D. Müller u.a. (Hrsg.): Professionen, Eigentum und Staat

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Titel
Professionen, Eigentum und Staat. Europäische Entwicklungen im Vergleich – 19. und 20. Jahrhundert


Herausgeber
Müller, Dietmar; Siegrist, Hannes
Reihe
Moderne europäische Geschichte 8
Erschienen
Göttingen 2014: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
333 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jürgen Schmidt, IGK Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive, Humboldt-Universität zu Berlin

Im Grundbuch finden die drei titelgebenden Schlagworte des von Dieter Müller und Hannes Siegrist herausgegebenen Sammelbandes in nuce zusammen. Es braucht die Professionen des Landvermessers, Rechtsanwalts und Notars, um Eigentum und Besitz zu bestimmen und im Grundbuch festzuschreiben, sowie den Staat, der über die Rechtmäßigkeit der dort dokumentierten Vorgänge wacht. Der Sammelband „Professionen, Eigentum und Staat. Europäische Entwicklungen im Vergleich – 19. und 20. Jahrhundert“ ist allerdings keineswegs eine Kulturgeschichte einzelner Professionen und ihrer professionellen Erzeugnisse. Vielmehr machen Begriffe wie „Propertisierung“ und „professionelle Autonomie“ klar, dass sich die Studien im Rahmen der Professionalisierungsforschung bewegen – wenngleich das Grundbuch im längsten Beitrag des Bandes eine wichtige Rolle spielt.

Den Anfang macht – nach einem kurzen Vorwort der Herausgeber – Hannes Siegrist, der die Leserschaft durch Stationen und Forschungsergebnisse des Professionalisierungsparadigmas leitet, wie es sich in den letzten rund zwanzig Jahren entwickelt hat. Idealtypisch lassen sich eine „Professionalisierung von oben“, die wesentlich vom Staat in die Wege geleitet wurde, eine „Professionalisierung von unten“, die von den Akteuren der jeweiligen Profession ausging, und eine „Professionalisierung von außen“, die „auf der freiwilligen Rezeption oder erzwungenen Übernahmen eines fremden Musters beruht“ (S. 31), unterscheiden. Vor allem im zweiten Fall ist der Gedanke der Autonomie ein wesentliches Argumentations- und Legitimierungsmuster. Abzusichern gilt es Eigentumsrechte (Propertisierung) – seien sie geistigen oder materiellen Ursprungs.

Damit ist der Rahmen abgesteckt, der dem Sammelband ein kohärentes Erscheinungsbild gibt. In drei Sektionen rund um die Professionen aus dem Bereich des Rechts (Rechtsanwälte, sozialistische Rechtsberater), der Landwirtschaft und Industrie (Vermessungsingenieure/Landvermesser, Kolchoseverwalter, Patentrecht) sowie Medien- und Kulturindustrie (Komponisten, Buchhändler, Drehbuchautoren) werden die zentralen Aspekte der Professionalisierungsforschung explizit oder implizit aufgegriffen.

Fast alle Beiträge wenden die Methode des Vergleichs an. In der ersten Sektion vergleicht Michael Burrage die Profession des Rechtsanwalts in Frankreich, den USA, England und Russland, um deutlich zu machen, wie sehr das Selbstverständnis als Berufsgruppe durch politische Ereignisse geformt wurde. Dem Spannungsverhältnis zwischen einem „allumfassende[n] Regulierungsanspruch des Parteistaates“ und dem Versuch, sich „Freiräume der professionellen Autonomie unter den Bedingungen des staatssozialistischen Gesellschaftswandels“ zu sichern (S. 140), geht Rafael Mrowczynski am Beispiel der „Rechtsberater“ in Polen und der Sowjetunion/Russland bis in die postsozialistische Zeit nach. Eher indirekt vergleichend geht Dieter Müller in seiner fast 60 Seiten langen Fallstudie vor, wenn er die Frage, wie in Rumänien Landeigentum verwaltet wurde, mit der Frage verbindet, ob etablierte Kategorien der (am westlichen Beispiel gewonnenen) Professionalisierungsforschung modifiziert werden können. Durch den sehr langen Untersuchungszeitraum über 110 Jahre (1830–1940) kann Müller zeigen, wie eine professionell funktionierende Eigentumsverwaltung in den früher zu Habsburg gehörenden Landesteilen sich nach dem Ersten Weltkrieg nicht landesweit etablieren konnte. Vieles kam hier zusammen: In der Landvermessung gelang es im rumänischen „Altreich“ nur ungenügend, professionelle Strukturen durchzusetzen. Profiteure waren die Rechtsanwälte, die Besitzstreitigkeiten regelten und daraus ihre Haupteinnahmen bezogen. An einer Reform waren sie nicht interessiert. Da gleichzeitig ein nicht geringer Anteil der Rechtsanwälte in der Politik tätig war, konnten trotz des Wissens um die Effizienz eines funktionieren Grundbuchs und Katasterwesens Reformbestrebungen blockiert werden.

Landvermesser spielen auch in der zweiten Sektion des Buches eine wichtige Rolle. Michael Schramm streicht die quasistaatlich-hoheitliche Aufgabe des deutschen Vermessungswesens heraus, das in geradezu klassischer Weise seiner Profession früh durch Lobbying und Abschließung (Verbandsbildung, Fachzeitschriften, Zugangsregulierung durch Universitätsdiplom) eine klare Ausprägung und Durchsetzungsmacht gab. Dagegen erfolgte bei den zum Vergleich herangezogenen amerikanischen Feldvermessern eine „Institutionalisierung des Vermessungswesens“ erst in den 1960er- und 1970er-Jahren. In den Gründungsjahren des sozialistischen Jugoslawiens wiederum gelang zwar eine von staatlicher Seite getragene Professionalisierung des Vermessungswesens, wie Srđan Milošević in seinem Beitrag zeigt, jedoch weitgehend auf Kosten einer professionellen Autonomie. Beiträge über die Professionalisierung der rumänischen Landwirtschaft im 20. Jahrhundert (Cornel Micu) sowie über die „Anti-Patent-Bewegung“ in Deutschland im 19. Jahrhundert und den Kampf um Eigentumsrechte (Markus Lang) finden sich ebenfalls in dieser etwas disparat ausgefallenen Sektion.

Professionelle Autonomie mag ein erstrebenswertes Gut sein, aber ihren Lebensunterhalt möchten auch die Angehörigen einer Profession mit ihrer Berufsausübung verdienen. Die Verfügungsmacht über das (geistige) Eigentum spielte hier eine entscheidende Rolle. Dies gilt besonders für die in der letzten Sektion des Sammelbandes behandelten Berufsgruppen aus der Welt der Medien und Kultur. Zu einem resignierenden Gesamturteil kommt Augusta Dimou mit Blick auf die Buchhändler und Verleger im Zwischenkriegs-Jugoslawien und ihrem Bestreben, sich von Händlern zu einer respektablen, qualifizierten Profession zu entwickeln. Zum einen trug der Buchmarkt kaum zur Ausbildung einer nationalen Identität bei. Er blieb disparat und zerrissen; Belgrad als mögliches Koordinierungszentrum des Buchhandels wurde nicht in allen Landesteilen anerkannt. Hinzu kam eine nach wie vor hohe Analphabetenrate. In den 1930er-Jahren verschärfte sich die Krise auf dem jugoslawischen Buchmarkt so sehr, dass auf den Buchmessen weniger die Neuerscheinungen im Mittelpunkt standen, als vielmehr ältere Auflagen, die oft mit Rabatten bis zu 40 Prozent verschleudert wurden. Eigentlich fehlten jegliche Voraussetzungen für einen funktionierenden Buchmarkt; damit liefen auch alle Professionalisierungsbestrebungen ins Leere.

Besser gestaltete sich die Situation für Komponisten und Drehbuchautoren in Frankreich, den USA und der DDR, wobei ihre Professionalisierung durchaus auf Kosten der professionellen Autonomie gehen konnte. Während dies im Fall der Komponisten und Drehbuchautoren in der DDR angesichts einer planwirtschaftlichen und durch Zensur bestimmten Kulturadministration durchaus zu erwarten war, traf es – wenngleich in anderer Form – auch auf französische Komponisten und amerikanische Drehbuchautoren zu. Dorothea Trebesius, die sich mit Komponisten in Frankreich und der DDR beschäftigt, kommt zu dem Ergebnis, dass durch „marktkorrigierende“ Eingriffe des französischen Kulturministeriums einer Professionalisierung von oben Vorschub geleistet wurde. Allerdings garantierten die Eigentumsrechte eine Autonomie auf individueller Ebene. Im Gegensatz dazu legte der unter staatlicher Aufsicht stehende Komponistenverband in der DDR durch seine Aufnahmepraxis fest, wer Komponist war und wer nicht. Man begriff „Komponieren als Arbeit und als zu entlohnende Tätigkeit“ (S. 261). Damit waren die DDR-Funktionäre wiederum gar nicht weit von den Funktionären der französischen Komponistenvereinigung SNAC entfernt, die Urheberrechte als „Ergebnis von Arbeit“ sahen und die Komponisten als intellektuelle Arbeiter einstuften.

Im Studiosystem Hollywoods in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der Kreativberuf des Drehbuchautors „zu einem Angestelltenberuf degradiert“ (S. 304), wie Juliane Scholz in ihrem Beitrag schreibt. Der Vergleich mit der DDR zeigt, dass die Drehbuchautoren in unterschiedlicher Weise abhängig waren. In der DDR entschied nicht der Markt, sondern der durch staatliche Zensur und Institutionen instruierte Dramaturg über Aufnahme oder Ablehnung eines Drehbuchs. In einem gelungenen verflechtungsgeschichtlichen Teil schildert Scholz, wie das Ausbildungsmodell für Drehbuchautoren an Filmhochschulen der sozialistischen Staaten „in das bis dahin wenig formalisierte Ausbildungssystem der USA exportiert“ (S. 321) und über einen ihrer Hauptvertreter – den Tschechen Frank Daniel und seinen „Sequenzansatz“ – zurück in die Ausbildung der Drehbuchstudiengänge Europas kam. Offen bleibt zwar, inwieweit dieses an einem Einzelbeispiel gewonnene Ergebnis sich verallgemeinern lässt, aber die Möglichkeiten der Analyse des Transfers werden damit schlaglichtartig deutlich.

Dieses Buch erhebt nicht den Anspruch, der Leserschaft eine Sozial- und Kulturgeschichte der einzelnen Professionen vermitteln zu wollen. Vielmehr handelt es sich um einen auf seine Kernthemen fokussierten Sammelband. Durch den Vergleich, die Perspektive nach Osteuropa und einzelne verflechtungsgeschichtliche Aspekte bietet es der Professionalisierungsforschung zahlreiche Anregungen. So war die „Professionalisierung von oben“ zwar ein wesentliches Merkmal für Osteuropa, doch der Vergleich zeigt, dass diese Form der Professionalisierung auch in anderen historischen Kontexten in Westeuropa eine wichtige Rolle spielte.

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