W. Eck u.a. (Hrsg.): Öffentlichkeit – Monument – Text

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Titel
Öffentlichkeit – Monument – Text. XIV Congressus Internationalis Epigraphiae Graecae et Latinae. 27.–31. Augusti MMXII – Akten


Herausgeber
Eck, Werner; Funke, Peter
Reihe
Corpus inscriptionum Latinarum, Auctarium, S.N. 4
Erschienen
Berlin 2014: de Gruyter
Anzahl Seiten
XV, 773 S.
Preis
€ 169,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Institute for the History of Ancient Civilizations, Northeast Normal University, Changchun (China)

Epigraphik ist keine alleinige Textwissenschaft – diese banale, aber gelegentlich hinter der Kärrnerarbeit der Textrekonstruktion wie -interpretation etwas zu verschwinden drohende Tatsache hat der 14. Kongress für Griechische und Lateinische Epigraphik schon mit seinem Motto „Öffentlichkeit – Monument – Text“ deutlich gemacht. Mit dem Hintanstellen des Schriftlichen hinter die Publizität und Materialität des inschriftlichen Befundes wurde versucht, neben altbekannten auch neue Zugänge zu den epigraphischen Hinterlassenschaften zu gewinnen, wovon die jetzt vorliegenden, umfangreichen Akten beredtes Zeugnis ablegen.

Der hochwertig produzierte Band ist wegen seiner Fülle an neuen Funden, Interpretationen wie Zugangsweisen zu Recht in der Auctarium-Serie zum Corpus Inscriptionum Latinarum erschienen, obgleich er nicht nur Lateinische Epigraphik beinhaltet. Er gibt, in Zeiten immer knapper werdender Förderungen für konventionellen Druck ungewöhnlich und daher bemerkenswert, einen vollständigen Überblick zum gesamten Kongressgeschehen, wenn auch die einzelnen Sektionsbeiträge, im Gegensatz zu den Beiträgen in den Plenarsitzungen, nur in gekürzter Form vorgelegt werden. Anfangs- und Schlussvortrag, die vier Plenarsitzungen sowie die 13 Sektionen spiegeln dabei die aktuellen Arbeits- und Forschungsschwerpunkte der Griechischen und Lateinischen Epigraphik gut wider. Aus den über 130 Beiträgen seien hier nur einige wenige exemplarisch hervorgehoben, um das breite Spektrum aufzuzeigen.

Wie sehr bei der Epigraphik Fort-, aber auch Rückschritt von einem komplexen Geflecht von Personenkonstellationen, institutionellen Ordnungen und politischem Zeitgeist abhingen, zeigt Stefan Rebenich in seinem Eröffnungsvortrag über „Berlin und die antike Epigraphik“ (S. 7–75). Zu den bereits von der Wissenschaftsgeschichte (und maßgeblich auch von Rebenich selbst) herausgearbeiteten Entwicklungslinien im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fügt er äußerst interessante Recherchen für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hinzu, welche die (teils absurden, teils erschütternden) Auswirkungen des Ost-West-Konfliktes auf die Wissenschaft in nuce und exemplarisch verdeutlichen. Dass die wissenschaftlichen Großprojekte „Corpus Inscriptionum Latinarum“ und „Inscriptiones Graecae“ trotzdem und immer noch mit der Stadt Berlin verbunden sind, zeigt vor allem die herausragende und unbestreitbare Qualität (nicht nur) dieser Langzeitforschungen, die sich zum Teil aus der Umklammerung von Personen, Ränkespielen und politischer Einflussnahme zu lösen vermochten. Die in einer späteren Sektion präsentierten Beiträge zur Forschungsgeschichte (S. 519–545) gehen demgegenüber verstärkt auf den ersten Boom epigraphischer Forschungen vom 15. bis zum 17. Jahrhundert ein, zeigen allerdings ebenso die von Rebenich offengelegte Verflechtung von Personen, Institutionen wie „Zeitgeist“.

Einen ob seiner systematischen Herangehensweise äußerst gewinnbringenden Beitrag liefert Christian Witschel, gehalten innerhalb der Plenarsitzung „Stadtbild im Wandel“ (S. 105–133). Indem er die unterschiedlichen möglichen Rezipientengruppen von Inschriften im öffentlichen Raum – vom unbeeindruckten Forumsbesucher bis zum Flaneur1 – charakterisiert, entwirft er am Beispiel der Fora von Segobriga (Hispania citerior) und Thamugadi (Numidia) einen neuen Schlüssel, um etwa die Platzierung oder Textgestaltung von Inschriften auszuwerten. Gerade bei der sprachlichen Gestaltung von Inschriften dürfte hier die Epigraphik von neueren Zugängen der Literaturwissenschaft unter dem Stichwort „figurative Poesie“2 profitieren. Dies wird auch in den Artikeln einer Sektion zu „Raum – Bild – Inschrift“ deutlich, in der sich unter anderem Sara Kaczko mit den linguistischen und visuellen Präsentationstechniken in dedikatorischen Versinschriften auseinandersetzt (S. 686–688) und dabei das (bewusst gesteuerte) Zusammenwirken von Materialität, Darstellung auf dem Inschriftenträger und sprachlicher Gestaltung der Inschrift (so die Mischung von Dialekten) herausarbeitet.

Eine spannende Plenarsitzung bildete auch diejenige zur „Begegnung epigraphischer Kulturen“, womit auch Sprachen außer den „klassischen“, Griechisch und Latein, einbezogen wurden. Gerade die Verwendung anderer Sprachen in Bi- oder Trilinguen lässt dabei Rückschlüsse auf die Kontextualisierung zu, wobei sich daraus Fragen etwa nach „Herrschaftssprache“, „Identitätsgefühl“ oder „In- bzw. Exklusion“ entspinnen. Hier zeigt der Beitrag des Ägyptologen Stephan Johannes Seidlmayer (S. 197–230), dass in der Region des Ersten Nilkatarakts um Aswân nicht nur die sprachlichen, sondern auch diversen sozialen, politisch-rechtlichen, religiösen wie raumspezifischen Informationen vonnöten sind, um die Häufung (oder gegebenenfalls auch das Fehlen) von Inschriften hinreichend erklären zu können. Wie sehr gerade der „Hafen“ als Kulminationspunkt des Aufeinandertreffens verschiedener Kulturen fungierte und welche Folgen dies für die Epigraphik zeitigt, veranschaulichen die Beiträge zu einer weiteren Sektion. Gerade die Gegenüberstellung von der unter anderem in den Inschriften und archäologischen Hinterlassenschaften zu greifenden „Wirklichkeit“ und den literarischen Vorbehalten gegen „Häfen“ in der (staats-)philosophischen griechisch-lateinischen Literatur (vgl. beispielsweise Plat. leg. 4, 704b–705c; Aristot. pol. 7,6 1327a 30-40; Cic. rep. 2,7–10) dürfte auch neue Zugänge zu den literarischen Diskursen eröffnen.3

Die weiteren Plenarsitzungen und Sektionen hatten folgende Themen zum Gegenstand: Epigraphik ländlicher Räume, Public Entertainment, das Militär in seiner Welt, Inschriften in privaten Räumen, Inschriften in der digitalen Welt, XII. F.E.R.C.A.N Workshop, Vermessung von Räumen, Heiligtümer und Kulte, Inschriften und christliche Kulträume sowie Zwiesprache von Lebenden und Toten: Gräber und ihre Inschriften. Einen wichtigen Bereich bildet, wie stets auf epigraphischen Kongressen, die Präsentation von Neufunden, die in zwei Sektionen abgehandelt werden. Hier ragt sicherlich das von Werner Eck analysierte Stadtgesetz von Troesmensium insbesondere mit seinen Bezügen zur lex Iulia et Papia hervor, vor allem auch wegen des zu rekonstruierenden imposanten Aufstellungsraumes der wohl über 50 Bronzetafeln (S. 708–710). Alles in allem stellt der Tagungsband ein umfangreiches wie beeindruckendes Zeugnis des ‚state of the art‘ der Epigraphik dar.

Anmerkungen:
1 Dass gerade die Frage nach der Leserschaft schon die antiken Aufsteller einer Inschrift beschäftigte, zeigt Jürgen Hammerstaedt in seinem Abschlussvortrag zur Diogenesinschrift von Oinoanda (S. 731–755). So bittet Diogenes die Leserschaft seiner an der Stoa publizierten Traktate, diese nicht nur flüchtig und gleichgültig wahrzunehmen, sondern sich seine Lehren gut und gründlich einzuprägen (Diog. fr. 30 III 4-13 Smith); in der vom Verfasser modifizierten Variante zitiert auf S. 744.
2 Vgl. dazu die Besprechung von Johannes Wienand, Sammelrezension: Forschungen zur figurativen Poesie, H-Soz-Kult, 15.12.2014 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2014-4-173>.
3 Vgl. dazu den zur Veröffentlichung angenommenen Vortrag des Rezensenten, Sonderwirtschaftszonen – Antike Konzeptionen und Konstruktionen, gehalten auf der Tagung „Antike Wirtschaft und ihre kulturelle Prägung (2000 v. Chr. – 500 n. Chr.)“ am 21.02.2014. Vgl. die Zusammenfassung der Tagung von Diego De Brasi / Stefanie Stürmer, Tagungsbericht: Antike Wirtschaft und ihre kulturelle Prägung (2000 v. Chr. – 500 n. Chr.), 20.02.2014 – 22.02.2014 Marburg, in: H-Soz-Kult, 02.06.2014 <http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5402>.

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