S. Stöcklin-Kaldewey: Kaiser Julians Gottesverehrung

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Titel
Kaiser Julians Gottesverehrung im Kontext der Spätantike.


Autor(en)
Stöcklin-Kaldewey, Sara
Reihe
Studien und Texte zu Antike und Christentum 86
Erschienen
Tübingen 2014: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
XII, 456 S.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

An Untersuchungen zu Kaiser Julian herrscht gewiss kein Mangel. Wenn nun innerhalb von fünf Jahren bereits die vierte Dissertation zur Religion bzw. Religionspolitik dieses Kaisers publiziert wird, von denen die ersten drei die Forschung wohl in nur begrenztem Ausmaß gefördert haben 1, mag die Versuchung naheliegen, die vierte vorschnell ebenfalls entsprechend abzutun. Dies wäre jedoch ein Fehler, da Stöcklin-Kaldeweys Basler Dissertation, die mit Martin Wallraff und Stefan Rebenich zwei anerkannte Erforscher der Spätantike als Gutachter aufweisen kann, sich deutlich von den vorangehenden Qualifikationsschriften abhebt.

Die umfangreiche Einleitung (S. 1–48) bietet eine Kurzbiographie Julians und führt in den Forschungsstand ein. Das benannte Ziel ist eine „systematische Analyse von Julians Gesamtwerk, bei der Theorie und Praxis seiner Gottesverehrung auf ihre Herkunft und auf das zugrunde liegende Gedankengut hin überprüft werden“ (S. 5). Stöcklin-Kaldewey formuliert dabei zwei zentrale Fragestellungen: Welche Götter mit welchen Eigenschaften verehrt Julian? Wo und wie kommen Julians Vorstellungen in der Gottesverehrung zum Ausdruck?

Die vier folgenden Kapitel betrachten das Werk Julians unter einer einleitend benannten Frage: „Göttliche Zuwendung – menschliche Abhängigkeit“ (S. 49–105) fragt danach, von wem im Denken Julians die göttliche Zuwendung ausgeht und an wen sie sich richtet. In „Göttliche Offenbarung – menschliche Erkenntnis“ (S. 106–183) wird ermittelt, wie und wem sich Götter mitteilen. „Göttliche Erlösung – menschliche Hoffnung“ (S. 184–283) untersucht die Bedeutung von Heil und Erlösung bei Julian. „Göttlicher Anspruch – menschliche Aufgabe“ (S. 284–395) geht den Erwartungen der Götter gegenüber den Menschen nach.

Es bedarf keiner detaillierten Ausführungen, um darzulegen, dass die Schriften Julians eine ausgesprochen reichhaltige Quelle für die soeben genannten Fragestellungen bilden. Entsprechend bietet das Buch eine Vielzahl von Einzelergebnissen, die in ihrer Vollständigkeit zu diskutieren hier nicht möglich ist. Einige wichtige Ergebnisse seien jedoch festgehalten: Julians Gedankengut ist weitgehend repräsentativ für die Diskurse seiner Zeit, da die Tendenz, die Götter als dem Menschen in allen überlegen, den Mensch aber umgekehrt als vollkommen von den Göttern abhängig darzustellen, auch in anderen zeitgenössischen Quellen auftritt, die die anderen für Julian relevanten Themen ebenfalls ausführlich diskutieren. Das Problem der dadurch distanzierten Götter und dem gleichzeitigen Streben des Menschen nach Nähe und Beziehung zu selbigen versucht Julian durch eine Aufteilung und Hierarchisierung der Götterwelt zu lösen. Weiterhin findet sich bei Julian eine wachsende Bedeutung des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft; dabei gewinnt die innere Einstellung des Menschen gegenüber dem bloßen Vollziehen der Rituale deutlich an Bedeutung.

Als die vier Haupteinflüsse auf Julian benennt die Autorin den Hellenismus (die griechische Kultur und Bildung), die heidnische Religion, den Neuplatonismus (dem die wichtigste Rolle zufällt) und das Christentum, dessen Einfluss zu relativieren, aber dennoch klar vorhanden ist. Eine klare Rückführung bestimmter Gedanken oder Äußerungen auf eine bestimmte Richtung ist nicht immer möglich, da die für Julian wichtigen Themen zuweilen auch durch Vertreter mehrere gedanklicher Strömungen diskutiert wurden (so etwa die Notwendigkeit der göttlichen Hilfe oder die Beschränkung des Menschen). Hinzu kommt, dass Julian etwa in Bezug auf den Hellenismus viele Begriffe anders als frühere Autoren verwendet; einerseits betont er die Bedeutung der heidnischen Religion, andererseits lehnt er aber zentrale Elemente derselben wie das Prinzip des do ut des und die Orthopraxie ab. Die wichtigste Innovation Julians besteht in seiner Sonnenfrömmigkeit und -theologie. Für Stöcklin-Kaldewey ist Julian „kein origineller Denker, aber ein durchaus eigenständiger“ (S. 399).

Stöcklin-Kaldeweys Buch fällt in mehrfacher Hinsicht positiv auf: Die Quellenanalyse steht für sie im Vordergrund und ist für gewöhnlich sorgfältig durchgeführt; dabei erweisen sich die Quellenkenntnisse der Autorin sowohl für die julianischen Schriften als auch für die übrige antike Literatur. Die umfangreiche Literaturliste zeugt zudem von einer ausgiebigen Auseinandersetzung mit der modernen Literatur, wichtige Fehlstellen sind nicht festzustellen.2 Die doch recht komplexe Thematik und die oft schwer verständlichen Texte Julians analysiert Stöcklin-Kaldewey in einem gut lesbaren Text. Gelegentlich finden sich kleinere Ungenauigkeiten 3 oder sachliche Fehler 4, die aber keinen nennenswerten Einfluss auf die Qualität des Buches haben. Für den Althistoriker bedauerlich ist allenfalls, dass Stöcklin-Kaldeweys Dissertation im Gegensatz zu den anderen Arbeiten über diese Thematik aus den letzten Jahren sehr stark in der philosophischen Gedankenwelt Julians verhaftet ist und der politische Praktiker, der seine Prinzipien in sein Regierungshandlungen umzusetzen versuchte, nur selten und dann beiläufig behandelt wird (siehe etwa S. 361 zum Kaiser als Gesetzgeber).

Stöcklin-Kaldeweys Buch bildet somit einen erfreulichen Beitrag zur Julianforschung. Wer einen Grundbestand an aktueller und wichtiger Literatur zu Julian zusammenstellen will, wird dieses Werk in die engere Auswahl nehmen müssen.

Anmerkungen:
1 Ursula Hepperle, Hellenismos bei Flavius Claudius Iulianus und der Konsolidierungsprozess des Christentums im Osten des Römischen Reiches, Diss. Tübingen 2010; Heiko Wedemeyer, Die Religionspolitik des Kaisers Julian. Ein inklusiver Monotheismus in der Spätantike?, Diss. Bayreuth 2011; Theresa Nesselrath, Kaiser Julian und die Repaganisierung des Reiches. Konzept und Vorbilder, Münster 2013 (Diss. Bonn 2011/12).
2 Ergänzen könnte man beispielsweise noch die zahlreichen Julianforschungen von Jean Bouffartigue und Rudolf Asmus, von denen nur eine Monographie und ein Aufsatz bzw. nur ein zweiteiliger Aufsatz genannt werden. Alexander Demandts Spätantike-Handbuch wäre nach der erweiterten zweiten Auflage von 2007, nicht nach der von 1989 (S. 420) zu zitieren. Nützlich für das Studium der religiösen Welt der Spätantike ist zudem auch Alan Cameron, The last pagans of Rome, Oxford 2011.
3 Dass Basileios, der Adressat eines Julianbriefes, mit dem späteren Bischof identisch ist (so recht optimistisch S. 44), ist stark umstritten; die namentlich nicht genannte Stadt, die Julian in seiner Rede an Helios nennt, dürfte nicht Rom (S. 76), sondern eher Konstantinopel sein (siehe auch Amm. Marc. 22,9,2); bei den drei Generationen von Heliosverehrern dürfte es sich um Constantius Chlorus, Iulius Constantius (den Vater Julians) und (als dritte Generation) Julian handeln, Stöcklin-Kaldewey (S. 77, Anm. 101) nimmt statt Iulius Constantius indes Claudius II. Gothicus an; neben dem S. 157 genannten Ammianus findet sich die Charakteristik Julians als superstitiosus auch in der Epitome de Caesaribus (43,7); die Angabe des Livius (34,55,4) supplicarent pariter dürfte nicht als „gemeinsam beten“ (S. 296), sondern als „gleichermaßen beten“ (oder allenfalls als „gleichzeitig beten“) zu übersetzen sein; für die Parallelen der jüdischen Quellen über ein laut S. 323, Anm. 156 so nur in Julians Briefcorpus überliefertes Speisegebot der Juden siehe Johannes Geffcken, Kaiser Julianus, Leipzig 1914, S. 153f.; das S. 344 gebotene Zitat aus der Galiläerschrift bezieht sich nicht auf den Märtyrerkult, sondern auf die religiösen innerchristlichen Auseinandersetzungen, für einige relevantere Belegstellen zu erstgenanntem Thema siehe Juana Torres, Emperor Julian and the veneration of relics, in: Antiquité Tardive 17 (2009), S. 205–214, hier S. 208, Anm. 15.
4 Hilarius von Poitiers schrieb weder ausführlich noch überhaupt gegen Julian (S. 13, Anm. 39); im Gegensatz zu seinen sonstigen genannten lateinischen Kollegen (wie etwa „Ammianus“) heißt der Breviator Eutropios (S. 13, Anm. 39, statt „Eutropius“); Julians „Griff nach der Krone“ (S. 17) ist etwas zu modern formuliert, da etwa auf den Münzen dieser Zeit das Diadem als kaiserliches Attribut aufzufinden ist; die amerikanische Althistorikerin Wilmer Cave Wright wird zu einem Forscher männlichen Geschlechts gemacht (S. 107, Anm. 1: „Wright, der […] unterstellt“); die Aussage S. 298, Anm. 56 zur obligaten Teilnahme am Kaiserkult unter Domitian und Decius steht im Widerspruch zum Text von S. 298, wo diese Entwicklung erst „unter Kaiser Decius“ konstatiert wird. Zwei Hinweise zur Benutzung des Literaturverzeichnisses: Der Beitrag von Clifford Ando findet sich S. 419 unter „Clifford 2005“ und der von Nicholas Temple S. 430 (unter N), hier aber dennoch als „Temple 2004“.

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