H. Gast u.a.: Katholische Missionsschulen in Deutschland

Cover
Titel
Katholische Missionsschulen in Deutschland 1887 - 1940.


Autor(en)
Gast, Holger; Leugers, Antonia; Leugers-Scherzberg, August H.; Sandfuchs, Uwe
Erschienen
Bad Heilbrunn 2013: Julius Klinkhardt Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 32,00
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Anne Weiler, Institut für Erziehungswissenschaft, Ruhr-Universität Bochum

In ihrer zweiten1, aus einem interdisziplinären DFG-Forschungsprojekt entwickelten Studie, beschäftigen sich die Autoren aus der Perspektive der historischen Bildungsforschung mit „Katholischen Missionsschulen in Deutschland 1887 - 1940“. Ziel ist es, die leitenden inhaltlichen Forschungsfragen des Projektes unter anderem mit Hilfe einer während des Projektes entwickelten Datenbank zu beantworten. Es soll die Leistung dieser relationalen Datenbank, die der quantitativen Erfassung von Schülerkollektiven und Schulen dient, für die Forschungsfragen herausgestellt werden. Erkenntnisleitende Aspekte sind dabei die Entwicklung der Institutionen, die pädagogischen Konzepte sowie die Funktionen und Wirkungen der Schulen. Die Darstellung soll möglichst kompakt erfolgen, um wesentliche Merkmale der Missionsschulen herausarbeiten zu können.

Neben der Einleitung und einem Fazit, das etwas zu kompakt ausfällt, besteht die Studie aus vier inhaltlichen Teilen, in denen sehr systematisch und stringent zunächst die Missionsschulen von der „Gründung bis zur Aufhebung“ nachgezeichnet werden, um dann auf die „Entwicklung“ einzugehen anhand beispielsweise der Trägerschaft, der Standorte oder des Schultyps, bevor die beiden ‚Herzstücke’ der Arbeit dargestellt werden: die beteiligten Akteure sowie „Erziehung, Schulleben und Unterricht“ als Ausdruck der pädagogischen Konzepte (S. 5f.). Dabei werden von den insgesamt etwa 50 Schulen drei Anstalten aufgrund der günstigen Quellenlage in einer vergleichenden Längsschnittstudie beispielhaft untersucht: St. Ottilien der Benediktiner, Ehrenbreitstein/Vallendar der Pallottiner und St. Wendel der Steyler Missionare.

In dem 28 Seiten umfassenden ersten Teil wird die Entstehung und Zulassung der Schulen in den 1880er- und 1890er-Jahren vor dem Hintergrund des preußischen Kulturkampfes im Deutschen Reich thematisiert. Am Ende langwieriger Verhandlungen mit den Missionsgesellschaften, erscheint dem preußischen Staat der Mehrwert der Missionsorden bei der Mitarbeit in der Kolonialpolitik als ein Argument für die Zulassung der Schulen mit der Bedingung einer staatlichen Schulinspektion. Jedoch stehen die Schulen zunächst, bis in die 1920er-Jahre, außerhalb des Berechtigungswesens. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wird die Arbeit der Missionsschulen erschwert. Jene verfolgen eine „Zermürbungstaktik“ (S. 42) mit einer systematischen Diffamierung und Aushebelung der Schulen. Mit dem Privatschulgesetzt von 1937 und dem Aufhebungsbeschluss von 1939 endet der Schulbetrieb der Missionsschulen.

Im zweiten Teil (24 Seiten) wird die „Entwicklung der drei ausgewählten Missionsschulen“ anhand der Aspekte Trägerschaft, Standorte, Öffentlichkeitsarbeit, Zugangskriterien und Schultyp dargestellt (S. 53). Ausgangspunkt sind dabei die Missionsschulen als Privatschulen, die sich selber tragen und finanzieren müssen und deren Entscheidungsbefugnis beim Oberen der Gemeinschaft liegt. Es erfolgt im Laufe der Zeit eine „Professionalisierung“ (S. 56) des pädagogischen Betriebs, die sich unter anderem in der Arbeit der Leitungspositionen der Schule (Rektor) und des Internates (Regens) bemerkbar macht. Darüber hinaus tritt der Staat als Inspektor der Internats- und Schulgebäude auf. Um als Schüler aufgenommen zu werden, müssen die Interessenten vor allem eine „Berufung“ (S. 68) zum Priester- und Missionarsberuf aufweisen und aus einem katholischen Elternhaus stammen. Zudem betreiben die Missionsorden eine intensive Öffentlichkeitsarbeit mit Hilfe diverser Publikationen oder Werbeveranstaltungen mit Gästen vom afrikanischen Kontinent.

Der dritte Teil des Buches (66 Seiten) thematisiert die beteiligten Akteure – Lehrer, Eltern und Schüler – und macht eine der wesentlichen Leistungen der Studie aus. An dieser Stelle werden die in den Archiven gesammelten und in der Datenbank zusammengeführten Daten ausgewertet. So ist das Kapitel mit zahlreichen Tabellen gespickt, die dazu dienen, ein Bild von den Lehrern und Schülern in einem vergleichenden Längsschnitt zu erhalten. In Bezug auf die Lehrer werden Aspekte wie die Schüler-Lehrer-Relation, die Zusammensetzungen des Lehrerkollegiums, die Geburtsortbezirke und -größen untersucht sowie Angaben zu den Abschlüssen der Lehrer und der Verweildauer an der Schule gemacht. Die Idealvorstellung eines nur durch Patres durchgeführten Unterrichts bricht sich mit der Realität, in der auch Laienlehrer an den Missionsschulen tätig sind. Insgesamt wird aber von einem eher gering qualifizierten Kollegium von Autodidakten gesprochen, mit einigen wenigen Hochqualifizierten. Auch die Auswertung der Schülerdaten ist sehr umfangreich und lässt sich grob in sozioökonomische und schulische Daten unterteilen. So werden unter anderem folgende Aspekte ausgewertet: Herkunftsländer, soziale Herkunft nach Schicht, Schüler pro Klassenstufe, jährliche Fluktuation in den Schülerzahlen, Art und Gründe für die Beendigung des Schulbesuchs, Verhältnis von Schulerfolg und Noviziateintritt. Dabei machen die Autoren zwei Funktionen aus, die die Missionsschulen erfüllten: Zum einen waren sie eine „Bildungsanstalt für benachteiligte katholisch-ländliche Bildungsreserven“ (S. 117). Zum anderen boten sie die Möglichkeit eines Besuchs einer höheren Bildungsanstalt für die „aufstiegsorientierte[] obere[] Unterschicht“ (S. 121), die in den Großstädten keinen Gymnasialplatz bekam.

Der vierte und letzte inhaltliche Abschnitt (54 Seiten) untersucht die Schulen in Bezug auf ihre Aufgaben als Lehranstalten. Dabei werden das Internat, das Schulleben und der Unterricht auf die pädagogischen Konzepte hin beleuchtet und das Selbstverständnis der Missionsschulen herausgearbeitet. So verstanden sich diese in erster Linie als „Erziehungsanstalten“ und erst in zweiter Linie als „Unterrichtsanstalten“ (S. 156). Dieses Verständnis fand seinen Ausdruck zum einen in einem System der ständigen Kontrolle und Überwachung der Schüler mit keinerlei Privatsphäre und einer starken Abschottung nach außen. Zum anderen in einer eher geringen Unterrichtsqualität, die stark vom Lehrer abhängig war, wobei häufig fachfremdes Personal unterrichtete. Auch die Zeugnisse waren eine, innerhalb der Lehrerschaft nicht kritiklose, Kombination von schulischen Leistungen und einer Beurteilung des „Verhalten[s] in Schule, in Internat und Freizeit“ (S. 202). Als Beispiel für einen internen Kritiker wird in einem kleinen Exkurs auf Josef Kentenich, einen Pallottinerpater, als Reformpädagogen eingegangen. Auch andere kritische Töne werden nicht verschwiegen: So wird mehrfach erwähnt, dass es zu sexuellem Missbrauch kam, der nicht strafrechtlich geahndet wurde. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass die „tatsächlichen und behaupteten Funktionen der Missionsschulen“ (S. 210) auseinanderklafften, da nur wenige Schüler Priester und Missionare wurden und sich viele Missionsschulen zunehmend staatlichen Regelschulen anglichen.

Die Autoren legen mit ihrer Arbeit eine kompakte und übersichtsreiche, methodisch vergleichende Grundlagenforschung vor, die sich auf eine breite Quellensammlung aus kirchlichen und staatlichen Archiven stützt. Hierin liegt die wesentliche Leistung der Studie: die Sichtung und Ordnung des Materials aus vergleichender Perspektive sowie die Aufbereitung der Daten in der Datenbank. Die Fragestellungen sind daher sehr weit gefasst und hätten in dem nur drei Seiten umfassenden Fazit – dem einzigen weniger gelungenen Teil der Arbeit – etwas pointierter beantwortet werden können. So kann die von den Autoren vorgelegte Arbeit sehr gut als Basis für weitergehende, stärker problemorientierte Forschungen in dem quantitativ eher kleinen Bereich der Missions- und Kolonialpädagogik dienen, die nach Ansicht der Autoren bis heute eine „‚Randstellung‘“ oder ein „‚Schattendasein‘“ (S. 10) in der erziehungswissenschaftlichen Forschung fristet. Tatsächlich sind die Autoren als wissenschaftliche Pioniere in diesem Bereich innerhalb der historischen Bildungsforschung anzusehen. Zwar gibt es aus erziehungswissenschaftlicher Sicht Forschungen zu Missions- und Kolonialschulen, jedoch sind dabei die Schulen in den Kolonien und Missionsgebieten der Untersuchungsgegenstand. Thematisiert werden dabei Aspekte wie die Aufrechterhaltung des Schulbetriebs, das Schülerklientel, Mädchen- und Frauenbildung, die Frage der Schulsprache oder die Lehrpläne. Auch aus historischer bzw. kirchengeschichtlicher Forschung gibt es Studien, die sich mit Bildungseinrichtungen der Missionsgesellschaften beschäftigen, jedoch hauptsächlich aus der Perspektive der Missionare in den Kolonien. Arbeiten, die die eigene Geschichte der Missionsorden bzw. -gesellschaften und ihrer Häuser in Deutschland reflektieren, tun dieses in Form von Chroniken, die weniger bildungshistorische Fragestellungen bearbeiten. Somit bietet die Darstellung einen grundlegenden, kompakten, mit zeitgenössischen Fotos angereicherten Überblick über die wesentlichen Merkmale eines bisher nicht (erziehungs-)wissenschaftlich erfassten Forschungsgegenstandes in vergleichender Perspektive.

Anmerkung:
1 Die erste Studie des Projektes von Holger Gast / Antonia Leugers / August H. Leugers-Scherzberg „Optimierung historischer Forschung durch Datenbanken. Die exemplarische Datenbank `Missionsschulen 1887-1940´“ erschien 2010 und thematisiert vor allem die Konzeption und Entwicklung der Datenbank aus forschungsmethodischer Perspektive.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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