A. Krätzner (Hrsg.): Hinter vorgehaltener Hand

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Titel
Hinter vorgehaltener Hand. Studien zur historischen Denunziationsforschung


Herausgeber
Krätzner, Anita
Reihe
Analysen und Dokumente 39
Erschienen
Göttingen 2015: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
180 S., 5 Abb.
Preis
€ 12,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Olaf Stieglitz, Anglo-Amerikanische Abteilung, Universität zu Köln

Es ist etwas ruhiger geworden um die historische Denunziationsforschung in Deutschland. Das hat einerseits mit ihren Leistungen und ihren vielfach beachteten Ergebnissen zu tun. Es liegt andererseits aber auch an einer gewissen methodisch-konzeptionellen Inflexibilität, die gleichfalls Merkmal dieser Forschungsrichtung zu sein scheint. Blickt man zunächst auf ihre Erfolge, dann muss man – neben wichtigen Arbeiten zur Frühen Neuzeit und zum 19. Jahrhundert – vor allem auf die Rolle der Studien zu Denunziationen während der nationalsozialistischen Herrschaft verweisen. Analysen über denunziatorisches Handeln auf unterschiedlichen Ebenen haben wichtige Erkenntnisse über das Funktionieren der NS-Diktatur geliefert. Historikerinnen und Historiker wie Robert Gellately, Klaus-Michael Mallmann, Inge Marszolek, Alf Lüdtke, Gisela Diewald-Kerkmann, Katrin Dördelmann und andere mehr haben im Verlauf der 1990er-Jahre, bei allen Unterschieden in ihren jeweiligen Interpretationen, den Blick auf das Denunzieren im NS als enorm aufschlussreich in der Forschung etabliert.

Um das Jahr 2000 herum, so formulierte es Gerhard Paul in einem Tagungsbericht, hatte die Denunziationsforschung bedeutsame Ziele erreicht. Sie sei im Wesentlichen aber an ihr Ende gekommen und „es [werde für sie] in Zukunft stärker darauf ankommen, sich gleichermaßen intrakulturell, d.h. auf die verschiedenen Phasen der eigenen Geschichte, als auch interkulturell, d.h. auf unterschiedliche Gesellschaftssysteme und Kulturen bezogen, zu öffnen“.1 Die sich in den Jahren darauf anschließenden Publikationen von Stephanie Abke, Claudia Bade sowie Christoph Thonfeld orientierten sich einerseits an Methoden und Thesen der etablierten Forschung, folgten aber durch die Erweiterung ihres Untersuchungszeitraums auf Nachkriegsdeutschland (Ost wie West) bereits teilweise der Forderung Pauls. Die nachlassende Sichtbarkeit der Denunziationsforschung konnten sie allerdings nicht verhindern.

Das „Verschwinden“ solcher Studien lag keineswegs an fehlender sozialhistorischer Qualität sondern eher daran, dass man gegenüber einer kulturhistorischen Öffnung der Perspektive zu zögerlich blieb. So gelang es beispielsweise den gegenwartsorientierten „Surveillance Studies“, Angebote etwa aus den Diskurs- oder Performanztheorien, aus den „Visual Culture Studies“ oder der Technikforschung innovativ miteinander zu verknüpfen und so postmoderne Kulturen der (Selbst-)Überwachung zu charakterisieren. Demgenüber kreiste die historische Denunziationsforschung – mit einigen Ausnahmen – oftmals um zwei Aspekte, die konzeptionelle Entwicklungen erschwerten: die nicht enden wollende Debatte um eine Definition des Begriffs Denunziation sowie die beinahe ausschließliche Fixierung der Untersuchungen auf diktatorische Gesellschaften und ihren Überwachungsorganen.

Mit ihrer Anthologie „Hinter vorgehaltener Hand“ hat sich die Herausgeberin Anita Krätzner nicht zuletzt die Aufgabe gestellt, die Denunziationsforschung in Deutschland mit neuem Leben zu erfüllen. Der Band ist aus einem Workshop im Bildungszentrum des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) im November 2012 hervorgegangen. Obgleich er chronologisch wie geografisch über die DDR-Geschichte hinausgeht, bleiben die spezifischen Fragestellungen und Perspektiven dieses Forschungszusammenhangs für seine insgesamt elf Beiträge prägend.

In Krätzners lesenswerter Einleitung wird dies sehr schön deutlich. Zu Recht beklagt die Herausgeberin, dass die aufgeregte öffentliche Debatte um die inoffiziellen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatssicherheit eine echte Analyse der unterschiedlichen Varianten, Rollen und Bedeutungen denunziatorischer Handlungen im Verlauf der DDR-Geschichte eher erschwert denn befördert habe. Dies habe dazu geführt, „dass eine konsequente und systematische Denunziationsforschung für die DDR-Geschichte bisher nicht entwickelt“ (S. 12), und „die Weiterentwicklungen, die es in der NS-Forschung [...] gegeben hat, vielfach nicht auf die DDR-Gesellschaft angewandt“ worden seien (S. 13). Demgegenüber formuliert Krätzner ihr Anliegen, die Denunziationsforschung sozial- und kulturhistorisch breiter aufzustellen. Namentlich geht es ihr darum, „Kommunikationskanäle und Informationsweitergabe in gesellschaftlichen Systemen integrativer zu betrachten und die Funktion von Machtpartizipation aufzuzeigen“ (S. 17).

Auf dem Weg hin zu diesem Ziel hat Krätzner „Hinter vorgehaltener Hand“ in zwei Abschnitte gegliedert. Im Anschluss an die Einleitung finden sich zunächst vier Aufsätze, die nicht im Zusammenhang mit der DDR-Geschichte stehen. Darin beschäftigt sich Michael Chvojka mit der Habsburger Monarchie und ihren Überwachungsstrategien in Mähren und Schlesien im frühen 19. Jahrhundert. Stephanie Abke blickt auf Nordwestdeutschland während des Nationalsozialismus und unmittelbar danach, Dorothe Zimmermann fragt nach Praktiken der Denunziation in der Schweiz zwischen 1930 und 1948, und Christiane Kohser-Spohn widmet sich der Denunziations- und Anzeigepraxis in Frankreich in den Jahren direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. All diese Beiträge zeichnen sich durch dichtes Quellenmaterial und erhellende Detailstudien aus. Doch gelingt es ihnen nur punktuell, die Ergebnisse in eine umfassende Analyse zur Rolle des Denunziatorischen innerhalb der kulturellen Verfasstheit einer Gesellschaft einzubetten. Eine gelungene Ausnahme stellt der Aufsatz von Kohser-Spohn dar: Die Autorin macht zum einen die notwendige Ambivalenz des Denunziatorischen im Kontext der französischen „Épuration“ zwischen 1945 und 1953 produktiv nutzbar und verhandelt dies zum anderen vor dem Hintergrund einer veränderten Geschichtspolitik in Frankreich seit den 1990er-Jahren.

Die übrigen Beiträge des Bands verorten sich im Feld der DDR-Forschung und decken eine anregende Spannweite von Themen ab. Doris Danzer analysiert das institutionalisierte Reden deutscher Kommunistinnen und Kommunisten über sich selbst und andere vor Parteikommissionen und bezieht dabei deren Schweigen zu Recht als aufschlussreiches Verhalten mit ein. Udo Grashoff skizziert den Umgang der SED mit Genossinnen und Genossen, die in den 1930er-Jahren, zumeist unter Gestapo-Folter, zu „Verrätern“ wurden und unterstreicht die zeitgenössischen Diskussionen um die Einschätzung solchen Verhaltens. Olga Galanova blickt in ihrem Text in die DDR der 1980er-Jahre und untersucht Anrufe von Bürgerinnen und Bürgern bei der Staatssicherheit. Die Autorin appelliert zum einen dafür, die Medialität der Anzeigen (hier mündlich und eben nicht schriftlich) ernster zu nehmen, und sie macht dabei insbesondere auf das spannungsreiche Verhältnis von Geheimnis und dem Wunsch nach Preisgabe aufmerksam.

Der Beitrag von Hedwig Richter beleuchtet „die Effizienz bürokratischer Normalität“ und analysiert das ausgedehnte Berichtswesen der DDR weit jenseits des Ministeriums für Staatssicherheit als eine „bürokratische Praxis“, die „von den Bürgern als legitim empfunden und [...] sich dadurch als umso effektiver“ erwies (S. 128). Den Nutzen der beiden Dichotomien politisch-unpolitisch sowie öffentlich-privat für die historische Denunziationsforschung untersucht Christian Halbrock, wobei er die beiden Diktaturen Nationalsozialismus und DDR vergleichend aufeinander bezieht. Abschließend diskutiert Anita Krätzner die Anwendbarkeit des Denunziationsbegriffs für die DDR-Forschung und arbeitet sich dabei an den in der Forschung vertretenen Definitionen ab.

Insgesamt ist „Hinter vorgehaltener Hand“ in seinem Bemühen darum, der historischen Denunziationsforschung in Deutschland neuen Schwung zu verleihen, nur zum Teil erfolgreich. Ohne Zweifel sind viele der Beiträge im Band gewinnbringend, indem sie jeweils interessante neue Aspekte auf Basis intensiver Quellenarbeit ansprechen und dabei mitunter auch in methodisch andere, vor allem medien- und kommunikationswissenschaftliche Richtungen weisen. Dies gilt nicht zuletzt für den inhaltlichen Kern des Bands, die Forschung zur DDR-Geschichte, die so sicherlich wichtige Impulse erhält.

Zugleich verfestigt die Anthologie aber auch den Eindruck, dass es Historikerinnen und Historikern mitunter an Mut fehlt, wenn sie mit denunziatorischer Rede und denunziatorischem Verhalten konfrontiert sind. Statt sich in jedem Beitrag an den stets gleichen und stets problematischen Definitionsversuchen abzuarbeiten, sollte man die Perspektivität, die Wandelbarkeit, die Unschärfe und die Umkämpftheit der verwendeten Begriffe (sowohl historisch wie historiografisch) eher als Chance denn als Problem betrachten – das Denunziatorische erlaubt gerade deswegen Einblicke in die Kultur einer Gesellschaft, weil es nicht definitorisch einzuhegen ist. Und das gilt umso mehr für demokratische Gesellschaften, in denen die allgegenwärtigen Denunziationen in einem subtilen Gewebe von Institutionen, Begrifflichkeiten, Redeweisen und Praktiken zum Verschwinden gebracht werden.

Anmerkung:
1 Gerhard Paul, Denunziation – anthropologische Konstante oder kulturelles Phänomen? Eine Tagung vom 10. bis 13. Oktober 2000 in Rothenburg ob der Tauber, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 48, Heft 12 (2000), S. 1102–1104, hier 1104.

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