F. Köster: Das Ende des Königreichs Hannover und Preußen

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Titel
Das Ende des Königreichs Hannover und Preußen. Die Jahre 1865 und 1866


Autor(en)
Köster, Fredy
Reihe
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen 267
Erschienen
Anzahl Seiten
272 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Karl Heinz Schneider, Historisches Seminar, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover

Das Königreich Hannover hat mit einem doppelten Dilemma zu kämpfen: Zum einen wurde es nur knapp 30 Jahre alt, zum anderen wurde es, wohl auch deswegen, von der Forschung eher ignoriert, zumindest der überregionalen, wenn man von Ausnahmen wie der Studie von Abigail Green einmal absieht.1 Die kurze Dauer und das eher unrühmliche Ende 1866 trugen dazu bei; die relativ (!) dünne Forschung hängt allerdings auch mit den starken archivarischen Verlusten am Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen. Dass es sich lohnt, die hannoverschen Entwicklungen genauer zu betrachten, zeigt die hier vorzustellende Studie von Fredy Köster, der damit ein vor 30 Jahren begonnenes Projekt fortsetzt, beziehungsweise abschließt.2

Kösters Buch besteht aus zwei Teilen: Einer ca. 190 Seiten langen Darstellung und einem knapp vierzig Seiten langen Anhang mit 16 Quellen; hinzukommen selbstverständlich ein Quellen- und ein Literaturverzeichnis. Köster setzt im Jahr 1864 ein und untersucht die letzten Phase des Königreichs in drei Kapiteln: 1. Den Entscheidungen im Jahr 1865 („Hannover im Jahr der politischen Weichenstellungen“), 2. „Hannover zwischen Preußen und Österreich“, 3. „Hannovers Entscheidung gegen Preußen“, das mit der Annexion Hannovers endet.

Die Studie zeigt mehreres: Das Ende des Königreichs kam auch für die Zeitgenossen keineswegs überraschend, aber es wäre vermeidbar gewesen und es war von Bedeutung für die deutsche Geschichte. Zum einen belegt die Studie die strukturelle Schwäche der hannoverschen Außenpolitik, die zwar auf die grundsätzliche Unterstützung Österreichs zielte, aber dem direkten und immer stärker werdenden Einfluss Preußens ausgesetzt war. In Hannover sah man sehr wohl die von Preußen ausgehende Gefahr für das eigene Territorium, suchte immer wieder nach Lösungen, verschärfte aber damit eher die Problematik. Beispielhaft seien die Aktivitäten 1864/65 im Zusammenhang mit Schleswig-Holstein genannt. Hannover versuchte zeitweise Preußen, nicht Österreich oder die süddeutschen Staaten, zu unterstützen, und zwar in der Hoffnung, dass Schleswig-Holstein Bismarck von dessen kleindeutscher Politik ablenken würde. Dies wiederum führte bei allen anderen Beteiligten zu Irritationen (etwa S. 31). Zugleich wurde die hannoversche Politik durch die beharrliche Weigerung Österreichs konterkariert, jegliche Zugeständnisse, etwa den Verkauf der holsteinischen Anteile, abzulehnen. Verschärft wurde diese geradezu schwankende Außenpolitik durch die Weigerung des Königs, die extrem geringen Handlungsspielräume des Landes überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. So träumte er zeitweise von einer österreichischen Flottenstation an der Nordsee und hoffte, über die Finanzierung dieser Station das bis 1802 zu Hannover gehörende Lauenburg wieder erwerben zu können.

Dabei gab es durchaus realistische Einschätzungen der Grenzen hannoverscher Politik, wie eine Denkschrift des Beraters von Außenminister Graf Platen vom Februar 1866 zeigt (S. 84f). Hier wurde mit klaren Worten der extrem geringe Spielraum thematisiert, allerdings ohne dass dies Folgen für die weitere Politik gehabt hätte. Köster betont für diese Phase, dass im Gegensatz zu bisherigen Annahmen das Außenministerium keineswegs unvorbereitet dem Krieg entgegen ging, sondern die Gefahr eines Krieges schon zu diesem Zeitpunkt sehr realistisch sah.

Folgt man dieser Argumentation, dann waren die Chancen Hannovers für eine Selbständigkeit weitaus größer als dies bislang angenommen wurde. Das gilt auch für den Krieg selbst, wo Köster erneut die bestehende Geschichtsschreibung kritisch bewertet. Selbst noch am 23. Juni 1866 gab es Signale aus Preußen, die Kampfhandlungen gegen die hannoversche Armee einzustellen. Köster hält die Chancen für eine Weiterexistenz bei einem Eingehen auf die preußischen Forderungen für realistisch (S. 164), aber warum kam es nicht dazu?

Hier begegnen wir einer Argumentationslinie, die sich durch die gesamte Darstellung zieht: Verantwortlich für das Desaster war demnach allein der König. Er verspielte nicht nur durch unrealistische außenpolitische Hoffnungen reale Chancen auf eine andere Lösung, er verhinderte zugleich durch seine innenpolitische Sturheit, die sich selbst nur gemäßigten liberalen Reformen widersetzte, wiederum außenpolitische Optionen. Köster zeigt dies an der gescheiterten Wahlreform von 1865 und dem daraus resultierenden Rücktritt von vier Ministern, was wiederum negative Auswirkungen auf das Verhältnis zu Braunschweig hatte. Georgs konservative Haltung verhinderte nicht nur innenpolitische Reformen, sondern zugleich auch außenpolitische. Jede Veränderung der vorhandenen Bundesverfassung wurde von ihm blockiert, am Ende kostete es dem Königreich die Existenz.

Ist das nur für die hannoversche Geschichte von Bedeutung? Köster geht auf diese Frage eher am Rande ein, aber in einer eindeutigen Weise. Nein, denn erst durch die Annexion Hannovers und Kurhessens erlangte Preußen im neuen Reich seine nahezu erdrückende Bedeutung. Dominant wäre es auch ohne die Annexionen gewesen, aber dennoch in anderer Weise.

Köster setzt sich mit dieser Arbeit von bisherigen Interpretationen des Geschehens deutlich ab.3 Hannover erhält in dieser Perspektive eine aktivere Rolle. Gleichwohl bleibt zu fragen, ob die Frage nach der Verantwortlichkeit des Königs, die hier sehr deutlich beantwortet wird, tatsächlich so leicht zu beantworten ist. Wie sah es im Detail mit der diplomatischen Abstimmung mit Österreich aus? Gab es wirklich noch eine ernsthafte Chance auf die Verhinderung einer Annexion durch Preußen bei einer „anderen“ hannoverschen Politik? Die vorliegende Studie liefert erste Antworten, kann aber auch als Anregung verstanden werden, diese Aspekte noch einmal vertiefend und vergleichend zu untersuchen.

Anmerkungen:
1 Abigail Green, Fatherlands. State-building and nationhood in nineteenth-century Germany, Cambridge u.a. 2001.
2 Fredy Köster, Hannover und die Grundlegung der preußischen Suprematie in Deutschland. 1862–1864, Hildesheim 1978 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen: Niedersachsen und Preußen; Heft 12 Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen).
3 Etwa Ernst Schubert in Bernd-Ulrich Hucker / Ernst Schubert / Bernd Weisbrod (Hrsg.), Niedersächsische Geschichte, Göttingen 1997, hier S. 470.

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