Cover
Titel
In Liebe verbunden. Zweierbeziehungen und Elternschaft in populären Ratgebern von den 1950ern bis heute


Herausgeber
Scholz, Sylka; Lenz, Karl; Dreßler, Sabine
Anzahl Seiten
378 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Sarah Speck, Institut für Sozialforschung, Frankfurt am Main

Sylka Scholz, Karl Lenz und Sabine Dreßler haben einen Sammelband vorgelegt, der für Forscher/innen aus den Bereichen der Soziologie der Liebe und Familie sowie der Geschlechterforschung, aber auch für alle Leser/innen, die an der Transformation und Gegenwart von Liebessemantiken und Elternbildern interessiert sind, sehr gewinnbringend ist. Der Band versammelt nach einer Einleitung der Herausgeber/innen zehn Beiträge, die auf Basis der Analyse von Beziehungs- und Eltern-Ratgebern der 1950er- und 2000er-Jahre Liebe als „kulturelles Programm“ (Lenz) in Paarbeziehungen und in Elternschaft in den Blick nehmen. Den Abschluss bildet eine konzise Zusammenfassung von Sylka Scholz, die für einen Überblick über die Inhalte und Ergebnisse besonders empfehlenswert ist.

Die Untersuchung populärer Ratgeber entstand im Rahmen eines Teilprojekts des SFB 804 „Transzendenz und Gemeinsinn“ zum Wandel privater Lebensformen seit den 1950er-Jahren im Ost-West-Vergleich sowie eines Forschungsseminars an der TU Dresden. Ausgehend von der Diagnose der Pluralisierung und Individualisierung privater Lebensformen fragt der Sammelband nach „kulturellen Vorgaben“ und „diskursiven Deutungsangeboten bezüglich Liebe, Sexualität, Lebensformen und Geschlechterkonstruktionen“ (S. 7). Anliegen der Herausgeber/innen ist es dabei, die soziologische Aufmerksamkeit auch auf andere Formen der Liebe jenseits der Paarliebe zu lenken. Entsprechend beginnt die Einleitung mit einer gut strukturierten Überblicksdarstellung zur Diskussion über Paar- und Elter(n)-Kind-Liebe von Lenz, Dreßler und Scholz. Teil des Überblicks sind neben einer Bestimmung der zentralen Merkmale romantischer Liebe als Kulturmuster der Moderne1 die Herausstellung christlicher Traditionslinien sowie die Sichtbarmachung von Bezügen zu antiken Liebessemantiken. Eingeführt werden außerdem unterschiedliche zeitdiagnostische Positionen zur Frage des Wandels der Liebessemantik. Daraufhin stellen Scholz und Lenz im methodischen Einführungskapitel die an der wissenssoziologischen Diskursanalyse2 sowie an der Grounded Theory3 orientierte Vorgehensweise der Ratgeber-Analysen dar, die im zweiten und dritten Teil des Bandes folgen.

Der zweite Teil des Bandes fokussiert „Liebe in Zweierbeziehungen“. In den Beiträgen von Sarah Eckardt und von Sabine Dreßler werden die 1950er-Jahre in den Blick genommen. Dreßlers Ost-West-vergleichender Artikel zeigt auf äußerst anregende Weise sowohl anhand des politisch-rechtlichen Diskurses wie auch anhand von Eheratgebern, inwiefern der Gleichberechtigungsdiskurs in beiden deutschen Staaten von Beginn an grundlegend unterschiedlich verlief. In den meisten BRD-Ratgebern wurde Gleichberechtigung als die Ehe gefährdend wahrgenommen, während diese im Diskurs der DDR als Voraussetzung einer guten Ehe galt. Doch stellt Dreßlers Analyse auch Widersprüche in den jeweiligen diskursiven Konstruktionen heraus. Danach widmen sich vier lesenswerte Beiträge der Analyse vor allem gegenwärtiger Ratgeber. Denise Pohl belegt in ihrer Untersuchung zu Beziehungsratgebern Tendenzen der Restaurierung traditioneller Geschlechtervorstellungen: „Das Leben als Paar wird als Nahraum präsentiert, in dem Geschlechterdifferenz erfahrbar wird“ (S. 145). Romy-Laura Reiners zeigt in ihrem Text zum Wandel von Liebessemantiken das heutige Spannungsfeld einer Re-Romantisierung von Paarbeziehungen einerseits und der Anrufung zur Introspektion und Selbstoptimierung andererseits auf. Sabrina Gottwald befasst sich mit Spiritualisierungstendenzen in aktuellen Ratgebern zu Sexualität. Carola Klinkert zeigt in einer überzeugenden Analyse des „populärwissenschaftlichen Interdiskurs der Jahre 2000–2010“, wie sich das „Wissen über Liebe mit neurowissenschaftlichen Diskursen vor allem auf symbolischer Ebene koppelt“. Dabei gehe der Bezug auf Hirnwissen deutlich mit einer erneuten Geschlechterdichotomisierung sowie mit einer „heteronormativen Tendenz“ (S. 213) einher.

Der dritte Teil des Bandes beschäftigt sich schließlich mit „Liebe in Elter(n)-Kind-Beziehungen“. Franziska Pestel vergleicht Weiblichkeitskonstruktionen in Ehe- und Beziehungsratgebern der 1950er- und 2000er-Jahre und stellt Günter Burkarts Diagnose einer neueren „Kultur der Kinderlosigkeit“ sowie der vielfach konstatierten Zunahme alternativer Lebensformen die Stabilität diskursiver Muster entgegen: Trotz einer Heterogenität von gegenwärtigen Deutungsangeboten gelten in den von ihr untersuchten zeitgenössischen Beziehungsratgebern weiterhin Kinder als Selbstverständlichkeit (S. 230); und es gebe im Vergleich zu den 1950er-Jahren ein „nur nuanciert“ verändertes Bild von Weiblichkeit – Ehe und Eltern- bzw. Mutterschaft blieben aneinander gekoppelt (S. 234). Franziska Höher und Sabine Mallschützke überprüfen die „Rede von den ›neuen Vätern‹“ anhand eines Vergleichs von Väterratgebern der BRD und der DDR aus den 1950/60er- sowie aus den 2000er-Jahren. Demnach seien bereits in den frühen Ratgebern erste Vorläufer des Wandels zu finden (S. 252); in den neueren Ratgebern werde die Vater-Kind-Beziehung jedoch viel stärker emotionalisiert. Allerdings komme weder damals noch heute der Begriff der „Vaterliebe“ vor. Karl Lenz und Sylka Scholz schreiben anhand der Analyse drei ganz unterschiedlicher Ratgeber – für die ›normale‹ Kernfamilie, für Trennungsfamilien und für Väter – über den Wandel der Erziehung seit den 1950er-Jahren hin zu kommunikativen Praktiken, zum „Verhandlungshaushalt“ sowie zum Topos des „Wohls“ und der „Selbstverwirklichung des Kindes“. Ihren interessanten Befunden zufolge sei in aktuellen Bestsellern das ‚alte‘ normative Muster der Mutterliebe verschwunden: Auch wenn eine primäre Zuständigkeit der Mutter fortgeschrieben werde, fehle die normative Überhöhung (S. 271). Es gebe heute keine Unverfügbarkeit der Elter(n)-Kind-Beziehung mehr; stattdessen sei es wichtig, „Bezugsperson“ zu werden, und diese Beziehung müsse erst hergestellt werden. Die Natürlichkeit der Elter(n)-Kind-Beziehung werde damit nicht mehr vorausgesetzt. Dem neuen Legitimationsmuster zufolge nehme die bedingungslose und absolute Liebe des Kindes die Eltern in die Pflicht, sich um ihre Kinder zu kümmern. Dabei stehe im Sinne einer „Wiederkehr des aus der Romantik stammenden Bildes des Kindes“ (S. 272), das an die christliche Kindesverehrung anknüpfe, die Individualität des Kindes im Zentrum. An die Stelle der alten, die Mutterliebe naturalisierenden, „Stützkonstruktion“ zur freiwilligen Übernahme von Sorgearbeit sei die Idealisierung des Kindes getreten, die die Autor/innen als „säkulare Sakralisierung“ bezeichnen. Der dritte Teil des Bandes schließt mit einem Beitrag von Sophie Maria Ruby und Katharina Tampe zu „Geschlecht, Familie und Erziehung im Evangelikalismus“, in dessen Diskurs eine Modernekritik sowie die Figur einer „gottgegebenen Zweigeschlechtlichkeit“ zum Tragen kommen. Sie bestätigen damit die Einschätzung von Scholz4, dass auch in aktuellen Ratgebern die religiöse Sinnwelt bedeutsam sei.

Sylka Scholz beschließt den Band mit einer zusammenfassenden und fallvergleichenden Auswertung nicht nur der Analysen in diesem Band, sondern aller Ratgeberanalysen des SFB-Projektes. Der Vergleich beruht auf einer maximalen Fallkontrastierung von mehr als 50 Ratgebern aus den 1950er-Jahren und den 2000er-Jahren. Die leitende Fragestellung lautet: Welche diskursiven Deutungsangebote stellen die Ratgeber zur Verfügung, um Zweierbeziehungen und Elternschaft auf Dauer zu stellen? In mehreren Aspekten konstatiert sie eine teils überraschende Kontinuität im Liebesdiskurs über Paarbeziehungen. Trotz einer Pluralisierung der Lebensformen werde der Topos der Liebesehe fortgeschrieben, auch wenn die Ehe in den 2000er-Jahren nicht mehr wie in den 1950er-Jahren als „soziales Muss“, sondern nunmehr als „beste Option“ (S. 301) gelte. Dabei werde in den Ratgebern beider untersuchter Zeiträume Liebe als Entwicklungsprozess entworfen: Wirkliche wahre Liebe müsse erst reifen – womit zugleich ein Deutungsangebot formuliert werde, mit abnehmenden Gefühlen der Verliebtheit umzugehen. Obwohl Verliebtheit als romantische Liebe diskreditiert werde, zeige sich in den Ratgebern deutlich „ein hintergründiger Rekurs auf romantische Liebe“, der eine Reihe ihrer Charakteristika – Höchstrelevanz, Exklusivität, Dauerhaftigkeit, die Verknüpfung von Liebe und Sexualität sowie von Liebe und Ehe – virulent halte. Zudem werde Liebe auch weiterhin „als Transzendenz konstruiert“ – auch wenn sich die Stützkonstruktionen änderten. Nach Scholz bestätige sich damit die Einschätzung Karl Lenz‘ von „widersprüchlichen Tendenzen“5 – der Steigerung und des Verlustes romantischer Sinngehalte zugleich. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass Kinderlosigkeit in den aktuellen Beziehungsratgebern nicht als eine legitime und glückliche Lebensform entworfen werde. Damit bleibt die heterosexuelle Kleinfamilie die mehr oder minder implizite Norm auch in aktuellen Beziehungsratgebern. Und obwohl in den Erziehungsratgebern der 2000er-Jahre oberflächlich von einer Pluralisierung der Lebensformen ausgegangen wird, werde in den Fallbeispielen immer wieder auf die „Kernfamilie“ rekurriert. Das zentrale Deutungsangebot sei dabei gegenwärtig das „Eltern-Team“: Die Elternrolle werde „entgeschlechtlicht“ (S. 323). Allerdings sprächen auch hier die Fallbeispiele eine andere Sprache. Scholz belegt anhand der Analysen zwar einerseits eine Zunahme der Bedeutung der Gleichheitsnorm, jedoch andererseits die dominante Tendenz einer „Re-Polarisierung von Geschlecht“ (S. 312) sowohl in den Beziehungs- als auch in den Erziehungsratgebern. Diese fasst das Forscher/innenteam insofern als „aufgeklärte Re-Polarisierung“, als sie reflexiv und „vor dem Hintergrund von Frauenbewegung und Frauenemanzipation“ erfolge. So wird von Ratgeber-Autor/innen etwa eine „neue Emanzipation“ gefordert, der zufolge die moderne Frau sich wieder ihrer Weiblichkeit bewusst werden solle (S. 315). Im Erziehungsdiskurs wiederum bedeute diese „aufgeklärte Re-Polarisierung“ kurz gesagt, dass beide Eltern für die Kinder sorgen können und sollen; andererseits zeige sich aber das „Väter anders als Mütter [erziehen], und Töchter anders erzogen werden [wollen] als Söhne. Auch wenn es viele Gemeinsamkeiten gibt, wollen die feinen Unterschiede berücksichtigt werden“6. In beiden Diskursen berufen die sich primär an ein „wohlhabendes, gut situiertes Publikum“ (S. 337) richtenden gerichteten Ratgeber in der Konstruktion der Geschlechterdifferenzen auf vermeintliche Resultate wissenschaftlicher Erkenntnisse. Dabei dominieren in den selektiven Bezügen auf wissenschaftliches Wissen die Naturwissenschaften, insbesondere die Evolutionsbiologie und die Psychologie. Selbst der untersuchte Ratgeber für schwule Paare stütze sich auf polare Geschlechterkonstruktionen und die Vorstellung von „echten Männern“. Mit diesen Ergebnissen kann der Sammelband insbesondere für die Geschlechterforschung spannende Erkenntnisse vorweisen, doch leistet er auch für gegenwärtige Diskussionen in der Familiensoziologie einen wichtigen Beitrag. Nicht zuletzt aufgrund des Ost-West-Vergleichs und der zeitlichen Perspektive ist „In Liebe verbunden“ – trotz der sprachlichen Schwächen einiger weniger Beiträge und trotz einiger Wiederholungen – ein höchst lesenswertes Buch.

Anmerkungen:
1 Nach Karl Lenz, Soziologie der Zweierbeziehung, Wiesbaden 2009.
2 V.a. Reiner Keller, Diskursforschung. Eine Einführung für SozialwissenschaftlerInnen, 3. aktualisierte Aufl., Wiesbaden 2006 (1. Aufl. 2004), sowie Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms, 2. aktualisierte Aufl., Wiesbaden 2008 (1. Aufl. 2005).
3 Barney G. Glaser / Anselm L. Strauss, The Discovery of Grounded Theory. Strategies for Qualitative Research, New York 1967.
4 Sylka Scholz, »Ich bekenne mich zu dieser Hommage an die gute alte Ehe.« Die Liebessemantik in Ehe- und Beziehungsratgebern von den 1950er Jahren bis zur Gegenwart, in: Morikawa Takemitsu (Hrsg.), Die Welt der Liebe. Liebessemantiken zwischen Globalität und Lokalität, Bielefeld 2014, S. 251–274.
5 Lenz, Zweierbeziehung.
6 Peter Ballnik, Das Papa-Handbuch. Für Kinder ab 3. Alles, was Väter und Kinder verbindet, München 2010.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/