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Titel
Paths Out of Dixie. The Democratization of Authoritarian Enclaves in America's Deep South, 1944-1972


Autor(en)
Mickey, Robert
Reihe
Princeton Studies in American Politics Historical, International, and Comparative Perspectives
Erschienen
Anzahl Seiten
584 S.
Preis
€ 33,49
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrick Stellbrink, Technische Universität Chemnitz

Nach dem Anschlag auf eine Kirche in Charleston am 17. Juni 2015 entspann sich eine Debatte angesichts des Hissens der „Dixie flag“ auf öffentlichen Gebäuden in South Carolina. Das Symbol der Südstaaten schlechthin erhitzt nach wie vor die Gemüter: Den Einen gilt sie zurecht als Verkörperung von Rassismus und Sklaverei, während andere sie verharmlosend als Allegorie auf die vermeintlich glorreiche Tradition und das ruhmreiche Erbe sehen, das die Staaten des Südens signifikant von denen des Nordens unterscheide. Dass die Ausgrenzung und Verfolgung von Gruppen ruhmreich sein soll, kann wenig Verständnis erheischen, gleichwohl ist die Sonderstellung des amerikanischen Südens kaum zu bestreiten. So ist die Literatur zu den amerikanischen Südstaaten im Vergleich zu anderen Regionen der Vereinigten Staaten von Amerika Legion. In den turbulenten und an Veränderungen reichen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Forschung im Nachgang der klassischen Studie von V. O. Key noch stärker ausdifferenziert.1 Angesichts der sozialen, ökonomischen und nicht zuletzt politischen Verschiebungen im Süden der Vereinigten Staaten ließ sich eine Gesellschaft im Wandel beobachten. Wesentliche Forschungsschwerpunkte waren der Übergang von einem Einparteien- zu einem Zweiparteiensystem, der Niedergang der Jim-Crow-Ära und der Abbau der Rassentrennung sowie die wirtschaftliche Umstrukturierung der Region.

Wenn vom Narrativ der ältesten Demokratie der Welt die Rede ist, fällt die jahrhundertelange Ausgrenzung und systematische Unterdrückung eines signifikanten Teils der Bevölkerung gerne unter den Tisch. Verfassung und Verfassungswirklichkeit klaffen über Jahrzehnte hinweg weit auseinander. „Paths out of Dixie“ verfolgt das Anliegen, diese Entwicklungen einer Neuinterpretation zu unterziehen. Robert Mickey versteht die Staaten des amerikanischen Südens als ehemalige autoritäre Inseln, die nicht nur Teil einer nationalen Demokratie waren, sondern durch die Mechanismen des Föderalismus über einen langen Zeitraum hinweg aufrechterhalten werden konnten. Galt doch der Süden als Bastion der Demokraten, auf dessen sichere Wahlmännerstimmen die Bundespartei zum einen nur ungern verzichten wollte und dessen Abgeordnete im Kongress zum anderen an einer Änderung des Status quo nicht interessiert waren. Diese Enklaven weißer Vorherrschaft bildeten für die konservativen Ableger der Demokraten ein Netzwerk zur Förderung ihrer eigenen politischen Karrieren und denen ihrer Klientel. Diese Mesalliance von einzelstaatlichem Autoritarismus und bundesstaatlicher Demokratie hielt bis in die Mitte des vorherigen Jahrhunderts. Die zeitliche Begrenzung der Studie ist gut gewählt: Ausgangspunkt für Mickey ist die 1944 vom Supreme Court verbotene Praxis in den Vorwahlen der Demokratischen Partei, bei denen allein Weiße zugelassen waren, als „the first major jolt to the southern body politic“ (S. 130); Endpunkt sind die bundesweiten Parteireformen der 1970er Jahre. Innerhalb dieses Zeitraums wurden die autoritären Bastionen des Südens durch Demokratisierungsprozesse sowohl von außen durch Akteure des Bundes und der Bundespartei der Demokraten als auch von innen durch Unruhen, Aufstände und innerparteiliche Konflikte geschliffen. Meilensteine auf dem Weg zur Gleichberechtigung, deren Wirkung Mickey ebenso analysiert wie die Reaktionen seitens der Südstaatendemokraten, sind ferner der Präsidialerlass von Harry S. Truman zur Aufhebung der Rassentrennung in den amerikanischen Streitkräften aus dem Jahr 1948, die berühmte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Brown vs. Board of Education aus den Jahren 1952 bis 1954, die Bürgerrechtsgesetzgebung Mitte der 1960er-Jahre sowie die Liberalisierung und Demokratisierung der Demokratischen Partei im Nachgang des Berichts der McGovern-Fraser-Kommission. Diese Ereignisse bilden in ihrer Gesamtheit die Nadelstiche im Fleisch autoritärer Herrschaft, was schließlich zu deren Niedergang führen sollte. Im Mittelpunkt der Analyse steht nicht die Gesamtheit der ehemals konföderierten Staaten, vielmehr sind es drei exemplarisch ausgewählte Staaten des tiefen Südens der USA, die mit Blick auf den Anteil der afroamerikanischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung, der arbeitsintensiven und landwirtschaftlich geprägten wirtschaftlichen Struktur, der hochgradig demobilisierten Wählerschaft und der Verbundenheit mit der Demokratischen Partei, sich nicht nur vom amerikanischen Durchschnitt abheben, sondern auch von allen anderen Staaten des Südens – Georgia, Mississippi und South Carolina.

Mickey schreibt weder eine politische Geschichte der Südstaaten oder der Bürgerrechtsbewegung noch eine Abhandlung über „race relations“ während der Zeit der Rassentrennung und hernach. Sein Fokus ruht nicht auf den bereits ausführlich beschriebenen sozialen Bewegungen, sondern ist ein politologischer. Er will klären, wie und mit welchem Erfolg die Regierungen und die Partei der Demokraten der Einzelstaaten auf den Demokratisierungsprozess reagierten. Inwieweit haben sie versucht, sich diesem Druck zu entziehen, welche Mechanismen haben sie in Gang gesetzt, um sich der Aufsicht des Bundes über den Abbau der Rassentrennung und Wahlrechtsbeschränkung zu entziehen? Lag ein erfolgreicher Widerstand überhaupt im Bereich des Möglichen oder handelte es sich um einen unaufhaltsamen Prozess, den man zwar in seiner Geschwindigkeit beeinflussen, dessen grundsätzliche Richtung man indes nicht ändern konnte? Dabei geht Mickey von der These aus, dass „elite cohesion, and the institutions of party and state that equipped and constrained these elites, help account for differences in modes of democratization“ (S. 6). Daraus ergeben sich unterschiedliche Pfade auf dem Weg zur Demokratie hinsichtlich des Grades der Gewalt, der Geschwindigkeit und der Art und Weise der Inkorporation der afroamerikanischen Bevölkerung in Partei und Staat sowie der Beziehungen zwischen der Demokratischen Partei auf Bundes- und Staatsebene. Mickey gelangt zu folgenden Ergebnissen: In South Carolina handele es sich um eine kontrollierte Demokratisierung. Die Verzögerung des Demokratisierungsprozesses aufgrund der Geschlossenheit der politischen Elite und deren effektiver Einsatz des Staatsapparates habe eine allmähliche Anpassung der Regierenden an die demokratischen Erfordernisse ermöglicht und eine gewaltsame Reaktion weitgehend verhindert. In Mississippi sei die Demokratisierung zwar ebenfalls verzögert gewesen, dafür umso heftiger und gewaltsamer verlaufen. Eine Kombination aus parteiinternen Konflikten und schwachen staatlichen Kräften sei mitverantwortlich für die Ausschreitungen an der Universität von Mississippi im Jahre 1962. Georgia sei hingegen zweigeteilt: Während der Norden – ähnlich wie South Carolina – sich kontrolliert demokratisierte, sei die Demokratisierung im Süden des Landes blutiger verlaufen. Der parteiinterne Konflikt verlief dabei nicht entlang der Scheidelinie Stadt-Land respektive ökonomischer Differenzen, sondern sei geografisch bedingt. Die Unterschiede in der Transition der Südstaaten zu demokratischen Gemeinwesen haben bis heute politische, soziale und ökonomische Folgen, getreu dem Motto von William Faulkner: “History is not was, it is.“

Der empirische Beitrag des Buches basiert auf einer umfassenden Verfügbarmachung und Aufarbeitung von Archivmaterial und Zeitungen, der verbunden mit Erkenntnissen aus dem Bereich von Southern Politics eine gänzlich neue Perspektive auf die Demokratisierung des amerikanischen Südens bietet. Darüber hinaus erweist sich das Buch aus politikwissenschaftlicher Sicht auch methodisch-konzeptuell als Glücksgriff, denn es bietet ein exzellentes Beispiel, wie man die Erforschung zum Systemwechsel nicht-souveräner Teilstaaten betreiben kann. Der Fokus der vergleichenden Politikwissenschaft, auch derjenigen in Deutschland, liegt nämlich noch allzu sehr auf dem Vergleich von Nationalstaaten im Demokratisierungsprozess, weniger auf dem von Bundesstaaten oder -ländern. Hiermit schließt Mickey an die Forschungen von Edward L. Gibson an, die er um eine Analyse regionaler Demokratisierung im amerikanischen Süden bereichert.2 Anhand der Analyse der Sichtweisen und Handlungen politischer Eliten des tiefen Südens wird deutlich, welche Hürden und Widerstände zu überwinden waren, um die Idee der Demokratie jenseits der Mason-Dixon-Linie zu verankern. Umso bedenklicher muss folglich die daran anschließende Kriminalisierung der schwarzen Bevölkerung stimmen, die eine neuerliche, wenngleich subtilere Form der Unterdrückung darstellt.3

Anmerkungen:
1 Valdimer O. Key, Southern Politics in State and Nation, Knoxville 1984 (1949); zum Forschungsstand: Robert P. Steed / Laurence W. Moreland (Hrsg.), Writing Southern Politics. Contemporary Interpretations and Future Directions, Lexington 2006.
2 Edward L. Gibson, Boundary Control. Subnational Authoritarianism in Federal Democracies, New York 2012.
3 Vgl. u.a. Alice Goffman, On the Run. Die Kriminalisierung der Armen in Amerika, München 2015.

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