Museumsverband des Landes Brandenburg (Hrsg.): Entnazifizierte Zone?

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Titel
Entnazifizierte Zone?. Zum Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus in ostdeutschen Stadt- und Regionalmuseen


Herausgeber
Museumsverband des Landes Brandenburg
Reihe
Edition Musuem 7
Anzahl Seiten
242 S.
Preis
€ 29,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kurt Schilde, Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin

Der Brandenburgische Museumsverband hat im Oktober 2013 ins Potsdam Museum eingeladen, um unter dem programmatischen Titel "Entnazifizierte Zone?" drei Tage über den Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus in ostdeutschen Stadt- und Regionalmuseen zu informieren und zu diskutieren. Die Veranstaltung fand große Resonanz und wird mit wesentlichen Beiträgen in diesem Sammelband dokumentiert.

Das Thema wird zunächst allgemein und dann differenziert anhand von konkreten Beispielen aus Brandenburg und weiteren ostdeutschen Städten aufgegriffen. Gleich in der Einführung weisen Susanne Köstering und Christian Hirte auf die Probleme hin: Zur DDR-Zeit sollte in den Museen gezeigt werden, "was gesetzmäßig richtig, nicht was falsch gelaufen war in der deutschen Geschichte." (S. 9) Da der Umgang mit der Zeitgeschichte in deutschen Museen ein "noch ungeschriebenes Kapitel" (S. 12) ist, kann der Band nur erste Versuche der Veränderung abbilden. Die vorgestellten Beispiele – so viel kann schon gesagt werden – sind gut für zukünftige Ausstellungskonzeptionen geeignet.

Die Diskussion beginnt mit einem Überblick von Martin Sabrow zum Umgang mit der NS-Geschichte in der DDR – "Heroisierung des antifaschistischen Widerstands" (S. 18) – und in der (alten) Bundesrepublik – "Habitus der Entlastung und Selbstversöhnung" (S. 21) – sowie der "Beziehungsgeschichte" (S. 24ff.), die zunächst von den Besatzungsmächten geschrieben worden ist. Der Historiker erinnert an zeitliche Parallelen der Aufarbeitung (Verabschiedung von Amnestiegesetzen) und strukturelle Ähnlichkeiten: Dem Antifaschismus in der DDR entsprach ein Antitotalitarismus in der BRD. Sabrow resümiert: "Deutsch-deutsche Entgegensetzung und Verflochtenheit prägen die Geschichtskultur der vereinigten Bundesrepublik bis heute." (S. 40)

Mit den musealen Entwicklungen in KZ-Gedenkstätten vor und nach dem Fall der Mauer hat sich Insa Eschebach auseinandergesetzt. Die Auseinandersetzungen zu den Ausstellungen in den früheren "Nationalen Mahn- und Gedenkstätten" Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück hatten die Bildung von Historikerkommissionen zur Folge. Deren Stellungnahmen bildeten eine historische "Chance einer Professionalisierung" (S. 44). Dies beschreibt die Autorin genauer am Wandel des Ravensbrücker "Museum des antifaschistischen Widerstandskampfes" hin zur Erarbeitung der neuen 2013 eröffneten Dauerausstellung der Gedenkstätte Ravensbrück. Diese verfolgt drei Ziele, die Eschebach verkürzt charakterisiert als "Paradigma der KZ-Haft von Frauen und weiblicher Täterschaft", "geschlechtsspezifische[n] Verfolgungskontexte" und "Darstellung und Vermittlung der Nachkriegsgeschichte des Lagers und der Geschichte der Erinnerung an Ravensbrück in West- und Osteuropa" (S. 57).

Im Anschluss verfolgt Andreas Ludwig die Spuren der Alltagsgeschichte in West- und Ostdeutschland sowie die Musealisierung der DDR-Geschichte unmittelbar nach der Öffnung der Grenze 1989: "Während bei der Erforschung des Nationalsozialismus vor Ort Objekte der Alltags- und Sozialgeschichte kaum in Museen aufzufinden waren, sind wir heute mit einer riesigen Menge an musealisierten DDR-Objekten konfrontiert." (S. 74) Susanne Hagemann unterscheidet bei den Darstellungsmustern in Ausstellungen zur NS-Zeit pragmatisch zwischen drei Formen: "die Dokumentation, die Inszenierung, das Ensemble." (S. 81) Angesichts der Kontaminierung von Alltagsgegenständen mit NS-Symbolen verweist sie auf mögliche alternative Präsentationsformen. Zum Beispiel ist im Museum Viadrina im Kontext "Vereine in Frankfurt an der Oder" ein Becher zu sehen, der 1937 bei einem Schützenfest verliehen wurde. Aber: "Von der Existenz und dem Ende jüdischer Sport- und Kulturvereine, die es bis in die 1930er Jahre auch hier gegeben hat, erfährt der Besucher [und die Besucherin!] nichts." (S. 87) Daher fordert sie von den Museen mehr Selbstreflexion und schlägt als einen ersten kleinen Schritt vor: Statt von "Potsdamer/Hamburger/Rostocker Juden" sollten zukünftig Formulierungen wie "jüdische Potsdamer/Hamburger/Rostocker" benutzt werden. (S. 92) Dieser Text ist einer der wichtigsten des Bandes und wird hoffentlich entsprechend rezipiert.

Michael Lingohr behandelt die "letzte ideologiefreie Bastion? Der nationalsozialistische Angriff auf den Haushalt" (S. 93—110) und die "Instrumentalisierung der Sachkultur am Beispiel keramischer Produkte" (S. 93), Janosch Steuwer den historiografischen und musealen Umgang mit Tagebüchern.

Die Fallbeispiele werden mit einem sehr interessanten Beitrag von Anke Grodon über die Ausstellung zur Alltagsgeschichte am Beispiel von Schwedt (Oder) eingeleitet. Dort ist nach einem 2012 gezeigten Projekt im Bauensemble des jüdischen Ritualbades und Synagogendienerhauses die Geschichte jüdischen Lebens in Schwedt dargestellt worden.1 "Beide Projekte lebten wesentlich von Zeitzeugenaussagen." (S. 129) Dies änderte sich für die Ausstellung über "Leben im Dritten Reich. Zwischen Einschulung und Einberufung. Schwedt in der Zeit von 1933 bis 1945"2, zu der zahlreiche private Leihgeber, Institutionen und Vereine Exponate und Geschichten beisteuerten. "Am Ende standen 25 Exponate aus dem Museumsbestand 220 Leihgaben überwiegend aus Privatbesitz gegenüber." (S. 129) Grodon beschreibt die Umsetzung der Ausstellung und ihre Vermittlung und kommt zu dem Schluss: "Es ist das erste Mal, dass die NS-Zeit in Schwedt aus Sicht der Alltagserfahrung zum Thema gemacht und zur Diskussion gestellt wurde." (S. 136) Dies kann angesichts der Zusammensetzung der aktuellen Bevölkerung – wenig Alteingesessene und mehrere Zuzugswellen zur Chemie- und Papierindustrie aus allen Teilen der DDR – als sehr bemerkenswert bezeichnet werden.

Gleichfalls eindrucksvoll, wenn auch politisch-historisch völlig anders beispielgebend ist die im Kulturhistorischen Museum Rostock entstandene Sonderausstellung zur Zerstörung Rostocks im April 1942, die zur breiten Auseinandersetzung mit der Stadtgeschichte geführt hat. Steffen Stuth geht zunächst auf die "konfliktbeladene Vorgeschichte" (S. 138) über die Rolle Rostocks in der Rüstungsindustrie und den Einsatz von Zwangsarbeitern ein. Dabei spielt das großformatige Gemälde "Zerstörte Stadt Rostock" von Egon Tschirch aus dem Juni 1942 eine Rolle. Der Maler "etablierte eine Opfersicht, die sich lange über das Kriegsende hinaus in der Bevölkerung halten sollte." (S. 140) Mit der Ausstellung ist es nach jahrzehntelangem Schweigen endlich gelungen, "die traumatische Zerstörung der historischen Stadt in ihre Vor- und Wirkungsgeschichte einzubetten." (S. 145) Damit sind Forschungen für eine stadtgeschichtliche Dauerausstellung eingeleitet, die 2018 eröffnet werden soll.

Zu diesen Berichten passt thematisch gut der Beitrag von Jens Wehner über die chronologische Dauerausstellung des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden. Hier geht es wesentlich um "freundliches Desinteresse an rein militärhistorischen Themen" (S. 155) und militäraffines Publikum. Der Beitrag verdeutlicht aber auch die Wichtigkeit einer kritischen Kontextualisierung der Militärgeschichte.

Zu den interessantesten Beiträgen gehört der von Jutta Götzmann und Wenke Nitz über die Darstellung des Nationalsozialismus in Ausstellungen des gastgebenden Potsdam Museums vor und nach 1989. Die Dauerausstellung von 1986 kommt im Vergleich mit der 2013 eingerichteten neuen ständigen Ausstellung erstaunlicherweise relativ gut weg. Angesprochen wurden bereits in der früheren Exposition die Novemberpogrome 1938 – allerdings thematisch offenbar verkürzt auf die "Pogromnacht" 1938, die tatsächlich mehrere Tage dauerte – sowie die Themen "Arisierung" und "Erbhofgesetz". Die Portraits von "14 überwiegend kommunistischen Widerstandskämpfern" (S. 167) ergänzten Männer des militärischen Widerstandes. "Auch in diesem Punkt ließen sich die Ausstellungsmacher durch das erinnerungspolitische Dogma des SED-Staates keineswegs einengen." (S. 67) Früher nahmen Inszenierungen eine "prominente Rolle" (S. 167) ein – im Unterschied zu der neuen Dauerausstellung, in der darauf weitgehend verzichtet wird. Im Vergleich sind Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie "parallele Themen" (S. 176) zu erkennen. Das neue Konzept "Weltbühne Potsdam" verweist symbolisch auf die in Potsdam gedruckte und 1933 verbotene Zeitschrift "Weltbühne" und die drei Bauwerke Garnisonkirche (fokussiert auf den "Tag von Potsdam" am 21. März 1933), das Schloss Cecilienhof (für die so genannte Potsdamer Konferenz 1945) und als dritte "Weltbühne" die Glienicker Brücke (die für die deutsche Teilung und Agentenaustausch steht). Ein interessanter und sehenswerter Ansatz für eine Darstellung der Potsdamer Stadtgeschichte.

Abschließend werden vier Beiträge mit zunehmender Aktualität präsentiert: Ronald Hirte stellt am Beispiel von Buchenwald und Martina Christmeier / Pascal Metzger exemplifizieren am Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände den Umgang mit Objekten. Patrice Poutrus klärt über "Rechtsradikale im antifaschistischen Staat?" auf und Dirk Wilking informiert über die Präventionsarbeit des Mobilen Beratungsdienstes in Brandenburg. Er erinnert daran, dass regionale Museen für die lokale Geschichtsschreibung eine wichtige Funktion haben (sollten) und bringt ein wichtiges Anliegen der Tagung und des Museumsverbandes des Landes Brandenburg auf den Punkt: "Wenn die Museen nicht die richtigen Fragen stellen, geben die falschen Leute die falschen Antworten." (S. 236)

Anmerkungen:
1 Anke Grodon u.a. (Redaktion), Gestern: Jüdische Bürger in Schwedt. Rückblick und Spurensicherung, Schwedt o.J.
2 Anke Grodon / Ursula Dittberner / Katrin Rössler (Redaktion), Leben im Dritten Reich. Schwedt von 1933 bis 1945: Zwischen Einschulung und Einberufung, Schwedt / Oder 2013.

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