Cover
Titel
John Heartfield. Ein politisches Leben


Autor(en)
Coles, Anthony
Erschienen
Köln 2014: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
402 S., 505 SW-Abb.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mario Keßler, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

John Heartfield (1891–1968) erhob die Fotomontage zu einer eigenständigen Kunstgattung. Mehr noch: Seine Montagen, die sich auf zahllosen Buchdeckeln und Plakaten finden, sind auch ein wesentlicher Teil der Ikonographie der Weimarer Republik und bestimmen die bildliche Vorstellung von ihr bis heute mit. Nicht weniger einprägsam sind Heartfields Illustrationen vieler Veröffentlichungen des antifaschistischen Exils. Insbesondere die „Arbeiter-Illustrierte-Zeitung“ (AIZ), die auch nach 1933 in Prag eine wichtige Stimme des Anti-Hitler-Lagers war, ist ohne seine ausdrucksstarken Titelmotive nicht zu denken. Zuletzt hat Andrés Mario Zervigón mit einer fotografiegeschichtlichen Arbeit einen wichtigen Beitrag zu Heartfield vorgelegt.1 Als Standardbiographie gilt neben dem instruktiven Überblick von Michael Töteberg2 aber bis heute die von Heartfields Bruder Wieland Herzfelde (1896–1988) vorgelegte Darstellung.3 An eine neue biographische Forschungsarbeit knüpfen sich somit hohe Erwartungen, zumal der Autor des hier anzuzeigenden Werks, der britische Kunsthistoriker Anthony Coles, seit seiner Studentenzeit vor gut 40 Jahren an Heartfield interessiert ist, wie er schreibt.

Leider löst das Buch solche Erwartungen nicht ein, mehr noch: Es erfüllt kaum akademische Standards. Schon am Beginn gefällt sich Coles in Spekulationen darüber, „ob Heartfield eine homosexuelle Beziehung zu seinem jüngeren Bruder hatte – eine zumindest interessante Vermutung zu einem Mann, der dreimal verheiratet war (scheinbar ohne jemals offiziell geschieden worden zu sein) und zwei Kinder gezeugt hat“ (S. 9). Wissenschaft sieht anders aus.

In der Schilderung folgt Coles den zeitlichen Zäsuren der Biographie seines Protagonisten. Diese ist zunächst durch den Ersten Weltkrieg und Heartfields Kriegsgegnerschaft, schließlich durch seine Entlassung aus der kaiserlichen Armee geprägt. Coles ist zuzustimmen, wenn er als Entlassungsgrund keine simulierte Krankheit, sondern eine tatsächlich vorhandene Epilepsie angibt.

Den zentralen Platz nimmt Heartfields künstlerisches Wirken in der KPD der Weimarer Republik ein. Hier wie im Folgenden erzählt Coles, was auf den – leider oft sehr schlecht und zu klein reproduzierten – Bildern zu sehen ist, ohne über die Entstehungsbedingungen allzu viel mitzuteilen. Seine Informationen über die Finanzierung von Willi Münzenbergs zahlreichen Medienprojekten, an denen Heartfield entscheidend mitwirkte, sind bruchstückhaft und lassen keinerlei Wissen über die Forschung zu Münzenberg erkennen. (Auch über dessen Todesumstände, die aus gedruckten französischen Polizeiberichten inzwischen etwas genauer rekonstruiert werden können, erfährt man nichts außer Klischees.)

Die spärlichen Mitteilungen zur Kulturpolitik der KPD sind schlicht haltlos: Weder gehörte Ernst Niekisch, der SPD-Mitglied und später bei den „Altsozialisten“ war, der „Kulturkommission“ der Partei an, noch gab es überhaupt eine solche Kommission. Niekisch konnte also auch nicht im Namen der Partei in die Gestaltung der Revue „Trotz alledem!“, für die Heartfield das Bühnenbild geliefert hatte, eingreifen. Überdies wurde Erwin Piscators Aufführung 1925 im Großen Schauspielhaus in Berlin, für die sich die KPD-Politsekretärin Ruth Fischer eingesetzt hatte, in der kommunistischen Presse kontrovers diskutiert, ohne dass eine parteiamtliche Linie vorgegeben war (vgl. S. 134). Ähnliche Fehlinformationen setzen sich fort, bis hin zu „William Krivitsky“ (S. 310). Gemeint ist Walter Krivitzkij (alias Samuel Ginsberg), der Westeuropa-Resident des sowjetischen Militärgeheimdienstes.

Etwas substanzieller sind die Informationen zu Heartfields Exil, besonders in England (1938–1950); hier geben die von Coles genutzten britischen Geheimdienstakten wohl einiges her. Doch bleiben alle Angaben über Heartfields Umfeld wiederum im Ungefähren stecken. Die Arbeiten von Birgid Leske oder neuerdings von Charmian Brinson und Richard Dove zum Freien Deutschen Kulturbund sind nicht ausgewertet, und so entgehen dem Verfasser wichtige Informationen.4 Es trifft nämlich nicht zu, dass die Mehrzahl der Kulturbund-Angehörigen und insbesondere die Führungsfiguren aufgrund mangelnder englischer Sprachkenntnisse vom politischen Leben Großbritanniens isoliert gewesen wären: Alfred Meusel und Jürgen Kuczynski beispielsweise konnten hervorragend Englisch, und natürlich ebenso jüngere Kulturbund-Mitarbeiter wie Hans Mottek oder Heinz Kamnitzer. Dass noch 1939 der Kulturbund durch direkte Komintern-Gelder finanziert wurde, gehört ins Reich der Fabel. Nicht erwähnt werden die finanziellen Zuwendungen durch die Quäker. Auch Heartfields möglichen Beziehungen zur zweiten kulturpolitisch wichtigen Organisation der Exildeutschen, dem Club 43, wird nicht nachgegangen.

Die meisten Studien zu Heartfield betrachten dessen Leben in der DDR ab 1950 „eher oberflächlich“, schreibt Coles, und gesteht: „Auch das vorliegende Buch bildet da keine Ausnahme […].“ (S. 344) Dem ist unbedingt beizupflichten. Auf gerade einmal zwei Seiten werden die Probleme erwähnt, die sich dem „Westemigranten“ nach seiner Rückkehr stellten. Aber diese Probleme reichten, dies wird auch angedeutet, nur bis 1956. Danach erlebte Heartfield hohe Ehrungen in der DDR. Er wurde nicht nur Akademiemitglied und Professor, sondern auch Nationalpreisträger – Coles schreibt vom „sogenannten Nationalpreis der DDR II. Klasse“ (S. 344). Zudem wurden Heartfield Reisen nach Indien, China und England genehmigt und bezahlt, was Coles nicht erwähnt. Willkommener sei Wieland Herzfelde gewesen, denn: „Es gibt einige Hinweise, dass Wieland für die Komintern in Amerika spioniert hatte, was seine frühe Rehabilitierung erklären könnte.“ (S. 381, Anm. 664) Welcher Art diese „Hinweise“ sind, erfährt man nicht.

John Heartfields Bilder für das DDR-Theater werden in einem Satz abgetan. Die Aufarbeitung seiner künstlerischen Tätigkeit und die Bemühungen, der AIZ und Münzenberg zu einem gebührenden Platz in der Geschichtssicht der DDR zu verhelfen, kommen nicht vor. Die wichtige Frage, warum so wenige der älteren Künstler und Schriftsteller, die die Kultur der Weimarer Republik nachhaltig geprägt hatten, weder in Ost- noch in Westdeutschland nach 1945 an einstige Leistungen anknüpfen konnten, wäre am Beispiel Heartfields zu erörtern gewesen. War es der Kräfteverschleiß des Exils, war es die rigide Kulturpolitik im Osten oder die Enttäuschung über restaurative Tendenzen im Westen? War es von allem etwas? Hier wäre nachzubohren gewesen; eine weitere Chance, die der Autor vergeben hat.

Der Böhlau-Verlag, in dem das Buch erschienen ist, hat sich einen guten Ruf gerade auch durch politische Biographien erworben. Man muss jedoch festhalten, dass hier ein Manuskript die Verlagsprüfung passieren konnte, das den Kriterien der Wissenschaft nicht entspricht.5 Für 2016 ist eine englische Publikation der vorliegenden Schrift beim Verlag Sussex Academic Press angekündigt.6 Davon kann nur abgeraten werden, außer der Autor schriebe das Buch in weiten Teilen neu.

Anmerkungen:
1 Andrés Mario Zervigón, John Heartfield and the Agitated Image. Photography, Persuasion, and the Rise of Avant-Garde Photomontage, Chicago 2012. Coles zitiert den Titel nur unvollständig im Literaturverzeichnis. Etwa parallel mit Coles' Buch erschien: Sabine T. Kriebel, Revolutionary Beauty. The Radical Photomontages of John Heartfield, Berkeley 2014.
2 Michael Töteberg, John Heartfield in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1978 (mehrere Nachauflagen).
3 Wieland Herzfelde, John Heartfield. Leben und Werk. Dargestellt von seinem Bruder Wieland Herzfelde, Dresden 1962 (Neuausgabe 1971).
4 Birgid Leske, Das Ringen der Organisation der KPD in Großbritannien um die Verwirklichung der Einheits- und Volksfrontpolitik der KPD (1934 bis Mai 1945), phil. Diss. Berlin (Ost) 1983; Charmian Brinson / Richard Dove, Politics by Other Means. The Free German League of Culture in London 1939–1946, London 2010.
5 Für weitere kritische Anmerkungen und Hinweise auf Fehler siehe auch die Rezension von Bernd Braun, in: Archiv für Sozialgeschichte (online), 26.05.2015, <http://library.fes.de/pdf-files/afs/81643.pdf> (27.07.2015).
6 Vgl. die Ankündigung auf: <http://www.lehmanns.de/shop/kunst-musik-theater/32649998-9781845197629-john-heartfield> (27.07.2015).