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Titel
Else Jaffé-von Richthofen. Erfülltes Leben zwischen Max und Alfred Weber


Autor(en)
Demm, Eberhard
Reihe
Schriften des Bundesarchivs 74
Erschienen
Düsseldorf 2014: Droste Verlag
Anzahl Seiten
VII, 248 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Rita Aldenhoff-Hübinger, Kulturwissenschaftliche Fakultät, Europa-Universität Viadrina

Else Jaffé-von Richthofen (1874–1973) gehörte zum engsten Kreis um Max Weber: als lebenslange Freundin Marianne Webers, als Lebenspartnerin seines Bruders Alfred und als seine eigene kurzzeitige Geliebte. Eberhard Demm legt nun auch eine lange erwartete Biografie dieser bemerkenswerten Frau vor. Der bekannte Alfred-Weber-Spezialist schildert im ersten Kapitel (S. 3–115) ihren ungewöhnlichen beruflichen Aufstieg und ihre unkonventionelle private Lebensführung bis 1914. Else von Richthofen wird im Reichsland Elsass-Lothringen geboren. Die kluge junge Frau schöpft alle Möglichkeiten aus, die ihr das Bildungssystem bietet, und absolviert eine solide Schulausbildung in Metz, Freiburg im Breisgau und in Trier, wo sie 1891 vorzeitig das Lehrerinnenexamen ablegt. Zunehmend wird ihr klar, dass sie sich selber eine ökonomisch tragfähige Lebensbasis schaffen muss, denn ihr Vater, der Baurat Freiherr Friedrich von Richthofen, verbaut ihr durch seine Spielleidenschaft und Affären den Weg in eine gehobene bürgerliche Ehe, da sie keine Mitgift einbringen kann. So nimmt sie die Möglichkeit einer Zusatzprüfung rasch an und „hört“ – immatrikulieren konnten sich Frauen noch nicht – zunächst in Freiburg und dann in Heidelberg, unter anderem bei Max Weber Nationalökonomie. Dieser Eintritt in das Freiburger, dann Heidelberger akademische Milieu markiert den entscheidenden Einschnitt in ihrem Leben. Auf Max Webers Empfehlung an den führenden deutschen Nationalökonomen Gustav Schmoller hin studiert sie drei Semester in Berlin, wo sie nicht nur wieder standesgemäß bei ihrem Onkel Oswald von Richthofen (Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amts) logiert, sondern auch Kontakte knüpft, die ihr weiteres Leben bestimmen werden. In der „Villa Helene“ von Max Webers Mutter lernt sie Alfred Weber und Edgar Jaffé kennen (S. 16). Sie wirkt mit einem Beitrag an Alfred Webers Heimarbeiterinnenenquete mit. Zurück in Heidelberg promoviert sie 1900 dank einer Sondergenehmigung bei Max Weber über die Arbeiterschutzgesetzgebung und tritt anschließend ihr Amt als erste deutsche akademische Fabrikinspektorin in Karlsruhe an. Freundschaftlich verbunden ist sie seit Mitte der 1890er-Jahre Marianne Weber, die sie unter ihre Fittiche nimmt und in die bürgerliche Frauenbewegung einführt. Marianne Webers Briefe an ihre Schwiegermutter Helene Weber in Berlin bilden eine der wichtigsten Quellen von Demms Biografie.

Demm beschreibt die Phase ihrer Berufstätigkeit anschaulich (S. 19–32). Sie verfolgt das Konzept der bürgerlichen Sozialreform, lehnt gewerkschaftliche Organisationen ebenso wie die patriarchalische Variante der Sozialpolitik ab und plädiert stattdessen für eine Verbesserung der Arbeiterschutzgesetze und mehr Bildung (S. 26f.). Ende 1902 ändert sie ihren persönlichen Lebensentwurf: nicht mehr sie selbst will sich die materielle Lebensbasis erarbeiten, sondern sie heiratet aus Kalkül den ihr aus Berlin bekannten Edgar Jaffé, einen überaus erfolgreichen, auch wissenschaftlich ambitionierten Geschäftsmann. Sie folgt damit nicht mehr dem von Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung propagierten Berufsbild etwa der Lehrerin oder Ärztin (Stichwort „Mütterlichkeit als Beruf“) mit erzwungenem Zölibat, sondern entscheidet sich für die Ehe und damit zwangsläufig für die Berufslosigkeit. Sie entscheidet sich aber nicht für eine bürgerliche Ehe; sie folgt vielmehr einem sozialen Modell, indem sie als verarmte Adelige einen getauften Juden heiratet, der ihr die Rückkehr zu einer aristokratischen Lebensführung materiell ermöglicht. So haben die Ehepartner von Anfang an ein distanziertes Verhältnis zu einander, Sinnlichkeit und Liebe finden, jedenfalls für Else Jaffé, außerhalb der Ehe statt. Demm dokumentiert eingehend, wie sie sich in der neuen Heidelberger Villa mit Verehrern umgibt, Liaisons mit einem Chirurgen und Otto Gross schließt. Eine dauerhafte Beziehung geht sie 1909/10 mit Alfred Weber ein. Sie lebt in Wolfratshausen bei München, Edgar Jaffé lehrt inzwischen an der Handelshochschule in München, mit einem weiteren Wohnsitz in Irschenhausen in ihrer Nähe, Alfred Weber lehrt in Heidelberg, hat aber auch ein Standbein in Icking im Isartal. Else Jaffé folgt dabei nicht wie ihre Schwester Frieda (Geliebte von Gross, Gefährtin von D. H. Lawrence) den Lebensentwürfen der Schwabinger Bohème; schlecht sitzende Frisuren und Kleider mag sie nicht (S. 57). Sie gehört zu den 1,5 Prozent der Reichsten der bayerischen Bevölkerung (S. 84).

Hat sich Else Jaffés Leben seit ihrer Heirat 1902 auf Ehe, Kinder und amouröse Abenteuer reduziert? Sie hat, wenn auch Demm zufolge eher halbherzig, als Redakteurin beim renommierten Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik mitgewirkt, das ihr Mann gekauft hat und gemeinsam mit Werner Sombart und Max Weber herausgab. 1907 und 1910 veröffentlicht sie kleinere Beiträge zur Stellung von Arbeiterinnen im Gewerbegericht und Frauen in der Gewerbeinspektion sowie eine Rezension von Lily Brauns „Memoiren einer Sozialistin“ (S. 228). Auf Grund sehr guter Fremdsprachenkenntnisse betätigt sie sich gelegentlich als Übersetzerin (S. 55). Ob sie seit 1910 als „Muse“ Alfred Webers mit verantwortlich für dessen Wende von der Nationalökonomie zu lebens- und kulturphilosophischen Ansätzen ist, wie Demm zur Diskussion stellt, dürfte fraglich sein, denn eine vergleichbare Wende vom rationalen Diskurs der Nationalökonomie zur Lebens- und Kulturphilosophie lag ja im Trend der Zeit.

Im zweiten Kapitel (S. 117–183) wendet sich Demm der Kriegs- und Revolutionszeit in München zu. Der Erste Weltkrieg lässt Else Jaffé wieder ganz in der traditionellen Frauenrolle aufgehen. Während ihr Mann in Brüssel auf hoher politischer Ebene tätig ist und Alfred Weber in Berlin ist, hilft sie bis 1916 im Nationalen Frauendienst. Daraus zieht sie sich wieder zurück und verbringt, geschützt und versorgt durch die Zuwendungen beider Männer, die Zeit mit ihren Kindern in Wolfratshausen und München. Sie ist, wie viele andere, anfällig für die Kriegspropaganda und den spezifischen Kriegsantisemitismus, den sie auch erstmalig gegen ihren Mann richtet (S. 152f.). Wie eine gemeinsame Weltflucht wirkt ihr Anfang November 1918 begonnenes intimes Verhältnis zu Max Weber, das Demm ohne Voyeurismus schildert (S. 172–183) und ohne sich den Diskurs einer bestimmten „erosfixierten Max Weber-Forschung“ (S. 113) aufzwingen zu lassen. Edgar Jaffé stellt sich zur gleichen Zeit der Realität, bewährt sich als umsichtiger Finanzminister im Kabinett Eisner und gerät schließlich hautnah in die blutigen Wirren der Revolution, aus der er als gebrochener Mann hervorgeht. Nach dem Tod Max Webers 1920 und dem Edgar Jaffés 1921 verläuft Else Jaffés weiteres Leben, wie Demm im abschließenden dritten Kapitel (S. 185–S. 205) zeigt, an der Seite Alfred Webers in ruhigeren Bahnen, sie beschränkt sich weitgehend darauf, Alfred Webers politische Positionen zu teilen und nach seinem Tod 1958 dessen Lebenszeugnisse zu sammeln.

Man mag nicht alle Einschätzungen Demms teilen – so verkörperte Edgar Jaffé nicht nur den Typus betrogener Ehemann; auch Marianne Weber war nicht die stets zu kurz Gekommene, die die erotischen Eskapaden ihrer Freundin mit Neid verfolgte –, hier hat sich Demm zu einem zu saloppen Ton hinreißen lassen. Dennoch gilt, mit seiner in die politischen, ökonomischen und sozialen Bezüge der Zeit hervorragend eingebetteten Biografie schließt sich ein Kreis. Sie liest sich komplementär zu den Biografien der letzten Jahre zu Max Weber, Alfred Weber und Marianne Weber, klärt, vervollständigt und korrigiert Manches (zum Beispiel S. 72f., S. 174). Die eindrucksvolle Spannweite der Quellenrecherchen reicht von Ortsarchiven in Frankreich über einen Steuerbeleg Edgar Jaffés im Münchener Melderegister bis hin zu Korrespondenzen, die Günther Roth (New York) erst vor einigen Jahren bei Else Jaffés amerikanischen Nachfahren entdeckt hat.

Das Buch ist mit einer übersichtlichen Zeittafel, bislang unbekannten bzw. unveröffentlichten Fotos sehr gut ausgestattet; ärgerlich ist nur, dass die Fußnoten dermaßen komprimiert sind, dass der Leser nur durch Zählung von Zitaten die zutreffende Quellenangabe ermitteln kann, und manchmal dabei auch scheitert (S. 68/246, S. 73/257). Hier sollten Verlag und Reihenherausgeber demnächst ihren Autoren bessere Möglichkeiten eröffnen.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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