C. R. Galvão-Sobrinho: Doctrine and Power

Cover
Titel
Doctrine and Power. Theological Controversy and Christian Leadership in the Later Roman Empire


Autor(en)
Galvão-Sobrinho, Carlos R.
Reihe
The Transformation of the Classical Heritage 51
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 310 S.
Preis
$ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lambrecht, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau

Am Beispiel der Auswirkungen des Arianischen Streites untersucht Carlos Galvão-Sobrinho den Habitus kirchlicher Führungspersönlichkeiten. Dabei stellt er für das 4. Jahrhundert, verglichen mit dem 3. Jahrhundert, als entscheidende Verhaltensänderung den konfrontativen Kurs unter den Theologen und vor allem den Bischöfen bei der Durchsetzung der eigenen dogmatischen Anschauungen fest. Galvão-Sobrinho exemplifiziert an der Suche nach und der Formulierung von Glaubenswahrheiten, wie bestimmte Personen die Erkenntnis dessen, was sie für wahr ansahen, und die Durchsetzung dieser Ansichten als akzeptierte Inhalte des richtigen Glaubens zur Förderung ihrer eigenen Legitimität und Autorität und mithin zur Begründung und Behauptung eines in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich umfassenden Machtanspruches einsetzten. Dabei interessieren ihn neben den Inhalten der kontrovers ausgetragenen theologischen Debatten vor allem deren Auswirkungen auf den Habitus der Bischöfe, die an ihnen beteiligt waren. Als Motive für die Veränderung von Verhaltensdispositionen weist Galvão-Sobrinho neben der Erkenntnis des Machtpotentials auf die nicht nur theologisch, sondern aus Stabilitätsgründen auch allgemeinpolitisch erwünschte Glaubenseinheit des Christentums, auf die Einmischung der Herrscher in Glaubensfragen und auf innerkirchliche Spannungen beispielsweise bei der Herausbildung von Hierarchien hin. Daher stellt er „a connection between engagement in doctrinal controversy and the growing assertion of episcopal leaders in late Roman communities“ (S. 5) fest, deren Zustandekommen er in seiner Studie darlegen will. In diesem Zusammenhang geht es ihm weniger um die damit verbundene Bereitschaft zur Konfrontation und Gewalt als darum, auf diese Weise einen Beitrag „to an inquiry into the impact of that behavior on patterns of episcopal authority“ (S. 5) zu leisten.

Galvão-Sobrinho gliedert seine Studie in einen Gedankengang mit drei aufeinander aufbauenden Teilen. Mit „Points of Departure: Theology and Christian Leadership in the Third-Century Church“ bietet er im ersten Teil einen Einblick in den Habitus kirchlicher Führungspersönlichkeiten im 3. Jahrhundert und damit eine Vergleichsfolie für die Veränderungen des 4. Jahrhunderts. Er stellt fest, dass in Anbetracht wachsender Christengemeinden deren bischöfliche Führung im Zuge der Ausbildung des Monepiskopats an Bedeutung zunahm. Bischöfe galten als Hort des rechten Glaubens, weil man ihnen zuschrieb, Gottes Geist wirke in ihnen. Ihre Stellung in der Gemeinde geriet in Gefahr, sobald der Verdacht aufkam, sie seien von gottgegebenen Wahrheiten abgewichen; sie erwies sich daher als recht instabil. Für die auf Gott zurückgeführten Wahrheiten gab es aber noch keine verbindlich festgelegten Deutungen. In den dadurch heraufbeschworenen theologischen Debatten wusste sich das christliche Führungspersonal zu schützen, indem es konsensorientierte Lösungen anstrebte, die durch die noch fehlenden präzisen dogmatischen Festlegungen erleichtert wurden. Mit diesen Ergebnissen skizziert Galvão-Sobrinho die habituellen Voraussetzungen, unter denen die christlichen Kleriker in das 4. Jahrhundert eintraten, das mit neuen Herausforderungen aufwartete, in denen diese Verhaltensdispositionen grundlegende Änderungen erfuhren.

Im zweiten Teil („God in Dispute: Devotion and Truth, A. D. 318–325“) erörtert Galvão-Sobrinho die Auswirkungen des Arianischen Streits auf einen völlig neuen Habitus kirchlichen Führungspersonals, wie er sich im Zeitraum von der Entstehung des Streits bis zum Konzil von Nicaea entwickelte. Aus den in diesen Auseinandersetzungen sich ergebenden harten Konfrontationen einander letztlich unversöhnlich gegenüberstehender Positionen leitet Galvão-Sobrinho die Genese der generellen Veränderung des Verhaltens hoher Kleriker ab. Erst als Bischof Alexander erkannte, dass die Subordinationslehre seines Presbyters Arius und die Bildung einander in dieser Sache kontrovers gegenüberstehender Lager nicht nur seine Autorität als Leiter der Kirche von Alexandrien gefährdete, sondern auch Wege zur Erlösung ohne Vermittlung kirchlichen Fachpersonals aufzuzeigen schien, verurteilte er dessen Lehre und ließ ihn schließlich seines Amtes entheben. Drei Veränderungen beim Umgang mit Meinungsverschiedenheiten in Glaubensdingen gegenüber dem 3. Jahrhundert sind es, die die Polarisierung weiter vertieften: die von beiden Seiten – besonders erfolgreich von Arius – betriebenen Praktiken der Mobilisierung des einfachen Christenvolkes in der Auseinandersetzung über das als wahr Erkannte, mit dem Ziel, den eigenen Ansichten Nachdruck zu verleihen, sodann die Einbeziehung von Gemeinden außerhalb Ägyptens zum Zweck der Netzwerkbildung und schließlich die Beteiligung des Kaisers am Arianischen Streit, die mit der Entwicklung bis zum Konzil von Nicaea zu einer Politik der äußerlichen Wiederherstellung kirchlicher Einheit führte, in deren Folge aber abweichende theologische Ansichten nun endgültig nicht mehr gütlich behandelt werden konnten, sondern vielmehr kriminalisiert wurden.

Im dritten Teil („Defining God: Truth and Power, A. D. 325–361“) richtet Galvão-Sobrinho für die Jahre vom nizänischen Konzil bis zum Tode des letzten Konstantin-Sohnes den Blick auf die Folgen von Nicaea. Das Konzil hatte letztlich keine überzeugende Glaubenseinheit erbracht, allerdings für eine Politisierung des Konflikts gesorgt, die dazu angetan war, die Bischöfe im Zuge der fortgeführten theologischen Kontroverse Bestätigung für ihren Einfluss und ihre Macht suchen zu lassen. Auf diese Kreise wirkte der Kaiser in dem Bemühen um Kircheneinheit ein und musste sich von Bischöfen mit dem Anspruch, den wahren Glauben zu vertreten, in Machtfragen herausfordern lassen; diese Konflikte konnten so weit reichen, dass sie die Legitimität des christlichen Kaisers in Frage stellten. Für die Jahre von 325 bis 337 erörtert Galvão-Sobrinho die Aktivitäten der auf eine Revision von Nicaea zielenden ariusfreundlichen Bischöfe („Eusebianer“) mit ihrem Einfluss auf Konstantin und die mit Gewalttätigkeiten verbundene Kompromisslosigkeit des neuen Bischofs Athanasius von Alexandrien, der in seiner Fähigkeit, die wirksame Kontrolle über materielle Güter und Anhänger für seine Ziele einzusetzen, endgültig „the new style of church leadership“ (S. 7, vgl. S. 109) etablierte. Dies hatte die Vertiefung der Kontroverse in Ägypten zur Folge und führte 335 auf Initiative der „eusebianischen“ Seite zur Absetzung und Verbannung des Athanasius. Für die Herrschaftsjahre der Söhne Konstantins illustriert Galvão-Sobrinho die habituellen Veränderungen, „that contributed to transforming the episcopate into a powerful social and political force“ (S. 126), an Beispielen des machtstrategisch relevanten Wirkens verschiedener arianischer und nichtarianischer Bischöfe als „leaders of the people“ (S. 148) und „formidable public forces“ (S. 157) in ihren Städten. Diese dem Christentum und der Kirche nicht von vornherein innewohnende Einstellung führt Galvão-Sobrinho auf Folgen des theologischen Streites um die richtige Definition des Verhältnisses von Gottvater und -sohn und das zugleich verfolgte politische Ziel kirchlicher Einheit zurück.

Galvão-Sobrinho leistet mit seiner Untersuchung keinen Beitrag zur Dogmen- und Kirchengeschichte und auch keinen zur Reichsgeschichte oder zu den (kirchen-)politischen Folgen der christlichen Wende im Osten des Römischen Reiches. Diese Bereiche bilden in seiner Studie vielmehr den nicht näher erörterten Hintergrund für die ganz spezielle Frage nach dem Habitus von Bischöfen und dessen Veränderungen in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Seinem Thema nähert er sich über Beobachtungen zu Veränderungen im Verhalten von Klerikern, die im Zuge sich verhärtender dogmatischer Positionen Zugänge zu Machtpotentialen entdeckten, welche ihnen Mittel an die Hand gaben, mit deren Hilfe sie den von ihnen eingeschlagenen Weg zum Heil öffentlich als den einzig richtigen zu propagieren verstanden. Galvão-Sobrinhos wissenschaftlicher Ansatz ist der historischen Anthropologie verpflichtet und steht insbesondere Peter Brown recht nahe, dessen Forschungen zum Verhältnis von Macht und Rhetorik 1 er um die – zunächst innerchristliche – Facette des Bezugs von Macht und christlicher Glaubensdoktrin bereichert.

Dem Text von rund 160 Seiten Länge steht ein umfangreicher Anmerkungsapparat von über 80 Seiten gegenüber, bei dem man bedauert, dass er nicht, wie in anderen Publikationen derselben Reihe, in Form von Fußnoten unter dem darstellenden Text erscheint. Auch bei Passagen mit „verdichteten“ Informationen ist zu erkennen, dass Galvão-Sobrinho auf einer sicheren Quellen- und reichhaltigen Literaturgrundlage argumentiert, die das Resultat intensiver Forschungen sind. Man kann sich bei der Lektüre gelegentlich des Eindrucks einer gewissen Sympathie des Autors für Arius sowie dessen Glaubensvermittlungspraktiken und die hinter ihnen stehenden Positionen nicht ganz erwehren. Dass Arius bei Galvão-Sobrinho großenteils auf Herausforderungen von anderer Seite reagiert, trägt zu einem positiveren Bild des Presbyters bei, als es bislang in der Forschung verankert ist. Dies belastet vor allem Bischof Alexander und dessen Anspruch, allein die Glaubenswahrheit zu repräsentieren, mit dem Vorwurf, den Arianischen Streit in die Eskalation getrieben zu haben. Mehr als einmal weist Galvão-Sobrinho darauf hin, dass Arius den Christen auf dem Weg über einen „vermenschlichten“ Gottessohn einen individuellen, auf das priesterliche Vermittlungsmonopol nicht angewiesenen Zugang zum Glauben eröffnet habe, zumal die einfachen Gläubigen sich in einem solchen Christus selbst hätten erkennen können (vgl. S. 39f., 55f., 60 und 110). Entsprechend negativ fällt die Wertung der intransigenten Bischöfe Alexander und Athanasius bei Galvão-Sobrinho aus.2

Der Untersuchung eines speziellen Anliegens ist auch geschuldet, dass die Darstellung die Kenntnis der Ereignis- und Kirchengeschichte voraussetzt, vor deren Hintergrund Beobachtungen zum Phänomen des Zusammenhangs von „Doctrine and Power“ und zu dessen Folgen thematisiert werden. Hilfreich ist daher ein Anhang, in dem für das Verständnis der Ausführungen Galvão-Sobrinhos relevante Informationen, thematisch und chronologisch geordnet, zusammengestellt sind. Der Autor liefert auf der schmalen verfügbaren Quellenbasis in sorgfältigen Interpretationen, die – teilweise spekulativ – zu plausiblen Hypothesen erweitert sind, eine überzeugend argumentierende Studie zur Veränderung im Habitus christlicher Bischöfe, zu ihren Motiven und den daraus sich ergebenden Folgen, nämlich der „transformation of the Christian leadership into a powerful social and political force“, und zwar „in response to the challenges posed by doctrinal disagreement“ (S. 155).

Anmerkungen:
1 Vgl. Peter Brown, Power and Persuasion in Late Antiquity. Towards a Christian Empire, Madison, Wis. 1992 (deutsch unter dem Titel: Macht und Rhetorik in der Spätantike. Der Weg zu einem „christlichen Imperium“, München 1995). In diesem Buch untersucht Brown unter anderem speziell die Bedeutung von paideia und Armut für die Ausübung von Macht in der Konkurrenz zwischen weltlichen Honoratioren und christlichen Bischöfen.
2 Dass dieser Eindruck einer speziellen Fragestellung geschuldet ist, deren Ergebnis nicht zu einem Gesamturteil verallgemeinert werden darf, versteht sich von selbst. So wären in einer theologiegeschichtlich akzentuierten Untersuchung gewiss auch positivere Einschätzungen zu den Auswirkungen der christologischen Schriften des Athanasius denkbar, etwa zu der auf Ambrosius vorausweisenden Haltung gegenüber der Rolle des Kaisers im christlichen Reich; vgl. dazu beispielsweise Johannes Roldanus, The Church in the Age of Constantine. The Theological Challenges, London 2006, S. 93–95.

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