Cover
Titel
Die Römer in Ungarn.


Autor(en)
Borhy, László
Reihe
Sonderbände der ANTIKEN WELT
Erschienen
Anzahl Seiten
168 S.
Preis
€ 34,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dominik Maschek, Department of Classics, Ancient History and Archaeology, University of Birmingham

Die vorliegende Publikation reiht sich nahtlos in gleich zwei Traditionslinien ein. Einerseits ist sie Teil der verdienstvollen Reihe “Zaberns Bildbände zur Archäologie”, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den aktuellen Forschungsstand zu einzelnen archäologische Regionen in konziser und reich bebilderter Form für eine breitere, interessierte Leserschaft zu präsentieren. Andererseits entsprechen die Auswahl und Abgrenzung des Themenbereichs einem aus unzähligen vergleichbaren Publikationen wohlbekannten Muster, das der römischen Geographie die Grenzen moderner Nationalstaaten gleichsam überlagert1. Wie aber Lázsló Borhy selbst in der Einleitung des Buches feststellt, „kann die römerzeitliche Geschichte Ungarns von […] pannonischen – oder teilweise barbarischen Gebieten, die in Teilen von modernen Nachbarstaaten Ungarns liegen, nicht ganz getrennt werden“ (S. 10). Diese Formulierung erscheint, etwa mit Blick auf die Provinzgrenzen von Ober- und Unterpannonien, bemerkenswert defensiv – ebenso hätte man zu Recht anmerken können, dass die Geschichte Pannoniens sich nur unzulänglich durch den Blickwinkel einer nationalstaatlich orientierten Archäologie oder Geschichtsschreibung erforschen lässt2.

Das Buch ist in zehn Kapitel gegliedert, die grob dem Fortgang der Ereignisgeschichte folgen: Von einer Zeit „bevor die Römer kamen“ (S. 11–27) bis zu den „letzten Jahrzehnten Pannoniens“ (S. 155–159). Eine im Anhang beigefügte Zeitleiste (S. 160–162) erleichtert den Überblick über die wesentlichen Daten und Ereignisse innerhalb dieser Struktur. Auf die einzelnen Abschnitte kann im Folgenden aus Platzgründen nicht detailliert eingegangen werden. Im Vordergrund der Besprechung sollen deshalb die Zielrichtung und das Zusammenwirken der einzelnen Kapitel stehen.

Das erste Kapitel ist ein Gastbeitrag von Miklós Szabó, der sich der Zeit vor der römischen Okkupation des pannonischen Raumes widmet (S. 11–27). In dem Versuch, eine Entwicklungsgeschichte der östlichen Keltiké vom 8. bis zum 1. Jh. v.Chr. zu schreiben, korreliert Szabó aufgrund von materiellen Hinterlassenschaften definierte „Kulturen“ und „Stämme“ mit den wenigen historischen und geographischen Schriftquellen klassischer bis späthellenistischer Zeit (vor allem Herodot, Polybios, Poseidonius, Strabon, Caesar). Im zweiten Teil des Kapitels schlägt er auf ähnliche Weise den Bogen zu Roms kriegerischen und wirtschaftlichen Aktivitäten im illyrisch-pannonischen Raum des 2. und 1. Jahrhunderts v.Chr. Eine vergleichbare Zweiteilung zeigt auch das zweite Kapitel „Eroberung und Integration“ (S. 28–34), das die Reihe der von Lázsló Borhy verfassten Abschnitte eröffnet. Im ersten Teil erfolgt eine historisch-geographische Abgrenzung von „Pannonien“ und „Illyricum“ in der frühen Kaiserzeit; im zweiten Teil beleuchtet Borhy dann, gestützt auf epigraphische Funde und in stark geraffter Form, den Prozess der administrativen Neuorganisation Pannoniens von augusteischer bis in flavische Zeit.

Das dritte Kapitel trägt den Titel „Die Städte und der Limes im 1. und 2. Jh. n. Chr.“ (S. 35–53). Hier werden die Urbanisierungsprozesse und die Organisation der Grenzverteidigung in Pannonien bis in spätantoninische Zeit auf anschauliche Weise geschildert, unterstützt durch nützliches Kartenmaterial. Leider tragen etliche unkonventionelle Formulierungen – so etwa die gehäufte substantivische Verwendung des ohnehin bereits sperrigen Begriffs „munizipalisieren“ (so zum Beispiel auf S. 39–45 passim) – nicht zur Lesbarkeit dieser Ausführungen bei. Das anschließende vierte Kapitel ist unterproportional kurz geraten und handelt „Die Geschichte Pannoniens während der Prinzipatszeit“ auf knapp drei Seiten ab (S. 54–56). Darauf folgt ein Kapitel, das sich auf die Markomannenkriege in Pannonien konzentriert (S. 57–62). Borhy vermittelt darin eine gute Übersicht über die Ereignisgeschichte und die historische Quellenlage. Archäologische Befunde – so etwa die Frage nach den immer wieder postulierten „Markomannenzerstörungen“ – und epigraphische Funde werden allerdings nur am Rande berücksichtigt.3

Das sechste Kapitel ist zur Gänze der severischen Zeit in Pannonien gewidmet (S. 63–73), die Borhy als die „Blütezeit“ (S. 66) innerhalb seiner chronologisch voranschreitenden Erzählung bezeichnet. Ausgehend von einem historischen Überblick geht er auf verschiedene Aspekte wie Verwaltung, Urbanisierung und Bevölkerungsstruktur ein, in denen sich mit der Herrschaft der severischen Kaiser in Pannonien ein Wandel verbinden lässt. Daran anknüpfend folgt mit dem Kapitel „Die Gesellschaft, Wirtschaft, Kunst und Religion von Pannonien bis zum Ende der Severerzeit“ (S. 74–105) der mit Abstand umfangreichste Abschnitt innerhalb des gesamten Bandes. Archäologische Themenkreise stehen hier im Vordergrund. Nach einer kurzen Einführung zu Gesellschaft und Wirtschaft wird die Villenlandschaft des kaiserzeitlichen Pannonien beschrieben. Dies erfolgt erfreulicher Weise in grenzübergreifender Perspektive. Allerdings ist die zugehörige Kartierung (S. 77 Abb. 58) in manchen Bereichen lückenhaft, da sie etwa die Villendichte im Hinterland von Carnuntum trotz neuer Untersuchungen nur unvollständig wiedergibt.4 Danach thematisiert Borhy am Beispiel der pannonischen Glanztonware die kaiserzeitliche Keramikproduktion. Auf die quantitativ bedeutsamere lokale und regionale Gebrauchskeramik wird nicht eingegangen. Unter dem Übertitel „Die römische Kunst in Pannonien“ stellt Borhy im Anschluss eine beeindruckende Fülle an Mosaikböden und Wandmalereien aus öffentlichen, privaten und militärischen Kontexten vor. Nicht thematisiert werden hingegen Skulptur, Architektur oder ornamentaler Bauschmuck, obgleich etliche herausragende Beispiele für diese Gattungen an anderen Stellen des Buches abgebildet wurden (zum Beispiel S. 76 Abb. 57; 78 Abb. 60; 85 Abb. 66; 103 Abb. 95 und andere). Abgeschlossen wird das Kapitel mit einem Abschnitt zu Göttern und Kultausübung im kaiserzeitlichen Pannonien.

Das achte Kapitel „Pannonien und Illyricum im 3. Jh. n. Chr. und die pannonisch-illyrischen Soldatenkaiser“ (S. 106–122) setzt die mit dem Exkurs zur materiellen Kultur unterbrochene chronologische Erzählstruktur fort. Borhy liefert hier eine gelungene Präsentation der wechselhaften Ereignisgeschichte der nachseverischen Jahrzehnte, mit besonderem Fokus auf dem pannonischen Raum. Archäologische Zeugnisse werden den historischen Quellen allerdings nicht gegenübergestellt. Anders verfährt Borhy im neunten Kapitel, das sich der Geschichte Pannoniens in der Spätantike zuwendet (S. 123–154). Insbesonders die Schilderungen des spätrömisch-pannonischen Limes und der spätantiken Stadtentwicklung sind ausgezeichnet gelungen. Im zehnten und letzten Kapitel (S. 155–159) geht Borhy schließlich „dem Weiterleben und allmählichen Aufhören des Römertums“ (S. 156) nach. Wiederum fasst er zunächst die spärlichen Quellen zur Geschichte Pannoniens im späten 5. Jahrhundert n.Chr. zusammen, bevor er sich in einem etwas ausführlicheren Abschnitt dem „Weiterleben der provinzialrömischen Bevölkerung“ (S. 156) widmet. Hier fällt auf, dass Borhy insbesonders Grabfunde als Hinweis auf die ethnische Zugehörigkeit der Bestatteten bewertet. Die Frage nach der Identität verschiedener sozialer Gruppen, wie sie jüngst zum Beispiel wieder verstärkt für das spätantike Nordafrika oder die Nordwestprovinzen diskutiert wurde, spielt in seiner Darstellung hingegen keine Rolle. Über die Überzeugungskraft einer solchen Betrachtungsweise muss letztlich der Leser entscheiden.5

Abschließend noch einige Überlegungen zu formalen Aspekten des Buches: Wohl dem vom Verlag gewünschten Leserkreis geschuldet enthält der Band nur elf Anmerkungen, die sich allesamt auf den kurzen forschungsgeschichtlichen Abriss in der Einleitung beziehen. Knappe bibliographische Zusammenfassungen wurden den einzelnen Kapiteln beigegeben. Als Einführung in den aktuellen Stand der Forschung wäre dies grundsätzlich ausreichend, allerdings fällt auf, dass nach 2005 erschienene Literatur in diesen Kurzbibliographien nur sporadisch aufgeführt wurde. Für den wissenschaftlich orientierten Leser etwas irritierend mag auch die in der Einleitung getroffene Feststellung des Autors anmuten, dass man „die Zusammenfassungen von Géza Alföldy, welche z. B. die Analyse der Ursache und Hintergründe der Krise des 3. Jahrhunderts n. Chr. bzw. einen Überblick über die Gesellschaft, Wirtschaft und Religion von Pannonien beinhaltet [sic], teilweise wörtlich übernommen“ habe (S. 10, Hervorhebung Verf.) Obwohl die entsprechenden Passagen aus den Werken Alföldys im direkten Anschluss an diese Bemerkung auch zitiert werden6, bleibt letztlich unklar, an welchen Stellen und auf welche Weise sie in das sonst ohne Anmerkungen gedruckte Buch integriert wurden.

Abgesehen von solchen Details fällt das Resümee freilich positiv aus. Einen Überblick über Archäologie und Geschichte des gesamten, in römischer Zeit als „Pannonien“ bezeichneten Gebiets stellt Borhys Buch aufgrund der gezielten Beschränkung auf Ungarn zwar nicht dar. Für eine interessierte Leserschaft auch außerhalb der Fachgrenzen liefert der Band aber einen soliden und reich bebilderten Einstieg in die Zeit der römischen Herrschaft im pannonischen Raum.

Anmerkungen:
1 So etwa Georg Schreiber, Die Römer in Österreich, 3. Aufl. Frankfurt 1974; Dietwulf Baatz / Fritz-Rudolf Herrmann (Hrsg.), Die Römer in Hessen, Stuttgart 1982; Walter Drack / Rudolf Fellmann, Die Römer in der Schweiz, Stuttgart 1988; Wolfgang Czysz, Die Römer in Bayern, Stuttgart 1995; Verena Gassner / Sonja Jilek, Am Rande des Reiches. Die Römer in Österreich 15 v. Chr.–378 n. Chr., Wien 2002; Andreas Thiel, Die Römer in Deutschland, Stuttgart 2008 u. v. m.
2 Umso begrüßenswerter sind die in jüngerer Zeit verstärkt stattfindenden zwischenstaatliche Kooperationen, wie etwa zwischen dem Österreichischen Archäologischen Institut und dem Museum von Aquincum, siehe z. B. Stefan Groh / Orsolya Láng / Helga Sedlmayer / Paula Zsidi, Neues zur Urbanistik der Zivilstädte von Aquincum-Budapest und Carnuntum-Petronell. Auswertung und archäologische Interpretation der geophysikalischen Messungen 2011 und 2012, in: Acta Archaeologica Academiae Scientiarum Hungaricae 65 (2014), S. 361–404.
3 Vgl. dazu jüngst die kritischen Überlegungen bei Christoph Hinker, Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva, Zentraleuropäische Archäologie 4, Wien 2014, bes. 15–35; 171–178; 186–188.
4 Siehe dazu zuletzt v. a. René Ployer, Veteranen im Hinterland von Carnuntum. Das Gräberfeld von Mannersdorf am Leithagebirge und die Besiedung des Leithagebiets in römischer Zeit, in: Ángel Morillo / Norbert Hanel / Esperanza Martín (Hrsg.), Limes XX: XX congreso internacional de estudios sobre la frontera romana 3, Madrid 2009, S. 1437–1446.
5 Siehe z. B. von Philipp von Rummel, Habitus Barbarus, 55. Ergbd. RGA, Berlin / New York 2007; Walter Pohl, Spuren, Texte, Identitäten. Methodische Überlegungen zur interdisziplinären Erforschung frühmittelalterlicher Identitätsbildung, in: Sebastian Brather (Hrsg.), Zwischen Spätantike und Frühmittelalter, 57 Ergbd. RGA, Berlin – New York 2008, S. 13–26; Sebastian Brather, Ethnizität und Mittelalterarchäologie, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 39 (2011), S. 161–172; Simon Esmonde Cleary, The Roman West, AD 200–500. An Archaeological Study, Cambridge 2013, bes. S. 11–15; 86–89; 346–395; 467–482.
6 Es handelt sich um Géza Alföldy, Die Krise des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert und die römische Gesellschaft, in: G. Alföldy, Römische Sozialgeschichte, 4. Aufl. Stuttgart 2011 (1. Aufl. Wiesbaden 1975), S. 218–272; Géza Alföldy, La Pannonia e l’impero romano, in: Gyula Hajnóczi (Hrsg.), Atti del convegno internazionale “La Pannonia e l’impero romano. Identità e divergenze, Accademia d’Ungheria e l’Istituto Austriaco di Cultura (Roma, 13–16 gennaio 1994), Annuario del’Accademia d’Ungheria a Roma, Mailand 1995, S. 25–40; Géza Alföldy, Pannonia és a Római Birodalom, in: Debreceni Szemle 2 (1996), S. 172–183.

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