Cover
Titel
historyblogosphere. Bloggen in den Geschichtswissenschaften


Herausgeber
Haber, Peter; Pfanzelter, Eva
Erschienen
München 2013: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
201 S.
Preis
€ 19,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Kraus, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Ehe im Oktober 2013 der Band über die „historyblogosphere“ erschien – gedruckt wie auch als Open-Access-Version1 –, hatte nur wenige Monate zuvor eine flapsig vorgetragene Bemerkung die Community der digitalen Geschichtswissenschaftlerinnen und Geschichtswissenschaftler zu zahlreichen Repliken herausgefordert. Ausgelöst hatte diese Welle der Empörung der Mittelalter- und Renaissance-Historiker Valentin Groebner auf der Tagung „Rezensieren – Kommentieren – Bloggen: Wie kommunizieren Geisteswissenschaftler in der digitalen Zukunft?“.2 Groebner liebt es zu provozieren. Es darf davon ausgegangen werden, dass seine Aussage, „Blogs vermitteln das Gefühl rastloser Masturbation“3, als eine Provokation gemeint war – als ein Stachel, um die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer aus der Reserve zu locken. Denn in der nur wenige Tage später zu einem Artikel für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ ausgearbeiteten Druckfassung sucht man jenen Stachel vergebens.4

Doch auch dieser Text war gespickt mit Vorwürfen gegen die digitale Geschichtswissenschaftskultur. Groebner eröffnete beispielsweise – wie auch im Vortrag selbst – direkt mit der These, das Netz sei eine „mythische Fabel, die so oft wiederholt worden ist, dass sie ihre eigene Wirklichkeit geschaffen“ habe. Sie docke an zahlreiche Vorläufer an. Dabei sei dieser „weiche warme Hippie-Kitsch [...] in den Netzutopien umso unübersehbarer, je enthusiastischer“ er vorgetragen werde. Letztlich stecke hinter all den selbstreferentiellen Netzartikeln nicht mehr als eine schnöde „Erlösungsprophetie“; man sehne sich nach Aufmerksamkeit von außen und erzeuge „Zugehörigkeitsfiktionen“. Alles laufe auf einen unbegrenzten Zwang zur Selbstdarstellung hinaus. Dabei sei das Netz lediglich für „Unfertiges (und für wolkige Utopien)“ geschaffen, denn „mit der Stabilisierung der dort produzierten Informationen, also mit konkreten Ergebnissen“, hapere es. Dafür greife die Fachwissenschaft dann doch auf gedruckte Informationsspeicher zurück, sprich auf Bücher, die sich als die wahren Stabilisatoren des Wissens gezeigt hätten.5 An der Art und Weise, wie Geschichte geschrieben wird, habe sich demnach trotz der ubiquitär geäußerten Heilsversprechen faktisch kaum etwas verändert.

Nun ließe sich mit Verweis auf die eingangs beschriebene Reaktion der „historyblogosphere“ auf die Masturbationsunterstellung sagen, dass Blogs offenbar gerade dabei sind, den eben nur scheinbar geschützten Raum einer Konferenz zu untergraben. Angesichts der bislang weit mehr als 23.000 Aufrufe des Videomitschnitts von Groebners Vortrag auf L.I.S.A., dem Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung, ist das nicht von der Hand zu weisen.6 Blogs können demnach auch eine Art Dokumentations-, wenn nicht gar Kontrollfunktion ausüben. Vielleicht spart mancher Referent in Zukunft eine Spitze aus?

Wie dem auch sei – selbst wenn die Beiträge des Bandes über die „historyblogosphere“, herausgegeben vom viel zu jung verstorbenen Peter Haber (1964–2013) und von Eva Pfanzelter, nicht auf die Provokationen Groebners antworten, so liefern diese doch den Hintergrund, vor dem das Buch als Bestandsanalyse aus dem Jahr 2013 gelesen werden muss. Inzwischen, keine zwei Jahre später, wirken die meisten Beiträge allerdings schon wie aus einer lang vergangenen Zeit – was weniger an den Aufsätzen selbst zu liegen scheint als am gewählten Publikationsmedium Buch. Denn Mareike Königs Vorstellung des deutschsprachigen Ablegers von „Hypotheses“ ein Jahr nach dessen Start wäre im Netz weit besser aufgehoben – mit einem jährlichen Update über die weitere Ausdifferenzierung und den Zuwachs, den das Portal erfährt: weniger Bestandsaufnahme als vielmehr Anzeige eines Entwicklungsverlaufs. Ähnlich verhält es sich mit Georgios Chatzoudis’ Vorstellung des 2010 gestarteten L.I.S.A.-Portals, das mit seinen aktuellen Nutzerzahlen den vom Autor bisweilen gewählten warnenden Duktus – die Geisteswissenschaften liefen bei „digitaler Abstinenz Gefahr, von der Entwicklung abgehängt zu werden, und [verpassten] dabei eine große Chance, die Veränderungen prägend und im eigenen Sinne mitzugestalten“ (S. 171) – fast obsolet werden lässt. Es ist gerade die funktionierende Alltagspraxis jener Portale, die Aussagen wie die von Eva Pfanzelter aus der Einleitung auf eine solide Basis stellen: „Festzuhalten ist allemal, dass das Internet auch die Historiographie und insbesondere die Wissenschaftskommunikation revolutioniert hat. Digitale Informations- und Kommunikationstechnologien haben die Forschungspraxis tiefgehend verändert und werden dies auch weiterhin tun.“ (S. 14)

Jene praxisorientierten Aspekte kommen im Band aber deutlich zu kurz – sie werden mehr postuliert als aufgezeigt.7 Am ehesten spricht dies noch Jan Hecker-Stampehl an. In seinem Beitrag über das „Bloggen in der Geschichtswissenschaft als Form des Wissenstransfers“ prophezeit jedoch auch er zunächst für die kommenden Jahre einen massiven Wandel der innerfachlichen wie auch der nach außen gerichteten Kommunikationskultur (S. 38, weitere Prognosen S. 41). Insbesondere für den Forschungstransfer hin zu einer breiteren Öffentlichkeit böten sich Blogs als die idealen Kanäle an.8 Und dies vor allem deshalb, weil sie das geschichtswissenschaftliche Arbeiten und dessen so komplexe Leitmuster wie historische Objektivität transparenter gestalten könnten: „Wir als Historikerinnen und Historiker haben hochgradig subjektiv geprägte Zugänge zu unseren Themen. Wir konstruieren unsere Themen und unsere Quellenkorpora und finden sie nicht fertig vor. Blogs legen diesen Umstand noch deutlicher frei und können so ein Bild davon zeichnen, wie geschichtswissenschaftliche Forschungspraxis funktioniert.“ (S. 40) Allerdings belässt auch Hecker-Stampehl es dabei, sich über den Möglichkeitsraum Blog auszulassen, über dessen mediale Angebote, die den Lesegewohnheiten von Nichtwissenschaftlern mehr entgegenkommen würden, und über die Möglichkeit zur Offenlegung der Arbeitsschritte, statt dies auch einmal konkret zu exemplifizieren.

Unstrittig dürfte sein, dass Blogs, wie es Pierre Mounier in „Die Werkstatt öffnen“ zeigt9, weit mehr als Bücher und Zeitschriftenbeiträge das „Sammelsurium“ (S. 53) des wissenschaftlichen Forschens präsentieren können – von bloßen Ankündigungen und Neuerscheinungen über Quellenexzerpte, Skizzen, Notizen und Kommentare bis hin zu echten Forschungsbeiträgen. Dieses Fragmentarische korrespondiere zugleich, wie Jan Hodel argumentiert, mit dem geschichtswissenschaftlichen Erkenntnisprozess. Denn letztlich seien unsere Quellen nichts anderes als überlieferte Fragmente der Vergangenheit: Jegliche Geschichte setze sich aus einer spezifischen Konstellation von „Akteuren, Ereignissen, Vorgängen, Zuständen“ zusammen, die die Perspektive der Erzählung präge. Insofern bleibe „jede Erkenntnis über die Vergangenheit und damit jede Geschichtsschreibung selbst ein Fragment, das auf das Ganze der nie vollumfänglich zu erfassenden Vergangenheit verweist“ (S. 65). Allerdings sieht der Geschichtsdidaktiker Hodel dann doch auch einen Makel des Fragmentarischen: In Weblogs lasse sich keine Geschichte erzählen, da das Fragmentarische stets ein offenes Ende habe (S. 72).

Aber ist das so? Und sind Weblogs tatsächlich eine Dokumentation von Schreibprozessen, wie es Julia Schreiner in „Neue (Auf)Schreibsysteme“ nahelegt (S. 92)? Sicherlich nicht in dem Sinne, wie Schreiner selbst bemerkt, dass Blogbeiträge ungefiltert in die digitale Welt gesandt würden. Auch sie werden vor ihrer Veröffentlichung „erst in einem privaten, abgeschlossenen (Daten-)Raum aufgesetzt, überdacht, umgearbeitet“. Dennoch geben sie – anders als dies in Aufsätzen für Fachzeitschriften möglich wäre – der „Kategorie des Vorläufigen“ Raum zur Entfaltung (S. 94). Ob sich das jedoch wirklich auf die Zeitlichkeit der Texte auswirkt, wie Schreiner suggeriert, oder ob damit nicht einfach „nur“ ein Spielfeld erschlossen wird, das nach eigenem Gusto genutzt werden kann, sei dahingestellt. Am Ende der Lektüre des Sammelbandes „historyblogosphere“ bleibt zu konstatieren: Je weniger hoch die Zukunftsprognosen über den Wandel des geschichtswissenschaftlichen Schreibens gehängt werden, der mit der zunehmenden Digitalisierung unserer Disziplin einhergehe, desto weniger Skepsis – wie in diesem Band durch Andreas Fahrmeir nüchtern formuliert – rufen solche Prognosen letztlich wohl hervor.

Anmerkungen:
1 Siehe <http://www.degruyter.com/viewbooktoc/product/216968> (05.07.2015). Korrespondierend zum Thema des Bandes durchliefen die Beiträge vor der endgültigen Veröffentlichung ein Open-Peer-Review-Verfahren. Inwieweit sich dieses Experiment bewährt hat, kann hier nicht diskutiert werden; bei der Lektüre des Bandes ist allerdings auffällig, dass es vor dem Druck kein ausreichendes Endlektorat mehr gegeben hat – etliche Beiträge enthalten eine Vielzahl an Schreibfehlern und falschen Verweisen etc.
2 Siehe die Tagungsankündigung unter <http://www.hsozkult.de/event/id/termine-20638> (05.07.2015).
3 Zunächst nur als Tweet dokumentiert unter <https://twitter.com/cogries/status/297326330708627456> (05.07.2015). Im Netz dazu Stellung bezogen haben beispielsweise Jan Hodel, Die Groebner-Kontroverse. Oder: Sinn und Unsinn von Wissenschaftsblogs, 11.02.2013, <http://weblog.hist.net/archives/6613> (05.07.2015); Klaus Graf, Vermitteln Blogs das Gefühl rastloser Masturbation? Eine Antwort auf Valentin Groebner, 07.02.2013, <http://redaktionsblog.hypotheses.org/951> (05.07.2015); Anton Tantner, Werdet BlogerInnen! Eine Replik auf Valentin Groebner, 07.02.2013, <http://www.merkur-zeitschrift.de/2013/02/werdet-bloggerinnen-eine-replik-auf-valentin-groebner/> (05.07.2015).
4 Valentin Groebner, Muss ich das lesen?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.02.2013, S. N5, <http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/wissenschaftliches-publizieren-muss-ich-das-lesen-12051418.html> (05.07.2015).
5 Etwas später hat Groebner noch einmal – wie könnte es anders sein – in essayistischer Buchform nachgelegt: Valentin Groebner, Wissenschaftssprache digital. Die Zukunft von gestern, Konstanz 2014. Siehe dazu die Rezension von Anton Tantner, in H-Soz-Kult, 01.07.2014, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-21975> (05.07.2015).
6 Videomitschnitt von Valentin Groebners Vortrag, <http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/muss_ich_das_lesen_wissenschaftliche_texte_mit_ablaufdatum?nav_id=4209> (05.07.2015).
7 Deutlich stärker in diese Richtung gehen die Aufsätze von Gabriele Lingelbach, Ein Motor der Geschichtswissenschaft? Zusammenhänge zwischen technologischer Entwicklung, Veränderungen des Arbeitsalltags von Historikern und fachlichem Wandel, in: zeitenblicke 10 (2011), Nr. 1, 09.08.2011, <http://www.zeitenblicke.de/2011/1/Lingelbach/index_html> (05.07.2015), oder von Armin Heinen, Mediaspektion der Historiographie. Zur Geschichte der Geschichtswissenschaft aus medien- und technikgeschichtlicher Perspektive, in: zeitenblicke 10 (2011), Nr. 1, 09.08.2011, <http://www.zeitenblicke.de/2011/1/Heinen/index_html> (05.07.2015).
8 Dies betont auch Anton Tantner in seinem Beitrag und ergänzt, ein solcher Anspruch sei angesichts der Finanzierung von Wissenschaft durch öffentliche Gelder nicht nur legitim, sondern geradezu geboten (S. 77).
9 Dieser ursprünglich französische Beitrag war im Wesentlichen schon zuvor in deutscher Übersetzung erschienen: Pierre Mounier, Die Werkstatt des Historikers öffnen: Soziale Medien und Wissenschaftsblogs, 04.11.2011, <http://dhdhi.hypotheses.org/591> (05.07.2015).

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