W. Plumpe (Hrsg.): Unternehmer – Fakten und Fiktionen

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Titel
Unternehmer – Fakten und Fiktionen. Historisch-biographische Studien


Herausgeber
Plumpe, Werner
Reihe
Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 88
Erschienen
München 2014: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
XII, 380 S.
Preis
€ 79,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ralf Stremmel, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Geschichtswissenschaft

Ungebrochen scheint der Boom von Biografien, auch Unternehmerbiografien. Dabei werden kaum noch Heldenepen erzählt, sondern Studien nach allen Regeln einer methodisch und theoretisch reflektierten Wissenschaft geschrieben. Mittlerweile liegen zahlreiche Beiträge auf dem Tisch, und trotzdem ist Unternehmerschaft „zugleich selbstverständlich und geheimnisvoll“ (S. 1). Dieses Geheimnis wenn nicht zu lüften, so doch Wege aufzuzeigen, ihm auf die Spur zu kommen und die Bedeutung von Unternehmern für die moderne kapitalistische Wirtschaft zu klären, hat sich der vorliegende Sammelband vorgenommen. Er resultiert aus einer Tagung des Jahres 2011, die im Zusammenhang mit einem Forschungsaufenthalt von Werner Plumpe, dem Herausgeber des Buches, am Historischen Kolleg in München stand.

Nach einer ausführlichen, 25-seitigen Einleitung des Herausgebers setzen sich drei Überblicksbeiträge aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven mit der Frage auseinander, ob der Kapitalismus erfolgreiche Unternehmer braucht. Auf diese allgemeinen Beiträge folgen neun Fallstudien, in denen insgesamt zwölf Unternehmer aus dem deutschsprachigen Raum biografisch porträtiert werden. Am Ende des Bandes wird der Blick über die Grenzen erweitert: Jeweils ein Aufsatz wendet sich Unternehmenslenkern in den Niederlanden und in Frankreich zu.

In der Einleitung bietet Werner Plumpe einen Themenaufriss, zeichnet unterschiedliche Zugriffsweisen nach und analysiert theoretische Annahmen. Insbesondere diskutiert er die nachgerade klassisch gewordene Definition des österreichischen Nationalökonomen Joseph Schumpeter, der im Unternehmer einen „schöpferischen Zerstörer“ sah, der pro-aktiv, aus eigener Initiative und mit tatkräftigem Gestaltungswillen Neues schaffen will (abzugrenzen von einem bloßen „Wirt“, der sich mit der Sicherung des Erreichten zufrieden gibt, in Routinen erstarrt und sich re-aktiv an Änderungen der Rahmenbedingungen anpasst). Für Schumpeter waren „echte“ Unternehmer ein Grundfaktor kapitalistischer Dynamik. Als Beispiel eines solchen schöpferischen Zerstörers skizziert Plumpe die Biografie des Chemie-Unternehmers Carl Duisberg und kann so Schumpeters theoretischen Ansatz mit Leben füllen.

Die Einleitung greift die Annahme auf, Unternehmer seien in der Vergangenheit zwar ein wirkungsmächtiges Element, ein „eminentes Faktum“ der kapitalistischen Wirtschaft gewesen, in jüngerer Vergangenheit zeigten sich jedoch Tendenzen von Entpersönlichung und Bürokratisierung, wodurch der gestaltende starke Unternehmer mehr und mehr verschwinde und Unternehmerschaft „eine rein fiktive Inszenierung“ werde (S. 3). Plumpe setzt dagegen die These, sowohl historisch wie gegenwärtig besitze Unternehmerschaft „große Bedeutung“ (ebd.). Diese These wird zweifellos anhand vieler Beispiele des Sammelbandes plausibel, auch wenn die Antworten der drei Überblicksbeiträge zunächst widersprüchlich ausfallen.

Das mag an unterschiedlichen Methoden und Blickwinkeln liegen. Alfred Kieser berichtet aus Sicht der Betriebswirtschaft und Organisationssoziologie; Sebastian Fischer und Michael Frese kommen aus der Wirtschaftspsychologie und Jürgen Kocka blickt durch die Brille des Sozialhistorikers. Ihre Aussagen sind ambivalent. Kieser sieht ein Verschwinden des Unternehmers, der gleichzeitig – medial – charismatisiert werde, weil dies einem Wunschdenken der Öffentlichkeit entgegenkomme und eine einfache Erklärung für unternehmerische Erfolge biete (S. 29). Fischer und Frese, basierend auf Zufallsstichproben meist zu Kleinunternehmen, ziehen das Fazit, dass „Personen, die ein Unternehmen gründen und damit Erfolg haben, eine zentrale Eigenschaft teilen: auf Umweltgegebenheiten eigeninitiativ zu reagieren und aktiv zu handeln“ (S. 78). Dies könne man sogar lernen, so dass sich bei Einsatz entsprechender Trainingsmodelle die Zahl erfolgreicher Unternehmer steigern und damit die Arbeitslosigkeit senken lasse. Hier verschwindet der Unternehmer also nicht (wie von Kieser postuliert), sondern ist ein zentrales Element der Wirtschaft. Dass Unternehmer ein unverzichtbarer Faktor kapitalistischer Ökonomie sind, davon ist auch Jürgen Kocka überzeugt. Er plädiert allerdings dafür, dass Unternehmer ihr Handeln an Moralvorstellungen rückbinden, Fragen der Nachhaltigkeit beachten sowie gesellschaftliche und politische Verantwortung wahrnehmen.

Sowohl diese Beiträge als auch die folgenden Fallstudien beruhen nicht auf aktuellen Forschungen, sondern referieren die Ergebnisse teils länger zurückliegender umfangreicherer Projekte, zu denen schon Veröffentlichungen vorliegen. Im Hinblick auf die biografischen Fallstudien sind es häufig Dissertationen oder Arbeiten im Auftrag von Unternehmen. Die Autoren sind also ausgewiesene Fachleute, und nahezu alle Fallstudien beruhen auf intensiven archivischen Quellenstudien.

Zwar hebt der Titel des Bandes allgemein auf „Unternehmer“ ab, doch das Sample der vorgestellten Beispiele ist erheblich enger: Es geht im Kern um (Groß-)Industrielle, daneben um einige (Groß-)Bankiers und einen Medienmogul. Fast alle Porträtierten hatten nationale, wenn nicht internationale Bedeutung. Zeitlicher Schwerpunkt sind die Jahre zwischen 1890 und 1960. Vorgestellt werden im Einzelnen: Paul Silverberg (von Boris Gehlen), Alfred Colsmann (von Roman Köster), Richard Kaselowsky (von Jürgen Finger und Sven Keller), August Thyssen (von Jörg Lesczenski), Robert Bosch, Paul Reusch und Jürgen Ponto (von Johannes Bähr), Friedrich Flick (von Kim Christian Priemel), Fritz Kiehn (von Cornelia Rauh und Hartmut Berghoff), Hans Ringier (von Jan-Otmar Hesse), Ernst Matthiensen und Alfred Herrhausen (von Friederike Sattler) sowie die Niederländer Henri Deterding, Frederik Hendrik Fentener van Vlissingen und Paul Rijkens (von Ben Wubs).

Unternehmer aus der Kleinindustrie, aus dem Handwerk oder dem Handel werden also nicht einbezogen. Der Forschungsstand ist diesbezüglich aber auch erheblich schlechter als für die Großindustriellen und -bankiers. Auch Unternehmerinnen fehlen. Um sich über sie zu informieren, kann man auf mehrere Studien zurückgreifen, die im letzten Jahrzehnt erschienen sind.

Verallgemeinerungsfähige Aussagen darf man angesichts der im vorliegenden Sammelband getroffenen Auswahl kaum erwarten. Vergleiche werden in den Beiträgen eher selten gezogen, und sie scheinen aussagekräftiger, wenn Benachbartes verglichen wird (z. B. Matthiensen und Herrhausen als Bankiers) als wenn eigentlich Unvergleichbares in einem Aufsatz gebündelt wird, was sich nur über die entsprechenden vorliegenden Forschungsarbeiten des Autors erklärt (Bosch, Reusch und Ponto). Explizit vergleichend geht ansonsten nur Hervé Joly vor, der deutsche und französische Konzernleiter im Hinblick auf Herkunft, Ausbildung, Karriere und Familie gegenüberstellt und signifikante Unterschiede benennen kann, beispielsweise die elitärere Ausbildung in Frankreich. Andererseits verweist er auch auf Gemeinsamkeiten, etwa in der sozialen Herkunft.

Am Ende, nach der Lektüre von 370 Seiten, drängt sich ein banales Urteil auf: Jeder Unternehmer ist anders. „Den“ Königsweg, erfolgreicher Unternehmer zu sein, gibt es offenbar nicht. Zu unterschiedlich sind Charaktereigenschaften und die Einflüsse der Zeit. Das Ergebnis des Bandes, so nimmt der Herausgeber selbst vorweg, werde „viele Leser in theoretischer oder konzeptioneller Hinsicht“ wenig zufriedenstellen (S. 25). Vielleicht ist der Titel des Buches in der Tat zu ambitioniert formuliert. Wer sich aber auf schnellem Weg über aktuelle theoretische Fragen der Unternehmerbiografie und über Fallbeispiele und Potenzialitäten von Unternehmerlebensläufen informieren möchte, findet in dem vorliegenden Sammelband einen profunden Einstieg. Die Beiträge schärfen das Bewusstsein für einen reflektierten Umgang mit Unternehmerbiografien und bieten vielfältige Muster für die differenzierte Erforschung von Unternehmern. Nicht zuletzt demonstriert der Band damit das hohe Niveau, das die deutsche Unternehmer-Historiographie mittlerweile erreicht hat. Am Schluss noch eine formale Bemerkung: Leser werden sich über das hilfreiche Personenregister freuen, aber sich über den hohen Verlagspreis ärgern. Schade, dass dieser Preis eine Verbreitung des Bandes wohl sehr einschränken wird.

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