B. Jaspert: Kirchengeschichte als Wissenschaft

Cover
Titel
Kirchengeschichte als Wissenschaft.


Herausgeber
Jaspert, Bernd
Erschienen
Münster 2013: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
210 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Witt, Evangelische Theologie, Bergische Universität Wuppertal

Der hier anzuzeigende Band versammelt zwölf Beiträge namhafter Vertreter und einer Vertreterin des theologischen Fachs Kirchengeschichte sowie eine kurze Einleitung des Herausgebers, die eine zwiefache Zielrichtung offenlegt: Zum einen soll konfessionsübergreifend der Frage nachgegangen werden, was die Kirchengeschichte als theologisches Fach legitimiert; sodann sollen und wollen die einzelnen Beiträge Studierenden eine Orientierung bieten, „wie sie sich dem umfangreichen Gebiet der Kirchengeschichte nähern und sich mit ihm mehr und mehr vertraut machen können“ (S. 12). Der Titel des Bandes hat somit einen doppelten Boden: Neben der vornehmlich an Studierende gerichteten Vorstellung der (theologischen) Kirchengeschichte als Wissenschaft steht die Verortung der Kirchengeschichte im theologischen Fächerkanon und darüber hinaus.

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass alle Beiträge unabhängig von der Konfession ihrer Autorin oder ihres Autors – es haben sich protestantische, römisch-katholische und orthodoxe Vertreter des Fachs beteiligt – unter den Voraussetzungen jener zweifachen Zielrichtung autobiographische und wissenschaftssystematisch-methodologische Passagen mit- und ineinander wirken lassen, wenngleich in divergierenden Gewichtungen und auf ganz unterschiedliche Weisen. So können die autobiographischen Ausführungen mit den wissenschaftssystematisch-methodologischen anspruchsvoll verquickt sein: Beide Ebenen durchwirken einander beispielsweise bei Rainer Berndt SJ, Christoph Markschies oder René Roux. Andere Aufsätze – wie die von Thomas Böhm, Mariano Delgado, Klaus Fitschen, Volker Leppin und Wolf-Friedrich Schäufele – bieten zwar durchgängig lesenswerte und unterhaltsame autobiographische Passagen, haben ihren inhaltlich-argumentativen Schwerpunkt aber in den gehaltvollen Überlegungen zu Profil, Methode, Aufgaben und Zukunft der theologischen Kirchengeschichte als Wissenschaft.

Und an diesem Punkt ist die Lektüre auch und gerade konfessionshermeneutisch hochgradig aufschlussreich: An der Frage nach der Verortung der Kirchengeschichte im theologischen Fächerkanon einerseits, nach der Begründung ihrer exponierten Stellung zwischen Theologie und Geschichtswissenschaft andererseits lässt sich eine markante Differenz zwischen den römisch-katholischen und den protestantischen Beiträgen festmachen. Die katholischen Vertreter ringen spürbar um die Einordnung ihres wissenschaftlichen Fachs in die Theologie einer Institution, die ihrem Selbstverständnis nach gerade auf ganz und gar unhistorischen Größen wie der Ecclesia triumphans oder den Heiligen fußt, auf Größen, welche ihrerseits wieder normativ fixiert sind. Es geht dabei also letztlich um die Frage, ob und wie eine theologisch-historische Wissenschaft namens Kirchengeschichte mit einem Gegenstand umgeht, der sich zu weiten Teilen nicht historisieren lässt, der ihr jedoch zugleich ihre institutionellen Rahmenbedingungen und normativen Wahrnehmungsvoraussetzungen aufgibt. Ob nun vorwiegend philosophisch-systematisch argumentierend wie Böhm (bes. S. 33–39), biblisch-traditionalistisch wie Berndt (S. 16–31) oder fundamentaltheologisch wie Delgado (S. 56–63) – um die Stellung und Legitimierung der Kirchengeschichte wird katholischerseits auf dem Hintergrund von Lehraussagen und Stellungnahmen der Kirche gerungen, und zwar nicht zuletzt mit den anderen theologischen Disziplinen.

Demgegenüber argumentieren die Aufsätze protestantischer Provenienz naturgemäß unbefangener und kommen entsprechend als nicht minder anregende wissenschaftssystematisch-methodologische Debattenbeiträge zu stehen, die je eigene Überlegungen zum Profil der Kirchengeschichte als genuin theologischer Wissenschaft „auf der Grenze zwischen historischem und theologischem Diskurs“ (Leppin, S. 110) bieten. Während beispielsweise Fitschen für eine Kirchengeschichte als inhaltlich möglichst breit aufgestellte und multiperspektivisch angelegte Christentumsgeschichte als christliche Religionsgeschichte plädiert, votiert Leppin dafür, die Kirchengeschichte „semiotisch zu reformulieren“ (S. 109): „Diese semiotische Rekonstruktion gibt die Möglichkeit, Distanz wie Entsprechungen in der historischen Rekonstruktion auszudrücken und somit die Aufgabe der Kirchengeschichte als Analyse der einem historischen Wandel unterworfenen religiösen Zeichensysteme zu beschreiben.“ (S. 110) Schäufele wiederum nimmt die Kirchengeschichte als „Teildisziplin der Theologie“ in ihrem engen Bezug „auf eine außertheologische Referenzwissenschaft“ (S. 162) unter Anknüpfung an ihre liberal-theologische Hochschätzung in den Blick, wobei er die Theologizität seines Fachs genauso überzeugend herausstellt wie dessen Historizität. Martin H. Jung verlegt sich dagegen auf die Betonung des Werts einer theologischen Kirchengeschichte im interreligiösen Dialog: „Neben der Definition, Verantwortung und Vertretung evangelischer Identität kommt der Auseinandersetzung und der Begegnung mit dem Judentum und dem Islam allerhöchste Priorität zu.“ (S. 99) Unabhängig davon, ob man derartigen Zuspitzungen beipflichtet oder nicht: Ihnen und ihrem argumentativen Fundament nachzudenken ist eine reizvolle Aufgabe, deren Wert auch und gerade in der Profilierung eigener Überlegungen zum Thema liegen dürfte.

Bei all dem geraten die hinlänglich bekannten strukturellen Probleme des akademischen Arbeitens durch aktuelle wissenschafts- und wirtschaftspolitisch gewollte Entwicklungen in der deutschen Wissenschafts- bzw. Forschungslandschaft genauso wenig aus dem Fokus (erfrischend unzweideutig u.a. S. 172f.) wie die Studierenden als zentrale Adressaten des vorliegenden Bandes, die eben nicht nur als Studierende ernstgenommen werden, sondern implizit oder explizit auch als potentieller wissenschaftlicher Nachwuchs. Verwiesen sei diesbezüglich exemplarisch auf die Beiträge von Daniel Buda und Gury Schneider-Ludorff, die sich durch ihre Nähe zur Lebenswelt ihrer Studierenden genauso auszeichnen, wie die dem akademischen Nachwuchs auf je eigene Weise Orientierung bietenden Ausführungen von Fitschen (bes. S. 67–71) oder Schäufele (bes. S. 163f.).

Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die Lektüre des Bandes lohnt, und zwar keineswegs nur für seine erklärten Hauptadressaten. Denn es sind gerade die in ihm versammelten Überlegungen zur Wissenschaftlichkeit der Kirchengeschichte, zu ihrer Eigenart, zu ihrer methodisch-inhaltlichen Anlage und zu ihren bis zur Infragestellung reichenden Herausforderungen, die es empfehlenswert machen, ihn zur Hand zu nehmen, sei es aus wissenschaftssystematischem oder gar konfessionskundlichem Interesse, sei es mit kritischem Impetus oder nicht. Dass er darüber hinaus thematische Perspektiven bietet, die weit über das herkömmliche Blickfeld im deutschen Sprachraum tätiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinausreichen, wie es der Beitrag von Hacik Rafi Gazer zur kirchengeschichtlichen Forschung im christlich-türkischen Bereich tut, steigert seinen Wert nochmals.

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