K. Kunter u.a. (Hrsg.): Globalisierung der Kirchen

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Titel
Globalisierung der Kirchen. Der Ökumenische Rat der Kirchen und die Entdeckung der Dritten Welt in den 1960er und 1970er Jahren


Herausgeber
Kunter, Katharina; Schilling, Annegreth
Reihe
Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte. Reihe B: Darstellungen 58
Erschienen
Göttingen 2014: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
379 S., 24 Abb.
Preis
€ 84,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gisa Bauer, Konfessionskundliches Institut des Evangelischen Bundes, Bensheim

Globalisierung, ein Terminus in aller Munde, war bis jetzt aus der Sicht der Geschichtsforschung im Hinblick auf die großen christlichen Kirchen ein eher irrelevantes Phänomen. Insbesondere die institutionell schlecht aufgestellte kirchliche Zeitgeschichtsforschung trug bisher wenig Substantielles zur Frage der kirchlichen Globalisierung vor dem Hintergrund der internationalen ökumenischen Vernetzung der Kirchen im 20. Jahrhundert bei. Umso begrüßenswerter ist der von Katharina Kunter und Annegreth Schilling herausgegebene Sammelband, dessen Beiträge nachweisen, dass die evangelischen Kirchen schon seit den 1950er-Jahren auf dem Weg waren, durch ihr ökumenisches Engagement und den damit verbundenen Blick für die weltweite kirchliche, politische und jeweilige gesellschaftliche Situation die Globalisierung zu vollziehen. Für die katholische Kirche gilt das in anderer Weise – allerdings ist dies nicht Thema des vorliegenden Bandes. Insgesamt ist es also keineswegs so, dass, wie die „taz“ im März 2013 titelte, die Kirche mit Papst Franziskus „in der Globalisierung angekommen“ sei1 – wobei diese Feststellung eine allgemeine Wahrnehmung von Provinzialität beider Kirchen, der katholischen ebenso wie der evangelischen, in Deutschland widerzuspiegeln scheint. Das im Vorwort genannte Ziel des Bandes, den „aktuellen Forschungsdiskurs der kirchlichen Zeitgeschichte der 1960er und 1970er Jahre um eine globale und internationale Perspektive [zu ergänzen und] die christlichen Kirchen, die in der Globalisierungsgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bislang nur am Rande wahrgenommen worden sind, als globale Akteure [zu] etablier[en]“ (S. 11), behebt somit nicht nur ein Defizit in der bisherigen Forschung, sondern dient zugleich einer Neujustierung der generellen Wahrnehmung der Kirchen.

Der Band versammelt neben einer ausführlichen und bereits wesentliche Sachverhalte zusammenfassenden Einführung der Herausgeberinnen jeweils vier Aufsätze in drei thematischen Einheiten und schließt mit einem instruktiven Anhang, der statistische Erhebungen zur Situation der Mitgliedschaften im World Council of Churches (WCC) / Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) sowie biografische Profile herausragender Persönlichkeiten der ökumenischen Bewegung umfasst.

Zum ersten thematischen Block des Sammelbandes unter dem Motto „Von der Nachkriegsökumene zur Weltgemeinschaft“ gehört Andrew Chandlers Beitrag „The Founding Fathers and the New Vision. The World Council of Churches, 1948–1958“, in dem plastisch die Zeit des ökumenischen Aufbruchs in all seiner Euphorie – die man den 1950er-Jahren so gar nicht zutrauen würde – geschildert wird und Aspekte der Entstehungsgeschichte des WCC beschrieben werden. Der nachfolgende Beitrag von Annegreth Schilling („1968 und die Ökumene. Die Vollversammlung des ÖRK in Uppsala als Beginn einer neuen Ära?“) schließt in chronologischer Hinsicht an Chandlers Ausführungen an. Schilling erörtert das Schlüsseljahr 1968 im Hinblick auf die vierte Vollversammlung des ÖRK und fragt, ob Uppsala, gemeinhin als „Meilenstein und zugleich Wendepunkt in der Geschichte des ÖRK“ (S. 89) bezeichnet, „‚das 1968‘ der Kirchen“ (S. 90) gewesen sei. Letztlich, so die Autorin, stieß die Vollversammlung in Uppsala wohl „wenig grundlegend Neues“ an und war eher „Ventil denn […] Auslöser für den programmatischen und strukturellen Wandel […], der die ökumenische Arbeit schon seit Beginn der 1960er Jahre begleitete und ihr eine neue Richtung gab“ (S. 115). Nicolai Hannigs Beitrag zur medialen Außenwirkung der Vollversammlung von Uppsala („,Behold… All Things New‘. Uppsala 1968 und die verfilmte Ökumene“) ergänzt Schillings Aufsatz in vorzüglicher Weise, da er aus einem anderen Blickwinkel die Frage zu klären vermag, warum die Vollversammlung in Uppsala doch zu einer Epochenwende wurde – nämlich weniger auf der inhaltlichen Ebene, sondern als neuartige und breitenwirksame mediale Präsentation. Der letzte Aufsatz der ersten thematischen Einheit des Sammelbandes, „Globalization and the Unity of the Churches. The Ecumenical Utopia of the German Theologian Ernst Lange“ von Stephen Brown, widmet sich dem Wirken eines der Vordenker und bedeutendsten Köpfe der ökumenischen Bewegung, dem Theologen Ernst Lange. Brown erläutert unter anderem ausführlich Langes Interpretation der Auseinandersetzung zwischen dem orthodoxen Theologen John Meyendorff und dem argentinischen methodistischen Theologen José Míguez Bonino in Löwen 1971 (S. 151–154), die für Lange wegweisende Bedeutung hatte. Diesen Grundsatzkonflikt zwischen Meyendorff und Bonino nimmt auch ein anderer Beitrag auf, und zwar Odair Pedroso Mateus' Aufsatz „José Míguez Bonino and the Struggle for Global Christian Unity in the 1970s“. Mateus verdeutlicht einen Aspekt, der in den 1970er-Jahren bei der Ausdifferenzierung der Einheitsvorstellungen der Ökumene eine zunehmende Rolle spielte: „[…] the quest for the true unity is at the same time the struggle for the true division.“ (S. 253)

Mateus' Beitrag ist der letzte im zweiten Teil des Bandes, der sich mit den Implikationen des real existierenden Sozialismus / Kommunismus bzw. der kommunistischen Utopie und der Frage der Menschenrechte für die ökumenische Bewegung beschäftigt. Eröffnet wird die Sektion mit Peter Morées Untersuchung „Allies Against the Imperial West. Josef L. Hromádka, the Ecumenical Movement and the Internationalization of the Eastern Bloc since the 1950s“, die sich dem Werdegang der kleinen protestantischen Kirchen in der Tschechoslowakei zuwendet. Dieser Weg in die ökumenische Bewegung führte über die 1958 von Hromádka initiierte Christliche Friedenskonferenz. Deren Gründung zeige, dass „the Globalization of the churches in the ecumenical structures of Geneva witnessed a parallel development in the ecumenical initiatives of the Christian left in socialist countries“ (S. 185). Mit Christian Albers’ Aufsatz „Der ÖRK und die Menschenrechte im Kontext von Kaltem Krieg und Dekolonisierung“ erfolgt wiederum der Perspektivwechsel nach Westen – hin zu einem zentralen Punkt in der Arbeit des ÖRK, den Menschenrechten, deren Verständnis sich im Laufe der Jahre innerhalb des Rats erheblich veränderte (S. 189). Ein weiterer Aufsatz von Annegreth Schilling eröffnet anschließend unter der Überschrift „Demokratischer Sozialismus, Humanisierung und Befreiung. Der Beitrag Lateinamerikas zur Globalisierung der Ökumene“ das Thema, welches Mateus, etwas anders konnotiert, dann fortführt: die Bedeutung der „Perspektive der Befreiung“ als „lateinamerikanische[r] Variante des Sozialismus“ (S. 231) für die ökumenische Bewegung.

Der dritte Teil des Bandes konzentriert sich auf „Die Entwicklung eines globalen Bewusstseins. Transnationale Wechselwirkungen“ und damit vor allem auf Einzelaspekte der ökumenischen Globalisierung. Das Spektrum dieser Detailfragen wird eingeleitet mit Benjamin Pearsons Untersuchung zu den westdeutschen Kirchentagen („A Divided Nation in a Divided World. The Kirchentag and the Globalization of German Protestantism from the 1950s to the 1970s“), die das ökumenische Engagement und auch die Konflikte um dieses Engagement deutlich widerspiegelten. Eine Herausforderung für die ökumenische Bewegung bildete der Vietnamkrieg, den Catharina Volkert als Einflussfaktor vor dem Hintergrund der Politik der Bundesrepublik und der kontrovers diskutierten Haltung der Evangelischen Kirche in Deutschland zu dem Krieg erörtert („Der Vietnamkrieg als globale Herausforderung für die evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und in der weltweiten Ökumene“). Dem Spannungsfeld von Globalisierung und der „Wiederherstellung, […] sogar […] Produktion von […] Lokalität“ im Zuge von Globalisierungsprozessen geht Sebastian Tripp in seinem Aufsatz „Das Programm zur Bekämpfung des Rassismus und die ‚Glokalisierung‘ der Kirchen“ nach; mit „Glokalisierung“ nimmt er den von Roland Robertson geprägten Begriff der Globalisierungsforschung auf (S. 298). Tripp analysiert den Niederschlag des in Westdeutschland stark umstrittenen ÖRK-„Programm[s] zur Bekämpfung des Rassismus“ auf lokaler Ebene, und zwar in der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Eine andere lokale Ebene fokussiert Erica Meijers mit ihrem Beitrag zur niederländischen Situation („The End of the Colonial Mindset. Apartheid as Challenge for the Protestant Churches in the Netherlands“). Meijers macht deutlich, wie stark die internationale (ökumenische) Debatte über Rassismus und Apartheid die niederländischen reformierten Kirchen traf, die sich hier mit ihrer Vergangenheit als Kirche einer Kolonialmacht konfrontiert sahen. Sie vollzogen seit der Nachkriegszeit bis in die 1970er-Jahre einen eklatanten Perspektivwechsel, dem Meijers systematisch nachgeht.

Dem Genre entsprechend sind die einzelnen Aufsätze des Sammelbandes hinsichtlich ihres innovativen Gehalts und der Neuartigkeit der Erkenntnisse etwas unterschiedlich gelagert. Aber besonders die Studien der jungen Nachwuchswissenschaftler/innen öffnen den Blick auf verschiedene Aspekte in der Gemengelage von Ökumene und Globalisierung, methodisch jeweils klug durchdacht und teilweise durchaus originell im Zugriff. Hervorzuheben ist darüber hinaus, dass im Gegensatz zu manch anderem Sammelband die Beiträge nicht einsam vor sich hin mäandern und die Leserschaft beim Eruieren von Zusammenhängen nicht alleingelassen wird. Hier greifen die thematischen Erörterungen trotz aller Individualität der einzelnen Texte höchst effektiv ineinander, führen sich fort und ergeben ein vielseitiges Bild der globalen und globalisierenden Ökumene seit der Mitte des 20. Jahrhunderts, das nun der Illustration durch weitere Untersuchungen harrt.

Anmerkung:
1 Bernhard Pötter, Mit Franziskus ist die Kirche in der Globalisierung angekommen. Hoffnung auf eine neue Kirche, in: tageszeitung, 14.03.2013, <http://www.taz.de/!112822/> (11.12.2014).