Cover
Titel
An Exiled Generation. German and Hungarian Refugees of Revolution, 1848–1871


Autor(en)
Tóth, Heléna
Erschienen
Anzahl Seiten
295 S.
Preis
€ 83,49
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans Peter Müller, Schwäbisch-Hall

Die ambitionierte und überaus material- und facettenreiche Studie präsentiert auch dem Fachmann eine höchst komplexe Lektüre. Tóths Forschungsfeld stellen die Revolutionsflüchtlinge aus Baden und Württemberg (nicht aus Gesamtdeutschland, wie der Titel vermuten lässt) sowie aus dem ungarischen Teil der Habsburgermonarchie und deren Zielländer Schweiz, England, USA und dem Osmanischen Reich dar. Untersucht wird ein breites soziales Spektrum – die Eliten ebenso wie die ‚kleinen Leute’, deren Selbstverständnis, Leben und Wirken im Exil und die familiären Auswirkungen. Als weitere Problemfelder werden die sich erst entwickelnde Exilpraxis der unvorbereiteten Asylländer, deren Auseinandersetzungen mit den Herkunftsstaaten und schließlich das Amnestieverhalten der Heimatländer betrachtet.

Im ersten Kapitel („Leaving“) zeigt Tóth, dass vom Frühling 1848 bis zum Herbst 1849 Tausende ihre Heimat in mehreren Wellen verließen – ein bis dahin einmaliges Geschehen. Im Juli 1849 wurden über 10 000 deutsche Flüchtlinge in der Schweiz, im September des Jahres mehr als 5 000 ungarische Armeeangehörige im Grenzgebiet zum Osmanischen Reich gezählt. Nachdem schon 1848 gescheiterte deutsche Republikaner um Hecker und Struve in die Schweiz gingen, setzte nach der Auflösung des Stuttgarter ‚Rumpfparlaments’ und der Niederschlagung des badischen Aufstandes der eigentliche deutsche Massenexodus ein. Dieser bestand zum kleinen Teil aus Parlamentariern, Journalisten und Intellektuellen; die große Mehrheit bildeten badische Bürgerwehrmänner und ihre auswärtigen Unterstützer. Dies mündete in ein immenses Problem, war doch die größte Zahl der Ankömmlinge auf finanzielle Hilfe angewiesen. Tóth konstatiert einleuchtend, die Alpenrepublik “was both unable and unwilling to fully absorb the newcomers“ (S. 29). Nachdem Schweizer Versuche scheiterten, namentlich Baden und Württemberg zur Amnestierung und Rücknahme ihrer Staatsangehörigen zu bewegen, sah man sich seit 1850 gezwungen, alle jene auszuweisen, die keine exponierte Rolle gespielt hatten. Demzufolge lebten 1852 nur noch 192 deutsche 1848er im Land (S. 33). Einige der Ausgewiesenen kehrten nicht heim, sondern entschlossen sich zur Weiterreise nach England oder den USA.

Die hoffnungslose Situation der ungarischen Freiheitskämpfer bewegte diese zum Überschreiten der Donaugrenze. Sie wurden von den Türken entwaffnet und interniert. Österreichische Bemühungen um ihre Rückkehr veranlassten bereits im Oktober 1849 über 3000 Desillusionierte zu diesem Schritt; anschließend hatten sich Offiziere einer Untersuchungskommission zu stellen. Der unbeugsame Rest zerstreute sich: Kossuth und seine Getreuen bezogen ein neues Exil fern der Heimat, im Land gebliebene Offiziere traten in die osmanische Armee ein und dienten in Syrien, wieder andere blieben oder petitionierten für eine Rückkehrerlaubnis beziehungsweise zogen nach Westeuropa oder in die USA.

Die Betrachtung zahlreicher Einzelfälle beleuchtet auch der Komplex der mehr oder weniger freiwilligen Verbannung inhaftierter Revolutionäre, d.h. deren zum Teil finanziell unterstützter Auswanderung zumeist in die USA. Vor dem Hintergrund der absehbar jahrelang überfüllten Gefängnisse und überlasteter Gerichte wurde diese – letztlich kostensparende – Praxis insbesondere in Baden, weniger in Württemberg und kaum in Österreich zum Element staatlicher Politik und so zu einem weiteren Teilaspekt des politischen Exils.
Ein weiterer – kurioser – Aspekt waren Exilanten aus der süddeutschen Grenzregion, die einen nahen Schweizer Exilort wählten. Von dort konnten sie dank laxer Grenzkontrollen regelmäßig die Heimat aufsuchen und so ihre Familienbande beibehalten.

Das zweite Kapitel behandelt zunächst die Lobby-Rolle der Ehefrauen und sonstiger Angehöriger. Als Petenten argumentierten sie insbesondere für die Zusammenführung mit den Ernährern. Die anschließende Betrachtung der Familien im Exil macht deutlich, dass hier die Ehefrauen vielfach stabilisierend wirkten, etwa durch die moralische Unterstützung der politischen Freunde ihrer Ehemänner. Unter der Kapitelüberschrift „Exile as a profession, professions in exile“ wird die Bestreitung des Lebensunterhalts der Exilanten betrachtet. Dabei gelang es einigen Prominenten – Kossuth war das Paradebeispiel –, sozusagen als Berufsrevolutionäre zu überleben, da besonders in England und den USA zunächst ein lebhaftes Interesse an entsprechenden Erinnerungen, Zeitungsartikeln oder Vorträgen bestand. In bürgerlichen Berufen fanden namentlich Ärzte gute Chancen – die Ungarn zumeist im Osmanischen Reich, die Deutschen sowohl in der Schweiz als auch in den angelsächsischen Ländern, wo bereits anwesende deutsche Einwanderer eine zusätzliche Klientel darstellten. Vormaligen Offizieren aus Ungarn bot sich, sofern sie zum Religionswechsel bereit waren, wie erwähnt die Möglichkeit zur Fortsetzung ihrer Laufbahn. Deutsche Offiziere wurden in den USA zwar als Theoretiker geschätzt, die Fortsetzung der militärischen Karriere war jedoch zumeist – Ausnahme war der Bürgerkrieg – keine wirkliche Option.

Die im vierten Kapitel untersuchten unterschiedlichen Netzwerke - betrachtet werden Bern und Genf, Istanbul, London sowie New York und Boston - bildeten das eigentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen Exilanten und bereits Anwesenden. In Bern fanden etwa die deutschen Revolutionäre durch den einflussreichen deutschstämmigen Mediziner Philipp Friedrich Wilhelm Vogt vielfältige Unterstützung. Dies galt insbesondere für die Elite der Neuankömmlinge, den vormaligen Mitgliedern des ‚Rumpfparlaments’. Deren erste Plattform bildete ein Zentralkomitee zur Flüchtlingsunterstützung, das für die Verteilung der aus ganz Deutschland einlaufenden Spenden sorgte. Auf Schweizer Wunsch fungierte Vogt hier als Galionsfigur. Verschiedene, sich jedoch überlappende und oft informelle politische Gruppen – Anarchisten, Republikaner beziehungsweise Demokraten, Sozialisten – trafen sich an unterschiedlichen Orten – und interessierten natürlich auch Polizeispitzel. Neben politischen Diskussionen traf man sich auch zu Ausflügen, mitunter auch mit Besuchern aus der Heimat.

England mit seiner liberalen Einwanderungspolitik ließ namentlich London zur europäischen Hauptstadt der Emigranten werden. Die aus Deutschland kommenden 1848er fanden eine bereits bestehende Infrastruktur vor – ein deutsches Hospital, eine deutsche Zeitung, verschiedene, zum Teil beruflich oder regional orientierte Vereine. Demgegenüber entstand erst 1850 eine ungarische Hilfsorganisation. Das europäische demokratische Zentralkomitee, dem unter anderem Arnold Ruge angehörte, war ambitioniert, blieb jedoch letztlich wirkungslos. Während die Hochzeit der Hilfsorganisation bereits 1852 endete, bestanden auch weiterhin informelle und multinationale Netzwerke. Anlaufstellen waren etwa deutsche Gasthäuser oder Geschäfte.

New York und Boston waren schon vor 1848 Ziele einer europäischen Masseneinwanderung. Die Einreise von Revolutionären erfolgte zum Teil nach europäischen Zwischenstationen, wo man vergeblich auf die erhoffte zweite Revolution gewartet hatte. Die deutsche Kolonie erfuhr nun „new dynamics“ (S. 206), ablesbar in einem starken Anstieg deutscher Publikationen, ein Sektor, in dem die Mehrzahl der 1848er tätig wurde, in einer Erweiterung des Vereinslebens oder etwa in Gastbetrieben mit politischem Anspruch. Die ersten Ungarn waren zunächst auf sich gestellt, nach Kossuths USA-Aufenthalt 1851/52 fanden sie jedoch Unterstützer: Frauen aus der Bostoner Oberschicht entdeckten in ihrer anhaltenden materiellen und ideellen Unterstützung eine Möglichkeit öffentlichen Wirkens.

In ihrem letzten Kapitel („Returning“) behandelt Tóth einen von Herbst 1849 bis in die kommenden Jahrzehnte reichenden Prozess. Basis der Rückkehr waren unterschiedliche Amnestie-Regelungen, denen zumeist Petitionen vorangingen; positive Bescheide stärkten die monarchische Stellung und bewirkten zugleich eine soziale Befriedung. Die Praxis in Österreich und in Baden (Teilamnestie 1857) erfolgte zumeist anlässlich monarchisch geprägter Ereignisse, während sich in Württemberg der König die letzte Entscheidung vorbehielt. Seit Beginn der 1860er-Jahre begann im deutschen Südwesten eine mildere Haltung, die schließlich zur Generalamnestie führte, die für die Ungarn im „Ausgleich“ von 1867 enthalten war. Nunmehr war keine Entschuldigung für früheres Handeln mehr erforderlich – ein Faktor, der die Heimkehr erleichterte. Wer diese dennoch verweigerte, verkörperte letztlich „the living conscience“ der Revolution (S. 249). Dafür stand der idolisierte Kossuth, sein Gegenpart war der 1857 zurückgekehrte Graf Andrassy, der später in höchste Ämter aufstieg.

Die Arbeit von Tóth veranschaulicht überzeugend die vielen Gesichter und die enorme Bandbreite des schwer definierbaren Themas politisches Exil. Zu Recht spricht sie von einem „pan-European phenomenon with a global dimension that made an impact on a large section of the population“ (S. 5) und, so ließe sich ergänzen, mit in die Zukunft reichenden Auswirkungen.