E. Stein-Hölkeskamp: Das archaische Griechenland

Cover
Titel
Das archaische Griechenland. Die Stadt und das Meer


Autor(en)
Stein-Hölkeskamp, Elke
Reihe
Geschichte der Antike
Erschienen
München 2015: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
302 S., 26 Abb., 4 Karten
Preis
€ 16,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Uwe Herrmann, Institut für klassische Altertumskunde, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Bei dem hier zu besprechenden Buch handelt es sich um den ersten Band einer neuen sechsbändigen Reihe, die laut Verlag eine „Gesamtdarstellung der Antike“ bieten und deren Bände einen „einführenden Charakter“ aufweisen sollen. Elke Stein-Hölkeskamp, langjährig vertraut mit dem Gegenstand,1 widmet sich hierfür nun der archaischen Epoche Griechenlands, was sich nur begrüßen lässt. Denn obgleich es an dezidierten Einführungen für diesen Zeitraum nicht mangelt,2 so bleiben doch gerade die deutschsprachigen Arbeiten sehr überschaubar. Gegliedert in neun Kapitel, denen ein Vorwort voran- und ein Anhang nachgestellt sind, ist das Buch systematisch aufgebaut, wobei jedes Kapitel von mindestens einer Fallstudie ergänzt wird und mit einem Fazit endet. In einem Anhang finden sich neben den Endnoten mit den Quellenbelegen und einem kurzen Namens- und Ortsregister auch hilfreiche Hinweise zur jeweiligen Forschungssituation sowie eine selektive Literaturliste, die den Einstieg in eine intensivere Beschäftigung erleichtert.

In der Einleitung (S. 11–16) werden gleich eingangs methodische Überlegungen angestellt und der Aufbau des Buches erläutert. Stein-Hölkeskamp diskutiert dort das Problem der zeitlichen Eingrenzung und betont auch der Relevanz materieller Quellen. Ein besonderes Anliegen ist ihr dabei die Feststellung, dass es sich bei der Behandlung der archaischen Epoche sowohl von der „Vorstellung […] einer zielgerichteten Entwicklung“ (S. 12) als auch von der „irreführende[n] Linearität einer […] narrativen Meistererzählung“ (S. 13) zu lösen gelte. Und damit ist tatsächlich eine problematische Prämisse benannt, die zwar nur selten direkt expliziert wird, umso häufiger aber doch im Verborgenen wirkt.3

Gemäß den methodischen Überlegungen beginnt die Darstellung in Kapitel zwei (S. 17–51) mit der mykenischen Palastkultur. Wenn anschließend die sogenannten „Dunklen Jahrhunderte“ in den Blick kommen, wird ein zunächst „durchaus kontinuierliches Weiterleben“ (S. 32) bis etwa 1075 v.Chr. in einer „postpalatiale[n] Epoche“ beobachtet. Die Fallstudien zu Lefkandi und Nichoria blicken dann noch bis in die Mitte des achten Jahrhunderts hinaus, so dass ein lückenloser Übergang zu den homerischen Epen in Kapitel drei (S. 52–95) gegeben ist. Darin geht es nach einer Diskussion der Präliminarien – Alphabet, Genese der Texte, die Epen als historische Quelle – um die in ihnen gezeigte gesellschaftliche Ordnung, um dann zur politischen Ordnung zu kommen. Untersucht werden dazu vor allem der homerische Basileus und die politische Rolle der Volksversammlungen. Das Kapitel schließt mit einer Fallstudie zur Phaiakenpolis Scheria.

Kapitel vier (S. 96–121) handelt von der Kolonisation, wozu unter Feststellung des „teleologische[n] Charakters“ (S. 100) späterer literarischer Quellen vorrangig auf die Erkenntnisse der Archäologie rekurriert wird. So kann Stein-Hölkeskamp die Varianz dieser Unternehmungen veranschaulichen, sei es hinsichtlich der Anlässe und Motive, der Rekrutierung der Siedler, der Reaktionen der indigenen Bevölkerung, des Aufbaus und des Wachstums solcher Kolonien oder der späterhin bestehenden Beziehungen zur Metropole. Dass „die Gründung einer Kolonie […] als ein[] über Generationen reichende[r] Prozeß“ (S. 119) erscheint, zeigt sie dann anhand der Fallstudien zu den süditalischen Kolonien Metapont, Siris und Incoronata. In Kapitel fünf (S. 122–158) kommt Stein-Hölkeskamp zur „Welt der Polis“. Nach einer Darlegung der für griechische Poleis konstitutiven Topographie wird die Polis als Personenverband besonders hinsichtlich ihrer Untereinheiten, der Phylen und Phratrien, behandelt. Abschließend werden die für jede Polis konstitutiven Institutionen dargestellt: Ämter, Rat und Bürgerversammlung. Für deren komplexen, je unterschiedlich verlaufenden Entstehungsprozess konstatiert Stein-Hölkeskamp die Tendenz einer allmählichen Herausbildung von Kompetenzbereichen und Verfahrensformalisierungen. Mithilfe einer Fallstudie zu Dreros kann sie abschließend die wachsende Zuständigkeit der Volksversammlung für den Bereich der Gesetzgebung veranschaulichen.

Die vier letzten Kapitel sind einzelnen Personengruppen gewidmet, wobei Kapitel sechs (S. 159–185) zunächst auf die „Welt der Bauern“ eingeht. Hierin werden sowohl deren unterschiedliche Lebenssituationen, abhängig von der jeweiligen wirtschaftlichen Lage, umrissen als auch, in einer Fallstudie zum hesiodeischen Askra, das bäuerliche Arbeitsethos beleuchtet. Die Ausführungen schließen mit einer Schilderung der vielfältigen Umbrüche und Krisen, die gerade kleinere Bauern erfassten und die vielerorts zu starken sozialen Spannungen führten, was dann ein Blick auf das solonische Athen konkretisiert. Analog dazu erfolgt auch die Schilderung der Aristokraten in Kapitel sieben (S. 186–220). Der Fokus liegt dabei auf deren „Lebenswelt“, geprägt von prachtvoller Selbstrepräsentation. Detailreich geht Stein-Hölkeskamp auch auf das Symposion und die panhellenischen Spiele ein, ergänzt durch eine Fallstudie zu Olympia. Als folgenreiche Entwicklungen werden auch die häufig eskalierenden Rivalitäten innerhalb der Elite und die immer stärker bröckelnde Akzeptanz ihrer gesellschaftlichen Stellung hervorgehoben. Um einen Sonderfall der Aristokratie, die Tyrannis, geht es gesondert in Kapitel acht (S. 221–255). Mithilfe dreier Fallstudien zu Korinth, Samos und Athen werden darin „Gemeinsamkeiten und Grundmuster“ (S. 251) herausgearbeitet. Die Darstellung schließt dann mit der „Welt der Bürger“ in Kapitel neun (S. 256–275), wiederum anhand dreier Fallstudien zu Sikyon, Kyrene und Athen, in denen der Zusammenhang zwischen der „Neustrukturierung und Modernisierung der traditionellen Unterabteilungen der Bürgerschaften, vor allem der Phylen“ (S. 257), und einer sich verstärkenden „Politisierung der Bürgerschaft“ (S. 274) mit einem Institutionalisierungsschub aufgezeigt wird.

Somit und hinsichtlich der sauberen Produktion4 präsentiert die Arbeit die wichtigsten Aspekte dieser spannenden Zeit und dies auch in einer gut zu überblickenden Weise. Insbesondere hinsichtlich der Zielgruppe ist es nützlich, dass Stein-Hölkeskamp nicht nur immer wieder größere Zusammenhänge beleuchtet und den jeweiligen Kontext verdeutlicht, sondern auch einzelne Forschungskontroversen anschaulich darlegt und etwa auch Fachtermini umschreibt.5 Letztlich aber bleiben auch einige Punkte kritisch zu betrachten, angefangen bei der Methodendiskussion, deren Nutzen und generelle Notwendigkeit damit freilich nicht infrage gestellt sind. Irritierend ist es etwa, dass sich Stein-Hölkeskamp mehrfach ostentativ von als konventionell bezeichneten Ansätzen distanziert, damit aber eigentlich schon längst offene Türen einrennt.6 Dass sie durchaus berechtigte Caveats benennt, diese jedoch entweder ins Extrem treibt oder später nicht immer konsequent beachtet, ist hingegen eher verwirrend.7 Mit Blick auf die Zielgruppe allerdings wiegt es schwerer, dass die Handhabung materieller Quellen methodisch unbelichtet bleibt. Sicher, ein Bezug auf die Ergebnisse der Archäologie, um somit die literarische Tradition gleichsam zu erden, ist schon seit einiger Zeit Standard. Nur wäre es da auch nötig gewesen, ihre Methoden und das Zustandekommen ihrer Erkenntnisse darzustellen und zu diskutieren. Denn es ist nun einmal nicht so – dieser Eindruck kann gerade anfangs durchaus entstehen –, dass uns die Archäologie einen archimedischen Punkt böte. Ohne den Kontext, der sich vielfach nur anhand von Texten erhellen lässt, bleiben nun einmal auch die materiellen Relikte nur zu häufig stumm. Und dies gerade Laien offenzulegen, damit sie nicht hinter bestimmten Aussagen eine nur scheinbare Objektivität vermuten, ist somit dringend geboten. Bezüglich der Darstellung selbst finden sich einerseits, etwa zum Selbstverständnis der Aristokraten, zuweilen eher verklärende Ansichten,8 andererseits erscheinen bestimmte Ausführungen, insbesondere zur Tyrannis, unterkomplex.9 Und schließlich ist es für die Zielgruppe auch eher hinderlich, dass im Anhang keine Angaben zu geeigneten Ausgaben und Übersetzungen geboten werden, wo es doch das vorrangige Ziel einer solchen Darstellung sein sollte, Interessierten den direkten Weg zu den Quellen zu weisen.10

Anmerkungen:
1 Elke Stein-Hölkeskamp: Adelskultur und Polisgesellschaft. Studien zum griechischen Adel in archaischer und klassischer Zeit, Stuttgart 1989.
2 Oswyn Murray, Early Greece, 2. Aufl., Cambridge, MA 1993 (1. Aufl. London, 1980). In deutscher Übersetzung von Kai Brodersen, Das frühe Griechenland, München 1982); Jonathan M. Hall, A History of the Archaic Greek World, ca. 1200–479 B.C., 2. Aufl., Oxford 2014 (1. Aufl. 2007); Robin Osborne, Greece in the Making, 1200–479, 2. Aufl., London / New York 2009 (1. Auflage 1996); Karl-Wilhelm Welwei, Die griechische Frühzeit, 2000 bis 500 v.Chr., München 2002.
3 Ganz offen spricht Osborne, Greece, S. 3 davon, dass die „attraction of studying archaic Greece lies in its end, and we must be unashamedly teleological […].“
4 Aufgefallen sind allein zwei fehlende Kommata (S. 19: „Schliemann […] begann […][,] in Mykene zu graben.“; S. 249: „Hippias versuchte […][,] die Situation […] unter Kontrolle zu bringen […].“) und ein fehlender Genitivapostroph (S. 172: „Pausanias[´] allgemeine Beschreibung“). Grammatikalisch (und auch logisch) fraglich ist die mehrfache Verwendung des Komparativs „effektiver“ (S. 150, S. 174, S. 274). Laut Verlag sollte zudem jeder Band Zeittafeln aufweisen, was hier allerdings fehlt.
5 Dies treibt allerdings zum Teil seltsame Blüten, etwa wenn es heißt: „Manch ein griechischer Abenteurer mag den Reizen einer süditalischen Pocahontas erlegen sein.“ (S. 115)
6 So verwundert etwa die Vehemenz ihrer Feststellung, dass es für das Verständnis der Zusammenhänge hilfreich ist, die „Zeit der mykenischen Paläste, die submykenische Zeit und eben die Dunklen Jahrhunderte mitein[zu]beziehen“ (S. 12), womit sie die „Aufgabe des konventionellen Epochenbeginns im 8. Jahrhundert“ (S. 12) begründet. Denn alle in Anmerkung 1 erwähnten Darstellungen gehen in der Sache identisch vor. Auch mit ihrer Wahl einer systematischen Gliederung, der sie eine „nicht mehr angemessen[e]“ (S. 13) chronologische Darstellung, von der sie sich ja auch nicht vollkommen löst, gegenüberstellt, sowie die Betonung der Wichtigkeit der „materielle[n] Hinterlassenschaft“ (S. 15) bewegen sich ganz im Rahmen momentaner Konventionen.
7 Ihr Anspruch, auf „jegliche[] Art von Linearität oder gar Kausalität zu verzichten“ (S. 13), schießt über das Ziel hinaus. Denn gerade bei den diachron angelegten Fallstudien geht es doch zu Recht um das Aufdecken von Ursachen der jeweiligen Entwicklung. Andernorts wiederum scheint dieser Grundsatz missachtet. Wenn es etwa heißt: „Während die Prunkgefäße der mykenischen Zeit mit friedlichen Prozessions-, Opfer-, Jagd- und Spielszenen dekoriert waren, kommen auf den Vasen jetzt [i.e. submykenische Zeit] häufig Kämpfer und Krieger […] zur Darstellung – ein Befund, der ebenfalls auf die prekäre Stellung der Führer in einer Umwelt von Gefahr und Gewalt und den permanenten Wettstreit um Führerschaft und Vorrang verweist“ (S. 35), dann steht diese Aussage methodisch, angesichts der spärlichen Zeugnislage, nicht nur auf dünnem Eis, sondern darin zeigt sich auch eine Linearität hin zu den später behandelten homerischen Verhältnissen.
8 Wenn etwa bezüglich ihrer sportlichen Obsession gesagt wird, durch „ihre [körperliche] Schönheit und ihre Anmut unterschieden sie sichtbar und unübersehbar“ (S. 201), ist damit zwar die aristokratische Selbstsicht wiedergegeben. Die Darstellung sollte hier allerdings größere Distanz wahren. Denn ob ein Boxer tatsächlich durch seine Schönheit hervorstach, mag dahingestellt sein. Ebenso verhält es sich mit der Aussage, dass der Wettbewerb allein um symbolische Preise bei den panhellenischen Spielen „andere Völker irritierte, ja alarmierte“ (S. 202). Sie beruht einzig auf einer Passage Herodots, wo er die Verwunderung darüber einem Perser in den Mund legt.
9 Die Beispielauswahl, die nicht erläutert wird, hat hier einen einengenden Blick zur Folge. Unbeachtet bleiben Personen wie Pittakos – von Aristoteles später zwar als Aisymnet bezeichnet, von seinem Standes- und Zeitgenossen Alkaios allerdings als Tyrann beschimpft (Alk. 348 LP) – oder Solon, der sich vehement gegen die Bezeichnung „Tyrann“ zur Wehr setzte (Sol. 32 W). Eine Reflexion über das Wort „Tyrann“, das hier als Fremdzuschreibung für einen Standesgenossen, der sich im Konkurrenzkampf durchgesetzt hat, erscheint, wäre da dringend geboten gewesen. Allzu pauschale Äußerungen über die Tyrannen jedenfalls, wie: „ebensowenig […] übernahmen sie die Rolle von Gesetzgebern und Verfassungsstiftern, die zukunftsweisende Entwürfe zur umfassenden Neugestaltung ihrer jeweiligen Polis ins Werk gesetzt hätten“ (S. 253), stehen somit auf wackeligem Grund. Zumal sich da fragen lässt, wie dies zur Beschreibung der Phylenreform des Kleisthenes in Sikyon wenige Seiten später passt, die „eine einheitliche Neukonstituierung der gesamten Bürgerschaft“ (S. 260) und damit eine Begrenzung innerer Konflikte zum Ziel gehabt hätte. Schließlich wird beim Blick auf Mytilene und Pittakos dann auch die deklarierte Gemeinsamkeit, wonach für die Machtergreifung der Tyrannen „Gruppen adliger Verschwörer“ (S. 252) entscheidend gewesen seien, der Demos hingegen nicht, fraglich, war es doch hier der Demos, wie Alkaios verbittert feststellt, der Pittakos eingesetzt hatte (Alk. 348 LP).
10 Die gebotenen „Hinweise zu Quellen“ (S. 285) beschränken sich allein auf Inschriften.

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