J. Hort: Architektur der Diplomatie

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Titel
Architektur der Diplomatie. Repräsentation in europäischen Botschaftsbauten, 1800–1920. Konstantinopel – Rom – Wien – St. Petersburg


Autor(en)
Hort, Jakob
Reihe
Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 234
Erschienen
Göttingen 2014: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
660 S.
Preis
€ 89,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friedrich Kießling, Neuere und Neueste Geschichte, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt Email:

Die Kulturgeschichte der Diplomatie ist seit einigen Jahren ein lebhafter Forschungszweig geworden. Sie wird im Großen und Ganzen auf dreierlei Weise geschrieben: Eine erste Gruppe von Arbeiten beschäftigt sich mit den Akteuren von Außenbeziehungen. Die Lebens-, Arbeits- und Erfahrungswelten von Diplomaten und zunehmend auch von Diplomatinnen rücken hier in den Mittelpunkt. Ein zweiter Ansatz interessiert sich für Diplomatie wie Außenpolitik vor allem als interkulturelle Vorgänge. Begegnungen zwischen der europäischen und der außereuropäischen Welt bilden entsprechend regelmäßig einen Schwerpunkt. Ein dritter Strang begreift die diplomatischen Kontakte selbst als kulturelles Geschehen. Kommunikationsformen, Deutungs- und Handlungsmuster, die Praxis der Außenbeziehungen werden untersucht, kurz: Diplomatie tritt als eine eigene Kulturform in den Fokus der Analyse.1 Jakob Horts Dissertation zu europäischen Botschaftsbauten zwischen 1800 und 1920 lässt sich letzterer Kategorie zuordnen. Botschaftsbauten und deren Architektur bieten, so Hort, den jeweiligen Entsendeländern die Möglichkeit, „eine spezifische Vorstellung von sich selbst zu vermitteln oder einen Geltungsanspruch zu formulieren“, sie sind „Orte der Selbstdarstellung, der politischen Vernetzung und des kulturellen Austausches, in deren Architektur und Symbolik sich Selbst- und Fremdbilder in prototypischer Weise vereinigen“ oder aber sie sind schlicht „Speicher von Prestige“ (alle Zitate S. 9).

Nun ist die Untersuchung von Architektur sowie ihrer Funktion und Symbolik für Historiker nicht ohne Probleme und Fallstricke. Vor allem gilt es, nicht in den Fehler zu verfallen, von der architektonischen Gestalt vorschnell auf den Inhalt der durch die Bauten vermittelten Botschaft zu schließen. Um einen solchen Kurzschluss zu vermeiden, bedient sich Jakob Hort zweier Mittel. Auf der methodischen Ebene vermeidet er es, die Architektur als „Text“ zu lesen, dessen Inhalt sich sozusagen von selbst erschließt. Stattdessen werden die Botschaftsbauten als „Produkt von Zeit, Arbeit und Kapital“, als „Ergebnis von Erwartungen, Annahmen und Absichten“ (S. 17) betrachtet. Entsprechend erschließt Hort seinen Gegenstand vorwiegend mit Hilfe der Aktenüberlieferungen über die jeweiligen Botschaftsbauten, Selbstzeugnissen der beteiligten Akteure sowie der gesellschaftlichen Diskussion über die Botschaftsbauten, wie sie sich in der Berichterstattung der zeitgenössischen Presse- und Zeitschriftenliteratur breit niedergeschlagen hat. Auf der interpretatorischen Ebene sucht Hort vor allem Aufschluss über drei allgemeinere und genuin historische Fragen zu erhalten: Der nach der gesellschaftlichen Außenrepräsentation, der nach der Beziehungsstruktur zwischen Aufnahme- und Entsendeland sowie nach der Struktur des Staatensystems und deren Widerspiegelung in den Botschaftsbauten.

Auf diese Weise methodisch ausgerüstet und mit allgemeinen Fragestellungen bestückt, untersucht die Arbeit die Entwicklung diplomatischer Repräsentanzen über etwa 100 Jahre und mit Konstantinopel, Rom, Wien und St. Petersburg in nicht weniger als vier Hauptstädten. Um den Untersuchungsgegenstand überhaupt handhabbar zu halten, konzentriert sich Hort auf die Botschaften von Frankreich, Großbritannien sowie Preußen/Deutschland. Auch wenn nicht an allen vier Orten die drei Länder völlig gleichgewichtig behandelt werden, ergibt sich auf den 600 Seiten der Darstellung dennoch ein äußerst breit dokumentiertes Bild, das Auskunft ebenso über nationale und lokale Besonderheiten gibt, wie es grundsätzliche Schlüsse erlaubt. So kann Jakob Hort auf der systemischen Ebene zeigen, dass das Interesse an einer festen und repräsentativen Botschaft erst nach und nach wuchs. Während zu Beginn des 19. Jahrhunderts eigene Botschaftsbauten die Ausnahme waren, Diplomaten vielmehr ad hoc, auf Zeit und nach eigenen Vorlieben Gebäude oder Wohnungen anmieteten, stieg nach der Jahrhundertmitte das Bedürfnis nach nationalen Repräsentationsbauten immer mehr. Die Suche nach geeigneten Gebäuden oder die Planung und Errichtung von neuen Botschaftsgebäuden geriet zum nationalistischen Ringen zwischen den Großmächten, in das sich nicht nur die Regierungen, sondern ebenso die nationalen Öffentlichkeiten massiv einschalteten. Auf der Beziehungsebene zwischen Entsende- und Gastland sind, folgt man Hort, mehr oder weniger alle Botschaftsbauten gescheitert. Ob im Fall der 1909 fertig gestellten französischen Botschaft am Schwarzenbergplatz in Wien, der Erneuerung der deutschen Botschaft auf dem Kapitol in Rom oder des kurz vor dem Ersten Weltkrieg eröffneten deutschen Botschaftsbaus von Peter Behrens in St. Petersburg, nie gelang es mit Hilfe der Architektur die bilateralen Beziehungen zu verbessern, auch wenn Architekten und Diplomaten das durchaus im Sinn gehabt hatten. Nicht viel besser stand es um die mit den Neubauten verbundene Suche nach gültiger nationaler Außenrepräsentation. Während Politik und Öffentlichkeit in Frankreich sich vergeblich darum bemühten, eine im eigenen Land konsensfähige republikanische Repräsentationsform in einem monarchisch geprägten Europa zu finden, erscheint sich für die deutschen Bauten nach der Reichseinigung ein besonderes architektonisches Großmachtbedürfnis zu ergeben. Genüsslich beschreibt Hort, welche Folgen das für die römische Botschaft des Reichs zeitigte, wo der zentrale Saal nicht nur mit einem längst anachronistisch gewordenen, monumentalen Kaiserthron ausgestattet wurde, sondern dessen Wände auch riesige Darstellungen der germanischen Götterwelt schmückten. Am Ende waren Freyr, Gerda und die Walküren als Personifikationen der Jahreszeiten ausgerechnet auf dem römischen Kapitol den Deutschen offenbar selbst peinlich. Unter den lokalen Besonderheiten ist die Situation in Konstantinopel hervorzuheben, wo mehr und früher als anderswo das Ringen um Prestige zwischen den Großmächten im Mittelpunkt stand und Rücksichten auf das Gastland unter diesen Vorzeichen kaum noch existierten.

Insgesamt hat Jakob Hort eine Arbeit vorgelegt, die einen bisher so nicht gewürdigten Aspekt breit und stets perspektivenreich für die Forschung erschließt. Insbesondere wird deutlich, wie sich mit der Struktur des Staatensystems auch Idee und Praxis der diplomatischen Repräsentationsbauten wandelten. Doch es bleiben auch Fragen offen. Nicht eindeutig beantwortet wird zum Beispiel die Frage, ob und wo (neben ihrer Rolle als Funktion und Symptom) die Botschaftsarchitektur auch zum Faktor der internationalen Beziehungen wurde. Dabei wäre diese Frage nach der genauen Bedeutung von symbolischem Handeln von entscheidendem Interesse, zeigt sich doch nicht zuletzt an ihr die besondere Relevanz kulturhistorischer Untersuchungen im Kontext der Geschichte der internationalen Beziehungen. Wie diplomatische Kommunikations- und Handlungsformen, Zeremoniell und Sprache zum Faktor der internationalen Beziehungen werden konnten, hat die Kulturgeschichte der Diplomatie immer wieder gezeigt. Ob das auch für Botschaftsbauten gilt, wäre weiter zu untersuchen. Auf der systemischen Ebene kann Hort sehr gut zeigen, wie die nationalen Öffentlichkeiten das Thema der Botschaftsbauten für sich entdeckten. Der Übergang von einem internationalen System, das von im engeren Sinne staatlichen Akteuren geprägt war, zu einem, in dem moderne Nationen interagierten, ist damit gut belegt. Auf der anderen Seite gelang es den Diplomaten, die häufig in ganz anderen, sehr viel traditionelleren Kategorien dachten, nach der Darstellung von Hort doch immer wieder erstaunlich gut, ihre Vorstellungen in die Bauplanungen einzubringen. Was diese Tatsache für die Praxis der internationalen Beziehungen bedeutete, inwiefern dies für die Beharrungskraft traditioneller Diplomatie auch in den Außenbeziehungen insgesamt spricht, bleibt leider weitgehend unklar.

Schließlich sei auch noch einmal der große Umfang der Darstellung angesprochen. Es scheint an der Zeit, diesen Trend zu immer längeren Spezialmonographien zu überdenken. Auch Jakob Horts Arbeit hätte bei allen Verdiensten eine Kürzung gut getan. Ungern verzichtet hätte man dabei allerdings auf Informationen wie die, dass bei der Verwüstung der deutschen Botschaft in Russland durch die St. Petersburger Bevölkerung in den ersten Kriegstagen von 1914 auch die das Gebäude krönende Figurengruppe zerschlagen wurde. Hintergrund war ein Gerücht, das heute seltsam aktuell anmutet. In den monumentalen Figuren wurde eine deutsche Abhöranlage vermutet. Doch das Gerücht trog, wie sich herausstellte, waren die Bronzeplastiken auf dem Dach der Botschaft leer.

Anmerkung:
1 Zum Stand der Forschung und den genannten Aspekten z.B.: Jennifer Mori, The Culture of Diplomacy. Britain in Europe, c. 1750–1839, Manchester 2010; Markus Mösslang / Torsten Riotte (Hrsg.), The Diplomat’s World. A Cultural History of Diplomacy, 1815–1914, Oxford 2008; Hillard von Thiessen / Christian Windler (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, Köln 2010.