A. Baumann: Freiheitsbeschränkungen der Dekurionen

Cover
Titel
Freiheitsbeschränkungen der Dekurionen in der Spätantike.


Autor(en)
Baumann, Alexander
Reihe
Sklaverei – Knechtschaft – Zwangsarbeit. Untersuchungen zur Sozial-, Rechts- und Kulturgeschichte 12
Anzahl Seiten
VII, 231 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Raphael Brendel, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Die Verwaltung des (spät)römischen Reiches ist ohne die städtischen Kurien nicht zu verstehen. So wichtig dieses Thema für das Verständnis des Reiches ist, so komplex erweist es sich auch. Allein die Vielzahl der Städte, die lokalen Unterschiede und die scheinbare Ziellosigkeit der Gesetzgebung bilden nicht zu unterschätzende Faktoren in einer Untersuchung zu den Dekurionen in der Spätantike. Baumann, der mit seinem Buch die überarbeitete Fassung seiner rechtshistorischen Trierer Dissertation vorlegt, steht somit vor einer anspruchsvollen Aufgabe.

In der Einleitung (S. 1–4) formuliert Baumann seine Fragestellung: Es soll geklärt werden, ob die Rechtsstellung der Dekurionen als ein zwischen Freiheit und Unfreiheit befindlicher Zustand angesehen werden kann. Die Einführung (S. 5–14) arbeitet die Bedeutung der Kurien für die städtische Verwaltung heraus und klärt die terminologischen Grundlagen. Baumann lehnt dabei Annahmen zu juristisch relevanten Unterschieden der Begriffe decurio und curialis, die er als Synonyme betrachtet, ab.

Das erste große Kapitel „Die Berufung zum Dekurionenamt“ (S. 15–42) zeichnet den Prozess der Nominierung und Wahl des einzelnen Dekurionen nach und prüft hierbei auch die Möglichkeit der Heranziehung von Personen, die nicht aus Dekurionenfamilien stammen; eine Zwangseinweisung als Strafe sei nicht nachzuweisen. Im zweiten Kapitel über „Rechte und Pflichten der Dekurionen“ (S. 43–110) diskutiert Baumann ausführlich den Begriff des munus (dies hauptsächlich aus den Digesten) und stellt die unterschiedlichen Kategorien der munera sowie die damit einhergehenden Pflichten samt ihren Unterarten – etwa die verschiedenen Ämter bei der Steuererhebung (exactor und susceptor) – zusammen. Eine kollektive Steuerhaftung der städtischen Kurie sei nicht festzustellen.1 Recht kurz werden die Standesprivilegien der Dekurionen abgehandelt (S. 107–110). Ob dagegen ein eigenes Kapitel über „Das Ausscheiden aus dem Dekurionendienst“ (S. 111–113) notwendig ist, sei dahingestellt. Hierin wird gezeigt, dass ein zeitweiliger oder dauerhafter Verlust des Dekurionenstatus als Strafe möglich war.

Mit der eigentlichen Thematik des Buches setzt sich Baumann in „Freiheitsbeschränkungen der Dekurionen“ (S. 115–179) auseinander. In diesem Kapitel erörtert er die in der Gesetzgebung nachweisbaren einschränkenden Faktoren für die Dekurionen: Zugangsbeschränkungen für bestimmte Ämter bzw. Berufe (Senat, Verwaltung, Ritterstand, Heeresdienst, Klerus, Berufskollegien oder auch die Advokatur), Beschränkungen der Freizügigkeit sowie schuldrechtliche, sachenrechtliche und familien- und erbrechtliche Einschränkungen. Im Kapitel „Der Niedergang des Dekurionenstandes“ (S. 181–188) bietet Baumann vor allem einen Überblick zur Forschung. Im Anschluss an neuere Forschungsbeiträge verneint er einen Niedergang der Kurien und verweist darauf, dass die Dekurionen oft nicht willens waren, trotz Leistungsfähigkeit ihren Verpflichtungen nachzukommen.

Im Schlussteil (S. 189–192) werden die zentralen Ergebnisse zusammengefasst: Trotz der zahlreichen Rechtsbeschränkungen sei die Freiheit der Dekurionen stets unangetastet geblieben und eine hohe Mobilität zwischen den Gesellschaftsschichten nachweisbar. Der Einfluss der ohne stringentes System agierenden kaiserlichen Gesetzgebung sei geringer als von dieser beabsichtigt gewesen. Es handele sich insgesamt um „einen Zustand, der aufgrund zahlreicher Freiheitsbeschränkungen zwar nicht juristisch-dogmatisch, wohl aber faktisch zwischen Freiheit und Unfreiheit einzuordnen ist“ (S. 191f.).

Insgesamt konnte den Rezensenten diese Arbeit nicht recht überzeugen. Ein Kritikpunkt betrifft Anlage und Konzeption des Werkes. Baumann bietet keine systematische Untersuchung der Quellen auf ihre Aussagekraft für die einleitend formulierte Frage, sondern eine umfangreiche Auflistung und Belegsammlung, die mehr wie ein Überblickswerk mit einführendem Charakter anmutet. Diese Vorgehensweise wäre jedoch nur dann sinnvoll, wenn Baumann anhand von Mikroanalysen gezeigt hätte, dass bisherige Interpretationen einzelner Gesetze nicht korrekt sind und durch andere Deutungen eine neue Sichtweise auf Aspekte des spätantiken Dekurionates möglich wäre. Auch die Hauptthese über den faktischen Zustand zwischen Freiheit und Unfreiheit ist bedenklich: Das oben angeführte Fazit gerät zu dem in Widerspruch, was Baumann kurz zuvor noch konstatiert: „Hier ist einerseits festzustellen, dass der Einfluss des Staates auf das Leben des Einzelnen geringer war, als dies vom Staat beabsichtigt war“ (S. 190). Somit aber müsste die These Baumanns eigentlich gerade umgekehrt lauten: Auf juristischer Ebene finden Freiheitsbeschränkungen statt, aber faktisch wirken sich diese nicht aus.

Dies führt zu zwei Aspekten, die stärker hätten betont werden sollen (was wohl auch der Quellenauswahl geschuldet ist): So handelt es sich bei den Gesetzen nicht immer um unbedingt zu befolgende Befehle der kaiserlichen Zentrale, sondern oft auch um Möglichkeiten, die den Kurien geboten werden, aber nicht umgesetzt werden müssen, solange deren Leistungsfähigkeit erhalten bleibt und seitens der Dekurionen kein Interesse besteht (siehe etwa Codex Theodosianus 12,1,51 und Libanios, or. 48,15). Zudem schwankt die Gesetzgebung stets zwischen den Interessen der Kurien und denen von Armee und Verwaltung (sowie des Klerus). So fällt auf, dass nur selten (etwa in Codex Theodosianus 12,1,58) ein vollständiger Verzicht auf Fristen bestimmt wird und meist eine (sich immer wieder ändernde) Dienstzeit genügt, um von der Kurie befreit zu werden. Die Deutung Baumanns, dass diese den „Schwierigkeiten, nach 20 Jahren noch feststellen zu müssen, ob ein Beamter einst rechtmäßig ernannt worden war oder nicht“ (S. 122), geschuldet sind, überzeugt nicht. So weist er selbst darauf hin (S. 123), dass es auch erheblich kürzere und ebenso längere (30 Jahre!) Fristen gab oder aber diese ganz abgeschafft wurden. Wenn aber von der kaiserlichen Zentrale nicht einmal der Versuch gemacht wird, solche Schlupflöcher zu beseitigen – denn die Rolle der Verwaltung, auf die Baumann verweist (S. 124), besteht in der Umsetzung der Gesetzgebung, nicht aber in der dem Kaiser vorbehaltenen Gesetzgebung selbst –, so zeigt dies, dass auch seitens der kaiserlichen Zentrale kein Interesse gegeben war, die Abwanderung der Dekurionen in Armee und Verwaltung vollständig zu unterbinden. Dies erklärt auch die scheinbare Ziellosigkeit der Gesetzgebung: Es wird dort eingegriffen, wo die Probleme zum jeweiligen Zeitpunkt gravierender sind.

Auch Baumanns Auswahl der Quellen – benutzt wurden vor allem die Gesetzescodices und die Digesten – ist nicht optimal, da drei wichtige Bereiche nicht oder nur unzureichend berücksichtigt werden: Vollkommen übergangen (womit Baumann jedoch keinen Einzelfall bildet) wird die antike Kommentarliteratur zu den Gesetzescodices, insbesondere die Summaria antiqua zum Codex Theodosianus. Die papyrologischen und epigraphischen Belege werden nur sehr spärlich ausgewertet; im Quellenregister finden sich sieben „Epigraphische und papyrologische Quellen“ (S. 221), wovon zwei Querverweise auf andere Einträge sind, sowie nochmals vierzehn Belege auf fünf „Leges municipales“ (S. 220). Schließlich sind auch die literarischen Quellen nur selten vertreten. Unverständlich ist es etwa, wieso von Libanios nur die Reden, nicht aber die für die Thematik bedeutenderen Briefe herangezogen werden und Ammianus Marcellinus an keiner Stelle genannt wird.2 Die relevante Forschungsliteratur wird ebenfalls nur in beschränktem Maße genutzt. Allein die Tatsache, dass bei einer derart breit gefassten Thematik wie dem spätantiken Dekurionat eine Literaturliste von nur zehn Seiten (in derselben Schriftgröße wie der Haupttext) geboten wird, macht stutzig. Diese Begrenztheit wäre vertretbar, wenn nur Spezialstudien zum Thema aufgenommen worden wären, doch ist dies nicht der Fall.3

Auch sonst ließe sich im Detail so mancher Einwand finden: Die Übersetzungen sind nicht immer zuverlässig4, und stellenweise treten inhaltliche Irrtümer auf: Das S. 23 diskutierte Gesetz muss von Gordian III. stammen, da anderenfalls beide Gordiani – von denen dies das einzige überlieferte Gesetz wäre – als Adressaten genannt wären (siehe etwa die Vergleichsfälle in Codex Iustinianus 2,18,1–6). Das S. 142 diskutierte Gesetz wendet sich explizit nur gegen Fluchten, nicht gegen Verlegungen des Wohnsitzes im Allgemeinen. Aus Konstantins Gesetz Codex Theodosianus 12,1,5 folgert Baumann: „selbst der bloße Grundbesitz soll zur Berufung zum Dekurionat ausreichen“ (S. 35f.); das zitierte Gesetz regelt jedoch nur den Fall eines erkauften Perfektissimates trotz bestehender Verpflichtung und folglich bezieht auch Julian nicht dagegen Stellung (so S. 36, Anm. 138 u. S. 154). Die „antiklerikale Gesetzgebung“ Julians (S. 133) erweist sich bei einem genauen Vergleich mit den Bestimmungen seiner Vorgänger als nicht belegbares Konstrukt.5 Druckfehler und unschöne sprachliche Wendungen kommen gelegentlich vor, halten sich aber in Grenzen. Somit bleibt festzustellen: Maßgebliche Impulse werden von dieser Arbeit wohl nicht ausgehen. Als erster Einblick in das Kurienwesen und als Zusammenstellung von Quellenbelegen und Literatur ist ihr aber durchaus ein gewisser Wert anzuerkennen.

Anmerkungen:
1 So auch (von Baumann nicht berücksichtigt) Boudewijn Sirks, Collective liability in fiscal matters in late antiquity?, in: Atti dell’Accademia Romanistica Costantiniana XVII,1, Neapel 2010, S. 587–595.
2 Siehe dazu auch die beiden (Baumann unbekannten) Aufsätze von Roger Pack, Curiales in the correspondence of Libanius, in: Transactions and Proceedings of the American Philological Association 82 (1951), S. 176–192; ders., Ammianus Marcellinus and the curia of Antioch, in: Classical Philology 48 (1953), S. 80–85.
3 Um nur die wichtigsten Ergänzungen zu nennen: Hartwin Brandt, Zeitkritik in der Spätantike, München 1988; Roland Delmaire, Largesses sacrées et res privata, Paris 1989; Mischa Meier, Das späte römische Kaiserreich ein ‚Zwangsstaat‘?, in: Darius Brodka (Hrsg.), Freedom and its limits in the ancient world, Kraków 2003, S. 193–213; Christoph Müller, Kurialen und Bischof, Bürger und Gemeinde. Untersuchungen zur Kontinuität von Ämtern, Funktionen und Formen der ‚Kommunikation‘ in der gallischen Stadt des 4.–6. Jahrhunderts, Diss. Freiburg 2002/3; Jens-Uwe Krause, Arm und Reich in der spätantiken Stadt, in: Christian Ronning (Hrsg.), Einblicke in die Antike, München 2006, S. 223–236; Jens-Uwe Krause / Christian Witschel (Hrsg.), Die Stadt in der Spätantike – Niedergang oder Wandel, Stuttgart 2006 (hieraus wird lediglich ein Aufsatz benutzt); Lucietta di Paola, I curiales nella legislazione di Valentiniano e Valente, in: Jean-Jacques Aubert / Philippe Blanchard (Hrsg.), Droit, religion et société dans le Code Théodosien, Neuchâtel 2009, S. 213–227; Barbara Bellomo, Rapporti di autonomia e vincoli di interesse tra decurioni e defensor civitatis dalla metà del secolo IV ai primi anni del secolo V, in: Mediterraneo Antico 15 (2012), S. 451–462. Allgemein wären die Forschungen von André Chastagnol und Wolf Liebeschutz stärker zu berücksichtigen gewesen; von beiden wird nur jeweils eine Monographie zitiert. An mehreren Orten publizierte Aufsätze werden teils nur nach dem Ersterscheinungsort (Gaudemet, Jones, MacMullen), teils nur nach dem Zweiterscheinungsort (Mommsen, Piganiol), teils nach beidem zitiert (Jones). Und muss man wirklich jeden unveränderten Nachdruck einer Monographie angeben?
4 Eine Epitome ist eher ein „Auszug“ als ein „Abriss“ (S. 90); S. 117 wird gravitas tua zu „du“ verkürzt und civicis honoribus als „den städtischen Amtsträgern“ (richtig: Ämtern) übersetzt. Die Wendung apud amplissimos iudices dürfte weniger von „Oberrichtern“ (S. 24) sprechen, sondern einen Ehrentitel darstellen.
5 S. 22 ist es verboten, „unter Achtzehnjährige zur Kurie zu nominieren“, zwei Sätze später heißt es „Sobald sie das 18. Lebensjahr begonnen hatten“, womit es sich nunmehr um Siebzehnjährige handelt; der Gesetzestext nisi qui decimum et octavum annum aetatis fuerit ingressus meint Letzteres. Die Folgerung S. 132 („der Sohn eines Geistlichen konnte aber nur dann der Kurie verpflichtet sein, wenn bereits sein Vater aus dem Dekurionenstand stammte, er also Konstantins Verbot zum Trotz in den geistlichen Stand getreten war“) verfällt mit der Tatsache, dass auch ausreichend großer Besitz als Heranziehungsgrund gelten konnte.

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