Bulletin_74.pdf (04.11.2015); Valeria Lilie, in: Gymnasium 117 (2010), S. 491; Michael Mause, in: Forum Classicum 54/1 (2011), S. 73f., <https://www.altphilologenverband.de/forumclassicum/pdf/FC2011-1.pdf> (04.11.2015).
4 Hans Gutzwiller, Die Neujahrsrede des Konsuls Claudius Mamertinus vor dem Kaiser Julian. Text, Übersetzung und Kommentar, Basel 1942.
5 Die Bemerkungen zur Gesetzgebung Julians S. 227 sind eher Mamertinus als den tatsächlichen Gegebenheiten geschuldet. S. 231 wird das „im 33. Lebensjahr“ der Quellen fehlerhaft mit „im Alter von 33 Jahren“ widergegeben. An der Stelle 27,4 steht im Text S. 98 am Satzende ein Fragezeichen, in der Übersetzung S. 99 dagegen ein Ausrufezeichen.
6 Nixon / Rodgers, In praise.
7 Johannes Wienand, Der Kaiser als Sieger, Berlin 2012 (etwa S. 228, Anm. 91). Zu ergänzen wären daneben: Angelika Starbatty, Kaiser und Gott in den Panegyrici Latini, in: Antike und Abendland 53 (2007), S. 141–165; María Pilar García Ruiz, La evolución de la imagen política del emperador Juliano a través de los dos discursos consulares, in: Minerva 21 (2008), S. 137–153; María Pilar García Ruiz, Una lectura de la gratiarum actio de Claudio Mamertino a la luz de los primeros escritos de Juliano, in: Emerita 76 (2008), S. 231–252; Francis X. Ryan, Pacatus on the mnemonic capabilities of Republican political figures, in: Leeds International Classical Studies 8/1 (2009), <https://web.archive.org/web/20141201205057/http://lics.leeds.ac.uk/2009/200901.pdf> (11.11.2015); Roger Rees, Bright lights, big city. Pacatus and the Panegyrici Latini, in: Lucy Grig / Gavin Kelly (Hrsg.), Two Romes, Oxford 2012, S. 203–222. Ausgaben und Übersetzungen: Willem J. G. Lubbe, Incerti Panegyricus Constantino Augusto dictus, Diss. Leiden 1955 (Text und niederländische Übersetzung von Paneg. 12/9 von 313); Pacatus, Panegyric to the emperor Theodosius, translated with an introduction by C. E. V. Nixon, Liverpool 1987. Wohl nicht mehr rechtzeitig zugänglich wurden José Luis Cañizar Palacios, Tortura y castigo en los panegíricos latinos, in: Organizzare, sorvegliare, punire. Il controllo dei corpi e delle menti nel diritto della tarda antichità, Rom 2013, S. 203–227 und Roger Rees, From alterity to unity in Pacatus Drepanius’ panegyric to Theodosius, in: Talanta 45 (2013), S. 41–53.
8 Siehe auch die Rezension von Michael Mause, in: Forum Classicum 58/1 (2015), S. 43–45, <https://www.altphilologenverband.de/forumclassicum/pdf/FC2015-1.pdf> (04.11.2015).

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