M. Müller u.a. (Hrsg.): Kulturtransfer am Fürstenhof

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Titel
Kulturtransfer am Fürstenhof. Höfische Austauschprozesse und ihre Medien im Zeitalter Kaiser Maximilians I.


Herausgeber
Müller, Matthias; Spieß, Karl-Heinz; Friedrich, Udo
Reihe
Schriften zur Residenzkultur 9
Anzahl Seiten
309 S.
Preis
€ 36,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christina Antenhofer, Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

1519 starb Maximilian I., den Mittelalter wie Neuzeit gleichermaßen als Person der Schwelle für sich beanspruchen. Sein 490. Todestag im Jahre 2009 wurde zum Impulsgeber für mehrere Bände zu Maximilian und seinem Hof.1 In dieses Panorama gliedert sich der vorliegende Band ein. Das Herausgeberteam ist dabei zugleich Garant der interdisziplinären Herangehensweise. Im Zentrum steht die Frage nach Kulturtransfer am Hof, gefragt wird nach den höfischen Austauschprozessen und ihren Medien im Zeitalter Maximilians. Der Band ist hervorgegangen aus einer Tagung, die am 14./15. März 2008 an der Universität Greifswald im Zuge eines von der DFG geförderten Verbundprojekts abgehalten wurde, welches aus germanistischer, historischer und kunsthistorischer Perspektive Kulturtransfer an der Schwelle von Mittelalter und Früher Neuzeit in den Blick nahm.

Die Einleitung bietet einen Aufriss des Forschungsfeldes. Als entscheidender Impuls wird die ab 1985 unter der Überschrift transferts culturels getragene Zusammenarbeit um die Leitautoren Michel Espagne, Matthias Middell und Michael Werner genannt, die nach Austauschprozessen zwischen Deutschland und Frankreich in neuzeitlicher Perspektive fragten. 1992 folgte der 28. Internationale Kongress für Kunstgeschichte zum Thema des „Künstlerischen Austausches“, in dessen Rahmen Thomas W. Gaehtgens die Forderung nach einer fachspezifischen Definition des kulturwissenschaftlichen Ansatzes und einer eigenen Methodologie formulierte. Dies sei, so die Herausgeber, mittlerweile durch die Ergebnisse einer Reihe von Forschungen eingelöst.

Das kunsthistorische Konzept des Kulturtransfers grenze sich demnach ab von einem vagen Fragen nach „Einflüssen“ und von der Vorstellung einer „gebenden Leitkultur und einer nehmenden Sekundärkultur“, welche Konstrukte eines Kulturgefälles und eines einseitigen Abhängigkeitsverhältnisses propagieren. Dagegen verlagere sich das Interesse auf die Beziehungen zwischen Ausgangs- und Rezeptionskultur, wobei „nicht nur der Export, sondern auch der Wille und die Bereitschaft zum Import von künstlerischen Elementen“ interessieren (S. 8). Somit geraten der Prozess des Transfers, Anlässe und äußere Bedingungen, Träger, Mittel und Medien, beabsichtigte und erreichte Zwecke und Funktionen in den Blick. Die fürstlichen Höfe seien zugleich „Katalysatoren und Multiplikatoren für kulturelle Transferprozesse“ (S. 9). In der gegenseitigen Wechselwirkung wie Abgrenzung „eines deutschen Gegenentwurfs zur italienischen Renaissance“ komme den höfischen Bildmedien eine zentrale Rolle zu, insbesondere über deren Einbindung in unterschiedliche Quellen (S. 10f.). Bei den fürstlichen Schätzen stoße der Versuch des Nachweises von Kulturtransfer hingegen auf große Schwierigkeiten, da sich vor allem die Wirkung der Wahrnehmung der „Andersartigkeit von Objekten“ kaum nachweisen lasse (S. 12). Für die Literaturwissenschaften wird der sozialgeschichtliche Ansatz als fruchtbringend hervorgehoben, der den Hof als Vorbild in seiner Eingebundenheit in ein kommunikatives Netzwerk aufzeigt, das seine Wirkung bis in die Peripherie entfaltet (S. 13).

Die neun in diesem Band versammelten Beiträge – ein germanistischer, zwei historische sowie sechs kunsthistorische – gliedern sich in diesen Forschungsaufriss auf unterschiedliche Weise ein, insofern sie das Konzept Kulturtransfer heterogen diskutieren bzw. umsetzen. Im ersten Beitrag erproben Birgit Franke und Barbara Welzel einen kreativen Zugang auf das Goldene Dachl in Innsbruck, indem sie es in ein Netzwerk von Geschichten einordnen, die über Reiseberichte tradiert wurden. Maximilian habe sich mit diesem Monument des Staunens der Durchreisenden versichern und damit in die Erzählungen einschreiben wollen, wobei die kufischen Inschriften und Moriskentänzer das Exotische des Bauwerks unterstreichen. Als Referenz nennen Franke und Welzel den Palast des Großen Khans, der als Topos des prächtigsten Herrschers aufgerufen werde (S. 22). Der Hof Maximilians mit seiner Festkultur, dem Interesse an Exotica und „Mummereien“ sei ein Paradebeispiel für die Inszenierung des Fremden zur Feier des Eigenen in der höfischen Repräsentation. Wichtig ist ihre abschließende Feststellung der Andersartigkeit mittelalterlicher Topographie: „Die Gruppenverbände des späten Mittelalters umspannten immer wieder andere Räume, als die modernen Begriffe von Kultur oder Kulturtransfer oft vermuten lassen.“ (S. 44)

Beate Kellner begreift in ihrem Beitrag die Muster genealogischer Herrschaftslegitimierung im Umfeld Maximilians per se als Ausdruck von Kulturtransfer und fragt nach Prozessen des Medientransfers. Als Orientierungsrahmen benennt sie die burgundische Leitkultur, mittelalterliche Entwürfe von Geschichte sowie humanistische Herangehensweisen mit Rückgriff auf die antike Historiographie, die sich gleichermaßen in heterogenen Medien ausdrücken. Dies artikuliere sich letztlich in der „Überblendung verschiedener Zeichensysteme“ als besondere Charakteristik maximilianischer Projekte (S. 52).

Ute Kümmel nimmt Middells Konzept der „Ketten des Transfer-Prozesses“ als Ansatz, um fürstliche Schätze auf die Frage nach Kulturtransfers entlang der Themenkomplexe Heirat, Reise und Beute zu untersuchen, die sie als „Kettenglieder der Transferprozesse“ begreift (S. 106). Dabei lassen sich zwar fremdartige Objekte als Resultate eines erfolgten Kulturtransfers identifizieren, aufgrund der Quellenlage allerdings keine Ketten im Sinne Middells rekonstruieren. Als Indikatoren für Kulturtransfer bewertet Kümmel insbesondere die Fassung der exotischen Objekte in vertraute Formen, während man die fremdartige Gestaltung beibehielt. Dadurch werde das Fremde zugleich inszeniert und angepasst.

Carola Fey teilt Kümmels Befund, dass sich Austauschprozesse für das 14. und 15. Jahrhundert selten anhand der von ihr dargelegten sakralen Schätze im Sinne der Beziehungen bestimmter fürstlicher Höfe oder der Benennung der Herkunft einzelner Objekte beobachten lassen. Dagegen zeigen sich Verbindungen der Empfänger zu Objekten über ihre Gestaltung und kultische Einbindung. Anhand von drei Fallbeispielen – Kurfürst Ruprechts I. von der Pfalz, Herzog Heinrichs des Reichen von Bayern-Landshut und Herzog Ludwigs des Bärtigen von Bayern-Ingolstadt – kann Fey den religiösen Austausch der Fürsten mit dem französischen und ungarischen Königshof aufzeigen. Der sakrale Schatz selbst bezeuge den „Transfer königlichen Stiftungsverhaltens auf europäischer Ebene“ (S. 128).

Stephan Hoppes Untersuchung der Wittelsbacher Residenzen in Landshut und Neuburg an der Donau bietet methodische Überlegungen zum Konzept des Kulturtransfers. Das von Espagne und Werner geprägte Konzept sei am 19. und 20. Jahrhundert gewonnen, in einer Zeit, als „nationale Kulturen mit einem gewissen Recht als gut fassbare Entitäten vorausgesetzt werden können“ (S. 139). Dies gelte für ältere Epochen wie das Mittelalter und die Frühe Neuzeit weniger. Hier müsse man, erstens, über „die Identifikation und Beschreibung jener Entitäten“ nachdenken, zwischen denen Austausch beobachtet werden soll; zweitens flössen die Quellen weit spärlicher als in der Moderne; und drittens seien die „Substrate“ des Austausches zu diskutieren. Oft werde lediglich eine Idee übertragen, wobei sich die komplexen Prozesse im Nachhinein schwer rekonstruieren lassen. Nicht zuletzt erfordere die „Rekonstruktion von Übernahmen im funktionalen und symbolischen Bereich“ die Entwicklung innovativer Modelle abseits der „eingeführten epistemologischen Kategorien“, da ansonsten viele Transferprozesse außerhalb der wissenschaftlichen Beobachtung bleiben (S. 156).

Drei Beiträge widmen sich Transferprozessen um Künstlerpersönlichkeiten: Jacopo de’Barbari (Ulrich Pfisterer, Beate Böckem) und Lucas Cranach d. Ä. (Elke Anna Werner). Ruth Hansmann wiederum zeichnet anhand eines Briefes Aspekte eines Transferprozesses zwischen dem Markgrafenhof in Mantua und dem Hof Kurfürst Friedrichs des Weisen nach. Als Gegenstand des Transfers benennt sie das „System der Kunstpatronage“ am Mantuaner Hof und „die damit verbundene Charakteristik eines spezifisch ästhetischen Hofprofils“ (S. 296). Das 1507 aufgesetzte Schreiben, in dem Friedrich um „schilderey“ Andrea Mantegnas bittet, ist in den Kontext des zwischenhöfischen Austauschnetzes einzuordnen, welches unter anderem über Briefe, Boten, Geschenke, Reisen und den Austausch von Produkten ablief.

Insgesamt bietet der Band methodisch wie inhaltlich vielfältige, anregende Herangehensweisen und macht die Aktualität des Themas Kulturtransfer deutlich. Für den Zeitraum zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit mit der wachsenden Schriftlichkeit lassen sich im Sinne Hoppes innovative Modelle für die Erforschung von Transferprozessen erproben, die über die an der Moderne gewonnenen Leitparadigmen um Espagne und Middell hinauszuführen vermögen. In dieser Hinsicht bieten die Beiträge reiches Reflexions- und Anschauungsmaterial. Dass dem fürstlichen Hof eine zentrale Rolle als Akteur, Ort und Medium vielfältiger Transferprozesse zukommt, die nur aus einer interdisziplinären Perspektive in den Blick genommen werden können, und dass die Zeit um 1500 als Untersuchungsfeld besonders lohnt, vermag dieser Band überzeugend darzulegen.

Anmerkung:
1 Sabine Weiss, Die vergessene Kaiserin. Bianca Maria Sforza, Kaiser Maximilians zweite Gemahlin, Innsbruck 2010; Heinz Noflatscher / Michael A. Chisholm / Bertrand Schnerb (Hrsg.), Maximilian I. 1459–1519. Wahrnehmung – Übersetzungen – Gender, Innsbruck 2011; Johannes Helmrath / Ursula Kocher / Andrea Sieber (Hrsg.), Maximilians Welt. Kaiser Maximilian I. im Spannungsfeld zwischen Innovation und Tradition, Berlin 2015 (im Druck).

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