P. F. Cuneo (Hrsg.): Animals and Early Modern Identity

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Titel
Animals and Early Modern Identity.


Herausgeber
Cuneo, Pia F.
Erschienen
Farnham 2014: Ashgate
Anzahl Seiten
426 S.
Preis
£ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Eva Wannenmacher, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Omnipräsenz von Tieren ist unübersehbar. In letzter Zeit scheint dies auch für die Kulturwissenschaften zu gelten, die das Tier und unser wechselvolles Verhältnis zu ihm als Forschungsgegenstand entdeckt haben: der Animal Turn ist in vollem Gange. Der von Pia F. Cuneo herausgegebene Sammelband wendet sich nicht allein dem Tier und seinem Wesen zu, sondern fragt nach dessen Bedeutung für die Identität des Menschen in der Frühen Neuzeit. Damit gerät diejenige Epoche in den Blick, für die bisher erst selten Fragen nach dem Tier oder Tier-Mensch-Verhältnissen gestellt wurden, weil die Antworten allzu klar und erwartbar schienen. Welch erstaunliche Varianz und Vielfalt solche Antworten gerade für die Renaissance und die Frühe Neuzeit aufweisen, demonstrierte bereits 2013 der Sammelband Ethical Perspectives on Animals in the Renaissance and Early Modern Period1. Im hier vorzustellenden Band geht es zumindest vordergründig nicht um ethische Fragen, sondern um die sehr modern anmutende Frage nach der anthropologischen Differenz – oder um mit der Herausgeberin zu sprechen: nach den „Boundaries of Identity“. Diese Grenzziehungen sollen, wie Pia F. Cuneo in ihrer informativen Einleitung skizziert, in den drei Teilen des Bandes verteidigt, angefochten und schließlich überschritten werden. Die Grenze zwischen Mensch und Tier war jedoch nie unangefochten, weder im Mittelalter noch in der Antike und auch nicht in der Renaissance, die die Apotheose des gebildeten Menschentums feierte. Die Kunsthistorikerin und die beteiligten Autoren überschreiten überdies die engen Grenzen ihres Fachgebiets und weiten die Perspektive über Bildkultur und Literatur hinaus auf Sportgeschichte, die Geschichte der höfischen Kultur und der herrschaftlichen Selbststilisierung aus, um eine angemessene Gesamtschau frühneuzeitlicher Identitäten und Identitätsgrenzen im Blick auf das Tier zu ermöglichen. Sie erfasst alle Lebensbereiche, in der diese Grenzziehungen ihren literarischen, künstlerischen oder – wenn dieses Wort für die Frühe Neuzeit erlaubt ist – publizistischen Ausdruck fanden.

Sehr plastisch beschreibt Alison G. Stewart im ersten Beitrag das Auftreten von Hunden und Schweinen in den Städten Europas im 16. Jahrhundert, die zum künstlerischen Motiv werden, wenn etwa der betrunkene und der Völlerei huldigende Mensch als Schwein dargestellt wird oder der Hund sich als Beispiel schlechten Benehmens dem Menschen beigesellt, sobald dieser sich durch sein maßloses, dem Schwein ähnliches Verhalten jeder Würde entkleidet. Die bildnerische Darstellung betrunkener Menschen als Schweine, oder umgeben von Hunden mit unaussprechlichem Verhalten, intendierte weniger eine Aussage über reale Hunde oder Schweine, sondern war Teil eines frühreformatorischen Bildungsprogramms und Aufruf zu einem moralischen Lebensstil. Die Tiere galten als Folie, von der der Mensch sich idealerweise positiv abhob. Susan Maxwell stellt Beispiele vor, in denen Tiere ihren Platz in Gemäldesammlungen fürstlicher Kunstkammern in München fanden. Die fürstlichen Sammler und Auftraggeber stehen dabei nicht nur in der Tradition herrschaftlicher Exotensammler – zu nennen wären hier bereits mittelalterliche Tiergeschenke und fürstliche Menagerien –; hinzu kommt vielmehr der schöpferische Aspekt: Der Herrscher ließ sich selbst zwar nicht als Schöpfer, aber als Beherrscher und Gestalter der nichtmenschlichen Schöpfung portraitieren. Als Ort außerhalb der königlichen Macht, den selbst der Sonnenkönig nicht durchdrang und an dem die finsteren, leidenschaftlichen und furchteinflößenden Züge symbolischer Tierdarstellungen herrschten, stellt Peter Sahlins das Versailler Labyrinth vor, dem die Voliere des Königs als friedlicher Ort gegenübergestellt wurde: Reale Tiere und Tierdarstellungen wurden hier gleichermaßen zum Symbol und künstlerisch-politischem Ausdrucksmittel. Mit Pferderennen als fürstlichem Luxus und der Pferdezucht als repräsentativem Hobby beschäftigen sich die Aufsätze von Miriam Hall Kirch, Magdalena Bayreuther und Peter Edwards. Von Grenzen kann hier nur noch in dem Sinn die Rede sein, wie die Beschäftigung mit Pferden als Kennzeichen einer adligen Gruppe nach außen getragen wurde: „It becometh a Prince better than any other man to be a fair and good horseman“ (Peter Edwards, S. 131). Die Tiere erschienen hier vollkommen verdinglicht und wären etwa durch Mineralien oder heute durch Sportwagen ersetzbar – ein Umstand, der merkwürdigerweise nicht thematisiert wird.

Mit Pferden, diesmal als Gegenstand menschlicher Zuneigung, beschäftigt sich die Herausgeberin im ersten Beitrag des zweiten Teils, „Contesting the Boundaries of Identity“, in dem sie einen Holzschnitt von Hans Baldung Grien analysiert und unter anderem den Aspekt der Kritik an Hexerei herausarbeitet. Pferde waren nicht nur repräsentatives Luxusgut, sondern konnten im Krieg – hier dem Niederländischen Unabhängigkeitskrieg – eine bedeutende Rolle spielen; die künstlerische Überhöhung dieser Funktion untersucht Ingrid Cartwright. Herrscher hielten oder benutzten Tiere jedoch nicht nur, sondern konnten sich sogar selbst als Tier stilisieren, wie Karen Raber am Beispiel Richards III. verdeutlicht. Er war angeblich mit unnatürlichen Merkmalen geboren worden und sah sich später selbst mit den körperlichen Merkmalen eines mächtigen Keilers ausgestattet: stark, fast unbesiegbar, mächtig, klug und jeder Wetterlage gewachsen. Tiere als Rohmaterial und als Gegenstand eines liturgischen Manuskripts des frühen 16. Jahrhunderts aus Nürnberg sind Ausgangspunkt der Überlegungen von Corine Schleif, die nach dem Leben der realen Tiere fragt und nach der Rolle, die sie im Leben und Denken der Menschen jener Zeit spielten, ein Leben, das ohne Tiere – zumindest aus Sicht der Menschen, die diese Tiere für ihre Zwecke nutzten – kaum vorstellbar gewesen wäre. Sandra Swart lässt den europäischen Kontext hinter sich und verbindet die Frage nach Mensch-Tier-Verhältnissen in Südafrika im 17. Jahrhundert mit der nach dem Wechselverhältnis von Kolonisatoren und Kolonisierten der menschlichen wie nichtmenschlichen Gesellschaft, wobei weder die Machtverhältnisse noch auch nur die Aufteilung der beteiligten Gruppen in moral agents und moral patients konstant blieben.

Im dritten Teil des Bandes fragt Abel A. Alves nach der Konstruktion der menschlichen Identität in Relation zu Tieren in frühneuzeitlichen Texten des spanischen Weltreiches und findet Antworten bei Martin de Porres, Dominikaner in Lima im 16./17. Jahrhundert. Martin de Porres, der als Mulatte und uneheliches Kind einer ehemaligen Sklavin keine Aufstiegschancen in der Gesellschaft seiner Zeit hatte, galt als Patron der sozialen Gerechtigkeit. Er soll als Heilkundiger seine Hilfe allen Bedürftigen gewährt haben, egal welcher Spezies sie angehörten. Sein Einfluss war so groß, dass seine Zeitgenossen immer wieder erstaunt berichteten, dass auch Tiere, die sonst Feinde waren, in seiner Gegenwart einander friedlich begegneten. Für Martin de Porres galten nicht nur die Unterschiede zwischen Ethnien nicht, auch die Grenzen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Lebewesen fielen in seiner Umgebung. Dies, so Alves, wirkte sich nicht nur auf die Empfänger dieser Hilfe aus, sondern auch auf den Helfenden und seine Umgebung, denn „one’s construction of identity through association with other animals may have yielded communitarian categories broader than those found in traditional early modern estates“ (S. 282). Exotische Tierdarstellungen in europäischen Bildern beschäftigen Larry Silver, wobei die Tiere hier Lehrmeister wie Forschungsgegenstand sein können, aber auch – ähnlich wie Menagerien lebender Tiere – repräsentative Funktion besaßen. Während sich Louisa Mackenzie und Elspeth Graham Seeungeheuern und gewöhnlichen Fischen und ihrer Lokalisation in der frühneuzeitlichen Kultur zuwenden, kehrt Juliana Schiesari im letzten Beitrag zu Pferden zurück, die im Idealbild der italienischen Renaissance eine so enge Verbindung mit dem Menschen eingingen, dass die Identitäten beider durch den jeweils anderen bedingt erschienen – der Grenzübertritt war vollzogen.

Wie kann dieser Band insgesamt angemessen beurteilt werden? Er ist sorgfältig aufgebaut, mit klarer Struktur und gründlichem Register. Die eingangs gestellte Frage nach der Bedeutung des Tiers für die Identität des Menschen hat viele Antworten erhalten. Wer jedoch nach der Wechselseitigkeit dieser Bedeutung fragt, könnte enttäuscht sein. So wie fast alle Protagonisten in den einzelnen Beiträgen nichtmenschliche Tiere zur Erweiterung und Modifizierung ihrer eigenen Identität verwendeten, ohne je zu versuchen, die Perspektive des Tiers einzunehmen, fehlt auch in den meisten Beiträgen dieser Aspekt völlig. Es ist immer der Mensch, der Grenzen überschreitet oder verteidigt. Von einer tierlichen agency ist nur selten die Rede. Wenn die Definition von Human-Animal-Studies erfordert2, dass sie sich mit dem wechselseitigen Verhältnis von Mensch und Tier beschäftigen und moral agency ebenso wie Speziezismus ansprechen, kann der vorliegende Band diesem Forschungsfeld nur bedingt zugerechnet werden. Bei einer offeneren Definition, die vor allem die wissenschaftliche Beschäftigung mit und kritische Reflexion von Mensch-Tier-Verhältnissen verlangt, wäre dies jedoch durchaus möglich. Der Animal Turn hat gerade erst begonnen.

Anmerkungen:
1 Cecilia Muratori, Burkhard Dohm (Hrsg.), Ethical Perspectives on Animals in the Renaissance and Early Modern Period, Florenz 2013, vgl. <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-21611> (14.08.2015)
2 Vgl. Margo de Mello, Animals and Society. An Introduction to Human-Animal Studies, New York, 2012, S. 4–10.

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