M. Bois: Kommunisten gegen Hitler und Stalin

Cover
Titel
Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik. Eine Gesamtdarstellung


Autor(en)
Bois, Marcel
Erschienen
Anzahl Seiten
613 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
David Templin, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg

Die „Geschichte einer gescheiterten Alternative“ (S. 17) möchte Marcel Bois in seiner Arbeit über die linken Oppositionsgruppen der KPD erzählen – einer Alternative zur stalinistischen Ausprägung dieser Partei in der späten Weimarer Republik, aber auch zu deren politischem Kurs gegenüber der aufstrebenden NS-Bewegung. Die als Dissertation entstandene Arbeit beleuchtet dabei primär die Strömungen und Gruppierungen, die sich in der zweiten Hälfte der 1920er- und den frühen 1930er-Jahren herausbildeten.

Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel und referiert nach der Einleitung zunächst die Vorgeschichte der linken Opposition. Ausgehend von einem Abriss der russischen Oktoberrevolution und der Gründung der Komintern geht Bois auf die Stalinisierung der KPD ein und schildert die unterschiedlichen Phasen der Parteipolitik zwischen 1919 und 1925. Diese Abschnitte basieren auf einer profunden Kenntnis der Sekundärliteratur, referieren jedoch im Wesentlichen bekannte Entwicklungen: die frühen linkskommunistischen Abspaltungen, das Schwanken zwischen „Offensivtheorie“ und „Einheitsfrontpolitik“ und die bereits unter der linken Fischer/Maslow-Führung vorangetriebene „Bolschewisierung“ der Partei.

In seiner gesamten Deutung folgt Bois dem – von Hermann Weber formulierten und in der Forschung nicht unumstrittenen – Paradigma einer „Stalinisierung“ der deutschen Kommunistischen Partei.1 Mit diesem Begriff werden Prozesse der Entdemokratisierung, Zentralisierung und zunehmenden Abhängigkeit von Moskau bezeichnet, deren Beginn auf die Mitte der 1920er-Jahre datiert wird. Zwar präsentiert Bois gute Gründe dafür, die Bedeutung dieser Entwicklung nicht zugunsten der Annahme einer von Beginn an undemokratisch strukturierten Partei einzuebnen. Unklar bleibt allerdings, warum diese Prozesse begrifflich an die Person Stalins gekoppelt werden, wenn sie – was Bois selbst auf den Seiten 153ff. beschreibt – bereits unter der linken Fischer/Maslow-Führung einsetzten, die weniger mit Stalin als mit dem Komintern-Führer Sinowjew verbündet war.

Erst ab Seite 169 beginnt Bois, seine originäre Forschung auszubreiten. Dafür greift er die beiden in der Kommunismusforschung vorherrschenden methodischen Ansätze auf, indem er zunächst eine politikgeschichtliche und im abschließenden Teil eine sozialgeschichtliche Herangehensweise wählt. Während er in Kapitel vier zunächst detailliert die Organisationsgeschichte der linken KPD-Opposition nachzeichnet, behandelt Kapitel sechs die soziale Zusammensetzung ihrer Akteurinnen und Akteure sowie deren alltägliche politische Praxis. Zwischen diesen beiden Hauptteilen der Arbeit geht Bois auf die Faschismus-Analysen sowie auf antifaschistische Aktivitäten der linkskommunistischen Gruppierungen ein.

Der organisationsgeschichtliche Abriss, der mit 168 Seiten knapp ein Drittel der Arbeit ausmacht, zeichnet akribisch die Entstehung der linken Oppositionsgruppen sowie ihrer Spaltungen, Abgrenzungen und Vereinigungsprojekte nach. Ausgangspunkt dieser Entwicklungen bildete der „Offene Brief“ vom August 1925, über den die Komintern die KPD-Spitze um Ruth Fischer und Arkadij Maslow entmachtete. In den folgenden Jahren wurden, wie Bois anschaulich schildert, schrittweise alle linksoppositionellen Strömungen aus der Partei gedrängt – durch ein taktisch geschicktes Vorgehen der neuen Führung um Thälmann, aber auch erleichtert durch die Heterogenität und Zerstrittenheit dieser Opposition. Während sich ultralinke Gruppen wie die „KPD-Opposition (Linke KPD)“ um Iwan Katz oder die „Entschiedene Linke“ um Karl Korsch nach ihren Ausschlüssen früh jenseits der KPD neu orientierten und zum Teil die Kooperation mit älteren linkskommunistischen Organisationen wie der KAPD suchten, blieben die Fischer/Maslow-Gruppe und die „Weddinger Opposition“ länger an der Vorstellung einer Reform der Partei orientiert. Ein Stammbaum im Anhang der Arbeit erleichtert es, die diversen Spalt- und Vereinigungsprozesse dieser Gruppierungen nachzuvollziehen (S. 533).

Standen hinter der linken KPD-Opposition um 1927 noch rund 20.000 Anhängerinnen und Anhänger, so sank deren Einfluss im Zuge dieser Spaltungen rasch. Auch dem 1928 ins Leben gerufenen „Leninbund“, mit dem die Strömung um Ruth Fischer und Hugo Urbahns eine eigenständige Organisation jenseits der KPD ins Leben rief, war dieses Schicksal beschieden – er spaltete sich an der Frage des Antritts zu Wahlen. Interessanter als die extensiv ausgebreitete Organisationsgeschichte der linken KPD-Opposition sind die leider nur kurzen Passagen, in denen Bois auf die frühe Kritik dieser Gruppierungen am politischen System der UdSSR eingeht. Dieses wurde beispielsweise von Korsch als „roter Imperialismus“ attackiert, Werner Scholem sprach von einer „staatskapitalistische[n] Entwicklung“, und die Katz-Gruppe verglich 1926 Stalins Großmachtstreben mit dem Napoleons (S. 213–215).

Die frühen 1930er-Jahre beschreibt Bois als Beginn eines Sammlungsprozesses einer explizit trotzkistischen Strömung in Deutschland. Dabei greift er auf den von ihm ausgewerteten Nachlass Leo Trotzkis zurück, der eine umfangreiche Korrespondenz mit deutschen Linksoppositionellen enthält. Ausgehend von der steigenden Bedeutung des wenige Jahre zuvor – auch von der linken Opposition – noch als „Unperson“ verteufelten Trotzki referiert Bois im fünften Kapitel zunächst dessen Analyse des deutschen Faschismus, die er mit jener des KPO-Theoretikers August Thalheimer (vom 1928 ausgeschlossenen „rechten“ Flügel der KPD) vergleicht. Diesen Faschismus-Analysen folgend bemühten sich viele linkskommunistische Gruppen in den frühen 1930er-Jahren um eine „Einheitsfront“ der Parteien der Arbeiterbewegung. Mit der Schilderung dieser gescheiterten Bemühungen schließt die chronologische Darstellung. Etwas unterbelichtet bleibt, wie es zu erklären ist, dass gerade jene Gruppierungen, die wenige Jahre zuvor noch vehement gegen die Zusammenarbeit ihrer Partei mit der SPD gekämpft hatten, nun zu Vorreitern einer solchen Einheitsfrontpolitik wurden.

Der „Sozialgeschichte der Linken Opposition“ widmet sich das sechste Kapitel, wobei Bois unter Sozialgeschichte auch die alltägliche politische Arbeit fasst. Auf Basis eines Samples von 1.260 Personendaten linksoppositioneller Kommunistinnen und Kommunisten, die er aus den Quellen gewinnen konnte, analysiert Bois zunächst die Sozialstruktur und regionale Ausbreitung der verschiedenen Gruppen. Dadurch vermag er unter anderem das bisherige Bild der linken Opposition als primär von Intellektuellen (und Erwerbslosen) getragener Bewegung zu korrigieren. So lassen sich 66 Prozent Industrie- und Facharbeiter unter ihren Anhängern ausmachen, 67 Prozent waren vor 1918 zur Arbeiterbewegung gestoßen und knapp 52 Prozent bereits 1919/20 in die KPD eingetreten. Bois kann zudem zeigen, dass die Opposition flächendeckend im Deutschen Reich Anhängerinnen und Anhänger hatte – auch wenn Berlin-Brandenburg, die Pfalz und das Ruhrgebiet zu ihren Hochburgen zählten.

Neben der Sozialstruktur und regionalen Ausbreitung geht Bois auf die Presse und Publikationen der linksoppositionellen Gruppen ein, analysiert deren „Kampf um die Partei“, ihr Auftreten in Wahlkämpfen und im Parlament sowie ihre Beziehungen zu sowjetischen Oppositionellen. Zwar kamen die Gruppen bei keiner Reichstags- oder Landtagswahl auch nur auf ein Prozent der Stimmen, aber Dutzende der Ausgeschlossenen weigerten sich, ihre noch als KPD-Mitglieder erlangten Mandate aufzugeben und verblieben so für wenige Jahre in den Parlamenten. Zudem gewannen linkskommunistische Listen in einzelnen Kommunen, in denen ihre Sprecher als lokale Arbeiterführer verankert waren, Mandate und überrundeten mitunter sogar die KPD. Bois kann anschaulich herausarbeiten, wie die linksoppositionellen Abgeordneten in ihrer Tätigkeit zwischen einer Strategie des „revolutionären Parlamentarismus“, die primär darauf abzielte, das Parlament als Bühne antikapitalistischer Agitation zu nutzen, und sachlich-konstruktiven Beiträgen (vor allem auf kommunaler Ebene) schwankten.

Basierend auf einer hervorragenden Kenntnis der Forschungsliteratur und der Auswertung zahlreicher Archivquellen hat Marcel Bois eine Darstellung über die linken Oppositionsgruppen in der KPD verfasst, die eine Lücke in der bisherigen Kommunismusforschung ausfüllt. Die akribische Nachzeichnung der organisatorischen Spaltprodukte, verbunden mit dem intensiven Blick auf das Profil ihrer (zumeist männlichen) Akteure und deren alltägliche politische Aktivitäten schärft unser Bild dieses Spektrums dissidenter Kommunistinnen und Kommunisten. Die Stilisierung dieser Strömung zur historischen „Alternative“ relativiert Bois selbst in seinem Fazit, wenn er darauf hinweist, dass ein Sieg der linken Opposition im innerparteilichen Machtkampf Prozesse der Entdemokratisierung und der gesellschaftlichen Isolierung möglicherweise ähnlich oder noch stärker befördert hätte, als sie dann unter der Thälmann-Führung tatsächlich erfolgten.

Anmerkung:
1 Vgl. Hermann Weber, Die Wandlung des deutschen Kommunismus. Die Stalinisierung in der Weimarer Republik. Gekürzte Studienausgabe, Frankfurt a. M. 1969; ders., Die Stalinisierung der KPD – Alte und neue Einschätzungen, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, Berlin 2007, S. 221–244; zur Kritik an Webers These: Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik. Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, Darmstadt 1996, S. 54–83, vor allem S. 68f.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch