P. Hoeres: Außenpolitik und Öffentlichkeit

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Titel
Außenpolitik und Öffentlichkeit. Massenmedien, Meinungsforschung und Arkanpolitik in den deutsch-amerikanischen Beziehungen von Erhard bis Brandt


Autor(en)
Hoeres, Peter
Reihe
Studien zur Internationalen Geschichte 32
Erschienen
München 2013: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
585 S.
Preis
€ 79,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Hochgeschwender, Amerika-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München

Spätestens seit dem Aufkommen einer gebildeten, politisch interessierten, partizipatorischen und aufgeklärten bürgerlichen Öffentlichkeit, das Jürgen Habermas 1962 im ausgehenden 18. Jahrhundert festgemacht hat, drängt sich die Frage nach dem Verhältnis von politischer Kaste und Öffentlichkeit auf, wobei die Medien offenkundig als Transmissionsriemen zwischen beiden Entitäten wirken. Während sich die historische Forschung seit langem dieser Frage mit Blick auf das innenpolitische Geschehen im 19. und 20. Jahrhundert angenommen hat, galt, gerade unter Spezialisten für das außenpolitische Feld, die apodiktische Vermutung, Außenpolitik und diplomatische Beziehungen seien separate Arkanbereiche, in denen nicht die Leidenschaften und kurzlebigen Moden der breiteren und uninformierten Öffentlichkeit von Bedeutung seien, sondern ausschließlich die rational nachvollziehbare Staatsräson.

Diese gewissermaßen apriorische Abschottung der Außenpolitik vom politischen Alltagsgeschehen mitsamt seinen vielfältig verflochtenen und verwobenen Netzwerken medialer und politischer Akteure hat lange, allzu lange als methodisches Regulativ gerade der deutschen außenpolitischen Historiographie gedient. Peter Hoeres ist nun mit seiner im wahrsten Wortsinne gewichtigen, ungemein materialreichen Gießener Habilitationsschrift angetreten, zwar nicht als erster, aber dennoch als besonders profunder Fachmann dieses Defizit für die Bundesrepublik in der Phase zwischen 1963 und 1974 gründlich zu beseitigen. Seine Studie beeindruckt durch ihren stupenden Quellenreichtum, durch eine minutiöse, facettenreiche Darstellung und die nuancierte, aber klare Wertung sowie durch eine souveräne Beherrschung der vorhandenen Sekundärliteratur, was indes in der Summe der Lesbarkeit gelegentlich Abbruch tut. Hoeres hat schon oft genug bewiesen, dass er ein guter Stilist ist, hier aber besticht er eher durch eine gewisse Trockenheit.

Die Einleitung ist stellenweise etwas problematisch geraten. Hoeres kritisiert zu Recht die bisherige Betriebsblindheit der Historiographie zu den auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik für die Rolle der medial strukturierten Öffentlichkeit, um dann ein theoretisches Feld zwischen den schmittianischen und antischmittianischen Verfechtern der Untersuchung elitärer Diskurse innerhalb der bürgerlichen Öffentlichkeit auszumachen, also von Politikern, Intellektuellen und Journalisten einerseits, und von den modernen und postmodernen Anhängern der totalen Transparenz und der Einbeziehung der breiteren, durch Meinungsumfragen eruierten demokratischen Öffentlichkeit andererseits. Dabei irritiert weniger, dass Habermas zum ersten Lager gerechnet wird, was bei Lektüre von Strukturwandel der Öffentlichkeit1 durchaus Sinn macht, sondern die fehlende Selbstverortung des Autors, der offenbar, was aber nur implizit deutlich wird, eine Synthese beider Standpunkte anstrebt. Diese theoretische Unentschlossenheit durchzieht dann das gesamte Opus, zumal diese und andere fundamentale theoretische und methodische Bezugspunkte, darunter die Konzepte von Transnationalität und transnationalen Netzwerken, die Transfer- und Beziehungsgeschichte et cetera ganz überwiegend erst in der Zusammenfassung wieder aufgenommen und dann fruchtbar gemacht werden. Ohne weiteren Kommentar taucht auch der offenbar unvermeidliche Clifford Geertz auf, dessen prinzipiell ahistorische Methodik indes nicht kritisiert wird. Selbst Niklas Luhmanns Systemtheorie wird, freilich kritisch gewürdigt, am Rande eingeführt. Eine konzentriertere und theoretisch womöglich ambitioniertere, kritisch reflektierte Einleitung wäre wünschenswert gewesen und hätte zudem die Präzision der anschließenden Analyse vermutlich intensiviert.

Der empirische Teil beschreibt gewissermaßen eine Raute, in der oben die Politik mit den Akteuren Regierung, Parteien, Politiker und Karrierediplomaten steht, an den beiden Rändern zum einen die Massenmedien mit den Journalisten, Chefredakteuren und Herausgebern, zum anderen die Intellektuellen – beide als strukturgebende Vordenker der Öffentlichkeit, wenngleich mit, wie die Meinungsumfragen belegen, eher mangelhaftem Erfolg. Dessen höchst überschaubare Grenzen stimmen nicht notwendig mit dem aufgeblähten Selbstbewusstsein der mitunter höchst selbstreferentiellen intellektuellen und medialen Akteure überein. Das untere Ende der Raute markiert dann die durch Meinungsumfragen erschließbare breite Öffentlichkeit, der wiederum durch die Umfrageinstitute eine gewisse Struktur gegeben wird. Hoeres hat nun den Anspruch, die gesamte Raute in den Blick zu nehmen, was ansatzweise eingelöst wird. Faktisch aber stehen durchweg die Politik und die Medien im Vordergrund, während die Intellektuellen, vorwiegend in Gestalt von Karl Jaspers in den 1960er-Jahren und dem umtriebigen Günther Grass im Umfeld Willy Brandts und der Sozialdemokratischen Wählerinitiative (SWI) randständig, fast stiefmütterlich behandelt werden. Die Umfragen und damit die breite Öffentlichkeit werden meist nur additiv, sozusagen unter „ferner liefen“, einbezogen, in der Regel um die Grenzen der Deutungskapazität und Meinungshoheit der Massenmedien auszuloten. Diese leichte Unwucht ist gleichwohl kein Nachteil, denn sie ermöglicht eine ausgesprochen sorgfältige Analyse der beiden anderen Eckpunkte der Raute.

Denn darin liegt die unbestreitbare Stärke des vorliegenden Bandes. Der Verfasser macht für den Zeitraum 1963 bis etwa 1968 die Atlantiker-Gaullisten-Kontroverse als strukturgebendes Moment der außenpolitisch-medialen Landschaft aus. Inhaltlich mag manche seiner Ausführungen aus den Untersuchungen von Eckart Conze2 und Tim Geiger3 bekannt sein, aber Hoeres gelingt es, die Funktion der Kontroverse in ihrer ganzen Tiefe auszuloten. Gerade die konservative Presse, aber auch „Der Spiegel“, „Stern“ und “Die Zeit“ definierten ihre Positionen entlang dieser Achse, wobei es, etwa im Falle der “Zeit“, zu einem Revirement der eigenen Haltung kam. Sehr schön wird deutlich, wie aggressiv die vorgeblich „liberalen“ Atlantiker ihre Sicht der Dinge propagierten und wie sehr sie sich zu Beginn des Vietnamkriegs in – im Nachhinein – unsinnige, ja unsägliche Positionen verrannten, während die katholisch-konservativen Gaullisten bereits eindringlich vor einer Eskalation des Konflikts warnten. Berlin wurde eben nicht, wie die Liberalen es nahelegten, am Mekong verteidigt.

Mit der Großen Koalition verlor die Atlantiker-Gaullisten-Kontroverse jedoch ihre prägende Funktion, die dann durch die Neue Ostpolitik abgelöst wurde. Gerade innerhalb des konservativen Lagers führte dies zu einem Realignment, nachdem die Gaullisten noch bis 1967 durchaus für eine Annäherung an Moskau plädiert hatten. Jetzt wurde die Frage, ob man pro oder contra Amerika und seine Vietnampolitik war, zum Lackmustest des bundesrepublikanischen Konservativismus. Parallel dazu kam es zu einem markanten Linksruck innerhalb des deutschen Journalismus. Ab 1972 stand immer eine Mehrheit der westdeutschen Redakteure fest in den Reihen von SPD und FDP, konservative Journalisten wurden zu einer vom Aussterben bedrohten Spezies. Leider geht Hoeres den Gründen für dieses intellektuelle Ausdünnen konservativer und genuin katholischer Positionen nicht nach, sondern statuiert sie bloß. Lag es an der Delegitimation des nationalen Konservativismus durch die zeitweilige Kooperation mit dem Nationalsozialismus? Oder waren soziostrukturelle Gründe ausschlaggebend? Wie dem auch sei, faktisch führte dies, obwohl sich bereits 1971 eine erste Ernüchterung der linken „Hamburger Kumpanei“ (die Springerpresse war ja seit etwa 1965 aus diesem Verbund ausgeschieden) über den Regierungsstil Willy Brandts abzeichnete, zu einem fließenden Ineinander von Journalismus und Politik. Journalisten wurden Berater, Abgeordnete, Minister. Erst nach 1975 setzte dann der Übergang vom meinungsstarken, missionarischen politischen Journalismus zum professionellen Dienstleistungsjournalismus der Gegenwart mit seinen ökonomisch aufgeweichten Qualitätsstandards ein.

Es gelingt Hoeres, diesen Prozess mit feinem Pinselstrich über ein gutes Jahrzehnt bundesrepublikanischer Außenpolitik nachzuzeichnen, ohne Außenpolitik schlicht in Öffentlichkeit aufgehen zu lassen. Entgegen den Befürchtungen der traditionellen Historiografie bleibt etwas vom Arkanbereich der auswärtigen Beziehungen, selbst wenn man seine Grenzen enger zieht.

Anmerkungen:
1 Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit: Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft; mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990, Frankfurt am Main 1990.
2 Eckart Conze, Die gaullistische Herausforderung: Deutsch-Französische Beziehungen in der amerikanischen Europapolitik, München 1995.
3 Tim Geiger, Atlantiker gegen Gaullisten: Außenpolitischer Konflikt und innerparteilicher Machtkampf in der CDU, 1958–1966, München 2008.

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