Cover
Titel
The Cambridge Companion to the Age of Attila.


Herausgeber
Maas, Michael
Reihe
Cambridge Companions to the Ancient World
Erschienen
Anzahl Seiten
XXIII, 495 S.
Preis
£ 24,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lambrecht, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Für den Bereich der römischen Spätantike klaffte unter den Companion-Bänden des Verlags Cambridge University Press bislang eine empfindliche Lücke zwischen den Bereichen der Zeitalter Konstantins und Justinians, die große Teile des 4. und des 6. Jahrhunderts abdecken.1 Diese Lücke wird nun durch einen Sammelband geschlossen, der den Zeitraum der Geschichte des Römischen Reiches vom späten 4. bis zum frühen 6. Jahrhundert – mit anderen Worten: „the long fifth century“ (S. XV) – erfasst. Für diese Zeitspanne kommt offensichtlich kein römischer Kaiser als namengebende Leitfigur in Frage. Stattdessen wurde Attila als Repräsentant der Hunnen gewählt, was für einen Überblick zum Römischen Reich dieser Zeit und zu dessen Umgebung zunächst ungewöhnlich wirken mag, die Sachlage aber ziemlich gut trifft. Für die politische Taktgebung in dieser Periode ist Attilas Name und sind die Hunnen nämlich durchaus von Bedeutung: als Initiatoren der sogenannten Völkerwanderung und als Verursacher von Turbulenzen nicht nur nördlich des Römischen Reiches, sondern auch mitten im Imperium. Durch Aktion und Reaktion wirkten die Hunnen – und andere „Barbaren“ – maßgeblich auch auf das Reich ein, auf seine Lebenswelt und seine Befindlichkeit in diversen Bereichen, so dass mit dem Namen Attilas zugleich die Frage nach den Gründen für den Niedergang des weströmischen Reiches im Raum zu stehen scheint. Da man mit Attila und den Hunnen vordergründig Aktionismus zum Nachteil des Römischen Reiches verbindet, dürfte es interessant sein zu beobachten, wie ein keineswegs ereignisgeschichtlich, sondern betont struktur- und mentalitätsgeschichtlich orientierter Sammelband das im Buchtitel angesprochene Thema mit Darlegungen zu diversen Facetten des römischen Selbstverständnisses im 5. Jahrhundert verbindet: Schließlich gilt es der Aussage gerecht zu werden, dass Attila und die Hunnen in dieser Zeit Einfluss auf das Römische Reich ausgeübt und es geprägt haben, wie es Konstantin im 4. und Justinian im 6. Jahrhundert taten. Intendiert ist dieser Vergleich gewiss, zumal der Herausgeber Michael Maas ebenfalls für den in derselben Reihe erschienenen Sammelband über Justinian und dessen Zeit verantwortlich war; darüber hinaus erweist sich diese Absicht wohl auch in der Schnittmenge von immerhin sechs Mitarbeitern, die für beide Bände Beiträge geliefert haben.

Die neun Aufsätze des ersten Teils setzen sich aus Einführungen zu diversen übergreifenden Aspekten zusammen, die für das Römische Reich, seine Verwaltung sowie Gesellschaft und Kultur als Ganzes von Belang sind. Die angesprochenen Themen sind in eher allgemein formulierte Titel gekleidet und offenbaren bei der Vertiefung in die Inhalte durchaus innere Zusammenhänge. Einleitend stellt der Herausgeber das Themenpanorama vor, indem er den Blick auf vier miteinander zusammenhängende geopolitische Zonen richtet, die eurasische Steppe, das Perserreich der Sasaniden, das „barbarische“ nördliche Europa und das Römische Reich, um von diesen Voraussetzungen aus äußere Einwirkungen auf das Imperium im Westen wie im Osten, zugleich aber auch dessen innere Entwicklung anzusprechen und so die verschiedenen Teile des Sammelbandes miteinander zu verzahnen. An Maas anschließend behandelt Geoffrey Greatrex unter Berücksichtigung der Unterschiede zwischen dem römischen Westen und Osten allgemein die Herrschafts- und Verwaltungsinstrumentarien auf den verschiedenen Ebenen und die mit ihnen verbundenen Kontrollmechanismen, ihre Leistungen und Grenzen; in diese integriert er auch das Verhältnis von Kirche und Staat.

Dem Gesamtüberblick zur Regierungstätigkeit treten in den folgenden Beiträgen wichtige Einzelfelder an die Seite, unter denen die Stadt im Mittelmeerraum einen Schwerpunkt bildet. Es werden die wirtschaftliche Lage in der Stadt und auf dem Lande (Peter Sarris), bedeutende gesellschaftliche Entwicklungen in den römischen Städten des 5. Jahrhunderts allgemein (Kenneth G. Holum) und speziell in ausgewählten größeren urbanen Zentren (Raymond Van Dam) angesprochen. Dabei geht es um die im Innern und von außen wirkenden Veränderungen dieser Zeit: die Fragmentierung der römischen Welt, Folgen des Zustroms an „Barbaren“, Verschiebungen in der Identität des städtischen Führungspersonals unter christlichem Einfluss oder auch Regionalisierungstendenzen. Diese und andere, letztlich zum Ende der Antike beitragenden Zeiterscheinungen kommen auch in den folgenden Kapiteln bei der Behandlung weiterer Sachthemen zur Sprache: Brian Croke untersucht Stabilitäts- und Destabilisierungsfaktoren in den kaiserlichen Familien des 5. Jahrhunderts anhand deren Vernetzung mit der römischen Aristokratie und mit nichtrömischen Dynastien; wichtig ist dabei sicherlich die Beobachtung, dass für die Reichsaristokratie die Bedeutung römischer Herkunft abnahm und so etwa auch Nichtrömern im römischen Dienst Entfaltungsmöglichkeiten geboten wurden. Die unterschiedlichen militärischen Entwicklungen im West- und im Ostreich macht Hugh Elton in seinem Beitrag nicht in erster Linie für den Zusammenbruch Westroms verantwortlich, er sieht die Gründe vielmehr in den im Westen mehr und mehr schwindenden Möglichkeiten, sich eine adäquate Armee überhaupt leisten zu können. Die von Caroline Humfress skizzierte Gesetzgebung und Gesetzeskultur nimmt im 5. Jahrhundert mit dem Codex Theodosianus und den Rechtsbüchern der verschiedenen auf römischem Boden siedelnden nichtrömischen Verbände eine in Ost und West gegenläufige Entwicklung. Den Abschluss des ersten Teils bilden Überlegungen von Jonathan P. Conant zur „Romanness in the Age of Attila“. Unter diesem Begriff ist das römische Selbstidentifikationspotential in allen möglichen Bereichen zu verstehen, bei dem sich zunehmend Ambivalenzen bemerkbar machen, wie Conant etwa an Priscus und Salvian aufzeigt. Konzeptionen mit konkurrierendem Potential entwickelten sich vor allem im Bereich des Glaubens, durch unterschiedliche konfessionelle Ausrichtungen innerhalb des Christentums ebenso wie durch dessen Ausbreitung auch außerhalb der römischen Welt. Auf die Dauer ergaben sich so unterschiedliche Auffassungen über die Qualität des Begriffes „Romanness“.

Die Beiträge des zweiten Teils nehmen die Nachbarschaft des Römischen Reiches in den Blick. In den ersten drei Aufsätzen geht es hauptsächlich um die Hunnen: Étienne de la Vaissière stellt die Diskussion um den über Lebens- und Wirtschaftsformen zweifellos bestehenden Zusammenhang zwischen den Hunnen und den Xiongnu in Zentralasien und die Bewegung der Hunnen in Richtung Westen dar, Christopher Kelly betrachtet die weder auf Eroberung noch Niederlassung beruhende, vielmehr auf Wertabschöpfung bei ihren Unterworfenen und im Römischen Reich angelegte Wirkungsweise des Attila-Reiches auf die römische und nichtrömische Nachbarschaft; Peter Heather schließlich ordnet die Hunnen und die anderen wandernden Verbände in das Migrationsgeschehen im spätantik-frühmittelalterlichen Europa ein.2 Auch in Noel Lenskis Beitrag über die Bedeutung der Gefangennahme von Reichseinwohnern durch „Barbaren“ für das Imperium Romanum spielen die Hunnen eine Schlüsselrolle: Es geht um die mit der Gefangenschaft von Römern verbundenen ökonomischen Folgen für das Reich, einerseits durch Entvölkerung ganzer Landstriche, die von Hunnen und anderen Gruppen durchkämmt wurden, andererseits durch den finanziellen Aufwand für die Auslösung der dabei Gefangenen und Verschleppten. Die Debatte um die Wanderungen bestimmter Verbände, um ethnische Gruppen, deren Niederlassung und Staatsbildung ordnet Walter Pohl in die älteren und vor allem die aktuellen Forschungsrichtungen ein, die die Vorgänge unter den sehr unterschiedlichen Blickwinkeln transformations- bzw. katastrophenorientierter Interpretation betrachten. Zugleich bekennt er sich zu dem multikausale Erklärungen zulassenden Transformationsparadigma. Andy Merrills richtet mit seinem Beitrag „Kingdoms of North Africa“ den Blick nicht nur auf das Reich der Vandalen und die diversen Facetten des dortigen Zusammenlebens mit der römischen Bevölkerung, sondern auch auf die regionalen maurischen Verbände und ihre Etablierung in Formen, die an ihre Verbindungen mit dem Römischen Reich erinnern. Den Abschluss dieses Teils bilden Einblicke in das Sasanidenreich durch Richard Payne: Neben Elementen persischen Selbstverständnisses behandelt er das Verhältnis zwischen Persien und Rom und kommt in diesem Zusammenhang auf die Hunnen und ihr Bedrohungspotential auch für das Perserreich zurück.

Im dritten Teil stehen die religiösen und kulturellen Transformationen des 5. Jahrhunderts im Mittelpunkt. Vier Aufsätze behandeln speziellere Gegenstände, die primär mit den Auswirkungen der zunehmenden Christianisierung des Römischen Reiches zusammenhängen, zwei sind abschließend allgemeineren kulturellen Themen gewidmet. Zunächst gibt Susanna Elm einen Überblick über Askese und Mönchtum im frühen 5. Jahrhundert. Sie wirft einen Blick auf Ägypten (veranschaulicht an Schenute von Atripe), Südgallien (mit Johannes Cassianus und Salvian von Marseille), Rom (mit Leo dem Großen und Prosper Tiro von Aquitanien) sowie Konstantinopel (mit Alexander und Dalmatius): Dabei stellt sie wichtige Vertreter asketischen Mönchtums als aufmerksame Beobachter und Kommentatoren des kirchlichen und weltlichen Geschehens im Osten wie im Westen vor. Für Rom exemplifiziert sie das Thema an der Fähigkeit des Bischofs, die Asketen in Anlehnung an durchaus traditionsorientierte Formen seiner Kontrolle zu unterstellen3, für Konstantinopel dagegen an dem zeitweiligen Vermögen der Asketen, unter Umständen für Unruhe zu sorgen und sogar den Kaiser in seiner Haltung zum Bischof maßgeblich zu beeinflussen. Anschließend bietet Susan Wessel am Beispiel der Rezeption von Stellungnahmen des römischen Bischofs Leo des Großen Einblicke in die Veränderungen, die der christologische Streit für die Beziehungen zwischen Rom und den christlichen Kirchen in bestimmten Regionen des Römischen Reichs mit sich brachte: In Ägypten und Syrien etwa wurde Leos Standpunkt nicht anerkannt, während Rom anderwärts seinem kirchlich-dogmatischen Führungsanspruch Anerkennung verschaffen konnte. Michele Renee Salzman unterstreicht am Beispiel zweier Reden des Augustinus gegen die Heiden (serm. 198 und 296) ihre Ansicht, pagane Riten hätten auch im 5. Jahrhundert noch eine nennenswerte Rolle gespielt. Ferner untersuchen Joseph A. Sanzo und Ra’anan Boustan die schwieriger werdende Lage der Juden im zunehmend christianisierten Römischen Reich.

Mit den letzten zwei Beiträgen öffnet sich der Blick über das Christentum hinaus auf Fragen kultureller Transformation allgemein. In dem Aufsatz „Ordering Intellectual Life“ gibt Edward Watts einen Überblick zum höheren Bildungswesen im Römischen Reich des 5. Jahrhunderts und zu den Veränderungen, die sich in dieser Zeit durch zentralisierende und systematisierende staatliche Verwaltungsmaßnahmen ergaben. Abschließend bietet Scott F. Johnson mit „Real and Imagined Geography“ Einsichten in diverse Vorstellungen von Raumerfassung im 5. Jahrhundert: Beispiele dafür finden sich in der Literatur dieser Zeit, etwa in Briefen, Reiseberichten und anderen Schriften, in denen topographische Angaben eine Rolle spielen, aber auch in Werken der Dichtung mit enzyklopädischem Charakter und damit ausgesprochenem Bildungsbezug. In den beiden letzten Aufsätzen werden zugleich die behandelten Schriften und die ihnen zugrundeliegende Stoffaufbereitung in ihrer Bedeutung für die Rezeption durch die nachrömische Welt angesprochen.

In diesem Sammelband spielen wie in anderen Büchern derselben Reihe die ereignisgeschichtlichen Grundlagen des behandelten Zeitabschnitts keine prominente Rolle; ihre Kenntnis wird vorausgesetzt. Auf dieser Basis liest sich das Buch als Einführung in die hinter den – teilweise turbulenten und auf den ersten Blick unübersichtlich wirkenden – Zeitereignissen stehenden Leitideen, Strukturen und Mentalitäten mit Gewinn. Es liefert mit seinem systematischen Ansatz sinnvolle Hilfen für die Ordnung und Einordnung der römischen Geschichte des 5. Jahrhunderts im Osten wie im Westen sowie der auf das Reich im Innern und von außen wirkenden Faktoren. Darüber hinaus werden vielerlei Anknüpfungspunkte für eine Vertiefung in Einzelheiten geboten. Die Autoren der Beiträge haben natürlich einen bestimmten wissenschaftlichen Standort. Dieser muss in einem einführenden Werk nicht unbedingt überdeutlich in den Vordergrund treten, sondern sollte zugunsten eines Überblicks über die aktuelle Forschungslage in die vertretenen unterschiedlichen Standpunkte eingeordnet werden. Das geschieht in diesem Band durchaus und ist teilweise vorbildlich gelöst. Hilfreich ist dabei gewiss der Blick auf das Römische Reich aus unterschiedlichen Perspektiven, zu denen auch die gebührende Berücksichtigung der Nachbarschaft des Imperiums gehört. Welche Bedeutung diesem Aspekt für das 5. Jahrhundert beizumessen ist, wird im Titel des Sammelbandes deutlich: Attila als Initiator des Wandels und als Symbol für den Zusammenbruch der römischen Weltordnung wird zugleich funktionalisiert im Interesse der Verbindung zwischen den drei Teilen des Bandes und seinen Aufsätzen. Der Inhalt des Buches erweist indes, dass auch andere, endogene Faktoren Erhebliches zur Transformation der Mittelmeerwelt beitrugen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Noel Lenski (Hrsg.), The Cambridge Companion to the Age of Constantine, Cambridge 2006; Michael Maas (Hrsg.), The Cambridge Companion to the Age of Justinian, Cambridge 2005.
2 Diese Ausführungen basieren auf Forschungsergebnissen, die unter anderem ausgeführt sind in Peter Heather, Empires and Barbarians, London 2009.
3 Elm beruft sich dabei unter anderem auf Kristina Sessa, The Formation of Papal Authority in Late Antique Italy. Roman Bishops and the Domestic Sphere, Cambridge 2012.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch