M. Leutner u.a. (Hrsg.): Preußen, Deutschland und China

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Titel
Preußen, Deutschland und China. Entwicklungslinien und Akteure (1842–1911)


Herausgeber
Leutner, Mechthild; Andreas Steen; Xu Kai; Xu Jian; Jürgen Kloosterhuis; Hu Wanglin; Hu Zhongliang
Reihe
Berliner China-Studien 53
Erschienen
Berlin 2014: LIT Verlag
Anzahl Seiten
XVI, 368 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Martin, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Das Sammelwerk steht in der guten Tradition des Berliner sinologischen Lehrstuhls der Herausgeberin, die deutsch (preußisch) – chinesischen Beziehungen seit der erzwungenen Öffnung des Landes (1842) bis in die heutige Zeit unter historischen und gesellschaftlichen Aspekten aufzuarbeiten. In der stattlichen Reihe von Aufsatzsammlungen, Monographien und nicht zuletzt der großen Dokumentation zu den deutschen Kontakten mit dem „Reich der Mitte“ seit der Besetzung der Tsingtau-Bucht (1897), konzentriert sich das jüngste Werk auf die Anfänge der Beziehungen, gewissermaßen auf das erste Sich-Kennenlernen und gegenseitige Erkunden. Der Anspruch, einen interkulturellen Ansatz auf der Ebene der Hauptakteure zu verfolgen und dabei die chinesische aktive Mitgestaltung herauszustreichen, lässt sich in den Einzelbeiträgen indes nicht immer einlösen.

Von den insgesamt neun Abhandlungen stammen fünf aus chinesischer Feder. Alle Autorinnen und Autoren haben entweder neuartige Themen aufgegriffen oder doch zumindest neue Akzente auf der Grundlage von in chinesischen Archiven (Peking, Taipei) neu erschlossener Materialien gesetzt. Im Vergleich zu früheren chinesischen Abhandlungen zu den Anfängen deutsch-chinesischer Kooperation von Historikern zeichnen sich die vorliegenden Aufsätze durch ein ideologiefreies, hohes wissenschaftliches Niveau aus, auch wenn einige chinesische Verfasser noch immer gern im Stil von Chronisten zu viele Details ausbreiten.

Die Kenntnisse über die deutschen Lande waren bescheiden. Auch ein 1846 erstmals erschienenes Buch zu den „maritimen Ländern“ brachte nur unzureichende Informationen („Baden ist das schönste Land in Deutschland […] Die Region produziert Hanf, Bohnen und Wein“ [S. 16]) und blieb einem kleinen Leserkreis vorbehalten. Ganz im Gegensatz zu Preußen, das nach der Öffnung Chinas auf den ostasiatischen Markt drängte, scheint in der chinesischen Elite (Mandarine) kein Bedürfnis vorhanden gewesen zu sein, sich mit den ‚Barbaren‘ zu beschäftigen. Bestenfalls ging es darum, von den Barbaren zu lernen, um sie zu unterwerfen. Die vergleichsweise späte Entsendung eines chinesischen Diplomaten nach Berlin (1877) und dessen überhebliches Auftreten zeugen ebenfalls von diesem Desinteresse. Ein preußisches Konsulat bestand hingegen seit 1847 in Kanton (Carlowitz) und der preußische Prinz Albert verfolgte spätestens seit der gescheiterten Revolution von 1848 im Zusammenhang mit dem Handels- und Industriebürgertum koloniale Ambitionen in China mit dem Schwerpunkt Formosa. Der „ungleiche Vertrag“, den die preußische Ostasienexpedition unter Eulenberg nach langwierigen Verhandlungen 1861 mit der chinesischen Zentralregierung schloss, führte Preußen in den Kreis der westlichen Kolonialmächte. Fortan und nicht erst mit der Inbesitznahme Tsingtaus verfügten die Deutschen über koloniale Sonderrechte, Exterritorialität und Zollpräferenzen. Doch das größte Problem bei jedweder Verständigung stellte die Sprachbarriere dar. So hatte die deutsche Seite bei den Verhandlungen über den Vertrag keinen des Chinesischen kundigen Dolmetscher, und auch umgekehrt vermochten die Angehörigen der chinesischen Gesandtschaft in Berlin sich nicht auf Deutsch auszudrücken. Abhilfe schuf das 1887 in Berlin gegründete „Seminar für ostasiatische Sprachen“, während sich die chinesischen Legationen in Europa mit Sprachstudenten behalfen.

In diesem Zusammenhang sind die Beiträge von Mechthild Leutner und Xu Jian (Peking) hervorzuheben. Die Hinwendung zu einer praktischen Sprachausbildung durch den Dolmetscher, Diplomaten und späteren Professor für Sinologie, Carl Arendt (1838–1902), war trotz des eurozentrischen Weltbildes des Professors ein mutiger Schritt in der damaligen ‚wertfreien‘ akademischen geistigen Welt. Arendt kann somit als Begründer einer modernen Sinologie gelten. Der Aufsatz der chinesischen Vizepräsidentin der deutsch-chinesischen Gesellschaft erörtert erstmals die Bedeutung chinesischer Deutschlandstudenten für den Reformkurs in der späten Qing-Zeit. Militär, Verfassung und Bildung bestimmten nach dem Boxerkrieg (1900) das Reformwerk Pekings, das von Li Hongzhang, dem führenden Politiker seiner Zeit, und 114 nach Deutschland entsandten Studenten angestoßen wurde. Die spätere enge Verbindung zwischen Nanking-China und dem Deutschen Reich (deutsche Militärberater, Bildungsreform) hatte ihre Ursprünge in den letzten Jahren der chinesischen Monarchie.

Zu fragen wäre jedoch in Ergänzung, welchen Einfluss deutsch-chinesische Ausbildungsstätten in Tsingtau (Werkstätten, Hochschule) und das japanische Vorbild auf diesen an Deutschland angelehnten chinesischen Modernisierungsprozess gehabt haben. Ein lohnendes Projekt für weitere gedeihliche gemeinsame historische Forschungen!

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