: Learning to Die in London, 1380–1540. . Philadelphia 2015 : University of Pennsylvania Press, ISBN 978-0-8122-4669-8 336 S. $ 65.00

: Musik und Tod im Mittelalter. Imaginationsräume der Transzendenz. Göttingen 2010 : Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN 978-3-525-56800-2 431 S. € 79,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manuel Kamenzin, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität-Heidelberg

Das weite Themenfeld „Tod und Sterben im Mittelalter“ genießt nach wie vor großes Interesse in der Forschung. Dies schlägt sich auch in der anhaltenden Publikation von Monographien nieder. Als aktuelle Beispiele, die zugleich die Bandbreite der Forschungen veranschaulichen, seien die Studie von Kathrin Pajcic zu spätmittelalterlichen Frauentestamenten aus Lüneburg, Hamburg und Wien, Ashby Kinchs vielbeachtete Arbeit zur bildlichen Darstellung des Todes und Romedio Schmitz-Essers kulturgeschichtliche Aufarbeitung des Leichnams im Mittelalter genannt.1 Trotz der zahlreichen Arbeiten werden mit den hier anzuzeigenden Bänden zwei Bereiche jeweils erstmals im Rahmen einer Monographie behandelt: die Verbindung von Musik und Tod im Mittelalter und die englischen Ars moriendi-Schriften des 15. und 16. Jahrhunderts.

Mit ihrer nun im Druck vorliegenden Habilitationsschrift hat Therese Bruggisser-Lanker nicht nur die erste Monographie zum Zusammenhang von „Musik und Tod im Mittelalter“ verfasst, sondern sich auch einem Gegenstand gewidmet, der auch im Rahmen von Aufsätzen bislang kaum bearbeitet wurde. Anders als der Titel vermuten lässt, liegt allerdings keine Überblicksdarstellung vor; stattdessen werden Beobachtungen zu vier „Teilaspekten“ (S. 7) mitgeteilt: Die „Zeit um 1000“ (S. 35–121), das Media vita in morte sumus als „Memento-mori-Lied“ (S. 123–198), Gesänge zur Zeit der Pest (S. 199–269) und Überlegungen zum Schwanengesang (S. 271–354). Mit diesem Vorgehen soll exemplarisch das Verhältnis von Musik und Tod beleuchtet werden (S. 7).

Im ersten Kapitel führt Bruggisser-Lanker zunächst anhand des Evangelistars der Uta von Niedermünster (,Uta-Codex‘/11. Jh.) in das „Phänomen der Konsonanzen und de[r] damit korrelierten Zahlenverhältnisse [als] universelles Ordnungsprinzip“ (S. 63) ein und zeigt damit auf, wie sich Musikalisches in Buchmalereien finden lässt. Es folgen Einordnungen in die mittelalterliche Musiktheorie, in Endzeit-Vorstellungen um 1000 und in die Verquickungen von Liturgie, Memoria und Tod, die schließlich in epochenübergreifenden Überlegungen zu „Kunst im Schatten des Todes“ (S. 110–121) kulminieren.

Das zweite Kapitel widmet sich dem Motiv des Media vita in morte sumus und verfolgt es ausgehend von der Narratio de morte Ottonis IV imperatoris (S. 123–132) über andere Bereiche wie beispielsweise liturgische Bezüge (S. 150–159) bis hin zur Rolle in den spätmittelalterlichen Sterbebüchlein (S. 188–198). Unter dem Titel „Gesänge im Angesicht des Schwarzen Todes“ folgen im dritten Kapitel zunächst eine Aufarbeitung zweier Werke des französischen Dichters und Komponisten Guillaume de Machaut (Le Jugement dou Roy de Navarre; Motette 21) (S. 204–221) und einige kurze Bemerkungen zu den Liedern der italienischen Bruderschaften der Disciplinati (S. 221–225). Der Hauptteil des Kapitels befasst sich in drei großen Teilabschnitten mit den Liedern der Geißler (insgesamt S. 225–255), bevor das Kapitel resümierend zusammengeführt wird (S. 255–269).

Im vierten und letzten inhaltlichen Kapitel wird schließlich das Motiv des Schwanengesanges als letztes Lied vor dem Tod, zunächst bei Konrad von Megenberg und Konrad von Würzburg (S. 271–277), darauffolgend in Platons Phaidon (S. 277–284), verbunden mit den Vorstellungen von Apollon und dem Schwan (S. 284–308) von Spätantike bis Spätmittelalter betrachtet. Anschließend geht Bruggisser-Lanker auf einen frühmittelalterlichen Schwanengesang (Planctus cigni) und eine in den hochmittelalterlichen Carmina Burana enthaltene Schwanengesang-Parodie ein, ehe der „Schwanen- und Orpheus-Mythos in der mittelalterlichen Allegorese“ (S. 321–332) in den Fokus rückt. Es folgt ein Ausblick unter dem Titel „Die Nobilitierung der Musica poetica“ (S. 333–354). Die Monographie wird abgeschlossen mit einem zweigeteilten Epilog: „Musik als Weltkonzept zwischen Zeit, Schönheit und Vergänglichkeit“ (S. 355–373) und „Musik als Bewegung zwischen Leben, Sterben und Erlösung“ (S. 373–394).

Es wird ein breites Tableau geboten. Bruggisser-Lanker zeigt mehrfach Verbindungen zwischen Musik und Tod auf, die nicht ohne weiteres erwartet oder vorausgesetzt werden können. Die Ausführungen zum Motiv des Media vita bieten die ausführlichste Darstellung dieser immer wieder herangezogenen Worte seit dem maßgeblichen Artikel im Verfasserlexikon.2 Leider zeigt sich die Breite des Themas auch teilweise an der Tiefe der Darstellung: Mehrfach bewegt sich die Arbeit auch für das Jahr 2008 (als Datum der Abfassung; ob eine Überarbeitung zur Drucklegung erfolgte, wird nicht angeführt) nicht auf der Höhe der Forschung. So wird beispielsweise die mittlerweile ausführliche Diskussion über die ,Endzeitstimmung‘ um die erste Jahrtausendwende auf verkürzter Literaturbasis wiedergegeben.3 Zudem vermisst man hier den Hinweis, dass auch andere Jahreszahlen – etwa 15004 – ebenfalls apokalyptisch aufgeladen wurden. Ein weiteres Beispiel ist die Behandlung der Narratio de morte Ottonis IV imperatoris; hier wurden die beiden einschlägigen Aufsätze von Claudia Lydorf nicht beachtet.5

Für den Zeitraum vom 10. bis zum beginnenden 16. Jahrhundert stellt Therese Bruggisser-Lanker anhand von vier Themenbereichen das Thema „Musik und Tod“ exemplarisch vor. Die angeführten Monita schmälern dabei den Wert des Bandes nur wenig, es handelt sich um die erste Anlaufstelle zum Thema. Es bleibt zu hoffen, dass hierdurch weitere Forschungen angeregt werden und auch die weiterhin fehlende Überblicksdarstellung noch folgt.

Die Autorin des zweiten hier anzuzeigenden Bandes, Amy Appleford, befasst sich bereits seit geraumer Zeit mit spätmittelalterlichen englischen Ars moriendi-Schriften. In der Druckfassung ihrer Dissertation behandelt sie eine Reihe solcher Texte, um auf dieser Grundlage die Sterbekultur im London des 15. und 16. Jahrhunderts zu untersuchen. Als Artes moriendi versteht sie dabei „texts that offer or depict a way of dying well“ (S. 4). Es wurden dabei Texte ausgewählt, die nachweislich im Untersuchungszeitraum in London zirkulierten. Diese werden in chronologischer Reihenfolge hinsichtlich ihrer Verbreitung in London untersucht und kontextualisiert, um Veränderungen in den Vorstellungen eines ,guten Todes‘ nachzuspüren.

So folgt Appleford im ersten Kapitel hauptsächlich dem Text des Fürbittgebets Visitation of the Sick (S. 18–54), während im zweiten Kapitel die Bemühungen des Londoner Klerikers John Carpenter, ein Bild der Stadt als „mortality community“ (S. 7) zu schaffen, vorgestellt werden (S. 55–97). Im dritten Kapitel wiederum werden zwei Gruppen von Schriften aus der Mitte des 15. Jahrhunderts behandelt, die beide auf einem einschlägigen Kapitel von Heinrichs Seuses Horologium sapientiae beruhen (S. 98–136). Mit einer Hinwendung zu dem Book of the Craft of Dying erfolgt im vierten Kapitel eine Verschiebung des Fokus auf das Ende des 15. Jahrhunderts (S. 137–180), wohingegen im fünften Kapitel schließlich eine Reihe von Schriften aus den 1530er-Jahren (S. 181–216) bearbeitet werden. Argumentation und Darstellung bleiben trotz der immer wieder erfolgenden Wechsel von Quellengrundlage und Methoden schlüssig und nachvollziehbar. Durch eine enge Verknüpfung von werkübergreifenden Analysen, Kontextualisierung und kodikologischen Untersuchungen gelingt es Appleford, die „death culture“ Londons nachzuzeichnen.

Ein Augenmerk legt Appleford dabei auf die Rolle von Laien am Sterbebett, besonders auf die Laikalisierung der Sterbebegleitung. Detailliert wird, etwa an den verschiedenen Bearbeitungen der Visitation of the Sick (besonders S. 43–54), eine Entwicklung geschildert, weg vom obligatorischen priesterlichen Sterbebeistand, hin zu einem ,guten Tod‘, der auch ohne priesterlichen Beistand oder Sakramente möglich sei (S. 151). Diesen Prozess macht Appleford auch anhand der Unterschiede zwischen älteren und neueren Texten deutlich und bringt ihn mit innerstädtischen Entwicklungen wie der Stiftung des Whittington Almshouse, das Armen ein christliches Begräbnis ermöglichen sollte, in Verbindung.

Auch Amy Appleford betritt Neuland. Der von ihr betrachtete Zusammenhang wurde bislang nicht monographisch aufgearbeitet, auch liegen die bisherigen Werke zur Ars moriendi-Tradition in England bereits etwas zurück.6 Gerade deshalb wäre ein detaillierter Forschungsüberblick mit Einordnung der eigenen Position wünschenswert gewesen. Doch auch ohne einen solchen bleibt „Learning to Die in London“ eine Bereicherung für den Blick auf die englischen Sterbe-Traktate und das London des 15. und 16. Jahrhunderts.

Die beiden hier angezeigten Bände zeigen, dass dem Thema „Tod und Sterben im Mittelalter“ auch nach langen Jahren intensiver Forschung noch neue Facetten abzugewinnen sind. Sie bereichern nicht nur die bereits vorhandene umfangreiche Forschungsliteratur, sondern eröffnen ihrerseits neue Anknüpfungsmöglichkeiten.

Anmerkungen:
1 Kathrin Pajcic, Frauenstimmen in der spätmittelalterlichen Stadt? Testamente von Frauen aus Lüneburg, Hamburg und Wien als soziale Kommunikation, Würzburg 2013; Ashby Kinch, Imago mortis. Mediating Images of Death in late medieval Culture, Leiden 2013; Romedio Schmitz-Esser, Der Leichnam im Mittelalter. Einbalsamierung, Verbrennung und die kulturelle Konstruktion des toten Körpers, Ostfildern 2014. Vgl. hierzu die Rezension von Jörg Rogge, in: H-Soz-Kult, 11.02.2015, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-23178> (01.07.2015).
2 Walther Lipphardt, Art. „Media vita in morte sumus“, in: Kurt Ruth u.a. (Hrsg.), Die Deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, Bd. 6, Berlin 1987, Sp. 271–275. Ergänzungen: Bd. 11, Berlin 2004, Sp. 982.
3 Keine der kritischen Studien hierzu kommt dabei zu Wort, wie etwa Stephan Freund, Das Jahr 1000. Ende der Welt oder Beginn eines neuen Zeitalters?, in: Enno Bünz / Rainer Gries / Frank Möller (Hrsg.), Der Tag X in der Geschichte. Erwartungen und Enttäuschungen seit tausend Jahren, Stuttgart 1997, S. 24–49.
4 Exemplarisch: Johannes Schilling, Der liebe Jüngste Tag. Endzeiterwartungen um 1500, in: Manfred Jakubowski-Tiessen u. a. (Hrsg.), Jahrhundertwenden. Endzeit- und Zukunftsvorstellungen vom 15. bis zum 20. Jahrhundert, Göttingen 1999, S. 15–26.
5 Claudia Lydorf, Das Testament Kaiser Ottos IV. Diplomatische Untersuchung, sowie vergleichende Analyse der urkundlichen Überlieferung und der Wiedergabe des Testamentstextes in der „Narratio de testamento et morte Ottonis IV. imperatoris“, in: forum historiae iuris 11 (2007), <http://www.forhistiur.de/fr/2007-08-lydorf/> (01.07.2015); Dies., „Wem nützt es, dass wir über mein Leben verhandeln, da es keines mehr ist?“ Testament und Tod Kaiser Ottos IV., in: Bernd Ulrich Hucker / Stefanie Hahn / Hans-Jürgen Derda (Hrsg.), Otto IV. Traum vom welfischen Kaisertum, Petersberg 2009, S. 281–288.
6 Zu nennen sind Mary Catharine O‘Connor, The Art of Dying well. The Development of the Ars Moriendi, New York 1942, sowie die einführenden Worte bei David W. Atkinson, The English Ars Moriendi, New York 1992.