R. Moehrle: Judenverfolgung in Triest 1922–1945

Cover
Titel
Judenverfolgung in Triest während Faschismus und Nationalsozialismus 1922–1945.


Autor(en)
Moehrle, René
Reihe
Studien zum Antisemitismus in Europa 7
Erschienen
Berlin 2014: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
519 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sara Berger, Fondazione Museo della Shoah, Rom

Über Jahrzehnte gab es im deutschsprachigen Raum zur Verfolgung der Juden in Italien lediglich das zweibändige Werk von Klaus Voigt zum Exil in Italien.1 Nachdem jüngst das Standardwerk des italienischen Zeithistorikers Michele Sarfatti „Juden im faschistischen Italien“ als Übersetzung2 sowie Kilian Bartikowskis3 Untersuchung der nationalsozialistischen Wahrnehmung der Judenverfolgung in Italien erschienen sind, liegt nach Frauke Wildvangs bereits 2008 publizierter Lokalstudie zur Situation in Rom4 mit dem Buch des in Trier lehrenden Historikers René Moehrle nun eine weitere Monographie vor, die sich dieser Problematik am Beispiel der Stadt Triest widmet. Moehrles Werk baut auf der mittlerweile sehr umfangreichen italienischen Forschungsliteratur über die Zeit der „Rassengesetze“ und der deutschen Besatzung auf. Durch seine umfangreichen Recherchen in zahlreichen italienischen (u.a. dem Staatsarchiv und Kommunalarchiv Triest, dem Regionalinstitut zur Geschichte der Befreiungsbewegung sowie dem Zentralen Staatsarchiv Rom) und deutschen Archiven (Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Bundesarchiv Berlin und Ludwigsburg) ist es ihm gelungen, neue Aspekte der Judenverfolgung aufzuzeigen.

Moehrle versucht in seiner Studie, allgemeine Charakteristika der Judenverfolgung in Italien mit den speziellen Ausprägungen in Triest zu verbinden. Auch wenn diese Verbindung nicht systematisch erfolgt, so ermöglicht sie doch dem Leser immer wieder, größere Zusammenhänge zu sehen. Mehrfach sind dabei allerdings Quellen isoliert betrachtet worden und ist die sehr breite Forschungsliteratur unberücksichtigt geblieben, etwa hinsichtlich der Judenverfolgung während der Besatzungszeit (Kapitel 3.3). Hervorzuheben ist, dass Moehrle die Judenverfolgung in einen größeren Kontext stellt und den in der Stadt sehr ausgeprägten Nationalismus und Antislawismus als Sonderform des Rassismus in seine Analyse mit einbezieht. Verbindungslinien zieht er auch zu allgemeinen Entwicklungen des (Grenz-)Faschismus und der deutschen Besatzung.

Die multinationale Stadt Triest, die erst 1919 – nachdem sie mehrere Jahrhunderte unter habsburgischer Herrschaft gestanden hatte – Italien zugeschlagen worden war, ist für Moehrle aus verschiedenen Gründen von besonderer Bedeutung: Hier befand sich die drittgrößte jüdische Gemeinde Italiens, die mit etwa 6.000 Juden deutsch-polnischer, italienisch-venezianischer, spanischer und griechischer Herkunft ein multikultureller jüdischer Kosmos war. Die Hafenstadt war eine Hochburg der faschistischen Bewegung des Landes, an der zunächst auch die Triestiner Juden partizipierten, und sie entwickelte sich in den späten 1930er-Jahren zu einem „antisemitischen Versuchslabor“ (S. 12), wie Moehrle überzeugend analysiert.

Im ersten Teil der zweigeteilten Studie, dem ein Abriss zur langen Geschichte der jüdischen Minderheit in der Stadt vorausgeht, wird das wechselseitige Schicksal der Triestiner Juden unter dem Faschismus dargestellt, wobei Moehrle nach „Interdependenzen, Parallelen und Konkurrenzen zwischen Faschismus und Judentum in Triest“ (S. 12) fragt. Moehrle unterscheidet dabei drei Phasen: In der Zeit von 1922 bis zum Wendejahr 1938 spielten Triestiner jüdischer Herkunft eine wichtige Rolle im publizistischen (Zeitung „Il Piccolo“), wirtschaftlichen (Werften, Versicherungen, Schifffahrtsgesellschaften) und politischen Leben der Stadt, auch wenn sich schon in dieser Phase antijüdische Vorurteile zeigten. Moehrle geht ausführlich auf die Biographie des faschistischen Bürgermeisters jüdischer Herkunft, Enrico Paolo Salem, ein und weist auf weitere jüdische Faschisten wie Pietro Jacchia hin. Am Beispiel des Rücktritts Salems im August 1938, der noch vor der Einführung der „Rassengesetze“ und vor Mussolinis kurz darauf stattfindendem Besuchs in Triest, bei dem dieser seine programmatische Rede zum Antisemitismus hielt, erzwungen wurde, zeigt Moehrle die Bedeutung des Wendepunkts des Jahres 1938 auf. Diesem waren bereits einige gegen die Juden der Stadt gerichtete Vorgänge vorausgegangen, etwa die Erstellung der „Judenliste“ im Jahr 1937, die auf „rassenbiologischer“ Basis eine Dominanz der Triestiner Juden in Wirtschaft und Politik behauptete und somit die Idee einer jüdischen Verschwörung beförderte.

Die zweite Phase von 1938 bis zum Kriegseintritt Italiens 1940 war durch die Anwendung der zentral erlassenen „Rassengesetze“ gekennzeichnet. In Triest – wie auch in anderen italienischen Städten – hatten die „Rassengesetze“ gravierende Folgen: Jüdische Führungspersonen wurden abgesetzt, jüdische Angestellte in Unternehmen, jüdische Lehrkräfte und Schüler entlassen, „arisches“ Hauspersonal musste Anstellungen in jüdischen Haushalten aufgeben und Eheschließungsverbote wurden erlassen. Den Maßnahmen folgte eine deutliche Dezimierung der jüdischen Gemeinde durch Emigrationen und Konversionen. Moehrle zeigt auf, dass die an der Verfolgung beteiligten Institutionen und Protagonisten auf zentraler und lokaler Ebene häufig vor großen bürokratischen Herausforderungen standen und sich uneinig waren über das Ausmaß der Maßnahmen: Den einen gingen sie zu weit, den anderen waren sie nicht weitgreifend genug. Ein Kapitel widmet Moehrle der über die Hafenstadt Triest erfolgten Emigration von insgesamt 200.000 europäischen Juden in den 1920er-Jahren und verstärkt ab den 1930er-Jahren. Die dritte Phase behandelt die Kriegsjahre von 1940 bis 1943, in der weiterhin die „Rassengesetze“ bestimmend waren. In diesen Jahren kam es landesweit zur Internierung ausländischer und „gefährlicher“ italienischer Juden, aber auf lokaler Ebene auch zu Übergriffen von Faschisten auf Triestiner Juden, auf deren Geschäfte und die Synagoge sowie zur Diffamierung der Juden als Kriegsverantwortliche und Antifaschisten. Zugleich wurde, wie Moehrle aufzeigt, den Triestiner Juden – auch durch den deutschen Generalkonsul Ernst von Druffel – vorgeworfen, faschistische Organisationen zu unterwandern und zu ihrem Werkzeug zu machen – etwa durch die aus Triest stammenden angeblichen projüdischen Partei-Funktionäre Aldo Vidussoni und Mario Farnesi. Darüber hinaus wurde in Triest, wie in einigen anderen Städten auch, ein Propaganda-Institut, das „Zentrum für das Studium des Judenproblems“ unter Leitung von Ettore Martinoli, gegründet.

Der zweite, kürzer gehaltene Teil der Studie befasst sich mit der deutschen Besatzungszeit von 1943 bis 1945, als Triest zur Hauptstadt des „Adriatischen Küstenlandes“ wurde. Moehrle sucht hier nach „Differenzen, Kongruenzen und Kontinuitäten“ (S. 14) zwischen dem faschistischen und dem nationalsozialistischen Antisemitismus. Zunächst legt er ausführlich die Besatzungsstrukturen in Italien allgemein und in Triest im Besonderen dar, bevor er sich den Verhaftungen und Deportationen der Juden insbesondere durch die Männer der „Sonderabteilung R“ sowie weiteren Tätigkeitsfeldern der deutschen Besatzer zuwendet. Ein Kapitel beschäftigt sich mit der Kollaboration von Italienern bei der Verfolgung der Juden und anderer Opfergruppen.

Die Studie widmet sich perspektivisch insbesondere den Institutionen und Akteuren der Täter, wobei an zahlreichen Stellen biographische Zugänge gewählt wurden, um Lebenslinien faschistischer und antisemitischer Protagonisten auf lokaler und nationaler Ebene aufzuzeichnen. Dabei wird weitgehend auf die Zeugnisse der Opfer verzichtet, auch wenn diese hinsichtlich der konkreten Anwendung der „Rassengesetze“ und der Durchführung der Verhaftungen durchaus nützliche Hinweise hätten geben können. Insgesamt handelt es sich um eine lesenswerte und hochspannende Studie, die erstmals in deutscher Sprache speziell Triest in den Fokus genommen hat und dabei immer wieder – gerade für den deutschen Leser – wichtiges Hintergrundwissen zur Judenverfolgung in Italien allgemein präsentiert. Ihre Stärke liegt in der Erschließung neuen Quellenmaterials, in ihrem breiten Zeithorizont und der dadurch möglichen historischen Kontextualisierung.

Anmerkungen:
1 Klaus Voigt, Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933–1945. 2 Bde., Stuttgart 1989 u. 1993.
2 Michele Sarfatti, Die Juden im faschistischen Italien. Geschichte, Identität, Verfolgung, Berlin 2014.
3 Kilian Bartikowski, Der italienische Antisemitismus im Urteil des Nationalsozialismus 1933–1943, Berlin 2013.
4 Frauke Wildvang, Der Feind von nebenan. Judenverfolgung im faschistischen Italien 1936–1944, Köln 2008.

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