Cover
Titel
Islam without Extremes. A Muslim Case For Liberty


Autor(en)
Akyol, Mustafa
Erschienen
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
$ 25,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Omar Kamil, Institut für Politische Wissenschaft, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Der türkische Journalist und Essayist Mustafa Akyol hat ein Buch mit dem Titel „Islam without Extremes. A Muslim Case for Liberty“ verfaßt. Sowohl der Autor wie der Titel des Werkes wecken vor allem aus zwei Gründen Neugier: Die Präsenz und die Aktualität radikal-religiöser Gruppen im Nahen Osten ist allgegenwärtig und umso mehr steigt damit das akademische Interesse und die Aufmerksamkeit der weiteren Öffentlichkeit für die Frage nach Deutungs- und Erklärungsmodellen für die Rolle des politischen Islam in mehrheitlich muslimisch geprägten Gesellschaften. Vor diesem Hintergrund gewinnt möglicherweise ein türkisches Modell als Vorbild für muslimische Gesellschaften in der europäischen und amerikanischen Wissenschaft und Politik an Bedeutung. Dies wäre ein Modell, das eine Symbiose zwischen dem Laizismus à la Mustafa Kemal Atatürk und dem Islamismus von Recep Tayyip Erdoğan verspricht. Darüber hinaus lässt die türkische und islamische Zugehörigkeit des Autors – und hier liegt der zweite Grund des Interesses – eine Insider-Sicht und damit eine authentische Auseinandersetzung mit dem Islam erwarten.

Der traditionell erzogene Muslim Akyol blickt in seinem Werk auf die Ideale des Korans und die Realität der Muslime zugleich und ist dabei irritiert und verwirrt. Wie kommt es dazu, so fragt er, dass muslimische Staaten im Vergleich zu europäischen Staaten in Rückständigkeit und Tyrannei leben? Muslimisch-geprägte Gesellschaften der Gegenwart haben für Mustafa Aykol trotz all ihrer Unterschiede vor allem eines gemeinsam: sie sind keine „Leuchttürme der Freiheit“. Ausgehend von diesen Beobachtungen wendet sich der Autor an seine „Glaubensbrüder“ mit der zentralen Frage dieses Buches: Ist der Islam eine Religion von Zwang und Repression? Oder kann er mit dem Prinzip der individuellen Freiheit und dem freien, menschlichen Willen vereinbart werden?

Für die Erörterung dieser Fragestellung gliedert Akyol sein Buch in drei Hauptteile. Im ersten Teil mit dem Titel „The Beginnings“ begibt er sich auf eine Reise in die Frühgeschichte des Islam. Hier will er die islamischen Quellen neu lesen und glaubt zeigen zu können, dass im Kern der göttlichen Botschaft des Islam nicht nur individuelle Verantwortung steht, sondern auch Rationalität und darüber hinaus sogar liberale Elemente. Der Grund, warum die liberale Botschaft des Frühislam sich jedoch nicht durchgesetzt habe, liegt für ihn auf der Hand: Während der göttliche Text des Korans den Grundstein für eine freiheitliche Gemeinschaft legte, folgten die Hadith-Sammler und die Rechtsgelehrten einer Interpretation des Korans, die dessen liberale Lesart zugunsten einer tribal-traditionellen Wahrnehmung des Islam aufgegeben hätten.

Mit dieser Überzeugung verlässt Akyol die Frühgeschichte des Islam und führt den Leser im zweiten Teils seines Buches unter dem Titel „The Modern Era“ vom 16. bis in das 20. Jahrhundert in die Welt des Islam unter osmanischen Herrschaft ein. Die historischen Darstellungen, die der Autor gibt, münden in eine Feststellung: Die Osmanen, so seine Deutungs- und Erklärungslinie, leisteten während ihrer Herrschaft zwei grundlegende Beiträge zur Reformierung der islamisch-religiösen Tradition. Zum einen rezipierten und adaptierten sie westliche liberale Ideen in ihren Herrschaftsgebieten und konfrontierten dadurch die muslimischen Untertanen mit den Werten von Liberalismus und Freiheit. Noch entscheidender scheint jedoch zu sein, dass es den osmanischen Gelehrten, Herrschern und Intellektuellen gelang, den westlichen Liberalismus mit dem Islam zu versöhnen. Den Osmanen gelang diese Aufgabe jedoch vor allem, weil sie sich weniger auf die starre religiöse Tradition der muslimisch-arabischen Gelehrten, sondern vielmehr auf den koranischen Text und insbesondere seine liberale Botschaft beriefen.

In einem letzten, dritten Teil mit dem Titel „Signposts on The Liberal Road“ präsentiert Mustafa Akyol anschließend die Türkei als Erprobungsfeld traditionell-islamischer Werte sowie europäischer Ideologien wie Laizismus und Nationalismus. Doch hatten solche traditionellen Formen und Ideologien kaum Wirkung auf die moderne Türkei. Erst während der sogenannten „free-market revolution“ in den 1980er-Jahre änderte sich die Rolle des Islam in der Türkei. Seither, so der Autor, sei der Islam nicht mehr nur eine Religion der Bauern, Landbesitzer, Soldaten und Bürokraten, sondern auch die Religion der Unternehmer und der Fachkräfte gewesen. Aus dem liberalen osmanischen Verständnis des Islam wurde für Mustafa Akyol ein Islam geprägt vom Geist des Kapitalismus im Sinne Max Webers. Infolgedessen interessiert sich die für die Türkei von heute repräsentative Mittelklasse mehr für die Frage des Verhältnisses von Koran und Freiheit, als von Koran und Gehorsamkeit.

Die Hervorhebung des türkischen Experiments als eine Symbiose von islamischer Tradition und europäischer Moderne ist bemerkenswert, offenbart aber gleichzeitig eine Schwäche des Buches. Insgesamt präsentiert Akyol seine Argumente in einem klaren und eleganten Sprachstil und ist darum bemüht, seine Analyse scharfsinnig und kritisch zu belegen. Seine Studie büßt jedoch überall dort an argumentativer Stringenz ein, wenn er den osmanischen Islam in Konkurrenz mit den übrigen islamischen Gesellschaften stellt, eine Konkurrenz, die zu Gunsten des türkischen Islam entschieden wird. So erscheint der türkische Islam bei ihm in einem einfachen und binären Schema als modern und fortschrittlich, jedoch der arabische, iranische und afghanische Islam als traditionell und rückständig. Ein weiteres Manko des Buches liegt darin, dass hier eher selektiv und nicht nach klaren Grundsätzen bestimmte Koran-Zitate verwendet werden, um die Argumente des Autors zu einem liberalen Islam nachzuweisen. Gleichermaßen könnte ein anderer Autor auf bestimmte Koran-Stellen verweisen, die eher belegen, dass der Islam kaum eine liberale Tradition begründe. So wäre es wünschenswert und darüber hinaus erkenntnisreicher gewesen, wenn sich der Autor mit Originalquellen aus der islamischen Tradition auseinandgesetzt hätte, gerade um seine grundsätzlich spannende These eines liberalen Islam in der Türkei zu untermauern.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension