D. Burkard u.a. (Hrsg.): Der Jansenismus – eine ‚katholische Häresie‘?

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Titel
Der Jansenismus – eine ‚katholische Häresie‘?. Das Ringen um Gnade, Rechtfertigung und die Autorität Augustins in der frühen Neuzeit


Herausgeber
Burkard, Dominik; Thanner, Tanja
Reihe
Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 159
Erschienen
Münster 2014: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Quisinsky, Meyrin

Wenn es heutzutage um die Frage nach dem freien Willen des Menschen geht, stehen jenseits effektheischender Stimmen grundsätzlich Menschenbild und Weltbild zur Debatte, und damit oft auch, keineswegs nur in der Vergangenheit, Gottesbild und Religionsverständnis bzw. Kirchenbild. Im 17. Jahrhundert sorgte in diesem Themenfeld der so genannte „Jansenismus“, in dem sich viele Entwicklungslinien der vergangenen Jahrhunderte bündelten, für heftige Auseinandersetzungen. Die diesbezüglich besonders relevante Frage nach dem Verhältnis von „Gnade“ und „Natur“ stellt in der Tat eine Art „Dauerbrenner“ christlichen Lebens und Denkens dar. Jahrhundertelang dominierte dabei die Position von Augustinus. Der tiefgreifende Wandel, der sich dann ab dem 12. und 13. Jahrhundert in der Theologie als Wissenschaft vollzog, und schließlich die Reformation mit der Losung Luthers vom „sola gratia“ führten zu einer neuen Konstellation. Als 1640 in Löwen das Werk des Bischofs von Ypern, Cornelius Jansenius d.J. (1585–1638) mit dem Titel „Augustinus“ erschien, fand es leidenschaftliche Befürworter und Gegner. Zwar ging es zunächst um die Frage nach der Gnade. Der Konflikt, der in der Verurteilung durch die päpstliche Bulle Cum occasione von 1653 seinen Höhepunkt erreichte, betraf damit aber die Deutung der jahrhundertelangen Entwicklungslinien von Augustinus über die Reformationszeit bis ins 17. Jahrhundert. Zudem waren damit handfeste politische Interessen verbunden. Der vorliegende dreisprachige Band dokumentiert eine Würzburger Tagung aus dem Jahre 2011, die sich dem „Jansenismus“ widmete, der aufgrund der theologischen und politischen Implikationen mehr als nur eine bestimmte, klar identifizierbare theologische Schule darstellte: Dem Herausgeber Dominik Burkard zufolge sei schließlich sei mit der bereits erwähnten Bulle Cum occasione „der ‚Jansenismus‘ als (ein fiktives) Lehrsystem erst kreiert“ worden (S. 279).

Es ist sinnvoll, dass der Band mit einer Einführung in die Freiheits- und Gnadenlehre des Augustinus beginnt. Cornelius Petrus Mayer gelingt es, nicht nur deren Genese aufzuzeigen, sondern exemplarisch auch deren Bedeutung für „jenen Gnadenstreit […], der eigentlich bis zur Gegenwart nicht zur Ruhe kam“ (S. 11). Mit dem zwischenzeitlich verstorbenen Otto Hermann Pesch untersucht ein Altmeister der Lutherforschung (dessen gleichzeitige Kenntnis des Thomas von Aquin nicht unerheblichen Anteil daran hat, dass er auch als ein Altmeister des Gnadentraktats gelten kann) das Verhältnis von Luther und Augustinus. Dabei ist nicht zuletzt auch der Ausblick auf das Konzil von Trient mit seinen wirkungsgeschichtlich folgenschweren Diskussionen und Festlegungen von größtem Interesse. Gleichsam reformationsgeschichtlich komplementär zu Peschs Beitrag ist jener von Karin Scheiber über Calvins Augustinusrezeption, wobei hier nicht zuletzt auch Calvins Versuch der Abgrenzung von den Katholiken eine Rolle spielt. Der Dresdener Theologe Karlheinz Ruhstorfer untersucht mit dem so genannten „Gnadenstreit“ innerhalb der katholischen Theologie „die Frage, wie mittelalterliche Theorien im Horizont der Neuzeit neu interpretiert werden können“ (S. 57). Ruhstorfers Beitrag erfüllt damit eine wichtige Funktion im vorliegenden Band, kann er doch die geistesgeschichtlichen – nicht nur theologischen – Implikationen der im „Jansenismus“ virulenten Fragen aufzeigen.

Dass und wie auch einzelne Denker in der Gnadenlehre im Laufe ihres Lebens Entwicklungen durchliefen, zeigt Giovanna D’Aniello am Beispiel des Francisco Suárez. Mit ihrem Beitrag wendet sich Diana Stanciu Cornelius Jansenius selbst zu, der dem Jansenismus unfreiwillig seinen Namen gab. Seiner Kritik des Aristotelismus, der lange nach Augustinus Teil des theologischen Denkens wurde, zollt sie besondere Aufmerksamkeit. Als Repräsentanten des „Golden Age of Biblical Scholarship in Louvain and Douai“ (S. 143) bezeichnet Wim François neben Jansenius William Hessels van Est (Guilielmus Estius) und Libertus Fromondus. Seiner vergleichende Studie ist es ebenso zu verdanken wie derjenigen von Michael Klaus Wernicke zu Christian De Wulf bzw. De Wolf (Christian Lupus) und Enrico Noris, dass das Denken des Jansenius ebenso wie die als „Jansenismus“ bezeichneten Strömungen in den allgemeinen zeitgenössischen Kontext eingeordnet werden, auch über die theologischen Fakultäten und kirchlichen Amtsstuben hinaus: So machte sich Noris, der mit den Jesuiten in Fragen der Gnadenlehre in Konflikt stand und von diesen verdächtigt wurde, Jansenist zu sein, gelegentlich „leise lächelnd über die Jesuiten lustig. In Venedig sah er während der Karnevalszeit zwei Schelmen zu, die, sich ein Rohrstock vors Auge haltend, als Astrologen auftraten und dazu ihre Witze rissen. Höhepunkt ihrer Darbietung war eine lateinische Rede über die Futura contingentia, einem [sic!] Herzstück der Concordia des Jesuiten Molina“ (S. 161).

Sylvio Hermann De Franceschi kommt das Verdienst zu, die Rolle des Thomismus für die Gnadenfrage herauszuarbeiten. Er macht ein komplexes Ringen um Orthodoxie im Spannungsfeld von Thomismus, Molinismus, Jansenismus und Calvinismus aus und nimmt damit neben den innerkatholischen, von den Orden der Jesuiten und Dominikaner repräsentierten Spannungen auch diejenigen trans- und interkonfessioneller Natur in den Blick. Es folgen drei Detailstudien zu einzelnen Aspekten der Entwicklungen im „Jansenisten“-Streit: Marcel Albert untersucht am Beispiel des Kölner Nuntius Fabio Chigi, in dessen Zuständigkeitsbereich auch Löwen fiel, den „Jansenismus als diplomatisches Problem“ (S. 193). Die diplomatischen Künste Chigis gingen zwar nicht mit einer ebenso ausgeprägten theologischen Bildung einher. Dass der als Nuntius durchaus um Ausgleich bemühte Chigi später aber als Papst Alexander VII. mit dem „Jansenismus“ befasst war, gibt Alberts ausführlichem und überaus gründlichem Beitrag (46 Seiten!) einen eigenen Akzent. Dominik Burkard stellt ein Memorandum der Pariser Augustinisten für Papst Innozenz X., Vorgänger Alexanders VII. und Autor der Bulle Cum occasione vor, von dem bislang nur seine Existenz bekannt war. Das Dokument ist im Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre erhalten. Es versteht sich fast von selbst, dass die umsichtige Analyse einer solchen Quelle zu den Highlights des vorliegenden Bandes zählt. Burkards Verweis auf die laufenden Forschungen Tanja Thanners stellen eine gelungene Verbindung zu deren Beitrag her: Sie widmet sich der Entstehungsgeschichte der Bulle Cum occasione aus der Sicht der als Augustiner-Eremiten durchaus interessegeleiteten Philippo Visconti und Caelestino Bruni und kann dabei ebenfalls auf das mittlerweile für Forschungszwecke geöffnete Archiv der Kongregation für die Glaubenslehre zurückgreifen.

Einen ganz anderen Aspekt beleuchtet Els Agten, wenn er der frömmigkeitsgeschichtlich bedeutsamen Frage nach dem Einfluss jansenistischer Kreise auf die Übersetzung der Bibel in die Volkssprache nachgeht. Nicole Reinhardts Beitrag gilt den Auseinandersetzungen um die Bestimmung eines Beichtvaters (bzw. dessen theologischer Position und damit kirchenpolitischer Verortung) für König Ludwig XV., in denen „Staatsräson“ und „raison de l’Eglise“ (S. 356) vermengt waren. Die Verbindung von Staats- und Kirchenfragen steht auch im Zentrum der Beiträge von Catherine Maire über die antijansenistische Bulle Unigenitus von 1713 sowie Jan Rogiers über Jansenismus und Antijansenismus als „politische Realitäten“ (S. 389) in verschiedenen Herrschaftsbereichen Europas. Hermann H. Schwedt richtet den Blick auf den Kölner Inquisitor Sebastian Kippenberg OP. Dieser wurde sozusagen Opfer einer durchaus komplexen theologischen Strategie seines Ordensmagisters Antonin Cloche OP. Er wollte „in Notwehr den Thomismus seines Ordens zu einer Orthodoxie führen“ (S. 432), die in ihrer Art der Ausrichtung an Thomas von Aquin bzw. dessen Interpretation und Weiterführung der Bedrohung „durch den offiziellen Antijansenismus“ (S. 433) standhielt. Schließlich stellt Volker Reinhardt angesichts ihrer Stringenz und Tragweite wohl doch etwas zu bescheiden als „knappe und fraglos auch sehr unvollständige Vorbemerkungen“ (S. 443) bezeichnete Thesen zum Verhältnis von Jansenismus und barockem Papsttum auf.

Beim „Jansenismus“ handelt es sich um ein komplexes Thema, das insbesondere einer umfassenden theologie- und religionsgeschichtlichen Einbettung bedarf. Der Band mit seinen reichhaltig dokumentierten Beiträgen von durchgehend hoher Qualität (und dem lobenswerten Register) kann als eine für weitere Forschungen unentbehrliche Gesamtdarstellung des „Jansenismus“ im Licht des gegenwärtigen Forschungsstandes betrachtet werden. Besonders hervorzuheben ist die interdisziplinäre und internationale Ausrichtung nicht nur des Gesamtbandes, sondern auch zahlreicher Einzelbeiträge, die von der gelungenen Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen einschlägigen Forschungsstätten insbesondere in Deutschland und Belgien zeugen. Lediglich die Anordnung der Beiträge erschließt sich in der Gesamtheit nicht auf den ersten Blick und hätte etwa durch Zusammenfügung zu Kapiteln oder einige entsprechende Bemerkungen in der Einleitung noch gewonnen.

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