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Titel
Defining Deutschtum. Political Ideology, German Identity, and Music-Critical Discourse in Liberal Vienna


Autor(en)
Brodbeck, David
Reihe
The New Cultural History of Music
Erschienen
Anzahl Seiten
365 S.
Preis
€ 37,95; £ 26.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maurice Chales de Beaulieu, Universität Wien

In seinem aktuellen Buch „Defining 'Deutschtum': Political Ideology, German Identity, and Music-Critical Discourse in Liberal Vienna“ beschreibt David Brodbeck ausgehend von zeitgenössischen Konzertrezensionen von namhaften Wiener Kritikern wie Eduard Hanslick (Neue Freie Presse), Ludwig Speidel (Fremden-Blatt) oder Theodor Helm (Deutsche Zeitung) die Reaktion auf die in Wien aufgeführten Werke von jüdischen Komponisten wie Karl Goldmark oder tschechischen wie Antonin Dvořàk oder Bedřich Smetana. Ausgehend von einer kurzen Einleitung gliedert Brodbeck sein Buch dabei in zwei große Teile, deren einzelne Kapitel sowohl als voneinander weitgehend unabhängige case studies gelesen werden können – Brodbeck hat, wie vor allem in der angelsächsischen Musikwissenschaft üblich, einige Kapitel vorher als Aufsätze veröffentlicht, die aber auch als ein großer Bogen einer Wiener Rezensionsgeschichte ethnisch „nicht-deutscher“ Komponisten und ihrer Werke verstanden werden kann.

Die Einleitung liefert mit einem kurzen geschichtlichen Abriss des Deutschliberalismus nach 1848 und dessen späteren ideologischen Konflikten mit den tschechischen Nationalisten sowie dem völkischen Antisemitismus eine wichtige Grundlage zum Verständnis der folgenden Kapitel. Ergänzt wird diese Darstellung durch eine aufschlussreiche, aber relativ kurze Erörterung der wesentlichen politischen Ideologien – deutschliberal, nationalliberal sowie deutschnational –, die die einzelnen Rezensenten vertreten, sowie einen Einblick in die musikalischen Institutionen der Stadt.

Der erste Teil des Buchs beschränkt sich auf die historische Periode des Vormärzes und der Jahre nach der 1848er-Revolution und schildert dabei die Bestrebungen von Hanslick und Goldmark, sich von ihren Ursprüngen weg in die deutsche Gesellschaft zu assimilieren. Dem Autor geht es dabei um das Herausarbeiten von persönlicher Identität und der Selbstdarstellung in den Rezensionen und damit in der Öffentlichkeit, was sich als roter Faden durch das gesamte Buch zieht. Im ersten Kapitel steht dabei Eduard Hanslicks Sozialisierung im Prag des Vormärz sowie seine Entwicklung zum Deutsch-Liberalen im Vordergrund. Dabei zitiert Brodbeck nicht nur aus den frühen Rezensionen für die Prager Zeitung „Ost und West“, sondern geht auch auf Hanslicks Vertonungen zweier tschechisch-sprachiger Gedichte sowie seine politische Schriften aus dem Revolutionsjahr 1848 ein, in denen er sich als moderater Deutschliberaler präsentiert. Das zweite Kapitel schildert parallel dazu Karl Goldmarks Herkunft aus einem ungarisch-jüdischen Ghetto und seine Ankunft im vorrevolutionären Wien anhand der von Wilhelm Goldbaum in der Neue deutsche Presse veröffentlichten Biographie des Komponisten, die mit Goldmarks Autobiographie verglichen wird. Im Zentrum dieser Darstellung steht dabei die sukzessive Abkehr Goldmarks von seinen jüdischen Wurzeln hin zu einer deutschliberalen Einstellung und zum deutschen Bildungsbürgertum, die eine wesentliche Grundlage zum späteren Verständnis der Kritiken bildet. Im nächsten Kapitel steht Goldmarks Aufstieg zum renommierten, wenngleich auch nicht unumstrittenen Komponisten in den Sechziger und Siebziger Jahren im Mittelpunkt der Diskussion. Brodbeck greift dabei auf die Rezensionen zur Konzertouvertüre „Sakuntala“, „Die Königin von Saba“ sowie „Ländliche Hochzeit“ zurück und arbeitet an ihnen die politischen Positionen von Hanslick und Speidel explizit vor dem Hintergrund eines traditionellen liberalen Nationalismus heraus. Während Goldmark sich bereits als „deutscher“ Komponist wahrnahm, rezensierten Hanslick und Speidel die Werke vor dem Hintergrund seiner jüdischen Abstammung, was sich beispielsweise in der harschen Kritik der „jüdischen Melodien“ in der Oper „Die Königin von Saba“ niederschlug. Durchaus wegweisend ist Brodbecks Feststellung, dass bei anderen Kompositionen Goldmarks wie „Merlin“ oder „Das Heimchen am Herd“, die keine ethnischen Bezüge aufweisen, die religiöse Zugehörigkeit des Komponisten für Hanslick irrelevant zu sein scheint. Der politische Hintergrund der Rezensenten, ihrer Rezensionsorgane und Parteizugehörigkeiten sind im Laufe der Untersuchung weniger der Ausgangspunkt von Brodbecks diskursiver Rezeptionsgeschichte als vielmehr die veröffentlichten Rezensionen, die gezielt auf die jeweiligen Vorstellungen der kulturellen Identität und das gesellschaftspolitische Selbstverständnis der Rezensenten schließen lassen. Das vierte Kapitel diskutiert die unterschiedlichen Reaktionen auf eine antijudaistische Textstelle – den jüdischen Studenten würden kulturell bedingt die notwendigen Grundlagen für ein Medizinstudium fehlen – im medizinischen Traktat „Über das Lehren und Lernen der medicinischen Wissenschaft an den deutschen Universitäten“ von Theodor Billroth, der dem Freundeskreis um Brahms, Goldmark und Hanslick angehörte. Brodbeck versucht, den historischen Diskurs sensibel auszuleuchten und interpretiert Billroths Aussage dabei vor dem Hintergrund der zeitgenössischen antijudaistischen und deutschnationalen Tendenzen, wie sie auch durch Richard Wagner oder Ernst Moritz Arndt vertreten wurden.

Der zweite Teil des Buchs erweitert den Betrachtungszeitraum auf das Wiener Fin-de-Siècle und umfasst wiederum vier relativ unabhängig voneinander lesbare Kapitel. Das erste dieser Kapitel beschreibt die Reaktionen der Wiener Musikkritik auf Dvořáks Etablierung im Wiener Musikleben. Den Ausgangspunkt bildet dabei Taaffes pro-tschechische Politik bezüglich einer tschechischen Amtssprache und dem sogenannten Nationalbesitzstand sowie die daraus folgenden deutschnationalen Reaktionen, die sich auch in den entsprechenden Kritiken der einzelnen Rezensenten, zumeist in Bezug auf Dvořáks Werke mit slawischen Titeln und entsprechender Melodieführung, und aus der Ablehnung der Wiener Philharmoniker hinsichtlich einer Aufnahme in ihr Konzertprogramm niederschlagen. Ergänzt wird dies durch eine Erörterung der Kritikerrezeptionen zu Teilaufführungen von Smetanas „Má vlast“. Das sechste Kapitel beschreibt die Zunahme antisemitischer Tendenzen auch in der Wiener Musikwelt. Während Karl Goldmark in den liberalen Kreisen um Hanslick und Speidel, gerade nach den Wiener Erstaufführungen etlicher Konzertouvertüren und der Oper „Merlin“, immer mehr geschätzt wurde, wurde er auf der anderen Seite immer öfter zum Ziel von antisemitischen publizistischen Attacken aus den Kreisen der Wagnerianer. Im folgenden Kapitel wird die Rezeption tschechischer Musik in den Jahren ab 1790 erörtert. Ausgehend von Taaffes Versöhnungspolitik und dem böhmischen Kompromiss erörtert Brodbeck die positive Aufnahme von Teilaufführungen von Smetanas „Má vlast“ und „Prodaná nevěsta“ im Zuge der Wiener Musik- und Theaterausstellung 1792 durch sowohl Hanslick als auch seine deutschnational gesinnten Kollegen, wobei letztere in Smetanas Heimatverbundenheit ein Modell für eine rein deutsche Musik sahen und die offensichtlichen Wagner-Anleihen selbstverständlich goutierten. Desweiteren werden die Rezensionen von Dvořáks „Husitská-Ouvertüre“ und „8. Sinfonie“ diskutiert, die von Hanslick durchweg gelobt, von den Nationalisten hingegen in die liberale Ecke um Hanslick gestellt wurden. Im achten und letzten Kapitel steht die kritische Rezeption von Goldmarks „Das Heimchen am Herd“ im Mittelpunkt, das von Seiten der Deutschnationalen eine nur als antisemitisch zu bezeichnende Abfertigung erfuhr, sowie Goldmarks Reaktion darauf in seiner Schrift „Gedanken über Form und Stil (Eine Abwehr)“ von 1896, in welcher sich der Komponist als vollständig deutscher Künstler verteidigt und rechtfertigt. Im Anschluss daran geht Brodbeck auf den bereits 1858 publizierten Aufsatz „Eine Ansicht über Fortschritt“ ein, in dem Goldmark seine Befürchtungen schildert, seine Vorliebe für exotische Melodien könnte von rechtskonservativen Kreisen als nicht-deutsche Fremdartigkeit interpretiert werden.

Im Epilog „Germans, Jews and Czechs in Mahlers‘ Vienna“ führt Brodbeck gekonnt alle Einzelaspekte des Buchs zusammen. Ausgehend von der Dvořák-Rezeption der letzten Jahre des 19. Jahrhunderts und vor dem Hintergrund sowohl der „Cilli“- als auch der „Badeni“-Krise stellt der Autor Mahlers Intendanz an der Wiener Hofoper als Sinnbild der Verteidigung des Deutschen gegenüber allem Fremdartigen und Ausländischen dar.

Die sehr geschickt aufgebaute und gut fundierte Quellenstudie differenziert gekonnt die verschiedenen politischen Tendenzen der (rechten) österreichischen Politik und den Ausdruck der Gesinnungen ihrer Anhänger vermittels Rezensionen über das tschechische und/oder jüdische Musikleben in der Habsburgermetropole. Die Musikrezensionen sind sorgfältig in Bezug auf ihre ethnisch aufgeladene Rezeption ausgewählt und werden vor dem Hintergrund des Wiener Liberalismus und seiner politischen Funktion erörtert und interpretiert. Diese grundsätzliche Fokussierung auf den Wiener Liberalismus, dessen Aufbau und Funktion in der Habsburger Monarchie und den Konsequenzen, die sich daraus für die einzelnen Protagonisten ergeben und die Schilderung der Abhängigkeit von Phänomenen wie Antisemitismus oder Austro-/Germanozentrismus von eben diesem Liberalismus ist der Hauptverdienst von Brodbecks Buch, das ganz zu Recht für den diesjährigen Buchpreis der American Musicological Society nominiert wurde.

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